28-09-2008, 10:33
von Elijahu Kitov
aus: »Das Jüdische Jahr«,
ins Deutsche übersetzt von L. Grünwald,
Morascha-Verlag 1987
Der Tag der Verhüllung
Rosch haShana - der erste Tischri wird auch JOM HAKESSE - der Tag der Verhüllung - genannt. »TIKU WACHODESCH SCHOFAR BAKESSE LEJOM CHAGENU - am Neumond stosset ins Schofar, am Tag der Mondverhüllung, am Tag unseres Festes« (Tehillim 81:4). Es erinnern die Weisen auch an den Vers »Am Tage der Verhüllung des Mondes wird er nach Hause kommen« (Mischlej 7:20). Die Ähnlichkeit der Worte »KESSE« - Verhüllung - und »KESSE« - Thron - deuten auf den Richterthron G'ttes hin, auf dem Er an diesem Tag sitzt, KESSE - Verhüllung - ist auch eine Andeutung auf die Barmherzigkeit G'ttes, dass Er an diesem Tag unsere Schuld verhüllen und unsere Sünden gnädig verbergen möge.
Alles wird an diesem Tag mit Verhüllung in Zusammenhang gebracht. Während alle anderen Festtage im Jahr zur Vollmondszeit fallen, oder davor oder danach, fällt Rosch haShana auf den ersten des Monats, wenn der Mond noch verhüllt ist. Symbolisch wird auch das Volk Israel mit dem Mond verglichen, denn es strahlt an seinen Schabbat- und Festtagen in vollem Glanz. An Rosch haShana jedoch zieht es sich in Ehrfurcht vor dem grossen Tag des Gerichts zurück. Auch der Allmächtige breitet über Sein Volk eine Hülle, verbirgt damit seine Sünden und gewährt ihm dann Verzeihung und Vergebung. (Siehe Pesikta Rabbati, 40)
Auch in der Tora selbst ist das Wesen, der Charakter des Jom Hadir, des Tags des Gerichtes, nicht ausdrücklich erwähnt. Er ist eher verhüllt angedeutet, damit die Teschuwadie Rückkehr zu G'tt - nicht nur auf diesen einen Tag beschränkt bleibe, sondern, dass der Mensch auch während des Jahres die Möglichkeit zur Teschuwa ergreife. Auch soll dem Satan - dem Behinderer - der genaue Zeitpunkt »verhüllt« bleiben, damit er nicht als Ankläger erscheine. Aus diesem Grund pflegt man auch kein »BIRKAT HACHODESCH« - die Neumondsverkündung - am Schabbat vor Rosch haShana zu machen, wie sonst für alle anderen Monate Brauch ist.
Rosch haShana - zwei Tage
Rosch haShana wird zwei Tage lang gefeiert, am ersten und am zweiten Tischri, obwohl in der Tora nur von einem Tag die Rede ist: »Im siebten Monat, am ersten Tag des Monats soll euch Ruhetag sein, Gedenken des Teruatones, Tag der heiligen Berufung« (Wajikra 23:24).
Die Bestimmung, Rosch haShana zwei Tage lang zu feiern, wurde schon von den Newi'im Rischonim - den ersten Propheten festgelegt (Jeruschlami, ERUWin, Perek 3 Halacha 9). Der Grund dafür ist die Tatsache, dass der Monat durch Zeugenaussage vom Obersten Gerichtshof ausgerufen und geheiligt wurde. Diese Zeugen mussten das Erscheinen des »Molad« - des Neumondes sehen und bestätigen, und so musste der Beginn des Monats Tischri sofort beim Eintritt der Nacht, nach dem 29. Elul, dem vorangehenden Monat, festgelegt werden, da die mögliche Ankunft von Zeugen am Morgen des nächsten Tages eine Heiligung des Vortages verursachen könnte. Kamen solche Zeugen, dann war dieser selbe Tag »Kodesch« - heilig, und der nächste Tag wäre dann »ChoP«, ein gewöhnlicher Wochentag. Wenn aber keine Zeugen kamen, so wäre der darauffolgende Tag automatisch als »Kodesch« erklärt worden, und der vorherige Tag wäre dann ein gewöhnlicher Wochentag gewesen. Damit nun die Heiligkeit des ersten Tages des Zweifels wegen nicht missachtet werde, ordneten die Propheten an, dass Rosch haShana immer zwei Tage lang gefeiert werden müsse. Werkverbot, Schofarblasen und Gebetsordnung, sowie alle anderen Einzelheiten der Festordnung sind für beide Tage bindend. Beide Tage zusammen werden »DOMA ARICHTA« - langer Tag -genannt, das heisst, dass zweimal vierundzwanzig Stunden als ein geheiligter Tag gerechnet wird. Jedoch bei der Vorbereitung der Mahlzeiten werden sie als zwei Tage betrachtet, es ist also nicht erlaubt, von einem Tag auf den nächsten Tag zu kochen.
Tag der Anfänge
Der erste Tischri ist, nach Rabbi Elieser, der Tag, an dem G'tt den Menschen geschaffen hat als Krönung der Schöpfung (Rosch haShana 10a). Ebenso sagt Rabbi Elieser, dass unsere Stammväter im Tischri geboren wurden, da sie Anfang für eine Welt waren, die bisher sündhaft war. Am Rosch haShana wurden Sara, Rachel und Chana bedacht. Sie waren vorher kinderlos, doch von diesem Tag an schenkte ihnen G'tt die Hoffnung auf Kindersegen.
Am Rosch haShana wurde Josef aus dem Gefängnis entlassen, in dem er zwölf Jahre lang unschuldig eingesperrt war. Von diesem Tag an begann sein Licht zu leuchten.
Am Rosch haShana wurde der Sklaverei unserer Väter in Ägypten ein Ende gesetzt, und so wurde der Tag der Anfang der Erlösung.
Schon am ersten Rosch haShana der Welt, an dem Tag, an dem der Mensch erschaffen wurde, sind die Begriffe von Gericht und Vergebung gegenwärtig. Unsere Weisen sagen, dass an jenem Tag Adam G'ttes Gebot in bezug auf den Baum des Wissens übertreten hat und dafür gerichtet wurde. Aber auch Verzeihung wurde ihm zuteil. Dies sei ein Zeichen für deine Kinder, sagt G'tt zu ihm; genau wie du an diesem Tag verurteilt wurdest, aber dir auch vergeben wurde, so werden auch deine Kinder an diesem Tag gerichtet werden, aber auch Verzeihung erhalten (Psikta Deraw Kahana, Bachodesch Haschewi'i).
»LO A'D'U ROSCH...« Tage, an denen Rosch haShana nie beginnt
Der erste Tag Rosch haShana kann nur auf Montag, Dienstag, Donnerstag oder Schabbat fallen, niemals jedoch auf Sonntag, Mittwoch oder Freitag. Dies ist eine »Takkanat Chachamim« - eine Anordnung unserer Weisen. Dies wird im Kapitel über das Kalenderjahr noch genauer erklärt.
Der Rambam - Maimonides - schreibt: Die Mehrzahl der Bewohner des Landes Israel pflegten den »Vom Tow« - Feiertag von Rosch haShana des Zweifels wegen zwei Tage lang zu begehen, denn sie wussten nicht, auf welchen Tag der Gerichtshof den Monatsanfang festgesetzt hatte, da ja die Boten am Feiertag selbst nicht herausgingen. Fernerhin, sogar in Jeruschalajim, Sitz des Gerichtshofes, wurde Rosch haShana zwei Tage lang gefeiert. Wenn nämlich die Zeugen während des 30. noch nicht erschienen waren, wurde der Tag in Erwartung der Zeugen als heilig erklärt, und auch der nächste Tag war geheiligt. Da man zwei Tage lang feierte, auch wenn Augenzeugen vorhanden waren, setzte man fest, dass Rosch haShana sogar in Erez Jisrael zwei Tage lang gehalten werden müsse, selbst heute, obwohl der Monatsbeginn durch Berechnung festgelegt wird. Daraus lernt man, dass der zweite Tag Rosch haShana heutzutage »Midiwrej Sofrim« - eine Anordnung der Sofrim ist«. (Hilchot Kiddusch Hachodesch, Kap. 5, 7)
Es besteht nun ein Unterschied zwischen der Zeit, da man die Monate durch Augenzeugen festgelegt hat, und zwischen der heutigen Zeit. Als der Monat noch durch Augenzeugen geheiligt wurde, und die Zeugen, die den Neumond gesehen hatten, nicht zur rechten Zeit erschienen waren, war der erste Tag von Rosch haShana »Miderabbanan« - als Anordnung der Weisen bestimmt, der zweite Tag jedoch, der erste Tischri, »Min Hatora« - als Toragesetz festgesetzt. Heute jedoch, da die Monate und Feiertage durch Berechnungen festgelegt werden, und der erste Tag von Rosch haShana immer auf den ersten Tischri fällt, gilt der erste Tag »Min Hatora« und der zweite »Midiwrej Sofrim«.
Der Tag des Gerichtes
Rosch haShana ist der Tag des Gerichtes für alle Sterblichen dieser Welt. An diesem Tag wird der Mensch gerichtet, und alles was ihm im kommenden Jahr geschieht, wird an diesem Tag bestimmt. Denn so heisst es: »Die Augen G'ttes, Deines G'ttes, sind stets auf es (das Land) gerichtet vom Anfang des Jahres bis zu seinem Ende« (Dewarim 11:12). »Am Beginn des Jahres wird geurteilt, was am Ende sein soll!« (Rosch haShana 8a) Auch von der Art und Weise, wie G'tt Sein Volk beurteilt, sprechen unsere Weisen. Zur gleichen Zeit werden alle Menschen zusammen gerichtet, doch werden die Taten eines jeden einzelnen genau geprüft. »Alle Bewohner der Welt ziehen an Ihm vorüber wie Schafe - Kiwnej Maron« (Rosch haShana 16a). So steht auch in den Psalmen: »Er, der ihr Herz gemeinsam bildet, der alle ihre Taten versteht« (Tehillim 33:15). G'tt, der Schöpfer, sieht in die Herzen eines jeden zu gleicher Zeit und versteht alle ihre Taten.
Rabbi Kruspedai sagte im Namen von Rabbi Jochanan: »Drei Bücher werden am Rosch haShana geöffnet: Das eine für Bösewichte, - RESCHA'IM GEMURIM - eines für die Gerechten - ZADDIKIM GEMURIM, und eines für die Mittelmässigen - BEJNONIM. Die ZADDIKIM GEMURIM werden sofort ins Buch des Lebens eingeschrieben und besiegelt. Die RESCHA'IM GEMURIM werden sofort eingeschrieben und zum Tode verurteilt. Die BEJNONIM aber erhalten eine Frist bis Jom Kippur, dem 10. Tischri. Wenn sie es verdient haben, d.h. wenn sie sich zur Rückkehr besonnen haben, werden auch sie in das Buch des Lebens eingeschrieben. Wenn aber nicht, sind auch sie zum Tode verurteilt. (Rosch haShana 16b)
Aus zwei Gründen wird Rosch haShana als Tag des Gerichts betrachtet. Erstens, weil an diesem Tag die Schöpfung vollendet wurde, und weil es G'ttes Plan war, die Welt mit »MIDDAT HADIN« - mit Recht und Gerechtigkeit zu regieren. Zweitens, und dies wurde schon vorher erwähnt, weil an diesem Tag der erste Mensch gerichtet wurde, seine Schuld einsah, Teschuwa tat und G'tt ihm verzieh.
Diese beiden Gründe werden auch im Mussafgebet von Rosch haShana erwähnt: »Denn ein Gesetz des Gedächtnisses bringst Du, da Du jeden Geist und jede Seele aufzählst. So bedenkst Du eine Fülle von Taten und unzählige Geschöpfe bringst Du in Erinnerung, ohne Ende. Von jeher schon hast Du dieses wissen lassen, und von Anfang an hast Du dies enthüllt. Dies ist der Tag des Beginns Deiner Werke, es ist Erinnerung an den ersten Tag.« Somit ist dieser Tag Erinnerung an die Vollendung der Schöpfung und gleichzeitig Erinnerung an den ersten Tag des Gerichts. Unsere Weisen fügen hinzu: Komme und schau: G'ttes Wege sind nicht die Wege von Fleisch und Blut. Der Mensch aus Fleisch und Blut richtet seinen Freund in einer günstigen Zeit, wenn er ihm wohlgesinnt ist. Den Feind hingegen richtet er, wenn er noch zornig auf ihn ist, um ihn mit Strenge zu verurteilen. Nicht so G'tt: Er richtet die ganze Welt auf einmal, und es sind auch diejenigen mit inbegriffen, die Seinen Willen nicht beachten, also alle zusammen in einer günstigen Zeit, nämlich im Monat Tischri. In diesem Monat gibt es so viele Feste und so viele Mizwot zu erfüllen. Sie bieten somit Gelegenheit, die innige Verbindung zwischen Ihm und Seinen Geschöpfen wiederherzustellen. So kann sich der Mensch im Gebet und durch Rückkehr wieder zu Ihm wenden. G'tt wird Sich auch ihnen wieder in Liebe zuneigen.
