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Interpretation von Psalm 82
#1
(Neue Genfer Übersetzung)

1 Ein Psalm Asafs. Gott steht da in der Gottesversammlung, inmitten der Götter hält er Gericht:

2 »Wie lange noch wollt ihr ungerechte Urteile fällen und die gottlosen Verbrecher begünstigen?
3 Schafft Recht den Schutzlosen und Waisen; sorgt dafür, dass den Unterdrückten und Armen Gerechtigkeit zuteil wird!
4 Befreit die Schutzlosen und Bedürftigen, entreißt sie der Gewalt der gottlosen Verbrecher!
5 Aber es fehlt ihnen an Einsicht und Erkenntnis, in Finsternis gehen sie ihren Weg. Da geraten sogar die Fundamente der Erde ins Wanken!
6 Ich selbst hatte zwar gesagt: Ihr seid Götter, Söhne des Höchsten seid ihr alle.
7 Aber ihr werdet sterben wie ganz gewöhnliche Menschen, und ihr werdet stürzen wie irgendein Machthaber!«
8 Mache dich auf, Gott! Halte Gericht über die Welt! Denn alle Völker gehören dir als Erbbesitz.

(Anmerkung: Das ´zwar´ in Vers 6 steht nicht im hebräischen Original, es ist eine Interpretation, die den Textsinn möglicherweise verzerrt.)



+++

Es gibt im wesentlichen zwei Interpretationen von Ps 82:


(1)
Metaphorisch:
 
Die angeklagten ´Götter´ (elohim) sind irdische Richter. Zwei Varianten dieser Deutung sind: (1 a) Die Richter sind israelitisch, (1b) die Richter sind ´heidnisch´.
 
(2)
Mythologisch:
 
Die Elohim sind die Götter der nicht-israelitischen Nationen, also ´heidnische´ Götter. Auch hier gibt es Varianten: (2a) der oberste Gott in der Versammlung ist Jahwe, (2b) der oberste Gott in der Versammlung ist El. (2b) hat seinerseits zwei Varianten: (I) El hat eine passive Rolle, (II) El hat eine aktive Rolle.
 
Ich halte (2bII) für die wahrscheinlichste Interpretation.
 
Bis zur Entdeckung ugaritischer Texte (um 1200 BCE) in Ras Schamra im Jahr 1929 dominierte unter Exegeten die metaphorische Interpretation der Elohim als irdische Richter. Man argumentierte, dass sich im AT viele Stellen finden, an denen Menschen, die als irdische Statthalter eines Gottes agieren, als ´Gott´ bezeichnet werden. Da Richter, gleich ob israelitisch oder ´heidnisch´, im Namen eines Gottes Recht sprachen, seien sie auch in Ps 82 diesem Gott metaphorisch gleichgesetzt worden. Die ugaritischen Textfunde lieferten mit ihrer Darstellung von Götterversammlungen unter dem Vorsitz des Göttervaters El allerdings einen religionshistorischen Kontext, der die Interpretation der Götterversammlung in Psalm 82 in einem mythologischen Sinn sehr viel plausibler gemacht hat.
 
Zur mythologischen Interpretation (2a) = Jahwe ist Vorsitzender der Götterversammlung:
 
Hier wird argumentiert, dass der Name ´El´ in Ps 82 nicht einen Jahwe übergeordneten Gott bezeichnet, sondern, wie auch an anderen Stellen im AT, als Epitheton von Jahwe gemeint ist. Zudem sei Jahwes im Text bekundete Richterfunktion nur mit einer Stellung als Versammlungsvorsitzender vereinbar. Dass Jahwe in Vers 6 und 7 die Elohim ´ernennt´ und zum Tode verurteilt, belege seine superiore Stellung in der Versammlung. Der Ausdruck ´Versammlung von El´ in Vers 1b sei ein rhetorisches Relikt ohne inhaltliche Bedeutung.
 
