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Martin Luther ?
Ekkard schrieb:Für Christen, Luther eingeschlossen, ist ein "heiliger Text" ein verbindlicher Text, dem "man glauben muss". Die christlichen Mythen gelten absolut(!) und selbst erklärend (Offenbarung).


Dem würde ich widersprechen. Das mag in mancherlei Hinsicht für die protestantische Theologie gelten, die die Heilige Schrift als einzige (Offenbarungs-)Autorität anerkennt. Aber schon für die Katholische Kirche kann dies nicht gelten, da sie Tradition und Schrift (die ja auch tradiert ist) als zwei gleichwertige Offenbarungsquellen anerkennt. Wobei die Tradition die Summe der Erfahrungen im Umgang mit der Schrift bildet und so zu einem mit der Schrift weitergegebenen "Kommentar" und Kontext wird.
Desweiteren bin ich der Überzeugung, dass die kanonischen Schriften zwar als solche eine besondere Autorität haben, nicht aber ihre sprachliche Verfasstheit. Gerade das Christliche zeichnet sich dadurch aus, dass es keine absolute Sakralsprache (wie z.B. das Judentum) hat (auch wenn es Ähnlichkeit gibt: Kirchenslawisch, Koptisch, usw.). Dennoch bildet der historische Umstand, dass die Schrift gerade in andere Kulturkreise transformiert wurde und in deren Sprachen übersetzt wurde und dadurch keinen autoritativen Verlust erlitten hat, eine Besonderheit des Christlichen und seines Bezugs zum Absoluten bzw. dessen sprachl. Verfassung.
So fordert schon Augustinus z.B. in de christiana doctrina, dass der Interpret der Schrift notwendiger Weise die textliche Grundlagen hinterfragen muss. Was für eine Übersetzung hat er, ist sie richtig, welches Fragment ist es (man bedenke zur Zeit Augustins gab es keine einheitliche, lateinische Übersetzung, sondern nur fragmentarische die wir heute als vetus latina bezeichnen)? Nicht der Text als solcher, sondern der im Text grundgelegte Glauben ist absolut. Ein weiteres Beispiel ist, dass für die Verständigung und Vermittlung des Glaubens und der Heiligen Schrift eine eigene Sprache geschaffen wurde. So haben die Brüder Kyrill und Methodius bei der Mission der Slawen, eine neue (bzw. die sich daraus entwichelnde) Sprache, das nach dem jüngerem der Brüder benannte Kyrilllisch, verwendet.
Viel mehr liegt, so glaube ich, der bedeutendere Unterschied zwischen jüdischem und christlichen Glauben, dass der letztere der Überzeugung ist, dass sich die Offenbarungswahrheiten als Glaubenssätze formulieren lassen. Die christliche Lehre ist zu tiefst von Satz-Wahrheiten und deren Diskussionen bestimmt, ein Umstand der den jüdischen Disputationes völlig fremd ist. Daher kennt das Jüdische auch kein Äquivalent zum Verlust der Gemeinschaft durch Häresie, da eben die Wahrheiten des Glaubens nicht satzmäßig geleugnet werden können.
Omnis mundi creatura quasi liber et pictura nobis est et speculum.
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Jedes Geschöpf der Welt ist sozusagen ein Buch und Bild und ein Spiegel für uns.
(Alanus ab Insulis, Theologe, Philosoph und Dichter)
(09-11-2008, 11:06)Ekkard schrieb: Jüdische Befindlichkeiten korrekt zu verstehen, ist für christliche Vorstellungen nicht leicht bis unmöglich.
Schon deswegen, weils DIE eine jüdische Befindlichkeit, möglichst noch über alle Zeiten auf den Status des AT/NT-Zeitpunkts festgeschrieben, nicht gibt, auch damals nie gegeben hat. Das ist dann schon wieder ein zusätzliches kirchlich transportiertes Vorurteil ... ebenso wie das mancher Juden, Christen seien lauter kleine oder etwas größer Pauli/ Shauli oder zumindest alle so geblieben wie der alte, verbitterte, teils doch noch sehr im mittelalterlichen Aberglauben verhaftete Luther. Gegen Unkenntnis hilft nur eins: Mitlesen und Zuhören ... bei der Originalseite ... nicht bei den Deutungen der anderen "Experten" und deren "Einführungsliteratur" ... und viel Demut, manches eben immer als fremd empfinden zu müssen, nie wirklich korrekt zu erfassen.

