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Wissenschaftsethik
#1
Hallo Leute,

ich würde gerne mal von euch wissen, wie eure Gedanken und Meinungen zum Thema Wissenschaftsethik, also ethischen Aspekten in der Forschung, sind?
Hat derjenige der erforscht auch Verantwortung für das weitere Anwenden seiner Forschung? Wie lässt sich das relativieren? Hat der Grundlagenforscher eine geringere Verantwortung was mit seinen Ergebnissen geschieht als ein Wissenschaftler der bsp. direkt an einem Giftgas arbeitet (also um dessen Verwendung weiß)?
Oder sollte/kann Forschung frei sein von jedweder Art ethischer Einengung?

Ich finde, ein schwieriges Thema. Würde gerne mal eure Meinungen dazu hören.
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#2
Das ist meines Erachtens ein schmaler Grat,..Sicher, bei Waffenforschern kann man eindeutig den Zweck der Forschung determinieren,..

Allerdings sollte allgemeine Forschung frei von Ethik bleiben; als Beispiel. wenn manche die Stammzellenforschung ablehnen, weil da mit Embryonenzellen experimentiert wird, so läufts im Ende doch darauf hinaus, wie die jeweilige regionale Ethik das Verhältnis zu dieser Biomasse regelt, in Bezug auf mögliche Heilerfolge bei Lähmungen und Nervenkrankheiten,...

Oftmals finden sich in der Wissenschaft gewisse Tabus, die rational nicht zu begründen sind,..eines meiner Lieblingsthemen: die Kybernetik,..es ist allgemein akzeptiert, dass zb in der Prothetik nach effizienten Ersatzteilen für verlorene Körperteile geforscht wird,..wenn aber die Rede darauf kommt, dass, wenn diese Ersatzteile einmals soweit ausgereift sind, dass sie die originalen biologischen Teile übertreffen, die gesunden biologischen durch bessere Technische ersetzt werden, so gibt es eine für mich völlig unverständliche Empörung,...
Aut viam inveniam aut faciam
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#3
natürlich kann man nicht generell dem forscher die verantwortung für alles aufbürden, was ggf. sich aus seinen forschungen entwickelt. insbesondere die anwendungsferne grundlagenforschung ist schon mal deshalb weitgehend "wertfrei", weil ja noch gar nicht abzusehen ist, was sich daraus in der angewandten wissenschaft und technik entwickeln kann

beispiel:

scheele hat als erster elementares chlor hergestellt. ist er also - in ethischer sicht - damit ein verbrecher, weil fritz haber genau jenes chlor in die schützengräben des ersten weltkriegs abblies und tausende allierte soldaten qualvoll verrecken ließ?

oder nicht doch ein wohltäter der menschheit, weil die trinkwasserdesinfektion mit chlor milionen menschen das (über)leben ermöglicht, die andernfalls an verkeimtem wasser erkranken und oft sterben würden?

je näher man als wissenschaftler der anwendung kommt, desto eher sind technikfolgen abschätzbar und ein verantwortungsbewußter forscher kann sich angesichts absehbarer folgen dafür entscheiden, seine forschungen nicht weiter zu treiben. lise meitner und otto hahn entdeckten die kernspaltung - die atombombe gebaut haben sie nicht. insbesondere lise meitner hätte wohl einige forschungsaufträge in dieser richtung annehmen können - sie hat es (als überzeuigte pazifistin) nicht getan

ich würde z.b. keine entwicklungsarbeit in der grünen gentechnik leisten wollen, wo pflanzen resistent gegen verschiedene gifte gemacht werden, die dann in umso höherer konzentration auf den feldern eingesetzt werden und mensch und umwelt vergiften. könnte aber nicht ausschließen, durch den verzicht auf diese forschung auch eine möglicherweise segensreiche entwicklung in der pflanzengenetik zu übersehen

man weiß es halt ganz genau immer erst hinterher...
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#4
Dank euch für die Antworten.
Zu der Frage kam ich, da ich in meinem Bücherschrank mein altes Schulbuch "Die Physiker" von Dürrenmatt gefunden und mal wieder durchgelesen habe.
Hierin findet der geniale Physiker Möbius die sogenannte Weltformel und verschanzt sich aufgrund seiner Überlegungen, was diese für die Zukunft der Menschheit bedeuten würde in einem Irrenhaus. Die Geschichte spielt zu Zeiten des kalten Krieges und die beiden großen Mächte ringen hierbei (als "Newton" und "Einstein") um den Besitz dieser Erkenntnis.
Hierbei werden verschiedene Standpunkte aufgegriffen.
Möbius, als Grundlagenforscher beispielsweise sagt:

"Es war meine Pflicht, die Auswirkungen zu studieren, die meine Feldtheorie und meine Gravitationslehre haben würden. Das Resultat ist verheerend." Daher entschließt er sich, seine Entdeckungen für sich zu behalten.

Newton hingegen argumentiert: "Ihre persöhnlichen Gefühle in Ehren, aber Sie sind ein Genie und als solches Allgemeingut. ... Sie haben die Wissenschaft nicht gepachtet. Sie haben die Pflicht, die Türe auch uns aufzuschließen, den Nicht-Genialen."