Zur mythologischen Interpretation (2b) = El ist Vorsitzender der Götterversammlung:
 
Hier wird die Deutung von ´Versammlung von El´ als rhetorisches Relikt abgelehnt, vielmehr sei die Formulierung wörtlich zu nehmen: Gott El sitzt der Versammlung als oberster Gott vor. Dtn 32,8-9 sei ein Beispiel für eine Götterversammlung, in der El und Jahwe als verschiedene Götter auftreten. Es fällt auf, dass Jahwe in der Versammlung STEHT (Vers 1b), was zu einem Ankläger (im Sinne eines Staatsanwaltes) passt, aber nicht zum Vorsitzenden einer rechtsprechenden Versammlung (gleich ob im AO oder sonstwo), der, wie der Begriff schon sagt, vor-sitzt, nicht vor-steht. Auch steht Jahwe ´inmitten´ der Götter und nicht vor ihnen, was gleichfalls auf seine Anklägerfunktion weist. Im Widerspruch zur Deutung von Jahwe als oberstem Gott steht auch Vers 8 mit seiner Aufforderung an Jahwe, sich gegen die angeklagten Götter zu ´erheben´, was im Falle von Jahwes Allmacht unnötig wäre.
 
Ungereimtheiten in Ps 82 werden weitestgehend ausgeräumt, wenn man Jahwe in der Rolle des Anklägers (Verse 2-4) und El in der Rolle des Richters (Vs. 6-8) sieht. Die einzig verbleibende Ungereimtheit wäre der Mangel an textinterner Evidenz für El als Sprecher von 6-8, weshalb die meisten Exegeten einen Wechsel des Sprechers beim Übergang von Vers 5 zu 6 nicht in Betracht ziehen. Nur ein solcher Wechsel kann beispielweise erklären, wieso in Vers 8c Jahwe die Völker als Erbteil/Besitz zugesprochen erhält. Wer ist denn die vererbende Instanz? Das kann nur El sein, der oberste Gott, dem Jahwe in der Versammlung (noch) untergeordnet ist und der durch diese Besitzübertragung Jahwe, als seinen Nachfolger, in den Stand des höchsten Gottes erhebt.
 
Damit erübrigt sich die Deutung von Vers 8 als liturgische Petition an Jahwe durch die Gemeinde. Diese Deutung macht ohnehin wenig Sinn, wenn man die angeklagten Elohim als ´heidnische´ Götter versteht. Welches Interesse sollten die Israeliten an der gerechten Behandlung fremder Völker durch ihre Götter haben? Als Petition wäre Vers 8 nur im Rahmen der heutzutage veralteten Interpretation der Elohim als israelitische Richter verständlich, da nur diese für das soziale Unrecht in Israel verantwortlich gemacht werden können, das in Vs. 2-4 beklagt wird.
 
Die von mir favorisierte Interpretation weist auf die Entstehungszeit des Psalms in eine vorexilische Phase (8. oder 7. Jh. BCE), als die sozialkritisch-prophetische Bewegung die monolatrische (noch nicht monotheistische) Alleinverehrung Jahwes durchzusetzen bemüht war. Erst in der Exilssituation kam es in priesterlichen Kreisen zur Konzeption eines konsequenten Monotheismus, der mit Unterstützung der persischen Obrigkeit im nachexilischen Judäa rigoros etabliert wurde.
 
+++

Auf Antworten in anderen Threads gehe ich morgen ein.

 
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#2
Was Du da schreibst, ist eine Habilitation wert.
Was soll man da antworten?
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#3
Das entspricht ja groesstenteils dem, was ich hier geschrieben habe, ausser dass ich den Obergott El neben seiner Rolle als Zuteiler der Laender an die Goetter nicht auch als Leiter der Versammlung impliziert habe. Das ist aber eine durchaus logische Annahme. Das scheinen auch die heutigen Bibeluebersetzer so anzuerkennen.

Fuer eine Habilitation taugt das aber deswegen nicht, weil diese Interpretation im Prinzip so schon lange ausgearbeitet ist. Dass die juengeren Goetter die aelteren beerben kennt man ja aus vielen Geschichten. Im Psalm 82 ist Jahwe der designierte Erbe der Welt (von El), in den ugaritischen Texten ist es Baal.
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#4
Hmm, da ist mir das Zeitlimit mitten ins Editieren geraten. Der dritte Satz mit den Bibeluebersetzungen folgt so nicht aus dem zweiten, denn das steht ja gerade nicht da, ist aber eine logische Folgerung; was die Uebersetzer da denken, will ich jetzt nicht orakeln. Was die Habilitation angeht, so fehlt das "heutzutage". Dass irgendwer auf diesem Thema habilitiert hat, will ich nicht ausschliessen.
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#5
(16-11-2016, 12:02)Ulan schrieb: Der dritte Satz mit den Bibeluebersetzungen folgt so nicht aus dem zweiten, denn das steht ja gerade nicht da

Von welchem Satz ist die Rede ?
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#6
(16-11-2016, 12:49)Sinai schrieb: Von welchem Satz ist die Rede ?

