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Normale Version: Dionysos
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(Text in Arbeit)

Dionysos ist einer aus der Gruppe sterbender und wiederauferstehender (↗Dumuzi, ↗Osiris, ↗Attis) Götter. Nach ↗Herodot (II, 144) wird er in ↗Ägypten dem Osiris gleichgesetzt. Allem voran ist er Fruchtbarkeitsgott, göttliches  Abbild der sterbenden und wiederauflebenden Natur im Jahreszyklus. Als Gott des ↗Weines1 und der orgastischen Ausgelassenheit, als der er im klassischen Griechenland und später bei den Römern verehrt wurde, ist er das göttliche Gegenstück zu ↗Apollon, der für maßhaltende Distanz steht. In die Gruppe der ↗zwölf olympischen Götter wurde er spät aufgenommen, er verdrängte dort ↗Hestia.

Den ↗Römern war Dionysos unter dem Namen Bacchus bekannt.

Früher nahm man an, Dionysos habe erst gegen Ende der sogenannten ↗Dunklen Jahrhunderte über ↗Phrygien und ↗Thrakien zu den Griechen gefunden. Dann aber fand man auf ↗Lienear B-Tafeln aus ↗Pylos eine Gottesbezeichnung "Diwonusos" und identifizierte diese mit Dionysos2. Sollte die Annahme zutreffen, wäre die Verehrung des Dionysos also schon bei den Griechen ↗mykenischer Zeit anzutreffen.

Die ↗Mythen über seine Herkunft, die Synonyme, unter denen er verehrt wird und die Beinamen, mit denen er Auftritt, sind Zahlreich (Bakchos, Bromios, Dithyrambos, Eleuthereus, Liber, Liber Pater, Sabazios, Taurophagos, Zagreus, etc., etc.).

Die bekannteste Geschichte über seiner Herkunft ist jene, wonach er die Frucht der Liebesbeziehung war, die Göttervater ↗Zeus mit der ↗Kadmostochter ↗Semele unterhielt.

In der ältesten Fassung des Mythos ist Semele eine von vielen Liebschaften des Zeus und gebiert ihm den Knaben Dionysos (Hesiod Theog.  940). In einer späteren Fassung verlangte Semele, von ↗Hera angestiftet, Zeus möge sich ihr in der Gestalt zeigen, in der er um seine Frau geworben hatte. Er erfüllt ihr den Wunsch, kommt donnernd und blitzeschleudernd in ihr Zimmer, worauf sie vor Schreck das Kind um drei Monate zu früh entbindet. Das Feuer, das durch die Blitze entstanden war, verbrennt sie3. Den Knaben aber rettet Zeus aus dem Feuer und trägt ihn in seinem Oberschenkel eingenäht aus (Apollod. Bilb. III 4, 3; Eur. Bak. 88ff.). Am heiligen Berg Nysa4 wird er aus dem Schenkel des Zeus neuerlich geboren. Er wird zunächst ↗Nymphen und später dem ↗Satyr ↗Silenos zur Pflege übergeben.

Die Variationen, in denen der Geburtsmythos des Dionysos erzählt wird, sind zahlreich.

Ein Mythos – möglicherweise phrygischen Ursprungs -, wonach Zeus mit ↗Persephone den gehörnten Zagreus/Dionysos gezeugt habe, der in den olympischen Himmel als neuer Weltenherrscher einziehen sollte5, ist ebenfalls in vielen Variationen belegt. Ausfühlich hat ihn Nonnos dichterisch ausgestaltet6.  

Zeus weiß um Heras Eifersucht, auch dass sie dem Knaben Zagreus nach dem Leben trachtet und versteckt ihn bei Nymphen, die ihn als Ammen aufziehen. Doch Hera lässt sich nicht täuschen. Sie entdeckt den Knaben und stiftet ↗Titanen an, ihn zu töten und zu zerstückeln. Zeus verbrennt diese Titanen danach durch Blitze. Die Leichenteile sammelt er ein und übergibt sie Apollon, der sie in ↗Delphi bestattet. Das Herz aber behält er, gibt es Semele zu essen, die daraufhin mit Dionysos schwanger wird.

In einer anderen Fassung wird das Herz des Zagreus, nachdem Teile von ihm von den Titanen verspeist wurden, von Athena beiseite gebracht und Zeus übergeben. Der isst es, worauf er mit Semele den Dionysos aufs Neue zeugen kann7.