Weiterhin: "Es geht um die Freiheit unserer Wissenschaft und um nichts weiter. Wir haben Pionierarbeit zu leisten und nichts außerdem. Ob die Menschheit den Weg zu gehen versteht, den wir ihr bahnen, ist ihre Sache, nicht die unsrige."

Im Grunde geht es um die Frage, ob auch Grundlagenforschung in der Verantwortung steht oder völlig von dieser losgelöst ist, ja sogar sein muss, da ihre Freiheit größer ist?

Wie bereits richtig angemerkt wurde, ist es häufig nicht vorhersagbar welche Resultate einmal zu welchem Ergebnis führen werden. Und das obige Buch steht auch unter dem Aspekt des kalten Krieges und der Forschung als Waffe.
Allerdings habe ich sehr oft das Gefühl dass Ethik in den Naturwissenschaften (zumindest an den Universitäten) nicht nur eine untergeordnete Rolle, sondern gar keine Rolle spielt. So erklärte zb. die hessische Landesregierung 2009 die „Die Goethe-Universität Frankfurt führt wehr- und sicherheitstechnische Forschungen durch“ und auch von anderen Hochschulen ist immer häufiger zu hören dass Forschungen im Auftrag von Verteidigungsministerium und Rüstungsindustrie durchgeführt werden.
Selbst innerhalb der Fachbereiche wird gegeneinander geforscht. Die Geowissenschaften sind hierfür ein gutes Beispiel. Ausbeutung und Schutz der Umwelt unter dem selben Dach. Ohne jedoch eine Auseinandersetzung über Gründe und auch Ethik der jeweiligen Forschung vorzunehmen (und hierbei handelt es sich nicht um Grundlagenforschung).
Es scheint wohl häufig so zu sein, dass das geforscht wird, wofür es Geld gibt.
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#5
Da ich selbst Physiker bin, sehe ich das so: Grundlagenforschung, die also frei von jedem wirtschaftlichen oder militärischen Nutzen ist und wofür niemand missbraucht wird oder fremde einen Nachteil erleiden, ist die edelste Form der Forschung und sollte auch die einzige sein. Alles andere ist mehr oder weniger verwerflich. Was andere dann daraus machen, liegt nicht in der Verantwortung des Grundlagenforschenden. Die berühmteste Geschichte ist im Zusammenhang mit E = mc^2 zu sehen. Nur weil Einstein diese Gleichung erkannt hat, hat er sich nicht schuldig an der Atombombe gemacht. Wo er sich schuldig gemacht hat, ist, dessen Einsatz zu befürworten, auch wenn er gegen das 3. Reich erfolgen sollte.
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#6
Wissenschaft und wissenschaftliche Forschung sind nicht - auch wenn es auf den ersten Blick so scheint - individuelle Leistungen, sondern immer ein gesamtmenschliches Projekt. Wie für andere Formen des Miteinanders braucht es auch hier klare und verbindliche Regeln, die gemeinsam erarbeitet werden müssen - möglichst in Form eines Konsens (und wenn man will auch in Form eines Initiationsritus wie etwa des Hippokratischen Eids).
Es gibt weder gut noch böse in der Natur, es gibt keine moralische Entgegensetzung, sondern es gibt eine ethische Differenz. (Gilles Deleuze)
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#7
(05-05-2012, 23:27)Gundi schrieb: Es scheint wohl häufig so zu sein, dass das geforscht wird, wofür es Geld gibt.

das ist sogar immer so

die zeit des privatgelehrten, der zuhause im stillen kämmerlein sein privatvermögen forschenderweise aufbraucht, sind vorbei
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
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#8
(06-05-2012, 09:42)AlTheKingBundy schrieb: Da ich selbst Physiker bin, sehe ich das so: Grundlagenforschung, die also frei von jedem wirtschaftlichen oder militärischen Nutzen ist und wofür niemand missbraucht wird oder fremde einen Nachteil erleiden, ist die edelste Form der Forschung und sollte auch die einzige sein. Alles andere ist mehr oder weniger verwerflich. Was andere dann daraus machen, liegt nicht in der Verantwortung des Grundlagenforschenden

da macht es sich aber einer einfach...

