02-12-2017, 12:48
Da Fragen der Ernährungsgewohnheiten und der Medizin des Mittelalters (und der Frühen Neuzeit) ein interessantes kulturgeschichtliches Thema sind, eröffne ich dazu einen Thread im entsprechenden Unterforum.
(01-12-2017, 07:41)Ulan schrieb: [ -> ]Gerade bei Obst muss man dazu sagen, dass die Leute frueher so gut wie nie welches assen, weil es das ja jeweils nur fuer sehr kurze Zeit im Jahr gab. Wenn der Verdauungstrakt ueberhaupt nicht gewohnt ist, rohes Obst zu verarbeiten, und man dann ploetzlich wegen des momentanen Ueberangebots zu viel davon isst, wird das wohl in Bauchschmerzen und Durchfall enden. Zudem war selbst lagerfaehiges Obst (da fallen mir eigentlich nur Aepfel ein) im Mittelalter sehr teuer, wie man von aus dem Berliner Raum erhaltenen Preislisten weiss, viel teurer als Fleisch. Die Leute damals hatten also selbst in guten Zeiten (in der Zeit vor den Pestepidemien war der Lebensstandard in unserer Gegend so hoch wie bis zum 20. Jhdt. nicht mehr) nur wenig Kontakt mit Obst.
Erdbeeren und Heidelbeeren hatten wir ja schon angesprochen. Die waren am Boden Kontakt mit allerlei Fremdstoffen ausgesetzt. Waschen mit sauberem Wasser, wie wir das heute koennen, war damals keine Selbstvestaendlichkeit. Die erwaehnten Krankheiten kamen wohl eher von dem, was dran hing, als dem Obst selbst.
Die Standesvertretung der österreichischen Apotheker schrieb:Die deutsche Bezeichnung der Heidelbeere hat ihren Ursprung wohl in "auf der Heide wachsende Beere". Im Mittelalter war die Äbtissin Hildegard von Bingen die Erste, die die Heilwirkung der Heidelbeere beschrieb. Neben ihrer Bedeutung in der Phytotherapie werden Heidelbeeren für verschiedene köstliche Süßspeisen sowie technisch als Färbemittel verwendet.
*https://www.apotheker.or.at/Internet/OEAK/NewsPresse_1_0_0a.nsf/agentEmergency!OpenAgent&p=6147F6B6E033242DC1256ECA004E124F&fsn=fsStartHomeFachinfo&iif=0
Hildegard schrieb:Das Kraut, an dem die Waldbeeren wachsen, die auch Heidelbeeren genannt werden, weil sie schwarz sind, enthält in sich die größte Kälte, wenn die Kälte schon etwas der Wärme weicht, so dass bereits aus Erde und Steinen die Feuchtigkeit der Kälte aufsteigt, wenn es taut: Die Kälte schadet mehr als sie nützt, und taugt nicht für Arzneien. Die Frucht schadet dem, der sie isst, indem sie in ihm die Gicht hervorruft.
Hildegard von Bingen. Physica: 1.172 Heidelbeerkraut
(02-12-2017, 12:57)Bion schrieb: [ -> ]Walderdbeeren und Heidelbeeren werden u.a. als Überträger des Fuchsbandwurmes denunziert. Die Infektionsfälle sind verschwindend gering, sodass die – vornehmlich von Waldbesitzern und der Jägerschaft - geschürte Angst kaum begründbar ist.
Die Heidelbeere kenne ich aus meiner Kindheit als Hausmittel. Meine Großmutter hatte uns Kinder bei Durchfallerkrankungen mit eingedickter Heidelbeermarmelade kuriert. Soweit ich mich erinnern kann, durchaus erfolgreich.