(09-11-2008, 11:06)Ekkard schrieb: Ein "heiliges Buch" (ich denke, nur der Pentateuch) ist, soweit ich das überhaupt begriffen habe, ein Text für den Gottesdienst, der "übertragen", "interpretiert" und - ja lauthals und heftig - zu diskutieren ist, mehr eine Sprachregelung denn etwas, dem man wörtlich folgt. Auch mit dem Ewigen gerät man in heftige Diskussion, widerspricht, lehnt ab – aber man bleibt im Dialog mit IHM.

Für Christen, Luther eingeschlossen, ist ein "heiliger Text" ein verbindlicher Text, dem "man glauben muss". Die christlichen Mythen gelten absolut(!) und selbst erklärend (Offenbarung)....

Erst in den letzten 50 Jahren ist hier – vielleicht auch gerade im Dialog mit jüdischen Menschen – ein bisher nicht gefestigter Wandel eingetreten: "Heilige Texte" und Überlieferungen verlieren ihre "absolute Stellung", man kann sie interpretieren und ihnen widersprechen. Der Dialog, ja Auseinandersetzung mit dem HErrn gewinnt jene Bedeutung zurück, die im Judentum, soweit ich das verstanden habe, Tradition war.
Bei allem Respekt vor jüdischem Bibelverständnis und was Christen davon lernen (könnten) Die historisch-kritische Exegese gibt mindestens seit Wellhausen und weit mehr als 50 Jahre. Das fundamentalistische buchstabenverhaftete naive Bibel(un)verständnis ist dagegen viel jünger.
Letztendlich können wir alle, soweit uns ein Bibeltext des ATs zugänglich ist, nachlesen wie Menschen mit Gott streiten und dabei auch Gott etwas abringen (Jakobs Kampf am Jabok Gen 32,23-33) Und wir können quer durchs AT von vielen Infragestellungen herkömmlicher Theologie, von Theologiewechseln lesen ... NICHTS ist auf alle Zeiten statisch, auch für Christen nicht, wenn sie denn nicht zu faul sind, ihren gottgegebenen Verstand zu gebrauchen und ihre Pfarrer nicht zu feige sind, ihnen die neueren Strömungen zeitgenössischer Theologie zu übermitteln.

(09-11-2008, 11:06)Ekkard schrieb: Zurück zu Luther und der (christlichen) Vergangenheit: Ein "absoluter Text" verpflichtet eine tiefgläubige Person, alle anderen Menschen "das Heil" zu bringen, das für einen Christen (zumindest damals) nun mal im Glauben an den Christus besteht. Luther hat ja nicht aus Jux und Dollerei die damalige Kirche angegriffen. Diese war ihm zu sehr verweltlicht insbesondere dort, wo es um Geld ging (Ablasshandel).
Ich denke, dass dies hier Luthers Denken ziemlich verfälscht und ihn als sehr vergeistigt und weltfremd aus seiner Verantwortung nimmt.
1. Luther hat Bibel "übersetzt". Dabei musste er zwangläufig von textlicher und sinngebundener Absolutheit abweichen ... und dies bejahen ... oder auf Übersetzung verzichten.
2. Thesen waren für mich durchaus auch zu einem großen Teil politische Aufmüpfigkeit mit vorgebenen Herrschaftsverhältnissen, bei weitem nicht nur theologischer Purismus.
3. Viele der späteren Lutherentscheidungen waren konkret materieller Existenzsicherung geschuldet oder aber Angst vor der eigenen Civil-Courage, spiegelten mehr die zerrissene, psychisch möglicherweise auffällig problematische Persönlichkeit Luthers wider als theologische Systematik.
4. Das Hin-und-Her zwischen mittelalterlichen und Renaisance-Lebensgefühl prägt auch das handeln Luthers. Mal Standes- und Institutionshörigkeit mal individuelle Eigenständigkeit.

Ich bezweifele, dass Luthers Position zu den Juden theologisch wirklich zwingend logisch und folgerichtig vorgegeben war. Mit dem gleichen Input hätten sich andere Persönlichkeiten und evt. so gar Luther in anderer Tagesverfassung anders entscheiden KÖNNEN. War aber nicht ... Und deswegen müssen wirs heute nicht schönzureden versuchen und damit noch schlimmer machen.

