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Analyse von Gen 1
#36
(30-09-2016, 10:31)Ulan schrieb:
(27-09-2016, 15:51)Tarkesh schrieb: Die Grundaussage besteht darin, dass die Muttergöttin (als Schlange wohlgemerkt) das Chaos repräsentiert, das vernichtet werden muss, damit eine Welt- bzw. Staatsordnung hergestellt werden kann. Diese Aufgabe erledigt Marduk, der Herrschergott, des neubabylonischen Pantheons, mithilfe seiner Keule und kräftiger Fußtritte.

Hat da eigentlich irgendjemand mal den Bogen zur Paradies-Geschichte gschlagen, zumindest bezueglich der Schlangensymbolik?

(Ich bitte wg. anderweitig aufgrund von Zeitmangel noch ausstehender Antworten um Geduld)

Selbstverständlich wurde dieser Bogen in der Religionswissenschaft (im Fahrwasser der ´Religionsgeschichtlichen Schule´) schon oft geschlagen. Aus patriarchatskritischer Sicht stellt sich der Zusammenhang so dar:

Es fällt auf, dass die Satanfigur nur in Religionen erscheint, die radikal patriarchalisch sind, also keine Göttinnen kennen: zunächst zentral in der Religion, die den Satan in Gestalt des Finstergottes Ahriman erfunden hat, also im Mazdaismus (Zoroastrismus), dann eher marginal im Judentum und wieder zentral im Christentum und im Islam. (Judentum und Christentum hatten die Satanfigur aus dem Mazdaismus übernommen). Der Eindruck drängt sich auf, dass Satan an die Stelle der Göttin getreten ist. Dass es sich dabei nicht nur um eine zufällige Koinzidenz handelt, lässt sich anhand der Entwicklung der Schlangensymbolik zeigen, die einerseits mit der Göttin, andererseits mit dem Teuflischen verbunden ist.

Aufgrund der Schriftlosigkeit der prähistorischen Jahrtausende kann man nur hypothetische Schlüsse auf deren Religiosität ziehen. Es spricht aber - auch durch Analogiebildung zu Phänomenen aus der schriftlichen Zeit - viel dafür, dass im Paläolithikum ausschließlich weibliche ´Gottheiten´ verehrt wurden (in einem apersonalen Sinne wohlgemerkt), die man mit der Schlange assoziierte, symbolisiert durch Spiralformen, die in vielen Höhlen einen Teil der Höhlenmalerei bildeten. InterpretInnen gehen davon aus, dass die Spirale Wiedergeburt bzw. ständige Erneuerung innerhalb eines kosmischen Kreislaufs von Leben und Tod bedeutet und dass die Schlange in ihrer eingerollten Form (Spirale) wegen ihrer Fähigkeit, sich zu häuten und dadurch wie neugeboren zu erscheinen, das natürliche Vorbild für die Spiral- bzw. Erneuerungssymbolik abgab.

Die Spirale/Schlange stand für die schöpferische Kraft des Weiblichen, die im Paläolithikum mit den Erneuerungszyklen der Natur assoziiert oder sogar gleichgesetzt wurde. Den männlichen Beitrag zur Erschaffung des Lebens hatte man noch nicht entdeckt, es gab in diesen Jahrzehntausenden trotz zahlreicher und künstlerisch anspruchsvoller Malereien keine einzige Darstellung des Sexualaktes.

Eine plausible Theorie besagt - forciert durch die bedeutende Forscherin Gerda Lerner -, dass erst durch der Einführung der Viehzucht vor etwa 12.000 Jahren die männliche Zeugungskraft erkannt wurde. Da Zeugung = Schöpfung einen religiösen Stellenwert hatte (bisher nur durch das Weibliche repräsentiert), entstanden nun die ersten männlichen Götter, symbolisiert durch den Stier und zunächst in Funktion des Sohn-Gatten der Großen Göttin. Die Götter waren zunächst, nicht anders als die Göttin, im wesentlichen Fruchtbarkeitsgötter, wie der früheste nachweisbare männliche Gott, der sumerische Enki, zeigt, der in einem Mythos die Flüsse mit seinem masturbatorisch ejakulierten Samen füllt (sumerisch A = Wasser / Samen), um die Natur zu beleben.

Die Göttinnen der historischen Zeit blieben, als Nachfahrinnen der prähistorischen ´Großen Göttin´, weitgehend mit der Schlangensymbolik verbunden. So war die sumerische Muttergöttin Ninhursag eine Schlangengöttin, gleichfalls Ereschkigal, die Göttin des Todes und der Wiedergeburt, deren Schwester, die Liebesgöttin Inanna, gerne in Gesellschaft von Schlangen abgebildet wurde. Auch die anatolische Kybele war eine Schlangengöttin, ebenso die griechische Athene, die sich aus der minoischen Schlangen-Muttergöttin entwickelte, sowie die Orakelgöttinnen Medusa und Python (in Delphi). Hathor, die wichtigste ägyptische Göttin, wurde u.a. als Schlange dargestellt. Die eigentliche ägyptische Schlangengöttin aber war Wadjet, die Kobragöttin, die als Symbol der Unsterblichkeit (= ´ewige Erneuerung des Lebens´ in der prähistorischen Vorstellung) in Form der Uräus-Schlange zum Kopfschmuck des Pharao gehörte. Die innige Verbindung von ´Schlange´ und ´Göttin´ demonstriert auch die ägyptische Hieroglyphe für ´Göttin´ in Form der Uräus-Schlange.

Ich denke, damit ist hinreichend gezeigt, dass die Schlange im Alten Orient und in der Ägäis auf religiöser Ebene das Weibliche symbolisierte.

Die ab dem 2. Jt. BCE einsetzende patriarchalische Tendenz, das Weibliche zu negativieren, äußert sich auf religiös-mythologischer Ebene in der Konzipierung von proto-satanischen Schlangengestalten wie dem ägyptischen Monstergott Apophis, der allnächtlich den Sonnengott Re bekämpft und das Bestehen der Welt gefährdet, aber stets besiegt wird. Im mesopotamischen Enuma-Elish-Mythos Ende des 2. Jt. steht die kosmische Urmutter und Schlangengöttin Tiamat für das chaotisch Böse, das der ´gute´ Herrschergott Marduk vernichtet, indem er Tiamat in zwei Teile zerreißt und Himmel und Erde daraus bildet. In beiden Fällen zeigt sich die Transformation einer ursprünglich positiven Gottheit (die mit der Schlange assoziierte Große Göttin) in Schlangenmonster, die für Chaos und Lebensfeindlichkeit stehen.

Res Kampf gegen Apophis und Marduks Kampf gegen Tiamat geben das Modell ab für Jahwes Kampf gegen den Schlangengott Leviathan (Ps 74,14, Jesaja 51,9 und Jesaja 27,1) und den Kampf gegen die satanische Schlange in der johanneischen Offenbarung 12,9.

(Jes 27,1)

An jenem Tage wird der Herr mit seinem harten, großen und starken Schwerte (= männlich phallisch) heimsuchen den Leviathan, die flüchtige Schlange, und den Leviathan, die gewundene Schlange (= ´weibliche´ Spiralform), und wird den Drachen töten, der im Meer haust. .

Leviathan ist eine jüdische Anverwandlung der zuvor schon genannten Schlangengöttin Tiamat, die im babylonischen Mythos von Marduk getötet wird.

(Joh Off 12,9)

Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen.

Das Weibliche hat, symbolisch verkleidet als Schlangenmonster, die Position des absolut Bösen eingenommen, das vom absolut Guten in Gestalt der männlichen Herrschergötter bekämpft und letzlich vernichtet wird. Der Mazdaismus ist - ab etwa 600 BCE - die erste Religion, die ganz dualistisch zwei Superwesen als kosmische Grundkräfte gegenüberstellt, die das Gute und das Böse vertreten: Der Gute Lichtgott ist Ahura Mazda, der böse Finstergott ist Ahriman. Durch seine herausgehobene Stellung gegenüber den Dämonen kann Ahriman als Prototyp des Satans gelten, der vom Judentum, vom Christentum und in dessen Folge vom Islam übernommen wurde. Ahrimans erste Schöpfung ist die Schlange der Finsternis und der Lüge. Auch hier steht das ursprüngliche Symbol des Weiblichen, die Schlange, also für das Böse.

Die Geschichte um Eva und die Schlange in der jüdischen Genesis ist hinreichend bekannt. Dass Eva bzw. das Weibliche hier als Vermittlerin der Ursünde darstellt wird, ebenfalls. Auch, dass die Schlange für das Sündige steht. Weniger bekannt ist, dass in sumerischen Mythen um die Heilige Hochzeit zwischen der Liebesgöttin Inanna (die bedeutendste Göttin des Alten Orients überhaupt) und dem Hirtengott Dumuzi die Göttin dem Geliebten, bevor es zum Sex kommt, einen Granatapfel reicht. Diese heilige Geste erhält im Genesis-Mythos eine sündige Bedeutung. Gottes Ansage an Eva, nach vollzogenem Ungehorsam,

Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe...

ist ´tiefenpsychologisch´ als Abspaltung des in das absolut Böse transformierten weiblich-göttlichen Aspekts (Göttin/Schlange) von der Frau zu deuten.

Mittelalterliche Mythen um böse Drachen, die von guten Helden besiegt werden, sind hinlänglich bekannt. Auch hier geht es im Grunde nur um die Vernichtung des verhassten und gefürchteten weiblichen Prinzips im Dienste des vergöttlichten männlichen Prinzips. Papst Pius II. äußerte sich im 15. Jh. über die satanische Natur des Weiblichen wie folgt:

Wenn du eine Frau siehst, denke, es sei der Teufel! Sie ist eine Art Hölle!

 
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