Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
"Freier Wille" - Was genau soll das sein?
#1
Nachdem ich dieses argumentatorische Kleinod las:

(18-10-2009, 19:00)alwin schrieb: Wird hier vergessen, daß Gott nach dieser Religionssicht den Menschen mit freiem Willen ausstattete? Somit kann sich der Mensch auch gegen göttliches "Wunschdenken" stellen. Wenn der mensch eine Entscheidung trifft, ist der Mensch Versursacher der daraus entstehenden Konsequenzen und nicht Gott.

Habe ich mich nun entschlossen, dem geheimnisvollen Terminus des "freien Willens" ein eigenes Thema zu widmen. Denn: Nicht nur, dass z.B. das ganze christliche Glaubens- und Verkündigungsgebäude mit der Begrifflichkeit des "freien Willens" steht und ohne diese sogleich in sich zusammenfällt - selbst die meisten ethischen Argumentationen unserer Sozialisation, auch wenn sie sich selbst nicht mehr dezidiert christlich begründet sehen, setzen die Existenz jenes "freien Willens" als entscheidene Grundlage ihrer Urteilskriterien voraus.

Aus diesem Grunde taucht der "freie Wille" auch regelmäßig und unausweichlich bei der Diskussion der verschiedensten Themen auf, die das Feld der Ethik berühren, und genau darum ist es auch nur allzu berechtigt, diese wirklich schwerwiegende Begrifflichkeit auf die Belastbarkeit ihrer so oft als einfach mal gegeben gesetzten inhaltlichen Substanz zu hinterfragen.

Das Interessante dabei ist nun aber, dass sich fast immer, wenn man dies unternimmt, offenbart, dass der "freie Wille", so fundamental und zentral er in vielerlei argumentatorischer Hinsicht ist, er von denjenigen, welche ihre Argumenationen und Verkündigungen auf ihn gründen, kaum jemals ernsthaft kritisch durchdacht worden zu sein scheint. Statt dessen kommt auf das dezidierte Hinterfragen dieser Begrifflichkeit entweder lautstarker Protest, wie man sich erdreisten könne, eine solche Hinter-Frage überhaupt aufzuwerfen, oder es werden Wortnebel ins Land geblasen, welche von der eigentlichen konkreten Fragestellung ablenken sollen - oder aber es wird gleich grundsätzlich eine Diskussion über diese Frage mit mehr oder weniger kläglichen Null-Argumenten verweigert...:

(18-10-2009, 21:39)alwin schrieb: Und genau die Reaktion
Duree schrieb:Was soll der "Wille" genau sein? Und wovon genau soll er "frei" sein?
, zeigt mir, daß die Aussage nicht sachlich aufgenommen und in die bereits genannte Richtung abgedrängt werden soll.


Um den Begriff "freier Wille" unmissverständlich und sinnvoll zu benutzen, muss unmissverständlich klar sein, was unter dem Begriff "Wille" zu verstehen ist und sodann, wovon dieser "frei" sein soll.

Der einzige, der hier wenigstens versucht hat, auf diese Fragen einzugehen, war meines Wissens Ekkard. Alle anderen Apologeten des "freien-Willens" haben hierzu bislang nur heiße Luft abgelassen...
Zitieren
#2
Möchtes du diese Frage wirklich als (inter-)religiöse Frag diskutiert wissen. Denn "eigentlich" ist sie eine philosophische?
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Zitieren
#3
(02-11-2009, 15:09)Ekkard schrieb: Möchtes du diese Frage wirklich als (inter-)religiöse Frag diskutiert wissen. Denn "eigentlich" ist sie eine philosophische?

Das stimmt natürlich. Und wenn man es genau nimmt, handelt es sich dabei nicht nur um eine philosophische, sondern läuft letzten Endes sogar auf eine naturwissenschaftliche Fragestellung hinaus.

Doch, wie ich ja bereits anmerkte, steht die Begrifflichkeit des "freien Willens" nicht nur im Zentrum nicht weniger religiöser Glaubensgebäude, welche ohne sie ins Wanken gerieten, sondern es gibt andererseits durchaus auch religiöse Glaubensgebäude, welche einen "freien Willen" des Menschen dezidiert verneinen. Und letztlich besteht in dieser Frage auch ein fließender Übergang zu nicht vordergründig religiösen weltanschaulichen und ethischen Erwägungen.