Schuld und Verdienste des Menschen auf der Waage
Jeder Mensch hat Verdienste aber auch Schuld. Sind die Verdienste grösser als die Schuld, so spricht man von einem Zaddik - einem Gerechten. Ist die Schuld grösser als die Verdienste, so nennt man ihn Rascha-einen Bösen. Ist beides im Gleichgewicht, so spricht man von einem Bejnoni - einem Mittelmässigen.
Das gleiche gilt auch für Länder. Sind die gemeinsamen Verdienste der Bewohner grösser als ihre Schuld, ist es ein gerechtes Land. Ist die Schuld grösser als die Verdienste, ist es ein schändliches Land. All dies bezieht sich auch auf die ganze Welt.
Ist die Schuld eines Menschen grösser als seine Verdienste, muss er sofort, wegen seiner Sünden sterben, denn es steht geschrieben: »AL ROW AWONCHA - wegen der Überzahl deiner Schuld...« (Hoschea 9). Ist die Schuld eines Landes grösser als seine Verdienste, so ist es dem Untergang geweiht, denn es steht geschrieben: »SA'AKAT SEDOM WA'AMORA KI RABBA - das Wehgeschrei von Sedom und Amora ist gross« (Bereschit 18:20). Dies gilt auch für die ganze Welt, denn es steht geschrieben: »WAJAR HASCHEM KI RABBA RA'AT HA'ADAM - und G'tt sah, dass das Böse der Menschen gross war« (Bereschit 6:5).
Das Ausschlaggebende ist hierbei nicht das Zahlenmässige, sondern das Ausmass des Guten und des Bösen. Es gibt Verdienste, die schwerer wiegen als eine grosse Anzahl von Sünden, so wie es heisst: »JA'AN NIMZA BO DEWAR TOW - an ihm, von dem Haus Jerowams, Gutes wurde gegenüber G'tt« (Melachim I, 14:13). Aber auch umgekehrt kann eine Schuld schwerwiegender sein als viele Verdienste, denn es steht geschrieben: »WECHOTE ECHAD JEABBEJD TOWA HARBE - und ein Sünder lässt viel Gutes verlorengehen« (Kohelet 9:18). Nur G'tt, dessen Wissen allumfassend ist, kann entscheiden, welche Wertmassstäbe anzulegen sind, wenn es darum geht, Schuld und Vergehen abzuwägen.
Darum sollte sich jeder Mensch während des ganzen Jahres so betrachten, als sei er halb schuldig und halb verdienstreich. Auch die Welt sollte er so betrachten. Wenn er sich dann durch irgend eine Tat schuldig macht, so hat er nicht nur die Waagschale seines eigenen Schicksals belastet, sondern die der ganzen Welt, und könnte so deren Zerstörung verursacht haben, genau wie den Verlust seines eigenen Lebens. Hat er hingegen eine Mizwa erfüllt, so ist es möglich, dass er das Zünglein der Waage für sich selbst und für die ganze Welt entscheidend bewegt hat, und zu seiner Errettung, so wie auch zur Rettung der ganzen Welt beigetragen hat. So steht geschrieben: »WEZADDIK JESSOD OLAM - und der Gerechte ist der Grundpfeiler der Welt« (Mischlej 10:25). Wer das Rechte tut, hat für die ganze Welt Verdienst errungen und sie gerettet (Rambam Hilchot Teschuwa Kap. 3:1-5).
Was bedeutet »Tag des Gerichts« ?
Unsere Weisen sagen, dass den Menschen am Rosch haShana nicht der Gerichtsspruch erteilt wird, ob sie des GAN EDEN würdig werden oder OLAM HABA - die zukünftige Welt - verdient haben oder nicht. Das Urteil, das am Rosch haShana gefällt wird, bezieht sich nur auf die Dinge dieser Welt, ob der Mensch es verdient, in Frieden zu leben, oder ob er leiden oder gar sterben muss. Im Traktat Rosch haShana sagen unsere Weisen: Dies ist der Tag, an dem Dein (G'ttes) Werk begann, Erinnerung an den ersten Tag. »KI CHOK LEJISRAEL HU - denn es ist Gesetz für Israel, Rechtspruch für den G'tt Jaakows.« Für die Staaten wird ebenfalls beschlossen, welches Land Krieg führen muss und welches in Frieden leben kann; welches Hungersnot erleiden muss und welchem Überfluss beschieden ist. An ihm werden die Geschöpfe bedacht, um sie an Leben und Tod zu erinnern. Und so wird berechnet: Am Rosch haShana werden die Handlungen des Menschen gewogen, es wird dann eingeschrieben und besiegelt, ob er in dieser Welt Verdienste hat oder ob er Schuld auf sich geladen hat. Nach seinen Taten in dieser Welt erhält er den Anteil, der ihm gebührt. Erst wenn der Mensch stirbt und in seine ewige Heimat gerufen wird, werden seine Taten gewogen und die Entscheidung gefällt, ob er sich für die »Welt der Seelen« würdig erwiesen hat (Ramban, zitiert von Awudraham).
Sogar wenn ein Mensch das ganze Jahr hindurch gesündigt hat, soll er nicht verzweifeln, denn er hat die Möglichkeit zur Teschuwa - zur Rückkehr-, er kann immer den rechten Weg einschlagen, bevor er zum Gericht kommt. Er muss nur im innersten Herzen daran glauben, dass er imstande ist, das Zünglein an der Waage zu seinen Gunsten und zugunsten der Welt zu bewegen. Aus diesem Grund ist es auch Sitte, dass man zwischen Rosch haShana und Jom Kippur mehr Wohltätigkeit übt und sich bemüht, Mizwot und gute Taten zu tun, mehr als an allen anderen Tagen des Jahres.
»Ein Mensch wird nur in bezug auf seine augenblicklichen Taten beurteilt« (Rosch Haschana 166). Auch wenn er während des ganzen Jahres in Sünde versunken war, wird G'tt Zeugnis aussagen, dass Israel Seinen Willen ausführen will. Wenn es am Tag des Gerichts Reue zeigt und zurückkehrt, um G'ttes Willen zu erfüllen, dann wird es beurteilt für das, was es augenblicklich ist.
Ein Feiertag, an dem kein Hallel gesagt wird
Da Rosch haShana Tag des Gerichts ist, soll jeder Mensch g'ttesfürchtig sein, da er sich ja vor Seinem Gericht zu verantworten hat. Er sei nicht leichtsinnig und lasse sich von nichts ablenken, damit er sich ehrfurchtsvoll und bangend vor das Gericht stellt.
In diesen Tagen ist das Volk Israel so sehr vor Furcht vor dem g'ttlichen Urteil erfüllt, dass es am Rosch haShana kein Hallel sagt, obwohl Rosch haShana ein Feiertag ist. Israel sagt nur Hallel, wenn sein Herz von Freude erfüllt ist, aber an den Tagen des Gerichts ist das Zittern grösser als die Freude. Darum sagt man kein Hallel.
»Die diensthabenden Engel sagten vor G'tt: Herr der Welt, warum sagt Israel kein Hallel am Rosch haShana und am Jom Kippur? Da antwortete Er ihnen: Wenn der König zu Gericht sitzt, und die Bücher des Lebens und des Todes vor Ihm geöffnet sind, kann Israel dann ein Loblied singen?« (Rosch Haschana 32b)
Trotz alldem sollte der Mensch nicht traurig sein, wenn er vor Gericht steht, er soll sich die Haare scheren, sich waschen zu Ehren des Festes und Feiertagskleider anziehen, um damit zu zeigen, dass G'tt uns ein gerechtes Urteil sprechen wird. Darum weinen wir auch nicht am Rosch haShana. (Während des Gebetes jedoch ist es erlaubt zu weinen. Es gibt Fromme, die während des Gebetes an den Hohen Feiertagen Tränen vergiessen. Sie weinen wie kleine Kinder, um die Barmherzigkeit des Himmels zu erwecken. Auch wenn wir glauben, weise und einsichtig zu sein, so sind wir doch vor dem Heiligen, gelobt sei Er, wie kleine Kinder, die sich nicht schämen, vor ihrem Vater zu weinen, wenn sie etwas von ihm erbitten wollen.)
Esra, der Schriftgelehrte, pflegte immer am ersten Tischri eine Toravorlesung vor der Gemeinde zu veranstalten. Das Volk, beeindruckt von den eindringlichen Worten der Tora, begann zu weinen. Esra und Nechemja sprachen zu ihnen: »AL TITABLU WEAL TIWKU... - seid nicht traurig und weinet nicht! ... Gehet und esset das Fette und trinket das Süsse und sendet auch denen davon, die nichts vorbereitet haben, denn dieser Tag ist heilig unserem Herrn. Seid nicht traurig, denn die Freude G'ttes ist eure Stärke« (Nechemja 8:9-10).
»UMI GOI GADOL... Und welches ist ein grosses Volk? Das gerechte Gesetze und Rechtsordnungen hat, wie diese ganze Lehre, die Ich euch heute vorlege« (Dewarim 4,8). »Wer gleicht einer solchen Nation? In der ganzen Welt ist es Sitte, dass man am Tag des Gerichts dunkle Kleider anlegt und sein Haupt in Schwarz hüllt, denn man weiss ja nicht, wie das Urteil ausfällt. Bei Israel ist dies aber nicht so, sie legen weisse Gewänder an, hüllen ihr Haupt in Weiss, essen, trinken und sind fröhlich. Sie wissen, dass der Heilige, gelobt sei Er, ihnen Wunder tut« (Jeruschalmi, Rosch Haschana Kap. l, Halacha 3).
Die erste Nacht von ROSCH HASHANA
Am ersten Abend von ROSCH HASHANA, nach dem Abendgebet wünscht einer dem andern ein gutes Jahr. Man sagt: »LESCHANA TOWA TIKKATEW WETECHATEM LEALTAR LECHAJIM TOWIM« - Mögest du eingeschrieben und besiegelt werden, sofort, für ein gutes Leben. (Zu einer Frau sagt man ... TIKKATEWI WETECHATEMI.... ). Warum wird die gleiche Wunschformel nicht auch am nächsten Tag wiederholt? Zaddikim Gemurim - die vollkommenen Gerechten - werden ja sofort zum guten Leben eingeschrieben. Würde man die gleiche Formulierung wie am Vorabend anwenden, könnte dies bedeuten, dass der so Angesprochene kein ZADDIK GAMUR ist. Es soll jeder seinen Mitmenschen als einen ZADDIK GAMUR betrachten, sogar wenn dies nicht so scheint. Denn der Mensch beurteilt nur nach dem äusseren Eindruck, G'tt aber schaut ins Herz. Es könnte ja sein, dass diese Person Teschuwa in ihrem Herzen getan hat, dann wäre sie in der Tat ein ZADDIK GAMUR!
Unsere Weisen, ihr Andenken sei zum Segen, sagten: »Simana Milta Hi - Zeichen haben eine Bedeutung«. So ist es am ersten Abend von ROSCH HASHANA Sitte, während der Mahlzeit verschiedene Speisen zu essen, die durch ihre
Beschaffenheit oder ihren Namen eine symbolische Bedeutung für ein gutes, angenehmes Jahr haben. Darum wird die Challa, über die man Hamozi macht, in Honig getaucht. Hat man davon die vorgeschriebene Menge - von der Grösse einer Olive - gegessen, so nimmt man einen Süssapfel und taucht auch diesen in Honig ein. Man spricht dann zuerst den Segensspruch »BARE PERI HA'EZ«, isst davon und anschliessend »JEHI RAZON ... Es sei Dein Wille unser G'tt und G'tt unserer Väter, dass ein gutes und süsses Jahr für uns erneuert werden möge.« Man soll dies erst nach dem Genuss des Apfelstückchens sagen, damit keine Unterbrechung zwischen der Beracha »BARE PERI HA'EZ« und dem Genuss der Frucht entsteht.
Nun werden verschiedene Gemüsesorten verzehrt, deren Namen im Hebräischen oder auch in anderen Sprachen Andeutung und Symbolik für ein gutes neues Jahr sein könnten.
Hier einige Beispiele: Lauch, aramäisch: KARTI - SCHEJIKARTU OJEWECHA - es mögen Deine Feinde ausgerottet werden ....
Rüben - SCHEJIRBU SECHUJOTENU - unsere Verdienste mögen grösser werden.
Silka, aramäisch für Mangold - SCHEJISTALKU OJEWEJNU - mögen unsere Feinde verschwinden.
Karotten, hebräisch: Geser - SCHETIKRA ROA GESER DINEJNU - Du mögest die Härte unseres Urteils zerreissen.... Man pflegt auch den Kopf eines Fisches zu essen, denn erstens sind Fische Symbol für Segen, und beim Geniessen des Kopfes sagt man: »Es sei Dein Wille, dass wir zum Kopf werden und nicht zum Schwanz«, d.h. wir wollen die ersten sein und nicht die letzten.
Man bemühe sich, an diesem Tag nicht zornig zu sein, denn Zornausbrüche werden, auch während des ganzen Jahres, von unseren Weisen als schwerwiegendes, strafbares Vergehen bezeichnet. Doch am ROSCH HASHANA soll der Mensch sich besonders davor hüten. Vielmehr soll er seiner Freude Ausdruck geben. Sein Herz sei erfüllt von gutem Willen und Liebe, als gutes Zeichen für ihn.