zum einen wird es dir nicht gelingen, nur das zu forschen, was mit sichertheit und in aller zukunft "frei von jedem wirtschaftlichen oder militärischen Nutzen" ist, sein und bleiben wird (weil du das gar nicht beurteilen kannst), zum anderen ist natürlich jeder schon deshalb ein schuft, weil er anwendungsforschung betreibt (und so z.b. die technik vorantreibt, die ja nun unleugbar auch viel gutes gebracht hat neben dem schlechten bzw. ihrem mißbrauch)

sich einfach hinzustellen und zu sagen: "ich habe hier mal die grundlagen entwickelt, wie man aus lebenden kinderhirnen ein präparat gegen alzheimer herstellt, aber wenn jetzt wirklich einer dafür kinder schlachtet, dann kann ja auch nichts dafür" - das kanns ja auch nicht sein

das problem der abgrenzung zwischen grundlagen- und anwendungsforschung sowie der potentiell negativen auswiekungen auch an sich oder auf den ersten blick positiver inovationen wird immer bestehen
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
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#9
"Wissenschaftsethik" gibt es nicht. Das Wort ist ein Etikettenschwindel, wie Petronius schon dargelegt hat. Ethik ist nicht teilbar!
Wissenschaftliche Methoden ermitteln, beschreiben und legen Sachverhalte dar - nicht mehr nicht weniger.
Ethik ist immer eine Verhaltensnorm, die von der Gesellschaft, dem Volk, dem Staatswesen oder bestimmten Gremien bestimmt wird. Ethisches Handeln ergibt sich aus der Summe des Denkens Vieler. So auch in der Welt der Wissenschaftler, die ja nicht auf einem anderen Planeten leben und arbeiten.

Wenn ein Verhalten unmoralisch ist (Petronius: "Schlachten von Kindern" zum Erhalt eines Alzheimer-Präparates), so ist es Sache der Gesellschaft bzw. seiner (staatlichen) Vertreter und jedes Einzelnen, solche Praktiken zu beschneiden. Man muss sich immer bewusst bleiben: Technischen Segen einerseits und Ethik andererseits gibt es nicht zum (geistigen) Nulltarif!
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#10
Natürlich mache ich es mir einfach, weil es eben in meinen Augen einfach ist. Du liest anscheinend meine Beiträge nicht richtig oder verstehst sie nicht. Ich schrieb, wenn niemand einen Nachteil erleidet. Bei Deinem geschmacklosen Beispiel hätte der "Forschende" dieses Leid ja schon mit einkalkuliert und wäre somit schuldig. Es fällt mir in Deinen Beiträgen immer schwerer, etwas sinnvolles zu entnehmen.

Ich will mal Einstein sprechen lassen: Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt.
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#11
Offenbar beziehst du dich auf Petronius' Beitrag von heute/11:35Uhr. Dessen Kritikpunkt ist auch der Meinige: Eine Wissenschaftsethik unterscheidet sich nicht von allgemeinen Normen. Das Beispiel war gewiss drastisch, aber ist dieses soviel dramatischer, als die Entscheidung die Atomwaffe zu konstruieren oder weiterzuentwickeln. Wir finden sicher zahlreiche Negativbeispiele, aber sie alle haben nichts mit einer spezuellen "Wissenschaftsethik" sondern ausschließlich mit ganz normaler Ethik und ihren Problemen zu tun.

(07-05-2012, 12:50)AlTheKingBundy schrieb: Es fällt mir in Deinen Beiträgen immer schwerer, etwas sinnvolles zu entnehmen.
Wird Petronius, werden wir durch einen solchen Vorwurf schlauer? - Ärger ist kein guter Lehrmeister!
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#12
Das war kein Vorwurf sondern leider eine Feststellung. Auch in anderen Beiträgen habe ich das Gefühl, dass Petronius nicht viel an einer sachlichen Diskussion liegt, sondern viel mehr daran, immer eine Gegenposition einnehmen zu wollen, die wenig bis gar nicht begründet ist.
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#13
(07-05-2012, 12:41)Ekkard schrieb: Wenn ein Verhalten unmoralisch ist (Petronius: "Schlachten von Kindern" zum Erhalt eines Alzheimer-Präparates), so ist es Sache der Gesellschaft bzw. seiner (staatlichen) Vertreter und jedes Einzelnen, solche Praktiken zu beschneiden. Man muss sich immer bewusst bleiben: Technischen Segen einerseits und Ethik andererseits gibt es nicht zum (geistigen) Nulltarif!

stimmt. und so hats ja auch schmalhans schon angedeutet:

was "moralisch" im sinne von "gesellschaftlich akzeptiert" ist, also welche moralischen grundwerte eine gesellschaft geben will, das muß auch durch die gesellschaft festgelegt werden. es ist daher legitim, dem einzelnen forscher eine über seine persönliche moral hinausreichende grenze zu setzen (halbwegs aktuelles beispiel: verbrauchende embryonenforschung)

ob solche festlegungen ewig bestehen müssen oder wie ihre einhaltung erzwungen werden kann, steht dabei wieder auf einem anderen blatt. letztlich ist es, wie alles gesellschaftlich normierte, verhandelbar
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#14
Und? Gehört die Gegenposition oder die polemische Gegenfrage nicht zur Diskussion? Gerade die Wissenschaftsethik - und, ich habe darüber noch nicht näher nachgedacht, die Wirtschaftsethik - werfen durch ihre Spezialisierung mehr Fragen auf, als sie in Richtung einer vernünftigen Kategorienbildung voran zu bringen; von einer Lösung reden wir erst gar nicht!
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#15
Die Gegenposition gehört natürlich zu einer Diskussion, die Polemik nicht, sofern die Diskussion sachlich und respektvoll bleiben soll.
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