Alle zwei Jahre wurde auf dem Parnass8 die Wiedergeburt des Dionysos gefeiert. Das Fest wurde nur von Frauen begangen. Mit ↗Thyrsosstäben bewehrt, efeugeschmückt und mit Rehfellen bekleidet wurden Jungtiere, vornehmlich Rehkälbchen, lebendig zerrissen und das Fleisch roh verspeist, was an den Tod des Zagreus-Dionysoskindes erinnern sollte. Die Handlung wurde von ↗Mänaden (Thyiaden, Bacchantinnen) vollzogen. Der Gott selbst war bei dieser Feier symbolisch in der Gestalt eines ↗Ziegenbockes oder ↗Stieres  anwesenden.

Mit Dionysos ist eine feste Gefährtin verbunden. ↗Ariadne, Tochter des ↗Minos, die von ↗Theseus auf ↗Naxos zurückgelassen und von Dionysos gerettet wurde, ist seine Frau. Auf der Insel Dia9 feierte er mit Ariadne Hochzeit, um mit ihr danach in den olympischen Himmel aufzufahren.

Der Kult des Dionysos scheint sich in der griechischen Gesellschaft rasch ausgebreitet zu haben. Von der Oberschicht dürfte er – anfangs jedenfalls – abgelehnt worden sein. So lassen sich möglicherweise die Mythen deuten, die sich um das anfängliche Auftreten des Gottes unter den Griechen gebildet hatten. Die bekanntesten davon sind die Erzählungen von ↗Lykurgos, den ↗Minyas-Töchtern, den ↗Proitos-Töchtern,  der ↗Pentheus-Mythos, der ↗Ikarios- und der ↗Oineus-Mythos sowie der ↗Mythos von der Gefangennahme des Dionysos durch die Piraten.

In ↗Attika  wurden zu Ehren des Dionysos fünf Feste begangen. Das älteste Fest von diesen waren die ↗Anthesterien, die drei Tage lang dauerten und im Monat Anthesterion (Februar/März) begangen wurden. Schon im Monat Gamelion (Jänner/Februar) feierte man die ↗Lenäen. Das wichtigste Dionysosfest aber waren die ↗Großen (bzw. Städtischen) Dionysien gewesen, die im Monat Elaphebolion fünf Tage lang stattfanden. Die ↗Oschophorien, ein Erntedankfest, fanden im Monat Pyanepsion (Oktober/November) statt. Schließlich hat man im Monat Posideon (Dezember/Jänner) die ↗Ländlichen Dionysien gefeiert.



1) "Dionysos als Gott des Weins ist 'Wonne für die Sterblichen', wie in der Ilias steht, der Spender 'vieler Freude', polygethes; er stillt allen Kummer, bringt Schlaf Vergessen des alltäglichen Elends; 'die Seele wird groß, wenn uns der Pfeil der Rebe überwältigt'. Die Mythen von der Erfindung des Weins indes klingen dunkel und unheilvoll: Ikarios, der in Attika als erster vom Gott selbst die Pflanzung der Reben und die Kelterung des Weins gelernt hat, wurde erschlagen, weil die Bauern meinten, er habe sie vergiftet; seine Tochter Erigone fand nach langem Suchen die Leiche des Vaters in einem Brunnen und erhängte sich. Vatertod und Mädchenopfer werfen ihren Schatten auf den Genuss des Weins; diese Erzählung gehört zum Anthesterienfest. Vielleicht hat man insgeheim viel direkter vom Tod des Gottes selbst gesprochen; die Assoziation von Wein und Blut, die Rede vom Wein als 'Blut der Reben' ist alt und verbreitet" (Burkert S. 252).

2) "Der Gott Dionysos ist ebenfalls - etwas spekulativ - auf den Tafeln identifiziert worden. Sein Name kommt in der Form Diwonusos zweimal in Pylos vor, aber die Tafeln sind zu fragmentarisch, als dass man mit Sicherheit von einer Erwähnung des Gottes ausgehen konnte. Bevor man den Namen auf den Tafeln fand, glaubte man, dass der Dionysoskult in Griechenland erst nach dem Ende der Dunklen Jahrhunderte in Griechenland Einzug gehalten habe" (Schofield S. 160).

3) Als Dionysos erwachsen war, holte er seine Mutter Semele aus dem Hades und überführte sie in den olympischen Himmel, wo sie unter dem Namen Thyone Unsterblichkeit erlangte und unter den Göttern lebte (Apollod. bibl. III 38).