Man soll am ROSCH HASHANA keine Nüsse essen, da sie Reiz im Hals hervorrufen und dies könnte beim Beten störend wirken. Ausserdem ist der Zahlenwert des Wortes »Egos« - Nuss - gleich dem Zahlenwert von »Chet« - Sünde. Es ziemt sich an diesem heiligen Tag nicht, dieses Wort zu erwähnen. Toravorlesung am Rosch haShana
Beim Ausheben der Tora sagt man »Wajehi Binsoa...«und auch die »13 Attribute«: Haschem, Haschem Kel Rachum Wechanun.... Wenn Rosch haShana auf Schabbat fällt, wird letzteres nicht gesagt. Am Rosch haShana werden die üblichen Verse zum Ausheben der Tora gesagt, nur wird bei dem Vers »Echad Elolkejnu...« das Wort »Nora -Ehrfüchtiger« hinzugefügt. Es werden zwei Torarollen ausgehoben, aus der einen liest man: »Wahaschem Pakad Er Sara« - die Erzählung von der Geburt Jizchaks (Bereschit 21). Es werden 5 Personen aufgerufen. Aus dem zweiten Sefer wird der Text über die Opfer des Festes vorgelesen (Bamidbar 29:1-6). Als Haftara liest man Schmuel 1 1-2:10. Sie enthält den Bericht über die Geburt Schmuels, denn auch Chana wurde, wie Sara, am Rosch haShana bedacht. Auch Chanas Dankgebet ist in der Haftara enthalten. Die neun Segenssprüche des Mussafgebetes von Rosch haShana sind nach diesem Gebet aufgebaut. (Pesikta Rabbati)
Am zweiten Tag werden ebenfalls fünf Personen aufgerufen. Man liest die »Akeda-die Bindung Jizchaks« (Bereschit 22). Jizchaks Opferbereitschaft soll Fürsprecher für seine Nachkommen an diesem Tag sein. Aus dem zweiten Sefer liest man wieder über die Opfer des Festtages. Die Haftara stammt aus Jirmijahu 31:5-20. Diese Haftara enthält eine Schilderung unserer Stammutter Rachel, die sich weinend weigert, Trost für ihre aus dem Land verbannten Kinder anzunehmen. Auch die Verdienste der Wüstengeneration werden erwähnt, die dem jüdischen Volk beistehen sollen an diesem Tag des Gerichts, G'ttes Erbarmen zu wecken.
Das Schofarblasen
Es wurde uns von der Tora geboten, am Rosch haShana Schofar zu blasen: »Uwachodesch Haschewi'i... und im siebten Monat, am ersten des Monats, Ruf zum Heiligtum sei euch. Keinerlei Werk dürft ihr verrichten, ein Tag der Terua - des erschütternden Tones - soll er euch sein« (Bamidbar 29:1). Rambam in seinen Hilchot Teschuwa, Kap. 3:4 sagt in diesem Zusammenhang: »Obwohl das Schofarblasen am Rosch haShana eine g'ttliche Anordnung der Tora ist, ist darin auch eine Andeutung enthalten: Wachet auf, ihr Schläfer aus eurem Schlaf, erwachet aus eurem Schlummer. Erforschet eure Taten, kehret zurück und erinnert euch an euren Schöpfer. Ihr, die ihr die Wahrheit durch die Nichtigkeiten der Zeit vergessen habt, ihr, die ihr während des Jahres durch Sinnlosigkeit und Leere, die weder Nutzen noch Rettung bringen können, gefehlt habt, schaut in die Tiefen eurer Seele, bessert eure Wege und eure Handlungen. Ein jeder von euch verlasse seinen schlechten Weg und seine Gedanken, die nicht gut sind.«
Rabbi Sa'adja Hagaon erwähnt zehn Gründe für das Schofarblasen:
1) An diesem Tag hat G'tt die Schöpfung vollendet und wurde König über Seine Welt. Jeder König lässt mit Posaunenschall verkünden, dass seine Herrschaft beginnt. Auch wir setzen den Schöpfer, gelobt sei Er, an diesem Tag zum König ein.
2) Rosch haShana ist der erste der AsseretJemej Teschuwa - der zehn Busstage. Man lässt den Schofarton erschallen, um uns zu warnen: Wer zurückkehren will, der tue es. Wer aber nicht, der erhebe keine Selbstanklage. Auch Könige warnen ihre Untertanen vor Antritt ihrer Regierungszeit, ihren Verordnungen Folge zu leisten, und wer die Gesetze übertritt, soll sich nicht beklagen.
3) Der Schofarton soll die Offenbarung am Sinai in Erinnerung bringen, denn dort heisst es: »WAJEHI KOL HASCHOFAR HOLECH WECHASEK MEOD - und der Schofarton wurde immer stärker...« (Scheurot 19:19). So wollen auch wir, wie unsere Väter, der Bereitschaft von »NA'ASSE WENISCHMA - wir wollen hören und tun« - Ausdruck geben, die Gesetze der Tora einzuhalten.
4) Der Schofarton erinnert uns auch an die Botschaft der Propheten, die mit Schofarblasen verglichen wird: »WESCHAMA HASCHOMEA ET KOL HASCHOFAR... - wer den Schofarton hört, und sich nicht warnen lässt und das Schwert kommt und rafft ihn hinweg, so kommt sein Blut über sein Haupt ... wer sich aber warnen lässt, der wird mit dem Leben davonkommen.« (Jecheskel 33:4-5)
5) Der Schofarton ruft die Zerstörung des Tempels in Erinnerung, den Teruaton des Krieges unserer Feinde. Wenn wir das Schofar hören, bitten wir G'tt, unser Heiligtum wieder aufzubauen.
6) Wenn man den Schall des Widderhornes hört, wird man an die »AKEDAT JIZCHAK - die Bindung Jizchaks« erinnert. Jizchak war bereit, sein Leben für G'tt hinzugeben, doch der Widder wurde an seiner Stelle geopfert. Auch wir sind bereit, unser Leben für die Heiligkeit Seines Namens hinzugeben, und so möge Er uns zum Guten gedenken.
7) Wenn wir den Schofarton hören, soll uns Ehrfurcht und Zittern ergreifen. Wir sollen uns vor unserem Schöpferdemütigen. Denn dies ist die Wirkung des Schofars: Zittern und Beben zu veranlassen. So wie es heisst: »IM JITTAKA SCHOFAR BEIR... - Wenn das Schofar in der Stadt geblasen wird, soll etwa das Volk nicht erschrecken?« (Amos 3:6)
8) Der Schofarton lässt uns an den JOM HADIN HAGADOL - den Tag des grossen Gerichtes denken. So wie es heisst: »KAROW JOM HASCHEM HAGADOL... - Nahe ist der Tag G'ttes, der grosse, sehr nah und sehr bald.... Es ist ein Tag von Schofarund Teruaton...« (Zefanja 2:14-16).
9) Der Schofarton lässt uns an »Kibbuz Galujot- das Wiedereinsammeln der Zerstreuten« denken und unsere Hoffnungen erwecken. So wie es heisst: »WEHAJA BAJOM HAHU JITTAKA BESCHOFAR GADOL... - und es wird sein an jenem Tag, da wird man in ein grosses Schofar blasen, da werden die Verlorenen aus dem Land Aschur kommen und die Verstossenen aus dem Land Mizrajim...« (Jeschajahu 27:13).
10) Der Schofarton erinnert uns an die Wiederbelebung der Toten, und verstärkt unsere Glaubensgewissheit daran. So wie es heisst: »KOL JOSCHWEJ TEWEL WESCHOCHNEJ AREZ... -alle, die ihr auf Erden wohnet, und die ihr im Land sitzt, werdet sehen, wie man die Paniere auf den Bergen erhöht, und wie man ins Schofar bläst, werdet ihr vernehmen...« (Jeschajahu 18:3).
Der Tag des Teruatones
Die Tora nennt den Tag des ersten Tischri: »JOM TERUA - den Tag des Teruatones«, nicht »JOM TEKIA«. Dies deutet auf Herzeleid hin, (die genaue Übersetzung von Terua ist: »gebrochener Ton«). Er ruft Gefühle der Reue und der Rückkehr der Sündhaftigkeit hervor. Wer seine Sünden bereut, weint, seufzt und bereut seine Fehler. Man nimmt sich vor, sie nicht Wiederzutun. So ist »JOM TERUA« ein Tag des zerbrochenen Herzens, der zu Reue und Rückkehr aufruft. (Menorat Hamaor, Abschnitt 293:Seite 624. Mossad Haraw Kook)
Über das Schofarblasen und -hören
Wieviel Schofartöne ist man verpflichtet zu hören? Es müssen 9 Tekiot sein. Die Begründung ist in der Tora zu finden: Das Wort »TERUA« steht dreimal in der Tora, zweimal im Zusammenhang mit Rosch haShana (Wajikra 23:24 und Bamidbar 29:1) und einmal bezieht es sich auf Jom Kippur im Joweljahr (Wajikra 25:9). Nach der Überlieferung muss jeder TERUA eine TEKIA vorangehen. Auch ist es uns überliefert, dass alle TERUOT des siebten Monats sich gleichen, so dass sowohl am Rosch haShana als auch am Jom Kippur des Joweljahres je neun Töne geblasen werden: TEKIA, TERUA, TEKIA dreimal.
Die genaue Natur und Ausführung des Teruatones ist im Lauf der Jahrhunderte zweifelhaft geworden. Die Bedeutung des Wortes »TERUA« birgt Seufzen und Wimmern in sich, und zwar in dieser Reihenfolge, da ein Mensch bei einem Schicksalsschlag zuerst seufzt und dann, länger anhaltend, wimmert.
Das Seufzen wird mit dem »SCHEWARIM« und das Wimmern mit dem »TERUA« ausgedrückt.
Die Ordnung des Schofarblasens ist nun folgendermassen festgesetzt:
Der Schofarbläser sagt die Beracha. Dann ertönt: Tekia Schewarim-Terua Tekia Tekia Schewarim-Terua Tekia Tekia Schewarim-Terua Tekia Dies sind zwölf Schofartöne. Es folgen nochmals neun Töne:
Tekia Schewarim Tekia Tekia Schewarim Tekia Tekia Schewarim Tekia Dann ertönt: Tekia Terua Tekia Tekia Terua Tekia Tekia Terua Tekia
Dies sind wieder neun Töne,ingsgesamt 30. Mit dieser Anordnung durch die Varianten sind alle Zweifel das Wort »Terua« betreffend aus dem Weg geräumt ...(Rambam Hilchot Schofar, Kap. 3:1-4).
Diese 30 Schofartöne, die nach der Toravorlesung und vor dem Mussafgebet geblasen werden, nennt man »Tekiot Mejuschaw« - d.h. man dürfte diese Töne sitzend anhören, nur der Schofarbläser muss die Mizwa stehend ausführen. Dies im Gegensatz zu den »Tekiot Me'ummad«, die bei der Wiederholung des Mussafgebetes geblasen werden, und die man stehend anhören muss. Sie beschliessen jeweils die drei Gebetseinheiten: MALCHUJOT, SICHRONOT und SCHOFAROT.
Hundert Schofartöne
Es ist mit der Zeit zum Brauch geworden, im ganzen hundert Schofartöne zu blasen: Tekiot Schewarim und Teruot. Diese Zahl hundert wird mit den hundert Wehklagen der Mut ter Sisras in Zusammenhang gebracht: »Madua Boschesch Richbo Lawo... - Warum säumt sein Wagen anzukommen, warum zögern die Tritte seiner Gespanne?« (Schoftim 5:28) Ihr Weinen und Jammern wird in Deworas Lied mit 101 Buchstaben beschrieben, beginnend mit »Bead Hachalon« bis »Amareha La« (Schoftim 5:28 - 5:29).
Die Frage erhebt sich, welcher Zusammenhang zwischen den Schofartönen und den 101 Buchstaben besteht, und wenn ein solcher besteht, warum sind es dann nur hundert Töne, und nicht 101?
Die Schofartöne sollen Erbarmen bei G'tt erwecken für die Nachkommen Jizchaks, der auf dem Altar gebunden war. Das Schluchzen von Sisras Mutter war ein Schluchzen der Grau samkeit. Wenn die Mutter ihren Sohn, den Krieger beweint, sollte sie dann nicht auch an all die anderen Mütter mitleidig denken, die wie sie ihre Söhne verloren haben? Die Mutter Sisras aber denkt nur an die Kriegsbeute, die ihr Sohn mit den andern Soldaten teilt: »HaloJimze'uJechalku Schalal... finden sie nicht Beute und verteilen sie?« (ibid. 5:30) Diese Gedanken vertreiben ihren Schmerz! Gibt es grössere Grausamkeit als diese? So sollen denn die 100 Schofartöne des Erbarmens die 100 Wehgeschreie der Grausamkeit zunichte machen. Ausser einem, dem einen Wehgeschrei des Erbarmens, das sogar bei der grausamsten Mutter zu finden ist, die ihren Sohn beweint!