Fritz
Liebet eure Feinde, vielleicht schadet das ihrem Ruf! (Jerci Stanislaw Lec)

Wer will, dass Kirche SO bleibt - will nicht, dass sie bleibt!
(09-11-2008, 13:48)Presbyter schrieb: Viel mehr liegt, so glaube ich, der bedeutendere Unterschied zwischen jüdischem und christlichen Glauben, dass der letztere der Überzeugung ist, dass sich die Offenbarungswahrheiten als Glaubenssätze formulieren lassen. Die christliche Lehre ist zu tiefst von Satz-Wahrheiten und deren Diskussionen bestimmt, ein Umstand der den jüdischen Disputationes völlig fremd ist. Daher kennt das Jüdische auch kein Äquivalent zum Verlust der Gemeinschaft durch Häresie, da eben die Wahrheiten des Glaubens nicht satzmäßig geleugnet werden können.
Mit meinen Worten: Christlicher Glaube macht sich an Dogmen, also Lehrsätzen fest (?) Was ist dann daran noch zu diskutieren?. Diese Art des Glaubens halte ich für eine Unart der römischen Kirche, die, falls der Gläubige mit bestimmten Behauptungen nicht zurecht kommt, der Gemeinschaft verlustig geht.

Deinen letzten Satz verstehe ich überhaupt nicht: Warum soll eine bestimmte "Wahrheit des Glaubens" nicht "satzmäßig geleugnet" werden können? (hier hab' ich bereits sprachliche Probleme: eine Antithese gibt es doch immer?)
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Lieber Presbyter,

wenn im katholischen Glauben die Schrift und die Tradition den gleichen Offenbarungsstellenwert besitzen - machen dann die Katholiken nicht den gleichen Fehler wie die Sunniten und Schiiten im Islam? Die sehen nämlich die Sunna, die Schia und die überlieferten Hadithe als gleichwertig zur Schrift (dem Qur`an) an, und das führt letztlich dazu, das der geistige Inhalt der Schrift verdreht, ja sogar fallweise in das Gegenteil umgemünzt wird.

Wenn die -kirchliche- Tradition bei der Auslegung des NT unter katholischer Lesart das selbe Ergebnis hat, wie die Hadithenschreiberei im Islam - dann ist`s eigentlich kein Wunder, das sich von der "reinen Lehre" Jesu so wenig in der katholischen Kirche befindet....
Ekkard schrieb:und - ja lauthals und heftig - zu diskutieren ist
Auch ich hatte das schon mehrfach erwähnt. Diskussion ist im Judentum nicht etwas "um die Religion" sondern eine ihrer Säulen. Ganz besonders ausgeprägt ist dies bei Talmudstudien. Die Diskussion und Argumentation ist nicht etwa Beiwerk sondern didaktischer Weg und Ziel. Der Glaube ist im Judentum eine sehr individuelle und persönliche Angelegenheit; das Judentum kennt keine Glaubensdoktin.

Ekkard schrieb:Luther war also ein Purist: Was er in einem bestimmten historischen Augenblick eingesehen hatte, das setzte er in seine Schriften um. Und genau so hat er sich an die Juden gewandt in der Überzeugung, dass das Neue Testament sie so überzeugen müsste, wie ihn selbst - (und wurde zutiefst ent-täuscht!)
Diese Haltung bei enttäuschten Erwartungen an Juden ist auch heute noch weit verbreitet. Für viele sind Juden sind nur dann als solche akzeptabel, wenn sie die das tun was von ihnen erwartet wird. Tun sie das nicht, kann es sehr unangenehm werden. Wie so etwas im Internet vor sich geht, kann man leider auch hier im Forum ausführlich besichtigen.

Lange bekannt:
Alex Gruber schrieb:Die Überidentifizierung schlägt dann in Frustration und Aggression um, daß die Jüdinnen und Juden nach Auschwitz nicht die besseren Menschen sind, daß sie die Vernichtungslager also nicht als Fortbildungseinrichtungen begriffen haben.
Ich weiss, ich weiss, das hatte ich schon öfter gebracht. Was sonst? Es ist immer dasselbe und das war es schon zu Luthers Zeiten. Gewiss, Luthers Antismeitismus war religiös orientiert und wird deshalb wohl »Antijudaismus« genannt; ein anderes Wort für dieselbe Sache...

Claudia Keller schrieb:In der Theologie wird Luthers Antijudaismus zwar seit Jahren diskutiert, dem breiten Kirchenvolk sei das Thema aber nicht bekannt, sagt Cornelia Dömer vom Luther-Zentrum in Wittenberg, das die Ausstellung konzipiert hat. Als die Schau dort gezeigt wurde, hätten viele Besucher, gerade jüngere, gesagt: „Das haben wir so nicht gewusst.“ Der Luther-Film vor zwei Jahren hat ein Heldenepos gesungen, auch gängige Biografien meiden das Thema Luther und die Juden eher.

»DER TAGESSPIEGEL«, 31.10.2005
Bis hier und nicht weiter!

Gegenseitige Unterstellungen wie in den letzten beiden von mir gelöschten Beiträgen helfen auch nicht weiter.

Gruß
Gerhard


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