4) Nysa ist unsicher zu lokalisieren. In einem Homerischen Hymnos an Dionysos (Hom. hymn. 1. Dionys. 8f.)  heißt es:
"…es gibt ein höchstes Gebirge und blühend von Wäldern, Nysa, weit von Phönizien, nah beim Ägyptischen Strome."

5) "In Schlangengestalt wohnte der unterirdische Zeus der Königin Persephone bei, um mit ihr das mystische Dionysoskind Zagreus zu zeugen, den die 'Kreter' des Euripides besonders verehren" (Kerenyi 1997 S.  171).

"…verführte Zeus seine eigene Tochter Persephone … in Schlangengestalt. Das Kind, das ihm die Tochter gebar, hieß Dionysos. Doch trugen beide Gottheiten, Zeus, der Verführer der Persephone, und Dionysos als Sohn der beiden, auch den Namen Zagreus, was den 'großen Jager' bedeutet" (Kerernyi. Die Mythologie der Griechen, Teil I , S. 87).

6) "…verband sich Persephone dem göttlichen Drachen.
Über dem wachsenden Sprössling begann der Körper zu schwellen.
Den gehörnten Zagreus gebar sie."
[…]
"…vom grimmigen Zorn der unversöhnlichen Hera,
schmierten voll List die Titanen sich Kalk zur Tarnung auf ihre
runden Gesichter, und während sich Zagreus im Spiegel ansah,
hieben sie ihn mit einer Tartarosklinge in Stücke.
Zagreus beendete sein Leben, zerrissen von den Titanen,
aber begann als Dionysos gleich aufs Neue zu atmen,
konnte sich darauf in vielen Gestalten abwechselnd zeigen,
jugendlich-listig als Zeus beim drohenden Schütteln der Aigis,…"
[…]
"…verteidigte er sich, bis Hera, vor Eifersucht rasend,
gnadenlos grollend als Stiefmutter, ihren Befehl durch die Lüfte
gellend hervorstieß. Laut warfen die Tore des hohen Olympos,
dröhnend, zurück den Widerhall ihrer göttlichen Weisung.
Jäh in die Knie knickte der tapfere Stier, und die Mörder,
wieder ermutigt, zerstückelten endgültig ihn mit dem Schwerte."
(Nonnos. Dionysiaka, 6. Gesang)

7) "… liebte Zeus seine eigene Tochter Persephone und vereinigte sich schließlich mit ihr in Gestalt einer ↗Schlange oder eines Drachens. Sie gebar ihm ein herrliches Kind, Zagreus (zu Recht oder Unrecht mit Dionysos identifiziert), gegen den die eifersüchtige Hera die Titanen aufreizte. Indem diese ihn mit mannigfachem Spielzeug, darunter einem Spiegel, betörten, vermochten sie ihn zu toten, worauf sie den Körper in Stücke rissen und verzehrten. Athena jedoch gelang es, sein Herz zu retten, das sie Zeus brachte. Er verschlang es und vernichtete die Titanen mit seinen Donnerkeilen. Aus ihrer Asche erwuchsen die Menschen, die deshalb mit einem Teil ihres Wesens göttlich sind, weil die Titanen, bevor sie vernichtet wurden, den Zagreus gegessen hatten, mit dem anderen Teil dagegen verrucht, entsprechend der Verruchtheit der Titanen. Weil Zeus nun das Herz seines Sohnes verschlungen hatte, konnte er ihn noch einmal zeugen, diesmal mit Semele" (Rose S. 48).

8) Parnass = Ein Gebirgsstock bei Delphi

9) Dia ist eine nördlich von Kreta gelegene, unbewohnte Insel.



Literatur:
Luise Schofield. Mykene. Geschichte und Mythos. 2009 Darmstadt. Verl. Wissenschaftl. Buchgesellschaft Darmstadt.
Karl Kerenyi. Töchter der Sonne. Betrachtungen über griechische Gottheiten. 1997 Stuttgart. Verl Klett-Cotta.
Karl Kerenyi. Die Mythologie der Griechen. Sonderausgabe. Teile 1 (Göttergeschichten) u. 2 (Heroen) in einem Band. 2013 Stuttgart. Verl. Klett-Cotta.
Herbert J. Rose. Griechische Mythologie. 32012 München. Verl. C. H. Beck.
Walter Burkert. Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche. 22011 Stuttgart. Verl. Kohlhammer.



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