Die letzte Tekia nach jeder Serie der Tekiot wird lang hinausgezogen, eine »Tekia Gedola«. Unsere Weisen sagen, dass durch den verlängerten Ton der Satan - der Hinderer - verhindert werde zu kommen, um Jisrael nach dem Gebet anzuklagen, weil es dann isst, trinkt und fröhlich ist und es so aussieht, als ob es keine Furcht vor dem g'ttlichen Gericht hätte.
Das Schofarblasen - allerletzter Schutz
Der Maggid aus Dubno erzählt folgendes Gleichnis: Ein Wanderer verirrte sich einst in einem Wald, in dem es wilde, reissende Tiere gab. Er hatte Pfeil und Bogen zu seinem Schutz dabei. Immer, wenn er von weitem eine Gestalt sah, dachte er, es seien Bären, Wölfe oder Löwen. Jedesmal, wenn er glaubte, ein wildes Tier zu sehen, schoss er einen Pfeil ab, doch wurde es ihm bald gewahr, dass er seine Geschosse nur auf seine Hirngespinste vergeudet hatte. Am Ende blieb ihm nur noch ein einziger Pfeil übrig. Diesen bewahrte er mit Bedacht, denn er wusste, dass dieser Pfeil ihm in der Gefahr Lebensretter sein würde.
Welche Lehre können wir aus diesem Gleichnis ziehen? ... Als wir noch in der g'ttlichen Stadt, auf dem Berg Seiner Heiligkeit weilten, standen viele Dinge zur Verfügung, die uns Schutz boten: Der Tempel, der Altar, die Opfer und der Hohepriester. Wir fühlten uns sicher und geborgen, beschützt vor allen Gefahren. Aber heute steht uns nur eine einzige »Waffe« zur Verfügung: es ist dies das einfache, bescheidene Schofar. Darum müssen wir vorsichtig mit diesem umgehen, und uns seiner mit Weisheit und Umsicht bedienen.
Die Segenssprüche über das Schofarblasen
Jede Mizwa, die uns »BEJN ADAM LAMAKOM-in Beziehung zu G'tt« befohlen ist, sei sie von der Tora oder von unseren Weisen angeordnet, wird von einer entsprechenden Beracha einem Segensspruch - begleitet. Wir müssen G'tt dafür danken, und Ihn loben, dass Er uns mit diesen Mizwot heiligt, wenn wir sie ausführen. Unsere Weisen haben in der Tora Hinweise und Andeutungen dafür gefunden, keine Mizwa ohne Beracha zu erfüllen. Aber auch auf den gesunden Menschenverstand kann sich diese Anordnung stützen: Wir sagen eine Beracha beijeder sich im Moment bietenden Nutzniessung für eine augenblickliche Annehmlichkeit. Um wieviel mehr noch sind wir verpflichtet, G'tt für Dinge zu danken, die Ewigkeitscharakter tragen!
Dies ist die Formulierung der meisten Segenssprüche: »Gesegnet seist Du, G'tt, unser G'tt, König der Welt, der uns geheiligt hat mit Seinen Geboten ...«. Wir wenden uns an G'tt immer in der zweiten Person Singular »Du«. Am Schluss der Beracha aber sagen wir »Ascher Kiddeschanu... - der uns geheiligt hat«, also in der dritten Person. Warum ist dies so?
Wenn man zu segnen beginnt, wendet man sich direkt an den Angesprochenen. Die Anrede entspringt einem natürlichen Herzensbegehren. Dann aber erwachen Gefühle der Ehrfurcht und des Zitterns, denn schliesslich steht man doch vor dem König aller Könige, vor dem Heiligen, gelobt sei Er. Wie könnte man sich denn mit dem vertrauten »Du« an Ihn wenden? Darum beschliesst man die Beracha, fast sich entschuldigend: »...der uns mit Seinen Geboten geheiligt hat...« - wie könnte ich dann schweigen, und Ihn nicht segnen?
Über das Schofarblasen werden zwei Berachot gesagt: Eine über die Mizwa selbst:... »den Schofarton zu hören« und die zweite »SCHEHECHEJANU...der uns am Leben erhalten hat...« Das Schofarblasen ist eine seltene, nicht täglich auszuführende Mizwa. Es vergeht längere Zeit, bis man sie ausführen kann. Darum dankt man G'tt dafür, dann Er uns diese Zeit hat erreichen lassen, dass wir noch leben, so dass wir sie erfüllen können. Die erste Beracha nennt man »BirkatHamizwa-den Segensspruch über die Mizwa« selbst, die zweite, »Birkat SCHEHECHEJANU«. Sie wird immer nach der »Birkat Hamizwa« gesagt. Beide Berachot gehen der Ausführung der Mizwa voran. Man spricht den Segensspruch zuerst und erfüllt dann die Mizwa.
Die Mizwa, den Schofarton zu hören, ist für jedermann verbindlich, und muss nicht unbedingt »Bezibbur« - in der Gemeinschaft ausgeübt werden. Allein oder im gemeinsamen Gebet in der Synagoge - ist man verpflichtet Schofar zu blasen oder zu hören und die dazugehörigen Segenssprüche zu sprechen. Es ist vorzuziehen, diese Mizwa innerhalb der Gemeinschaft zu erfüllen, weil wir mit dem Schofarblasen G'ttes Königtum und Seine Herrschaft über das Weltall verkünden. So drücken wir unsere Dankbarkeit aus, dass Er mit Seinen gerechten Gesetzen die Welt regiert. »Berow Am Hadrat Melech... - wo ein König viel Volk hat, manifestiert sich Seine Herrlichkeit...« (Mischlej 14:28). Darum versammelt man sich in den Synagogen, und Leute aus den kleinen Ortschaften, in denen kein regelmässiger G'ttesdienst stattfindet, treffen sich in den grösseren Städten, wo einer für alle Schofar bläst. Der Schofarbläser sagt die Beracha und alle Anwesenden hören sie und richten ihre Gedanken darauf, die Mizwa des Schofarblasens und der Berachot in vorgeschriebener Weise zu erfüllen. Sowohl der Schofarbläser selbst, als auch die Zuhörer haben die Mizwa richtig erfüllt, wenn ihre Gedanken in voller Absicht darauf gerichtet sind. (Wenn man vergessen hat, »Amen« nach der Beracha zu sagen, so hat man die Mizwa trotzdem erfüllt, vorausgesetzt, dass man seine Gedanken darauf konzentriert hat.)
Zwischen der Beracha und dem Ende des gesamten Schofarblasens darf man nicht unterbrechen, sogar nicht mit einem einzigen Wort. Hat man dies jedoch getan, so muss man die Beracha nicht wiederholen.
Verse, die vor dem Schofarblasen gesagt werden
Vor dem Schofarblasen und den Berachot pflegt man das 47. Kapitel aus Tehillim siebenmal zu sagen: 'Wal Ha'amim Tik'u Chaf... ihr Völker alle, schlaget in die Hände...«, denn in diesem Psalm kommt der g'ttliche Name siebenmal vor, und zwar »Elokim« - der G'tt des Gerichts. Danach werden sieben zusätzliche Verse gesagt, die g'ttliches Erbarmen beinhalten:
»Min Hamezar Karati Kah...aus der Bedrängnis rief ich G'tt, und Er antwortete mir in der Weite G'ttes« (Tehillim 118:5). Hierauf folgen sechs andere Verse, deren Anfangsbuch staben die Worte »Kera Satan - Vernichte den Ankläger« ergeben: K-oli Schamata...R-osch Dewarcha...A-row Awdecha...Sa-ss Anochi...T(a)-uw Ta'am...N-idwot Pi...
Danach werden die Berachot gesagt und Schofar geblasen.
Der Sinn von »Schofar«
»Der Mensch ist verpflichtet sich am Rosch haShana beim Schofarblasen zu konzentrieren. Er soll sich ins Bewusstsein rufen, dass dies der Tag des Gerichts ist, und dass der Heilige, gelobt sei Er, auf dem Richterstuhl sitzt. Alle Menschen der Erde ziehen vor Ihm vorbei wie Lämmer, so wie der Hirte seine Schafe vorbeiziehen lässt. Er mustert sie und sagt: Dieses bleibt am Leben und dieses wird geschlachtet. So geht auch der Mensch am Rosch haShana vor dem Heiligen, gelobt sei Er, vorbei. All seine Taten sind in einem Buch aufgeschrieben, und werden vor dem Heiligen, gelobt sei Er, vorgelesen. Kein Mensch weiss, ob sein Richtspruch auf Leben oder Tod lautet. Darum soll der Mensch sich auf den Schofarton konzentrieren, denn dieser erinnert ihn daran, Teschuwa zu tun. Wenn er zu G'tt zurückkehrt, wird Er Erbarmen mit ihm haben und er wird am Tag des Gerichts freigesprochen werden.« (Menorat Hamaor)
»Im Midrasch Tehillim heisst es: Stosset in das Schofar, wenn der neue Monat kommt. Dazu sagt Rabbi Berachja im Namen von Raw Abba: Verbessert eure Taten, heiligt euer Tun! (Die Stammbuchstaben des Wortes Schofar Sch-F-R haben die Bedeutung von verbessern, verschönern). Wie ist denn die Beschaffenheit des Schofar? Man bläst in das eine Ende hinein und der Ton kommt am anderen Ende heraus. So sagt G'tt: Wenn auf der einen Seite alle Anklagen der Welt Mich erreichen, so höre Ich sie von der einen Seite an und hole sie von der anderen Seite heraus!« (Awudraham)
Am Schabbat bläst man kein Schofar
Trotzdem es eine grosse Mizwa ist, Schofar zu blasen, weil es die Krönung des Königs verkündet, und weil es bei der Gerichtsverhandlung zum Erbarmen aufruft, haben unsere Weisen angeordnet, am ersten Tag Rosch haShana kein Schofar zu blasen, wenn er auf Schabbat fällt. Diese Anordnung betont die Vorrangigkeit des Schabbat, denn der Schabbat würde entweiht wenn: das Schofar vier Ellen im öffentlichen Gebiet oder von Privatgebiet in ein öffentliches Gebiet, oder umgekehrt, getragen würde.
Die Gesetze des Schabbat sind so schwerwiegend, dass sogar die Möglichkeit der Entweihung durch einen einzelnen eine so bedeutende Mizwa wie das Schofarblasen für die Gesamtheit verdrängt. Dies gilt auch für Städte oder Ortschaften, in denen es erlaubt wäre, Gegenstände von einem Gebiet ins andere zu tragen - d.h., in denen es einen ERUW gibt.
Auf jeden Fall wird die Mizwa des Schofarblasens niemals aufgehoben, denn, wie schon erwähnt, wird Rosch haShana wie ein verlängerter Tag gerechnet, und so ist das Schofarbla sen am zweiten Tag gleichwertig wie das Blasen am ersten Tag. Wenn also das Schofarblasen am ersten Tag wegen Schabbat ausfällt, so ist mit dem Schofarblasen des zweiten Tages die Mizwa erfüllt. Da der zweite Tag Rosch haShana niemals auf Schabbat fallen kann, wird an ihm immer Schofar geblasen.
Bei der Verordnung, am Schabbat kein Schofar zu blasen, handelte es sich um jene Orte, an denen es kein Bejt Din - keinen Gerichtshof gab. Doch als der Tempel noch stand und es in Jeruschalajim noch ein Bejt Din Gadol - einen Hohen Gerichtshof gab, wurde in Jeruschalajim und seinen Vororten auch am Schabbat Schofar geblasen, nicht aber in den übrigen Städten Erez Jisraels.
Die Zeit des Schofarblasens
Die Zeit des Schofarblasens ist der Tag und nicht die Nacht, vom Sonnenaufgang bis zum -untergang. Es ist eine Mizwa, es so früh wie möglich auszuführen. Weshalb bläst man aber erst nach dem Morgengebet und nach der Toravorlesung, beim Mussafgebet und nicht beim Morgengebet? Dies beruht auf folgendem Geschehen:
Zur Zeit der Verfolgungen wurden die Juden verdächtigt, Krieg gegen ihre Feinde führen zu wollen. Die Juden hatten sich zum Schofarblasen in den Synagogen versammelt, und so dachten die Feinde, dass das Terua-Blasen eine Aufforderung zum Kampf sei. Darum wollten die Feinde die Juden töten. Aus diesem Grund wurde angeordnet, erst zu Mussaf Schofar zu blasen. Die Feinde, die sehen, dass die Juden im Gebet versunken sind, das Schema-Gebet verrichten und die Tora vorlesen und danach Schofar blasen, verdächtigen sie nicht des Aufruhrs und des Kampfes. Sie denken sich dann, dass das Schofarblasen zur Gebetsordnung gehört.
Ein anderer Grund für die Verschiebung des Schofarblasens bis zum Mussafgebet ist folgender: Die Feinde der Juden hatten ein Verbot ausgerufen, es dürfe kein Schofar geblasen werden. Als nun sechs Stunden des Tages vergangen waren und man keinen Schofarton vernommen hatte, gaben sie die Kontrolle auf, und man blies erst dann Schofar. Zwar ist heute die Begründung des späten Schofarblasens nicht mehr triftig, man hat es jedoch dabei belassen, weil die gleiche Situation noch einmal eintreten könnte.