Deshalb sehe ich diese Probematik in der Rubrik Religionsübergreifendes und Interreligiöses eigentlich ganz trefflich platziert...
Zitieren
#4
Der freie Wille ist ein Witz im Religiösen Zusammenhang.

Du darfst alles frei entscheiden.
ABER wenn du nicht tust was Gott sagt dann *Horroszenario Nummer 1*
Und wenn du nicht tust was der Vertreter Gottes sagt dann *Horrorszenario Nummer 2*
etc.etc.
Zitieren
#5
Hallo DureeTotal

Zitat:Das stimmt natürlich. Und wenn man es genau nimmt, handelt es sich dabei nicht nur um eine philosophische, sondern läuft letzten Endes sogar auf eine naturwissenschaftliche Fragestellung hinaus.

Nach meinem Dafürhalten hat "freier Wille" eher mit Charakter und sittlicher Reife zu tun.

Wo siehst du bei diesem Thema den Zusammenhang zu Naturwissenschaft?

Gruß Dornbusch
Zitieren
#6
Spontanentscheidungen werden im Gehirn bereits unbewusst getroffen, bevor sich die Person dieser bewusst wird. Aber wie verhält es sich bei folgenschweren Entscheidungen, bei denen das Bewusstsein involviert zu sein scheint?
Aktuelle Forschungen weisen darauf hin, dass das Bewusstsein erst im Laufe des Aufwachsens entsteht und lediglich vom Gehirn vorgetäuscht wird; ein Produkt der neuronalen Verschaltungen.
M. E. gibt es keinen freien Willen. Man lebt allerdings so, als ob es ihn gäbe. Sonst könnte man Verbrecher nicht für ihre Taten zur Rechenschaft ziehen, da sie nicht anders hätten handeln können, als ihr Gehirn ihnen vorschreibt.
"What can be asserted without proof can be dismissed without proof." [Christopher Hitchens]
Zitieren
#7
(02-11-2009, 16:17)Dornbusch schrieb: Hallo DureeTotal

Zitat:Das stimmt natürlich. Und wenn man es genau nimmt, handelt es sich dabei nicht nur um eine philosophische, sondern läuft letzten Endes sogar auf eine naturwissenschaftliche Fragestellung hinaus.

Nach meinem Dafürhalten hat "freier Wille" eher mit Charakter und sittlicher Reife zu tun.

Wo siehst du bei diesem Thema den Zusammenhang zu Naturwissenschaft?

Gruß Dornbusch

Nun, jedes Haus baut man sinnvollerweise von unten, also vom Fundament, nach oben - und womit der "freie Wille" so alles zu tun haben soll, können wir sehr gerne diskutieren, wenn denn die Begrifflichkeit "freier Wille" erst einmal geklärt ist...

Darum: Was bedeutet "Wille" und wovon soll dieser "frei" sein?
Zitieren
#8
der begriff "freier wille" ist imho unglücklich gewählt. was damit gemeint ist: der mensch kann zwischen alternativen wählen

zum einen hat eine solche wahl nicht immer mit dem zu tun, was man eigentlich will im sinne von gerne möchte - weil es eben die gern zitierten sachzwänge gibt (ich möchte am morgen lieber im bett bleiben und ausschlafen als ins büro zu gehen, aber angesichts der konsequenzen entscheide ich mich für diejenige alternative, die eigentlich nicht dem entspricht, was ich will). zum anderen ist die entscheidung eben nie frei, sondern neben dem sachzwang auch imemr einem kontext und rahmenbedingungen unterworfen, über die wir uns im einzelnen durchaus nicht unbedingt klar sein müssen

hier kommt auch die von humanist zitierte naturwissenschaft ins spiel, die meint, per neurologischem befund herausgefunden zu haben, daß das gehirn bereits seine wahl getroffen hat, bevor uns das selber bewußt wird