(02-12-2017, 15:43)Ulan schrieb: [ -> ]...dem Buch "Edelmann... Bürger, Bauer, Bettelmann. Berlin im Mittelalter. Ullstein, Frankfurt am Main-Berlin-Wien 1981" des Mittelalterarchaeologen Adriaan von Müller. Darin stand auch die Aussage, dass Fleisch fuer einen nichtselbstaendigen Handwerker im 13. Jhdt. zur normalen Kost gehoerte. "Aus dem Vergleich [mit Verhaeltnissen um 1980] ergibt sich bei Beruecksichtigung aller Unsicherheitsfaktoren, dass das Verhaeltnis von Verdienst und Lebenshaltungskosten im 13. Jahrhundert jedenfalls etwa dem der heutigen Zeit entspricht."
Werner Rösener schrieb:Die Fleischgerichte spielten auch im bäuerlichen Haushalt des Mittelalters eine beachtliche Rolle, wobei der jeweilige Anteil des Fleischkonsums am Gesamthaushalt nach Schicht, Gegend und Zeit variierte. Die Bauern schätzten besonders das fette Schweinefleisch und zogen es sogar dem Rindfleisch vor.
W. Rösener. Bauern im Mittelalter. 1985 München, Verl. C. H. Beck, S. 109
Ernst Schubert schrieb:Schon in der Karolingerzeit war der Bauer derjenige gewesen, der Brot, Brei oder Gemüse, aber nur sehr selten Fleisch essen konnte. Beiläufig, also im Sinne des Üblichen und Gewohnten, spricht im 12. Jahrhundert die "Zwiefalter Chronik" von Mahlzeiten, die "mit Mehl ... nach Brauch armer Leute zubereitet" wurden, also von fleischlosen Breien. Das bildet eine Konstante. Fleischarmut bestimmt die Küche des gemeinen Mannes, wie sie 1520 Johannes Boemus oder 1544 Sebastian Münster für die Bauern schildern: "Geringes Brot, Haferbrei oder gekochte Bohnen bilden die Speise der Bauern",…
E. Schubert. Essen und Trinken im Mittelalter. 2. Aufl. 2010 Darmstadt, Verl. WBG, S. 97
(02-12-2017, 15:43)Ulan schrieb: [ -> ]Eine weitere Moeglichkeit zur Einordnung der Aeusserungen Hildegards waere dieses Zitat (muesste man ueberpruefen, da kein Direktzitat):
„Die Verwendung der Früchte: Gut gereifte, süße Pflaumen und hartschalige Pfirsiche, die vollständig am Baum gereift sind, sowie Kirschen und verschiedene Arten von Früchten sind zuträglich, wenn sie am Baum gereift sind. Wenn sie aber unreif gepflückt und nach einigen Tagen weich geworden sind, betrachten wir das als Fäulnis und nicht als Reife. Wenn man nämlich davon ißt, entstehen faulige Säfte im Innern...“
– Lorscher Arzneibuch: Epistula Anthimi ad Theodoricum regem (Fol. 72r-74v)"
(04-12-2017, 15:34)Bion schrieb: [ -> ]Was die Ernährung der städtischen Bürgerschaft betrifft, wird das wohl so gewesen sein.
Die Historikerin Barbara Tuchman soll einmal bemerkt haben, dass jeder Behauptung über das Mittelalter mit einer entgegengesetzten widersprochen werden kann. Was die Ernährung der Bauernschaft im Hochmittelalter betrifft, finde ich das bestätigt.
(04-12-2017, 23:30)Ulan schrieb: [ -> ]Bei gehandelten Nahrungsmitteln fallen mir uebrigens die Faesser mit Salzheringen ein, die mehr oder weniger das oekonomische Rueckgrat einiger Hansestaedte am Meer bildeten, und die bis weit ins Landesinnere gehandelt wurden.
Ernst Schubert schrieb:Dass aber das im regionalen Marktgeschehen verkaufte Schweinefleisch teurer als das oft von weit her importierte Rindfleisch ist, zeigt - erneut bemühen wir den Vergleich mit dem Salzhandel - , wie unverzichtbar der Fernhandel gewesen sein muss; denn die regionale Produktion reichte zur Ernährung der Menschen nicht mehr aus.
E. Schubert. Essen und Trinken im Mittelalter. S. 100