... Fortsetzung folgt
aus: »Das Jüdische Jahr«,
ins Deutsche übersetzt von L. Grünwald,
Morascha-Verlag 1987
Der Tag der Verhüllung
Rosch haShana - der erste Tischri wird auch JOM HAKESSE - der Tag der Verhüllung - genannt. »TIKU WACHODESCH SCHOFAR BAKESSE LEJOM CHAGENU - am Neumond stosset ins Schofar, am Tag der Mondverhüllung, am Tag unseres Festes« (Tehillim 81:4). Es erinnern die Weisen auch an den Vers »Am Tage der Verhüllung des Mondes wird er nach Hause kommen« (Mischlej 7:20). Die Ähnlichkeit der Worte »KESSE« - Verhüllung - und »KESSE« - Thron - deuten auf den Richterthron G'ttes hin, auf dem Er an diesem Tag sitzt, KESSE - Verhüllung - ist auch eine Andeutung auf die Barmherzigkeit G'ttes, dass Er an diesem Tag unsere Schuld verhüllen und unsere Sünden gnädig verbergen möge.
Alles wird an diesem Tag mit Verhüllung in Zusammenhang gebracht. Während alle anderen Festtage im Jahr zur Vollmondszeit fallen, oder davor oder danach, fällt Rosch haShana auf den ersten des Monats, wenn der Mond noch verhüllt ist. Symbolisch wird auch das Volk Israel mit dem Mond verglichen, denn es strahlt an seinen Schabbat- und Festtagen in vollem Glanz. An Rosch haShana jedoch zieht es sich in Ehrfurcht vor dem grossen Tag des Gerichts zurück. Auch der Allmächtige breitet über Sein Volk eine Hülle, verbirgt damit seine Sünden und gewährt ihm dann Verzeihung und Vergebung. (Siehe Pesikta Rabbati, 40)
Auch in der Tora selbst ist das Wesen, der Charakter des Jom Hadir, des Tags des Gerichtes, nicht ausdrücklich erwähnt. Er ist eher verhüllt angedeutet, damit die Teschuwadie Rückkehr zu G'tt - nicht nur auf diesen einen Tag beschränkt bleibe, sondern, dass der Mensch auch während des Jahres die Möglichkeit zur Teschuwa ergreife. Auch soll dem Satan - dem Behinderer - der genaue Zeitpunkt »verhüllt« bleiben, damit er nicht als Ankläger erscheine. Aus diesem Grund pflegt man auch kein »BIRKAT HACHODESCH« - die Neumondsverkündung - am Schabbat vor Rosch haShana zu machen, wie sonst für alle anderen Monate Brauch ist.
Rosch haShana - zwei Tage
Rosch haShana wird zwei Tage lang gefeiert, am ersten und am zweiten Tischri, obwohl in der Tora nur von einem Tag die Rede ist: »Im siebten Monat, am ersten Tag des Monats soll euch Ruhetag sein, Gedenken des Teruatones, Tag der heiligen Berufung« (Wajikra 23:24).
Die Bestimmung, Rosch haShana zwei Tage lang zu feiern, wurde schon von den Newi'im Rischonim - den ersten Propheten festgelegt (Jeruschlami, ERUWin, Perek 3 Halacha 9). Der Grund dafür ist die Tatsache, dass der Monat durch Zeugenaussage vom Obersten Gerichtshof ausgerufen und geheiligt wurde. Diese Zeugen mussten das Erscheinen des »Molad« - des Neumondes sehen und bestätigen, und so musste der Beginn des Monats Tischri sofort beim Eintritt der Nacht, nach dem 29. Elul, dem vorangehenden Monat, festgelegt werden, da die mögliche Ankunft von Zeugen am Morgen des nächsten Tages eine Heiligung des Vortages verursachen könnte. Kamen solche Zeugen, dann war dieser selbe Tag »Kodesch« - heilig, und der nächste Tag wäre dann »ChoP«, ein gewöhnlicher Wochentag. Wenn aber keine Zeugen kamen, so wäre der darauffolgende Tag automatisch als »Kodesch« erklärt worden, und der vorherige Tag wäre dann ein gewöhnlicher Wochentag gewesen. Damit nun die Heiligkeit des ersten Tages des Zweifels wegen nicht missachtet werde, ordneten die Propheten an, dass Rosch haShana immer zwei Tage lang gefeiert werden müsse. Werkverbot, Schofarblasen und Gebetsordnung, sowie alle anderen Einzelheiten der Festordnung sind für beide Tage bindend. Beide Tage zusammen werden »DOMA ARICHTA« - langer Tag -genannt, das heisst, dass zweimal vierundzwanzig Stunden als ein geheiligter Tag gerechnet wird. Jedoch bei der Vorbereitung der Mahlzeiten werden sie als zwei Tage betrachtet, es ist also nicht erlaubt, von einem Tag auf den nächsten Tag zu kochen.
Tag der Anfänge
Der erste Tischri ist, nach Rabbi Elieser, der Tag, an dem G'tt den Menschen geschaffen hat als Krönung der Schöpfung (Rosch haShana 10a). Ebenso sagt Rabbi Elieser, dass unsere Stammväter im Tischri geboren wurden, da sie Anfang für eine Welt waren, die bisher sündhaft war. Am Rosch haShana wurden Sara, Rachel und Chana bedacht. Sie waren vorher kinderlos, doch von diesem Tag an schenkte ihnen G'tt die Hoffnung auf Kindersegen.
Am Rosch haShana wurde Josef aus dem Gefängnis entlassen, in dem er zwölf Jahre lang unschuldig eingesperrt war. Von diesem Tag an begann sein Licht zu leuchten.
Am Rosch haShana wurde der Sklaverei unserer Väter in Ägypten ein Ende gesetzt, und so wurde der Tag der Anfang der Erlösung.
Schon am ersten Rosch haShana der Welt, an dem Tag, an dem der Mensch erschaffen wurde, sind die Begriffe von Gericht und Vergebung gegenwärtig. Unsere Weisen sagen, dass an jenem Tag Adam G'ttes Gebot in bezug auf den Baum des Wissens übertreten hat und dafür gerichtet wurde. Aber auch Verzeihung wurde ihm zuteil. Dies sei ein Zeichen für deine Kinder, sagt G'tt zu ihm; genau wie du an diesem Tag verurteilt wurdest, aber dir auch vergeben wurde, so werden auch deine Kinder an diesem Tag gerichtet werden, aber auch Verzeihung erhalten (Psikta Deraw Kahana, Bachodesch Haschewi'i).
»LO A'D'U ROSCH...« Tage, an denen Rosch haShana nie beginnt
Der erste Tag Rosch haShana kann nur auf Montag, Dienstag, Donnerstag oder Schabbat fallen, niemals jedoch auf Sonntag, Mittwoch oder Freitag. Dies ist eine »Takkanat Chachamim« - eine Anordnung unserer Weisen. Dies wird im Kapitel über das Kalenderjahr noch genauer erklärt.
Der Rambam - Maimonides - schreibt: Die Mehrzahl der Bewohner des Landes Israel pflegten den »Vom Tow« - Feiertag von Rosch haShana des Zweifels wegen zwei Tage lang zu begehen, denn sie wussten nicht, auf welchen Tag der Gerichtshof den Monatsanfang festgesetzt hatte, da ja die Boten am Feiertag selbst nicht herausgingen. Fernerhin, sogar in Jeruschalajim, Sitz des Gerichtshofes, wurde Rosch haShana zwei Tage lang gefeiert. Wenn nämlich die Zeugen während des 30. noch nicht erschienen waren, wurde der Tag in Erwartung der Zeugen als heilig erklärt, und auch der nächste Tag war geheiligt. Da man zwei Tage lang feierte, auch wenn Augenzeugen vorhanden waren, setzte man fest, dass Rosch haShana sogar in Erez Jisrael zwei Tage lang gehalten werden müsse, selbst heute, obwohl der Monatsbeginn durch Berechnung festgelegt wird. Daraus lernt man, dass der zweite Tag Rosch haShana heutzutage »Midiwrej Sofrim« - eine Anordnung der Sofrim ist«. (Hilchot Kiddusch Hachodesch, Kap. 5, 7)
Es besteht nun ein Unterschied zwischen der Zeit, da man die Monate durch Augenzeugen festgelegt hat, und zwischen der heutigen Zeit. Als der Monat noch durch Augenzeugen geheiligt wurde, und die Zeugen, die den Neumond gesehen hatten, nicht zur rechten Zeit erschienen waren, war der erste Tag von Rosch haShana »Miderabbanan« - als Anordnung der Weisen bestimmt, der zweite Tag jedoch, der erste Tischri, »Min Hatora« - als Toragesetz festgesetzt. Heute jedoch, da die Monate und Feiertage durch Berechnungen festgelegt werden, und der erste Tag von Rosch haShana immer auf den ersten Tischri fällt, gilt der erste Tag »Min Hatora« und der zweite »Midiwrej Sofrim«.
Der Tag des Gerichtes
Rosch haShana ist der Tag des Gerichtes für alle Sterblichen dieser Welt. An diesem Tag wird der Mensch gerichtet, und alles was ihm im kommenden Jahr geschieht, wird an diesem Tag bestimmt. Denn so heisst es: »Die Augen G'ttes, Deines G'ttes, sind stets auf es (das Land) gerichtet vom Anfang des Jahres bis zu seinem Ende« (Dewarim 11:12). »Am Beginn des Jahres wird geurteilt, was am Ende sein soll!« (Rosch haShana 8a) Auch von der Art und Weise, wie G'tt Sein Volk beurteilt, sprechen unsere Weisen. Zur gleichen Zeit werden alle Menschen zusammen gerichtet, doch werden die Taten eines jeden einzelnen genau geprüft. »Alle Bewohner der Welt ziehen an Ihm vorüber wie Schafe - Kiwnej Maron« (Rosch haShana 16a). So steht auch in den Psalmen: »Er, der ihr Herz gemeinsam bildet, der alle ihre Taten versteht« (Tehillim 33:15). G'tt, der Schöpfer, sieht in die Herzen eines jeden zu gleicher Zeit und versteht alle ihre Taten.
Rabbi Kruspedai sagte im Namen von Rabbi Jochanan: »Drei Bücher werden am Rosch haShana geöffnet: Das eine für Bösewichte, - RESCHA'IM GEMURIM - eines für die Gerechten - ZADDIKIM GEMURIM, und eines für die Mittelmässigen - BEJNONIM. Die ZADDIKIM GEMURIM werden sofort ins Buch des Lebens eingeschrieben und besiegelt. Die RESCHA'IM GEMURIM werden sofort eingeschrieben und zum Tode verurteilt. Die BEJNONIM aber erhalten eine Frist bis Jom Kippur, dem 10. Tischri. Wenn sie es verdient haben, d.h. wenn sie sich zur Rückkehr besonnen haben, werden auch sie in das Buch des Lebens eingeschrieben. Wenn aber nicht, sind auch sie zum Tode verurteilt. (Rosch haShana 16b)
Aus zwei Gründen wird Rosch haShana als Tag des Gerichts betrachtet. Erstens, weil an diesem Tag die Schöpfung vollendet wurde, und weil es G'ttes Plan war, die Welt mit »MIDDAT HADIN« - mit Recht und Gerechtigkeit zu regieren. Zweitens, und dies wurde schon vorher erwähnt, weil an diesem Tag der erste Mensch gerichtet wurde, seine Schuld einsah, Teschuwa tat und G'tt ihm verzieh.
Diese beiden Gründe werden auch im Mussafgebet von Rosch haShana erwähnt: »Denn ein Gesetz des Gedächtnisses bringst Du, da Du jeden Geist und jede Seele aufzählst. So bedenkst Du eine Fülle von Taten und unzählige Geschöpfe bringst Du in Erinnerung, ohne Ende. Von jeher schon hast Du dieses wissen lassen, und von Anfang an hast Du dies enthüllt. Dies ist der Tag des Beginns Deiner Werke, es ist Erinnerung an den ersten Tag.« Somit ist dieser Tag Erinnerung an die Vollendung der Schöpfung und gleichzeitig Erinnerung an den ersten Tag des Gerichts. Unsere Weisen fügen hinzu: Komme und schau: G'ttes Wege sind nicht die Wege von Fleisch und Blut. Der Mensch aus Fleisch und Blut richtet seinen Freund in einer günstigen Zeit, wenn er ihm wohlgesinnt ist. Den Feind hingegen richtet er, wenn er noch zornig auf ihn ist, um ihn mit Strenge zu verurteilen. Nicht so G'tt: Er richtet die ganze Welt auf einmal, und es sind auch diejenigen mit inbegriffen, die Seinen Willen nicht beachten, also alle zusammen in einer günstigen Zeit, nämlich im Monat Tischri. In diesem Monat gibt es so viele Feste und so viele Mizwot zu erfüllen. Sie bieten somit Gelegenheit, die innige Verbindung zwischen Ihm und Seinen Geschöpfen wiederherzustellen. So kann sich der Mensch im Gebet und durch Rückkehr wieder zu Ihm wenden. G'tt wird Sich auch ihnen wieder in Liebe zuneigen.
Schuld und Verdienste des Menschen auf der Waage
Jeder Mensch hat Verdienste aber auch Schuld. Sind die Verdienste grösser als die Schuld, so spricht man von einem Zaddik - einem Gerechten. Ist die Schuld grösser als die Verdienste, so nennt man ihn Rascha-einen Bösen. Ist beides im Gleichgewicht, so spricht man von einem Bejnoni - einem Mittelmässigen.
Das gleiche gilt auch für Länder. Sind die gemeinsamen Verdienste der Bewohner grösser als ihre Schuld, ist es ein gerechtes Land. Ist die Schuld grösser als die Verdienste, ist es ein schändliches Land. All dies bezieht sich auch auf die ganze Welt.
Ist die Schuld eines Menschen grösser als seine Verdienste, muss er sofort, wegen seiner Sünden sterben, denn es steht geschrieben: »AL ROW AWONCHA - wegen der Überzahl deiner Schuld...« (Hoschea 9). Ist die Schuld eines Landes grösser als seine Verdienste, so ist es dem Untergang geweiht, denn es steht geschrieben: »SA'AKAT SEDOM WA'AMORA KI RABBA - das Wehgeschrei von Sedom und Amora ist gross« (Bereschit 18:20). Dies gilt auch für die ganze Welt, denn es steht geschrieben: »WAJAR HASCHEM KI RABBA RA'AT HA'ADAM - und G'tt sah, dass das Böse der Menschen gross war« (Bereschit 6:5).
Das Ausschlaggebende ist hierbei nicht das Zahlenmässige, sondern das Ausmass des Guten und des Bösen. Es gibt Verdienste, die schwerer wiegen als eine grosse Anzahl von Sünden, so wie es heisst: »JA'AN NIMZA BO DEWAR TOW - an ihm, von dem Haus Jerowams, Gutes wurde gegenüber G'tt« (Melachim I, 14:13). Aber auch umgekehrt kann eine Schuld schwerwiegender sein als viele Verdienste, denn es steht geschrieben: »WECHOTE ECHAD JEABBEJD TOWA HARBE - und ein Sünder lässt viel Gutes verlorengehen« (Kohelet 9:18). Nur G'tt, dessen Wissen allumfassend ist, kann entscheiden, welche Wertmassstäbe anzulegen sind, wenn es darum geht, Schuld und Vergehen abzuwägen.
Darum sollte sich jeder Mensch während des ganzen Jahres so betrachten, als sei er halb schuldig und halb verdienstreich. Auch die Welt sollte er so betrachten. Wenn er sich dann durch irgend eine Tat schuldig macht, so hat er nicht nur die Waagschale seines eigenen Schicksals belastet, sondern die der ganzen Welt, und könnte so deren Zerstörung verursacht haben, genau wie den Verlust seines eigenen Lebens. Hat er hingegen eine Mizwa erfüllt, so ist es möglich, dass er das Zünglein der Waage für sich selbst und für die ganze Welt entscheidend bewegt hat, und zu seiner Errettung, so wie auch zur Rettung der ganzen Welt beigetragen hat. So steht geschrieben: »WEZADDIK JESSOD OLAM - und der Gerechte ist der Grundpfeiler der Welt« (Mischlej 10:25). Wer das Rechte tut, hat für die ganze Welt Verdienst errungen und sie gerettet (Rambam Hilchot Teschuwa Kap. 3:1-5).
Was bedeutet »Tag des Gerichts« ?
Unsere Weisen sagen, dass den Menschen am Rosch haShana nicht der Gerichtsspruch erteilt wird, ob sie des GAN EDEN würdig werden oder OLAM HABA - die zukünftige Welt - verdient haben oder nicht. Das Urteil, das am Rosch haShana gefällt wird, bezieht sich nur auf die Dinge dieser Welt, ob der Mensch es verdient, in Frieden zu leben, oder ob er leiden oder gar sterben muss. Im Traktat Rosch haShana sagen unsere Weisen: Dies ist der Tag, an dem Dein (G'ttes) Werk begann, Erinnerung an den ersten Tag. »KI CHOK LEJISRAEL HU - denn es ist Gesetz für Israel, Rechtspruch für den G'tt Jaakows.« Für die Staaten wird ebenfalls beschlossen, welches Land Krieg führen muss und welches in Frieden leben kann; welches Hungersnot erleiden muss und welchem Überfluss beschieden ist. An ihm werden die Geschöpfe bedacht, um sie an Leben und Tod zu erinnern. Und so wird berechnet: Am Rosch haShana werden die Handlungen des Menschen gewogen, es wird dann eingeschrieben und besiegelt, ob er in dieser Welt Verdienste hat oder ob er Schuld auf sich geladen hat. Nach seinen Taten in dieser Welt erhält er den Anteil, der ihm gebührt. Erst wenn der Mensch stirbt und in seine ewige Heimat gerufen wird, werden seine Taten gewogen und die Entscheidung gefällt, ob er sich für die »Welt der Seelen« würdig erwiesen hat (Ramban, zitiert von Awudraham).
Sogar wenn ein Mensch das ganze Jahr hindurch gesündigt hat, soll er nicht verzweifeln, denn er hat die Möglichkeit zur Teschuwa - zur Rückkehr-, er kann immer den rechten Weg einschlagen, bevor er zum Gericht kommt. Er muss nur im innersten Herzen daran glauben, dass er imstande ist, das Zünglein an der Waage zu seinen Gunsten und zugunsten der Welt zu bewegen. Aus diesem Grund ist es auch Sitte, dass man zwischen Rosch haShana und Jom Kippur mehr Wohltätigkeit übt und sich bemüht, Mizwot und gute Taten zu tun, mehr als an allen anderen Tagen des Jahres.
»Ein Mensch wird nur in bezug auf seine augenblicklichen Taten beurteilt« (Rosch Haschana 166). Auch wenn er während des ganzen Jahres in Sünde versunken war, wird G'tt Zeugnis aussagen, dass Israel Seinen Willen ausführen will. Wenn es am Tag des Gerichts Reue zeigt und zurückkehrt, um G'ttes Willen zu erfüllen, dann wird es beurteilt für das, was es augenblicklich ist.
Ein Feiertag, an dem kein Hallel gesagt wird
Da Rosch haShana Tag des Gerichts ist, soll jeder Mensch g'ttesfürchtig sein, da er sich ja vor Seinem Gericht zu verantworten hat. Er sei nicht leichtsinnig und lasse sich von nichts ablenken, damit er sich ehrfurchtsvoll und bangend vor das Gericht stellt.
In diesen Tagen ist das Volk Israel so sehr vor Furcht vor dem g'ttlichen Urteil erfüllt, dass es am Rosch haShana kein Hallel sagt, obwohl Rosch haShana ein Feiertag ist. Israel sagt nur Hallel, wenn sein Herz von Freude erfüllt ist, aber an den Tagen des Gerichts ist das Zittern grösser als die Freude. Darum sagt man kein Hallel.
»Die diensthabenden Engel sagten vor G'tt: Herr der Welt, warum sagt Israel kein Hallel am Rosch haShana und am Jom Kippur? Da antwortete Er ihnen: Wenn der König zu Gericht sitzt, und die Bücher des Lebens und des Todes vor Ihm geöffnet sind, kann Israel dann ein Loblied singen?« (Rosch Haschana 32b)
Trotz alldem sollte der Mensch nicht traurig sein, wenn er vor Gericht steht, er soll sich die Haare scheren, sich waschen zu Ehren des Festes und Feiertagskleider anziehen, um damit zu zeigen, dass G'tt uns ein gerechtes Urteil sprechen wird. Darum weinen wir auch nicht am Rosch haShana. (Während des Gebetes jedoch ist es erlaubt zu weinen. Es gibt Fromme, die während des Gebetes an den Hohen Feiertagen Tränen vergiessen. Sie weinen wie kleine Kinder, um die Barmherzigkeit des Himmels zu erwecken. Auch wenn wir glauben, weise und einsichtig zu sein, so sind wir doch vor dem Heiligen, gelobt sei Er, wie kleine Kinder, die sich nicht schämen, vor ihrem Vater zu weinen, wenn sie etwas von ihm erbitten wollen.)
Esra, der Schriftgelehrte, pflegte immer am ersten Tischri eine Toravorlesung vor der Gemeinde zu veranstalten. Das Volk, beeindruckt von den eindringlichen Worten der Tora, begann zu weinen. Esra und Nechemja sprachen zu ihnen: »AL TITABLU WEAL TIWKU... - seid nicht traurig und weinet nicht! ... Gehet und esset das Fette und trinket das Süsse und sendet auch denen davon, die nichts vorbereitet haben, denn dieser Tag ist heilig unserem Herrn. Seid nicht traurig, denn die Freude G'ttes ist eure Stärke« (Nechemja 8:9-10).
»UMI GOI GADOL... Und welches ist ein grosses Volk? Das gerechte Gesetze und Rechtsordnungen hat, wie diese ganze Lehre, die Ich euch heute vorlege« (Dewarim 4,8). »Wer gleicht einer solchen Nation? In der ganzen Welt ist es Sitte, dass man am Tag des Gerichts dunkle Kleider anlegt und sein Haupt in Schwarz hüllt, denn man weiss ja nicht, wie das Urteil ausfällt. Bei Israel ist dies aber nicht so, sie legen weisse Gewänder an, hüllen ihr Haupt in Weiss, essen, trinken und sind fröhlich. Sie wissen, dass der Heilige, gelobt sei Er, ihnen Wunder tut« (Jeruschalmi, Rosch Haschana Kap. l, Halacha 3).
Die erste Nacht von ROSCH HASHANA
Am ersten Abend von ROSCH HASHANA, nach dem Abendgebet wünscht einer dem andern ein gutes Jahr. Man sagt: »LESCHANA TOWA TIKKATEW WETECHATEM LEALTAR LECHAJIM TOWIM« - Mögest du eingeschrieben und besiegelt werden, sofort, für ein gutes Leben. (Zu einer Frau sagt man ... TIKKATEWI WETECHATEMI.... ). Warum wird die gleiche Wunschformel nicht auch am nächsten Tag wiederholt? Zaddikim Gemurim - die vollkommenen Gerechten - werden ja sofort zum guten Leben eingeschrieben. Würde man die gleiche Formulierung wie am Vorabend anwenden, könnte dies bedeuten, dass der so Angesprochene kein ZADDIK GAMUR ist. Es soll jeder seinen Mitmenschen als einen ZADDIK GAMUR betrachten, sogar wenn dies nicht so scheint. Denn der Mensch beurteilt nur nach dem äusseren Eindruck, G'tt aber schaut ins Herz. Es könnte ja sein, dass diese Person Teschuwa in ihrem Herzen getan hat, dann wäre sie in der Tat ein ZADDIK GAMUR!
Unsere Weisen, ihr Andenken sei zum Segen, sagten: »Simana Milta Hi - Zeichen haben eine Bedeutung«. So ist es am ersten Abend von ROSCH HASHANA Sitte, während der Mahlzeit verschiedene Speisen zu essen, die durch ihre
Beschaffenheit oder ihren Namen eine symbolische Bedeutung für ein gutes, angenehmes Jahr haben. Darum wird die Challa, über die man Hamozi macht, in Honig getaucht. Hat man davon die vorgeschriebene Menge - von der Grösse einer Olive - gegessen, so nimmt man einen Süssapfel und taucht auch diesen in Honig ein. Man spricht dann zuerst den Segensspruch »BARE PERI HA'EZ«, isst davon und anschliessend »JEHI RAZON ... Es sei Dein Wille unser G'tt und G'tt unserer Väter, dass ein gutes und süsses Jahr für uns erneuert werden möge.« Man soll dies erst nach dem Genuss des Apfelstückchens sagen, damit keine Unterbrechung zwischen der Beracha »BARE PERI HA'EZ« und dem Genuss der Frucht entsteht.
Nun werden verschiedene Gemüsesorten verzehrt, deren Namen im Hebräischen oder auch in anderen Sprachen Andeutung und Symbolik für ein gutes neues Jahr sein könnten.
Hier einige Beispiele: Lauch, aramäisch: KARTI - SCHEJIKARTU OJEWECHA - es mögen Deine Feinde ausgerottet werden ....
Rüben - SCHEJIRBU SECHUJOTENU - unsere Verdienste mögen grösser werden.
Silka, aramäisch für Mangold - SCHEJISTALKU OJEWEJNU - mögen unsere Feinde verschwinden.
Karotten, hebräisch: Geser - SCHETIKRA ROA GESER DINEJNU - Du mögest die Härte unseres Urteils zerreissen.... Man pflegt auch den Kopf eines Fisches zu essen, denn erstens sind Fische Symbol für Segen, und beim Geniessen des Kopfes sagt man: »Es sei Dein Wille, dass wir zum Kopf werden und nicht zum Schwanz«, d.h. wir wollen die ersten sein und nicht die letzten.
Man bemühe sich, an diesem Tag nicht zornig zu sein, denn Zornausbrüche werden, auch während des ganzen Jahres, von unseren Weisen als schwerwiegendes, strafbares Vergehen bezeichnet. Doch am ROSCH HASHANA soll der Mensch sich besonders davor hüten. Vielmehr soll er seiner Freude Ausdruck geben. Sein Herz sei erfüllt von gutem Willen und Liebe, als gutes Zeichen für ihn.
Man soll am ROSCH HASHANA keine Nüsse essen, da sie Reiz im Hals hervorrufen und dies könnte beim Beten störend wirken. Ausserdem ist der Zahlenwert des Wortes »Egos« - Nuss - gleich dem Zahlenwert von »Chet« - Sünde. Es ziemt sich an diesem heiligen Tag nicht, dieses Wort zu erwähnen. Toravorlesung am Rosch haShana
Beim Ausheben der Tora sagt man »Wajehi Binsoa...«und auch die »13 Attribute«: Haschem, Haschem Kel Rachum Wechanun.... Wenn Rosch haShana auf Schabbat fällt, wird letzteres nicht gesagt. Am Rosch haShana werden die üblichen Verse zum Ausheben der Tora gesagt, nur wird bei dem Vers »Echad Elolkejnu...« das Wort »Nora -Ehrfüchtiger« hinzugefügt. Es werden zwei Torarollen ausgehoben, aus der einen liest man: »Wahaschem Pakad Er Sara« - die Erzählung von der Geburt Jizchaks (Bereschit 21). Es werden 5 Personen aufgerufen. Aus dem zweiten Sefer wird der Text über die Opfer des Festes vorgelesen (Bamidbar 29:1-6). Als Haftara liest man Schmuel 1 1-2:10. Sie enthält den Bericht über die Geburt Schmuels, denn auch Chana wurde, wie Sara, am Rosch haShana bedacht. Auch Chanas Dankgebet ist in der Haftara enthalten. Die neun Segenssprüche des Mussafgebetes von Rosch haShana sind nach diesem Gebet aufgebaut. (Pesikta Rabbati)
Am zweiten Tag werden ebenfalls fünf Personen aufgerufen. Man liest die »Akeda-die Bindung Jizchaks« (Bereschit 22). Jizchaks Opferbereitschaft soll Fürsprecher für seine Nachkommen an diesem Tag sein. Aus dem zweiten Sefer liest man wieder über die Opfer des Festtages. Die Haftara stammt aus Jirmijahu 31:5-20. Diese Haftara enthält eine Schilderung unserer Stammutter Rachel, die sich weinend weigert, Trost für ihre aus dem Land verbannten Kinder anzunehmen. Auch die Verdienste der Wüstengeneration werden erwähnt, die dem jüdischen Volk beistehen sollen an diesem Tag des Gerichts, G'ttes Erbarmen zu wecken.
Das Schofarblasen
Es wurde uns von der Tora geboten, am Rosch haShana Schofar zu blasen: »Uwachodesch Haschewi'i... und im siebten Monat, am ersten des Monats, Ruf zum Heiligtum sei euch. Keinerlei Werk dürft ihr verrichten, ein Tag der Terua - des erschütternden Tones - soll er euch sein« (Bamidbar 29:1). Rambam in seinen Hilchot Teschuwa, Kap. 3:4 sagt in diesem Zusammenhang: »Obwohl das Schofarblasen am Rosch haShana eine g'ttliche Anordnung der Tora ist, ist darin auch eine Andeutung enthalten: Wachet auf, ihr Schläfer aus eurem Schlaf, erwachet aus eurem Schlummer. Erforschet eure Taten, kehret zurück und erinnert euch an euren Schöpfer. Ihr, die ihr die Wahrheit durch die Nichtigkeiten der Zeit vergessen habt, ihr, die ihr während des Jahres durch Sinnlosigkeit und Leere, die weder Nutzen noch Rettung bringen können, gefehlt habt, schaut in die Tiefen eurer Seele, bessert eure Wege und eure Handlungen. Ein jeder von euch verlasse seinen schlechten Weg und seine Gedanken, die nicht gut sind.«
Rabbi Sa'adja Hagaon erwähnt zehn Gründe für das Schofarblasen:
1) An diesem Tag hat G'tt die Schöpfung vollendet und wurde König über Seine Welt. Jeder König lässt mit Posaunenschall verkünden, dass seine Herrschaft beginnt. Auch wir setzen den Schöpfer, gelobt sei Er, an diesem Tag zum König ein.
2) Rosch haShana ist der erste der AsseretJemej Teschuwa - der zehn Busstage. Man lässt den Schofarton erschallen, um uns zu warnen: Wer zurückkehren will, der tue es. Wer aber nicht, der erhebe keine Selbstanklage. Auch Könige warnen ihre Untertanen vor Antritt ihrer Regierungszeit, ihren Verordnungen Folge zu leisten, und wer die Gesetze übertritt, soll sich nicht beklagen.
3) Der Schofarton soll die Offenbarung am Sinai in Erinnerung bringen, denn dort heisst es: »WAJEHI KOL HASCHOFAR HOLECH WECHASEK MEOD - und der Schofarton wurde immer stärker...« (Scheurot 19:19). So wollen auch wir, wie unsere Väter, der Bereitschaft von »NA'ASSE WENISCHMA - wir wollen hören und tun« - Ausdruck geben, die Gesetze der Tora einzuhalten.
4) Der Schofarton erinnert uns auch an die Botschaft der Propheten, die mit Schofarblasen verglichen wird: »WESCHAMA HASCHOMEA ET KOL HASCHOFAR... - wer den Schofarton hört, und sich nicht warnen lässt und das Schwert kommt und rafft ihn hinweg, so kommt sein Blut über sein Haupt ... wer sich aber warnen lässt, der wird mit dem Leben davonkommen.« (Jecheskel 33:4-5)
5) Der Schofarton ruft die Zerstörung des Tempels in Erinnerung, den Teruaton des Krieges unserer Feinde. Wenn wir das Schofar hören, bitten wir G'tt, unser Heiligtum wieder aufzubauen.
6) Wenn man den Schall des Widderhornes hört, wird man an die »AKEDAT JIZCHAK - die Bindung Jizchaks« erinnert. Jizchak war bereit, sein Leben für G'tt hinzugeben, doch der Widder wurde an seiner Stelle geopfert. Auch wir sind bereit, unser Leben für die Heiligkeit Seines Namens hinzugeben, und so möge Er uns zum Guten gedenken.
7) Wenn wir den Schofarton hören, soll uns Ehrfurcht und Zittern ergreifen. Wir sollen uns vor unserem Schöpferdemütigen. Denn dies ist die Wirkung des Schofars: Zittern und Beben zu veranlassen. So wie es heisst: »IM JITTAKA SCHOFAR BEIR... - Wenn das Schofar in der Stadt geblasen wird, soll etwa das Volk nicht erschrecken?« (Amos 3:6)
8) Der Schofarton lässt uns an den JOM HADIN HAGADOL - den Tag des grossen Gerichtes denken. So wie es heisst: »KAROW JOM HASCHEM HAGADOL... - Nahe ist der Tag G'ttes, der grosse, sehr nah und sehr bald.... Es ist ein Tag von Schofarund Teruaton...« (Zefanja 2:14-16).
9) Der Schofarton lässt uns an »Kibbuz Galujot- das Wiedereinsammeln der Zerstreuten« denken und unsere Hoffnungen erwecken. So wie es heisst: »WEHAJA BAJOM HAHU JITTAKA BESCHOFAR GADOL... - und es wird sein an jenem Tag, da wird man in ein grosses Schofar blasen, da werden die Verlorenen aus dem Land Aschur kommen und die Verstossenen aus dem Land Mizrajim...« (Jeschajahu 27:13).
10) Der Schofarton erinnert uns an die Wiederbelebung der Toten, und verstärkt unsere Glaubensgewissheit daran. So wie es heisst: »KOL JOSCHWEJ TEWEL WESCHOCHNEJ AREZ... -alle, die ihr auf Erden wohnet, und die ihr im Land sitzt, werdet sehen, wie man die Paniere auf den Bergen erhöht, und wie man ins Schofar bläst, werdet ihr vernehmen...« (Jeschajahu 18:3).
Der Tag des Teruatones
Die Tora nennt den Tag des ersten Tischri: »JOM TERUA - den Tag des Teruatones«, nicht »JOM TEKIA«. Dies deutet auf Herzeleid hin, (die genaue Übersetzung von Terua ist: »gebrochener Ton«). Er ruft Gefühle der Reue und der Rückkehr der Sündhaftigkeit hervor. Wer seine Sünden bereut, weint, seufzt und bereut seine Fehler. Man nimmt sich vor, sie nicht Wiederzutun. So ist »JOM TERUA« ein Tag des zerbrochenen Herzens, der zu Reue und Rückkehr aufruft. (Menorat Hamaor, Abschnitt 293:Seite 624. Mossad Haraw Kook)
Über das Schofarblasen und -hören
Wieviel Schofartöne ist man verpflichtet zu hören? Es müssen 9 Tekiot sein. Die Begründung ist in der Tora zu finden: Das Wort »TERUA« steht dreimal in der Tora, zweimal im Zusammenhang mit Rosch haShana (Wajikra 23:24 und Bamidbar 29:1) und einmal bezieht es sich auf Jom Kippur im Joweljahr (Wajikra 25:9). Nach der Überlieferung muss jeder TERUA eine TEKIA vorangehen. Auch ist es uns überliefert, dass alle TERUOT des siebten Monats sich gleichen, so dass sowohl am Rosch haShana als auch am Jom Kippur des Joweljahres je neun Töne geblasen werden: TEKIA, TERUA, TEKIA dreimal.
Die genaue Natur und Ausführung des Teruatones ist im Lauf der Jahrhunderte zweifelhaft geworden. Die Bedeutung des Wortes »TERUA« birgt Seufzen und Wimmern in sich, und zwar in dieser Reihenfolge, da ein Mensch bei einem Schicksalsschlag zuerst seufzt und dann, länger anhaltend, wimmert.
Das Seufzen wird mit dem »SCHEWARIM« und das Wimmern mit dem »TERUA« ausgedrückt.
Die Ordnung des Schofarblasens ist nun folgendermassen festgesetzt:
Der Schofarbläser sagt die Beracha. Dann ertönt: Tekia Schewarim-Terua Tekia Tekia Schewarim-Terua Tekia Tekia Schewarim-Terua Tekia Dies sind zwölf Schofartöne. Es folgen nochmals neun Töne:
Tekia Schewarim Tekia Tekia Schewarim Tekia Tekia Schewarim Tekia Dann ertönt: Tekia Terua Tekia Tekia Terua Tekia Tekia Terua Tekia
Dies sind wieder neun Töne,ingsgesamt 30. Mit dieser Anordnung durch die Varianten sind alle Zweifel das Wort »Terua« betreffend aus dem Weg geräumt ...(Rambam Hilchot Schofar, Kap. 3:1-4).
Diese 30 Schofartöne, die nach der Toravorlesung und vor dem Mussafgebet geblasen werden, nennt man »Tekiot Mejuschaw« - d.h. man dürfte diese Töne sitzend anhören, nur der Schofarbläser muss die Mizwa stehend ausführen. Dies im Gegensatz zu den »Tekiot Me'ummad«, die bei der Wiederholung des Mussafgebetes geblasen werden, und die man stehend anhören muss. Sie beschliessen jeweils die drei Gebetseinheiten: MALCHUJOT, SICHRONOT und SCHOFAROT.
Hundert Schofartöne
Es ist mit der Zeit zum Brauch geworden, im ganzen hundert Schofartöne zu blasen: Tekiot Schewarim und Teruot. Diese Zahl hundert wird mit den hundert Wehklagen der Mut ter Sisras in Zusammenhang gebracht: »Madua Boschesch Richbo Lawo... - Warum säumt sein Wagen anzukommen, warum zögern die Tritte seiner Gespanne?« (Schoftim 5:28) Ihr Weinen und Jammern wird in Deworas Lied mit 101 Buchstaben beschrieben, beginnend mit »Bead Hachalon« bis »Amareha La« (Schoftim 5:28 - 5:29).
Die Frage erhebt sich, welcher Zusammenhang zwischen den Schofartönen und den 101 Buchstaben besteht, und wenn ein solcher besteht, warum sind es dann nur hundert Töne, und nicht 101?
Die Schofartöne sollen Erbarmen bei G'tt erwecken für die Nachkommen Jizchaks, der auf dem Altar gebunden war. Das Schluchzen von Sisras Mutter war ein Schluchzen der Grau samkeit. Wenn die Mutter ihren Sohn, den Krieger beweint, sollte sie dann nicht auch an all die anderen Mütter mitleidig denken, die wie sie ihre Söhne verloren haben? Die Mutter Sisras aber denkt nur an die Kriegsbeute, die ihr Sohn mit den andern Soldaten teilt: »HaloJimze'uJechalku Schalal... finden sie nicht Beute und verteilen sie?« (ibid. 5:30) Diese Gedanken vertreiben ihren Schmerz! Gibt es grössere Grausamkeit als diese? So sollen denn die 100 Schofartöne des Erbarmens die 100 Wehgeschreie der Grausamkeit zunichte machen. Ausser einem, dem einen Wehgeschrei des Erbarmens, das sogar bei der grausamsten Mutter zu finden ist, die ihren Sohn beweint!