was also kann und soll der berüchtigte "freie wille" eigentlich sagen:

daß der mensch die möglichkeit hat, in alternativen zu denken, und daraus abgeleitet entscheidungen zu treffen (was tiere so nicht unbedingt können). wie "frei" diese entscheidung dann ist, darüber kann man trefflich streiten - imho kann von "frei" im sinne von "keinen randbedingungen unterworfen" nicht die geringste rede sein. sie ist aber keineswegs so "unfrei", also fremdgesteuert, daß keine verantwortung für das gewählte (und was daraus hervorgeht) bestünde
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
Zitieren
#9
Die Wahl zwischen Alternativen ist vielleicht eine Ausdrucksform eines "freien Willens".
Eine andere Ausdrucksform für freien Willen, und die ist für mich die wichtigere, ist, daß der Wille es dem Menschen ermöglicht, eine frei getroffene sittliche und vernünftige Entscheidung auch beizubehalten und durchzusetzen.

Der freie Wille ist dann der Garant dafür, daß aus einem Plan Wirklichkeit entsteht.

Freier Wille, vereint mit Vernunft, Ethos, Intelligenz und Wissen erlauben es dem Menschen, sich weitgehend von den Zwängen und Zufälligkeiten der Natur zu emanzipieren.

Gruß Dornbusch
Zitieren
#10
(03-11-2009, 06:39)Dornbusch schrieb: Die Wahl zwischen Alternativen ist vielleicht eine Ausdrucksform eines "freien Willens".
Eine andere Ausdrucksform für freien Willen, und die ist für mich die wichtigere, ist, daß der Wille es dem Menschen ermöglicht, eine frei getroffene sittliche und vernünftige Entscheidung auch beizubehalten und durchzusetzen.

Der freie Wille ist dann der Garant dafür, daß aus einem Plan Wirklichkeit entsteht.

Freier Wille, vereint mit Vernunft, Ethos, Intelligenz und Wissen erlauben es dem Menschen, sich weitgehend von den Zwängen und Zufälligkeiten der Natur zu emanzipieren.

Gruß Dornbusch

Tja, Dornbusch, und wieder beschreibst du sehr feierlich lediglich, wie bedeutend der "freie Wille" deiner Meinung nach ist und was alles aus ihm folgen soll - aber den entscheidenden Fragen zum eigentlichen Gehalt dieser Begrifflichkeit gehst du wieder aus dem Wege:

Was genau bedeutet "Wille" und wovon soll dieser "frei" sein?

Ohne dass diese begrifflichen Fragen eindeutig geklärt sind, bleibt das Konstrukt "freier Wille" eben leider nur ein oberflächlicher Budenzauber...!


Wir können, wenn das einfacher ist, ja einfach mal mit der Vokabel "Wille" beginnen:

Was genau ist gemeint, wenn wir vom menschlichen "Willen" sprechen? Es wird doch damit nichts anderes beschrieben als das, was der Mensch will, also das, was dem Tun vorausgeht. Die Frage ist dabei, wie denn dieses Wollen zustande kommt, warum also ein bestimmter Mensch in einer ganz bestimmten Situation etwas ganz Bestimmtes will - und nicht irgend etwas anderes..?
Zitieren
#11
Hallo DureeTotale

Zitat:Die Frage ist dabei, wie denn dieses Wollen zustande kommt, warum also ein bestimmter Mensch in einer ganz bestimmten Situation etwas ganz Bestimmtes will - und nicht irgend etwas anderes..?

Dies werden wir hier nicht klären können, ohne daß wir diesem ganz bestimmten Menschen eben diese Frage stellen, und dann auf seine Antwort hören.

Gruß Dornbusch
Zitieren
#12
(03-11-2009, 13:24)Dornbusch schrieb: Hallo DureeTotale

Zitat:Die Frage ist dabei, wie denn dieses Wollen zustande kommt, warum also ein bestimmter Mensch in einer ganz bestimmten Situation etwas ganz Bestimmtes will - und nicht irgend etwas anderes..?

Dies werden wir hier nicht klären können, ohne daß wir diesem ganz bestimmten Menschen eben diese Frage stellen, und dann auf seine Antwort hören.