Ich sprach von meinem eigenen Post direkt ueber dem von Dir zitierten (#3}. Ich hatte leider ein halbes Edit gepostet, und dann waren die 30 Minuten um; deshalb stimmt die Logik in dem Post nicht so ganz (wien in Post #4 ausgefuehrt). Der Bezug des dritten Satzes war der erste Satz.
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#7
Verwirrend.
Bitte poste am besten den Satz den Du meinst
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#8
Zu Vs. 7 und 8 wäre noch zu sagen, dass auch dort, nicht anders als beim Übergang von V. 5 zu 6, keine textinterne Evidenz für einen Sprecherwechsel vorliegt. Wer Jahwe also für den Sprecher von  2-4, 5 und 6-8 hält, kann gegen die in meinem vorigen Beitrag dargestellte alternative Deutung (Jahwe 4-6 und 5 / El 6-8) nicht einerseits einwenden, dass El als Sprecher nicht angezeigt wird, und andererseits behaupten, dass von 7 auf 8 ein (gleichfalls nicht angezeigter) Sprecherwechsel - angeblich von Jahwe zur petitionierenden Gemeinde - stattfindet.

Beide sich widersprechenden Interpretationen weisen also einen Mangel an Evidenz betr. Sprecherwechsel auf. Abgesehen davon  erscheint mir die Deutung ´Jahwe=Ankläger / El=Richter´ deutlich plausibler als die konventionelle Deutung ´Jahwe= Ankläger+Richter´, da diese, anders als erstere Deutung, mit Ungereimtheiten belastet ist (Jahwe stehend, Jahwe inmitten der Elohim, Jahwe beerbt sich selbst).

Was die Deutung von V. 8 als Petition betrifft, widerspricht dies auch dem Befund, dass Petitionen (gemeindliche Bitten an Jahwe um Beistand) ansonsten nur in Psalmen mit einer verzweifelten Grundstimmung erscheinen; eine solche Grundstimmung ist in Ps 82 aber nicht erkennbar, zumal die angeprangerten Missstände die Israeliten gar nicht betreffen, sondern die Völker der angeklagten Götter.

Beispiel für einen ´verzweifelten´ Klagepsalm incl. Petition:

(Ps 86)

1 Ein Gebet Davids. HERR, neige deine Ohren und erhöre mich; denn ich bin elend und arm. 2 Bewahre meine Seele; denn ich bin heilig. Hilf du, mein Gott, deinem Knechte, der sich verlässt auf dich. 3 HERR, sei mir gnädig; denn ich rufe täglich zu dir! 4 Erfreue die Seele deines Knechtes; denn nach dir, HERR, verlangt mich. 5 Denn du, HERR, bist gut und gnädig, von großer Güte allen, die dich anrufen. 6 Vernimm, HERR, mein Gebet und merke auf die Stimme meines Flehens. 7 In der Not rufe ich dich an; du wollest mich erhören.


(usw.)

Von daher dient Ps 82 meiner Ansicht nach dem Zweck, ätiologisch zu schildern, wie Jahwe, als die moralisch ´überlegene´ Alternative zu den ´verderbten´ Göttern des Polytheismus, zu seiner Allmacht gekommen ist, nämlich durch Übertragung der höchsten Macht des El auf ihn. Diese Übertragung geschieht ´freiwillig´: Jahwe stürzt El nicht vom Thron, sondern übernimmt dessen Amt wie ein rechtmäßiger Thronfolger. Zur Zielgruppe dieser Konstruktion gehörten vermutlich vor allem Israeliten, die noch mit dem kanaanitischen Polytheismus liebäugelten und denen die Alleinverehrung Jahwes schmackhaft gemacht werden sollte, indem diese als von El verfügt vorgegaukelt wird.


Zur Frage der 70 Erben in Dtn 32,8-9, der oft zitierten Parallelstelle von Ps 82:

Das Pantheon der ugaritischen Religion besteht aus mehreren Hundert Göttern, die sich auf 4 verschiedene Ebenen verteilen: (1) die beiden Hochgötter El und Aschera (ugaritisch: Athirat), (2) die 70 Kinder von El und Aschera (darunter Baal, Anat, Mot usw.), (3) der Leiter des göttlichen Haushalts, ein Gott namens Kothar wa-Hasis, sowie (4) die Angehörigen dieses Haushalts, die Hilfsgötter.

Die Zahl 70 findet sich bekanntlich in Dtn 32,8-9, wo der höchste Gott (´El Elyon´) 70 Erbteile an die gleiche Anzahl von ´Söhnen von El´ überträgt, wobei der Erbteil Israel dem Gott Jahwe zugewiesen wird. Umstritten ist hier, nicht anders als in Ps 82, die Deutung des El Elyon: Ist er Jahwe, der sich selbst sein Lieblingserbteil zuweist, oder ist er der ugaritische El, der seinem Sohn Jahwe Israel vermacht? Die masoretische Version ´Söhne von Israel´ anstelle von ´Söhne von El´ (ersichtlich aus der LXX and dem Qumran-Text 4QDeut) wird heute weitgehend als eine polytheismusverleugnende Textkorruption eingestuft.

Zur Zahl 70: Sie lässt sich aus der Auflistung der ´Völkertafel´ in Gen 10 errechnen. Auffällig ist die Willkür bei der Aufzählung der Nachkommenschaft. Von Japhets 7 Söhnen werden nur 2 Söhne als Erzeuger einer neuen Generation von 7 Söhnen genannt, was eine Nachkommenschaft Japhets von 14 Söhnen bzw. Enkeln ergibt, die zu den 30 Nachkommen von Ham und den 26 Nachkommen von Sem (darunter ein Vorfahre von Abraham) hinzuaddiert die Zahl 70 ergibt. Dass Jahphets andere 5 Söhne sohnlos bleiben, erscheint aber unwahrscheinlich (angesichts des mythischen Charakters dieser Listen natürlich nicht in historischem, sondern in logischem Sinne). Die Zahl 70 wirkt hier also ziemlich konstruiert und scheint eher eine Ableitung der 70 Kinder des El zu sein als eine eigenständige Vorstellung. Bis zu den Ras-Schamra-Funden war man dennoch davon überzeugt, dass sich die ´70´ in Dtn 32, 8-9 von den 70 Namen in der Völkertafel herleiten. Der 1929 entdeckte ugaritische Kontext lässt einen Bezug zu den 70 Kindern von El und Aschera aber doch plausibler erscheinen, zumal der Ausdruck ´Söhne von El´ viel besser dazu passt als zu den Nachkommen der Söhne Noahs, die nicht einmal als die masoretischen ´Söhne Israels´ durchgehen können.
 
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#9
Von Götter kann nicht die Rede sein auch nicht von Heidnischen Göttern denn es gibt nur einen einzigen Gott. Doch der Herr unser Gott der Einzig ist, wird seinen Richterspruch erst an seinem Jüngsten Tag aussprechen. Solange haben die Richter dieser Welt das Sagen ob Sie nun nach dem nach richten was der Herr ihnen herabgesandt hat oder doch nach dem von ihnen entworfenen Gesetzen ist natürlich eine andere Frage. An Heuchelei und Gottlosigkeit scheinen die meisten ja nicht mit ihrer Erziehung und Bildung und dementsprechend auch ihrer Weg nicht übertrumpfen zu sein. Selbstverständlich ist Gott der Richter aller Richter bis in alle Ewigkeit und all die anderen Richter sind alle vergänglich und das ist auch Gut so.

PS. Ich bin auch schon gespannt darauf wer unter Eid gelogen hat oder wer sich selber durch wem auch immer bemächtigt hat imdem sie Unterschriften bzw. Urkunden gefälscht haben. Ach ja, wer durch all dem wohl profitiert hat ? Wer ist Würdig um falsche Aussagen zu betätigen, der Antichrist, die falschen Propheten, die Gottlosen mit ihrer Unglaube also die Abfälle oder etwa doch die Heuchler mit ihrer angeblichen Ehrfurcht vor Gott ?
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#10
(07-03-2017, 00:25)TheLight schrieb: PS. Ich bin auch schon gespannt darauf wer unter Eid gelogen hat oder wer sich selber durch wem auch immer bemächtigt hat imdem sie Unterschriften bzw. Urkunden gefälscht haben. Ach ja, wer durch all dem wohl profitiert hat ? Wer ist Würdig um falsche Aussagen zu betätigen, der Antichrist, die falschen Propheten, die Gottlosen mit ihrer Unglaube also die Abfälle oder etwa doch die Heuchler mit ihrer angeblichen Ehrfurcht vor Gott ?


Gute Frage.  Wahrscheinlich die Heuchler
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