Die letzte Tekia nach jeder Serie der Tekiot wird lang hinausgezogen, eine »Tekia Gedola«. Unsere Weisen sagen, dass durch den verlängerten Ton der Satan - der Hinderer - verhindert werde zu kommen, um Jisrael nach dem Gebet anzuklagen, weil es dann isst, trinkt und fröhlich ist und es so aussieht, als ob es keine Furcht vor dem g'ttlichen Gericht hätte.
Das Schofarblasen - allerletzter Schutz
Der Maggid aus Dubno erzählt folgendes Gleichnis: Ein Wanderer verirrte sich einst in einem Wald, in dem es wilde, reissende Tiere gab. Er hatte Pfeil und Bogen zu seinem Schutz dabei. Immer, wenn er von weitem eine Gestalt sah, dachte er, es seien Bären, Wölfe oder Löwen. Jedesmal, wenn er glaubte, ein wildes Tier zu sehen, schoss er einen Pfeil ab, doch wurde es ihm bald gewahr, dass er seine Geschosse nur auf seine Hirngespinste vergeudet hatte. Am Ende blieb ihm nur noch ein einziger Pfeil übrig. Diesen bewahrte er mit Bedacht, denn er wusste, dass dieser Pfeil ihm in der Gefahr Lebensretter sein würde.
Welche Lehre können wir aus diesem Gleichnis ziehen? ... Als wir noch in der g'ttlichen Stadt, auf dem Berg Seiner Heiligkeit weilten, standen viele Dinge zur Verfügung, die uns Schutz boten: Der Tempel, der Altar, die Opfer und der Hohepriester. Wir fühlten uns sicher und geborgen, beschützt vor allen Gefahren. Aber heute steht uns nur eine einzige »Waffe« zur Verfügung: es ist dies das einfache, bescheidene Schofar. Darum müssen wir vorsichtig mit diesem umgehen, und uns seiner mit Weisheit und Umsicht bedienen.
Die Segenssprüche über das Schofarblasen
Jede Mizwa, die uns »BEJN ADAM LAMAKOM-in Beziehung zu G'tt« befohlen ist, sei sie von der Tora oder von unseren Weisen angeordnet, wird von einer entsprechenden Beracha einem Segensspruch - begleitet. Wir müssen G'tt dafür danken, und Ihn loben, dass Er uns mit diesen Mizwot heiligt, wenn wir sie ausführen. Unsere Weisen haben in der Tora Hinweise und Andeutungen dafür gefunden, keine Mizwa ohne Beracha zu erfüllen. Aber auch auf den gesunden Menschenverstand kann sich diese Anordnung stützen: Wir sagen eine Beracha beijeder sich im Moment bietenden Nutzniessung für eine augenblickliche Annehmlichkeit. Um wieviel mehr noch sind wir verpflichtet, G'tt für Dinge zu danken, die Ewigkeitscharakter tragen!
Dies ist die Formulierung der meisten Segenssprüche: »Gesegnet seist Du, G'tt, unser G'tt, König der Welt, der uns geheiligt hat mit Seinen Geboten ...«. Wir wenden uns an G'tt immer in der zweiten Person Singular »Du«. Am Schluss der Beracha aber sagen wir »Ascher Kiddeschanu... - der uns geheiligt hat«, also in der dritten Person. Warum ist dies so?
Wenn man zu segnen beginnt, wendet man sich direkt an den Angesprochenen. Die Anrede entspringt einem natürlichen Herzensbegehren. Dann aber erwachen Gefühle der Ehrfurcht und des Zitterns, denn schliesslich steht man doch vor dem König aller Könige, vor dem Heiligen, gelobt sei Er. Wie könnte man sich denn mit dem vertrauten »Du« an Ihn wenden? Darum beschliesst man die Beracha, fast sich entschuldigend: »...der uns mit Seinen Geboten geheiligt hat...« - wie könnte ich dann schweigen, und Ihn nicht segnen?
Über das Schofarblasen werden zwei Berachot gesagt: Eine über die Mizwa selbst:... »den Schofarton zu hören« und die zweite »SCHEHECHEJANU...der uns am Leben erhalten hat...« Das Schofarblasen ist eine seltene, nicht täglich auszuführende Mizwa. Es vergeht längere Zeit, bis man sie ausführen kann. Darum dankt man G'tt dafür, dann Er uns diese Zeit hat erreichen lassen, dass wir noch leben, so dass wir sie erfüllen können. Die erste Beracha nennt man »BirkatHamizwa-den Segensspruch über die Mizwa« selbst, die zweite, »Birkat SCHEHECHEJANU«. Sie wird immer nach der »Birkat Hamizwa« gesagt. Beide Berachot gehen der Ausführung der Mizwa voran. Man spricht den Segensspruch zuerst und erfüllt dann die Mizwa.
Die Mizwa, den Schofarton zu hören, ist für jedermann verbindlich, und muss nicht unbedingt »Bezibbur« - in der Gemeinschaft ausgeübt werden. Allein oder im gemeinsamen Gebet in der Synagoge - ist man verpflichtet Schofar zu blasen oder zu hören und die dazugehörigen Segenssprüche zu sprechen. Es ist vorzuziehen, diese Mizwa innerhalb der Gemeinschaft zu erfüllen, weil wir mit dem Schofarblasen G'ttes Königtum und Seine Herrschaft über das Weltall verkünden. So drücken wir unsere Dankbarkeit aus, dass Er mit Seinen gerechten Gesetzen die Welt regiert. »Berow Am Hadrat Melech... - wo ein König viel Volk hat, manifestiert sich Seine Herrlichkeit...« (Mischlej 14:28). Darum versammelt man sich in den Synagogen, und Leute aus den kleinen Ortschaften, in denen kein regelmässiger G'ttesdienst stattfindet, treffen sich in den grösseren Städten, wo einer für alle Schofar bläst. Der Schofarbläser sagt die Beracha und alle Anwesenden hören sie und richten ihre Gedanken darauf, die Mizwa des Schofarblasens und der Berachot in vorgeschriebener Weise zu erfüllen. Sowohl der Schofarbläser selbst, als auch die Zuhörer haben die Mizwa richtig erfüllt, wenn ihre Gedanken in voller Absicht darauf gerichtet sind. (Wenn man vergessen hat, »Amen« nach der Beracha zu sagen, so hat man die Mizwa trotzdem erfüllt, vorausgesetzt, dass man seine Gedanken darauf konzentriert hat.)
Zwischen der Beracha und dem Ende des gesamten Schofarblasens darf man nicht unterbrechen, sogar nicht mit einem einzigen Wort. Hat man dies jedoch getan, so muss man die Beracha nicht wiederholen.
Verse, die vor dem Schofarblasen gesagt werden
Vor dem Schofarblasen und den Berachot pflegt man das 47. Kapitel aus Tehillim siebenmal zu sagen: 'Wal Ha'amim Tik'u Chaf... ihr Völker alle, schlaget in die Hände...«, denn in diesem Psalm kommt der g'ttliche Name siebenmal vor, und zwar »Elokim« - der G'tt des Gerichts. Danach werden sieben zusätzliche Verse gesagt, die g'ttliches Erbarmen beinhalten:
»Min Hamezar Karati Kah...aus der Bedrängnis rief ich G'tt, und Er antwortete mir in der Weite G'ttes« (Tehillim 118:5). Hierauf folgen sechs andere Verse, deren Anfangsbuch staben die Worte »Kera Satan - Vernichte den Ankläger« ergeben: K-oli Schamata...R-osch Dewarcha...A-row Awdecha...Sa-ss Anochi...T(a)-uw Ta'am...N-idwot Pi...
Danach werden die Berachot gesagt und Schofar geblasen.
Der Sinn von »Schofar«
»Der Mensch ist verpflichtet sich am Rosch haShana beim Schofarblasen zu konzentrieren. Er soll sich ins Bewusstsein rufen, dass dies der Tag des Gerichts ist, und dass der Heilige, gelobt sei Er, auf dem Richterstuhl sitzt. Alle Menschen der Erde ziehen vor Ihm vorbei wie Lämmer, so wie der Hirte seine Schafe vorbeiziehen lässt. Er mustert sie und sagt: Dieses bleibt am Leben und dieses wird geschlachtet. So geht auch der Mensch am Rosch haShana vor dem Heiligen, gelobt sei Er, vorbei. All seine Taten sind in einem Buch aufgeschrieben, und werden vor dem Heiligen, gelobt sei Er, vorgelesen. Kein Mensch weiss, ob sein Richtspruch auf Leben oder Tod lautet. Darum soll der Mensch sich auf den Schofarton konzentrieren, denn dieser erinnert ihn daran, Teschuwa zu tun. Wenn er zu G'tt zurückkehrt, wird Er Erbarmen mit ihm haben und er wird am Tag des Gerichts freigesprochen werden.« (Menorat Hamaor)
»Im Midrasch Tehillim heisst es: Stosset in das Schofar, wenn der neue Monat kommt. Dazu sagt Rabbi Berachja im Namen von Raw Abba: Verbessert eure Taten, heiligt euer Tun! (Die Stammbuchstaben des Wortes Schofar Sch-F-R haben die Bedeutung von verbessern, verschönern). Wie ist denn die Beschaffenheit des Schofar? Man bläst in das eine Ende hinein und der Ton kommt am anderen Ende heraus. So sagt G'tt: Wenn auf der einen Seite alle Anklagen der Welt Mich erreichen, so höre Ich sie von der einen Seite an und hole sie von der anderen Seite heraus!« (Awudraham)
Am Schabbat bläst man kein Schofar
Trotzdem es eine grosse Mizwa ist, Schofar zu blasen, weil es die Krönung des Königs verkündet, und weil es bei der Gerichtsverhandlung zum Erbarmen aufruft, haben unsere Weisen angeordnet, am ersten Tag Rosch haShana kein Schofar zu blasen, wenn er auf Schabbat fällt. Diese Anordnung betont die Vorrangigkeit des Schabbat, denn der Schabbat würde entweiht wenn: das Schofar vier Ellen im öffentlichen Gebiet oder von Privatgebiet in ein öffentliches Gebiet, oder umgekehrt, getragen würde.
Die Gesetze des Schabbat sind so schwerwiegend, dass sogar die Möglichkeit der Entweihung durch einen einzelnen eine so bedeutende Mizwa wie das Schofarblasen für die Gesamtheit verdrängt. Dies gilt auch für Städte oder Ortschaften, in denen es erlaubt wäre, Gegenstände von einem Gebiet ins andere zu tragen - d.h., in denen es einen ERUW gibt.
Auf jeden Fall wird die Mizwa des Schofarblasens niemals aufgehoben, denn, wie schon erwähnt, wird Rosch haShana wie ein verlängerter Tag gerechnet, und so ist das Schofarbla sen am zweiten Tag gleichwertig wie das Blasen am ersten Tag. Wenn also das Schofarblasen am ersten Tag wegen Schabbat ausfällt, so ist mit dem Schofarblasen des zweiten Tages die Mizwa erfüllt. Da der zweite Tag Rosch haShana niemals auf Schabbat fallen kann, wird an ihm immer Schofar geblasen.
Bei der Verordnung, am Schabbat kein Schofar zu blasen, handelte es sich um jene Orte, an denen es kein Bejt Din - keinen Gerichtshof gab. Doch als der Tempel noch stand und es in Jeruschalajim noch ein Bejt Din Gadol - einen Hohen Gerichtshof gab, wurde in Jeruschalajim und seinen Vororten auch am Schabbat Schofar geblasen, nicht aber in den übrigen Städten Erez Jisraels.
Die Zeit des Schofarblasens
Die Zeit des Schofarblasens ist der Tag und nicht die Nacht, vom Sonnenaufgang bis zum -untergang. Es ist eine Mizwa, es so früh wie möglich auszuführen. Weshalb bläst man aber erst nach dem Morgengebet und nach der Toravorlesung, beim Mussafgebet und nicht beim Morgengebet? Dies beruht auf folgendem Geschehen:
Zur Zeit der Verfolgungen wurden die Juden verdächtigt, Krieg gegen ihre Feinde führen zu wollen. Die Juden hatten sich zum Schofarblasen in den Synagogen versammelt, und so dachten die Feinde, dass das Terua-Blasen eine Aufforderung zum Kampf sei. Darum wollten die Feinde die Juden töten. Aus diesem Grund wurde angeordnet, erst zu Mussaf Schofar zu blasen. Die Feinde, die sehen, dass die Juden im Gebet versunken sind, das Schema-Gebet verrichten und die Tora vorlesen und danach Schofar blasen, verdächtigen sie nicht des Aufruhrs und des Kampfes. Sie denken sich dann, dass das Schofarblasen zur Gebetsordnung gehört.
Ein anderer Grund für die Verschiebung des Schofarblasens bis zum Mussafgebet ist folgender: Die Feinde der Juden hatten ein Verbot ausgerufen, es dürfe kein Schofar geblasen werden. Als nun sechs Stunden des Tages vergangen waren und man keinen Schofarton vernommen hatte, gaben sie die Kontrolle auf, und man blies erst dann Schofar. Zwar ist heute die Begründung des späten Schofarblasens nicht mehr triftig, man hat es jedoch dabei belassen, weil die gleiche Situation noch einmal eintreten könnte.
... Fortsetzung folgt