Doch, das können wir grundsätzlich sehr wohl klären!

Denn etwas Bestimmtes zu wollen, ist ein Ereignis, dass sich so ereignet, wie es sich ereignet, weil es entweder die entsprechenden hinreichenden Ursachen so ausfallen lassen, wie es eben ausfällt - oder wir haben es mit einem Ereignis zu tun, welches in einem mehr oder weniger großen Außmaß ursachenlos - also "zufällig" - zustande gekommen ist...
Zitieren
#13
Ich stelle folgendes aus der Theorie komplexer Systeme mit Selbstbezug entlehnte Modell zur Diskussion:

"Wille" sehe ich als eine mentale Handlungsvorbereitung, in die unsere Selbstbeobachtung und unser Sprachzentrum verwickelt sind. Der Willensbildungsprozess hängt in nichtlinearer ("rückgekoppelter") Weise von zahlreichen Einflüssen ab, die von vielen Funktionseinheiten des Gehirns zunächst zeitgleich erstellt und dann modifiziert werden.

Der Willensakt unterliegt dabei ähnlichen Vorgängen, wie wir sie auf der Ebene allen Lebens durch Auswahl aus einer Reihe von Varianten kennen. Man kann den Willensakt am besten vergleichen mit komlexen Systemen mit Selbstbezug, die Systemzustände erzeugen, die (in Vektor-Notation) in der Nähe eines stochastischen Gebildes liegen, den man "Attraktor" nennt. Solche Attraktoren sind in einem gewissen Rahmen labil, formbar und damit durch den Bewusstwerdungsprozess beeinflussbar.
Grob gesprochen ist damit der Willensakt (die Handlungsvorbereitung) weder ganz frei (i. S. ursachenlos, zufällig, gar chaotisch) noch völlig determiniert (auf hinreichend kleiner Skala: zufällig).

Freier "Wille" ist daher eine mehr äußerliche, politische Randbedingung, welche uns nicht zwingt, bestimmte gesellschaftlich-politische Ziele anzustreben, sondern inneren, bestenfalls familiären Einflüssen den Vorzug zu geben - aus einer Auswahl, um die unsere Willensbildung "kreist".
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
Zitieren
#14
(03-11-2009, 18:29)Ekkard schrieb: Grob gesprochen ist damit der Willensakt (die Handlungsvorbereitung) weder ganz frei (i. S. ursachenlos, zufällig, gar chaotisch) noch völlig determiniert (auf hinreichend kleiner Skala: zufällig).

so sehe ich das auf jeden fall auch

(03-11-2009, 18:29)Ekkard schrieb: Freier "Wille" ist daher eine mehr äußerliche, politische Randbedingung, welche uns nicht zwingt, bestimmte gesellschaftlich-politische Ziele anzustreben, sondern inneren, bestenfalls familiären Einflüssen den Vorzug zu geben - aus einer Auswahl, um die unsere Willensbildung "kreist".

im prinzip ja - nur möchte ich das nicht auf den politischen bezug reduzieren

"freier wille" heißt für mich, daß wir nicht gezwungen sind, insofern wir zwischen alternativen entscheiden können. daß die entscheidung selbst eine von einflüssen und randbedingungen völlig unbeeinflußte sein könnte, wäre allerdings eine imho höchst naive annahme
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
Zitieren
#15
Im Moment gibt es in Philosophie und Neurowissenschaft keine Eindeutigkeit, ob es freien Willen gibt. Man wird abwarten müssen.
"What can be asserted without proof can be dismissed without proof." [Christopher Hitchens]
Zitieren


Möglicherweise verwandte Themen…
Thema Verfasser Antworten Ansichten Letzter Beitrag
  Was könnte „Gott“ sein? Ekkard 321 139040 25-06-2022, 21:40
Letzter Beitrag: Ekkard
  Ist der freie Wille ,wirklich frei? bridge 430 434113 09-09-2019, 23:46
Letzter Beitrag: Ulan
  Wie soll man seinem Gott dienen? 9 14169 18-10-2013, 01:05
Letzter Beitrag: Fischer

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste