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Das geheime Evangelium nach Markus
#1
Von Morton Smith wurde im Sommer1958 anlässlich eines Aufenthaltes im griechisch-orthodoxen Kloster Mar Saba, südöstlich von ↗Jerusalem, auf unbedruckten Seiten einer Ausgabe von Texten des ↗Ignatius von Antiochien aus dem Jahre 1646 ein handschriftlicher Eintrag gefunden, der vorgibt, der Textauszug eines Briefes von ↗Clemens v. Alexandrien an einen (nicht weiter bekannten) Theodoros zu sein.

Der Text wurde von M. Smith fotografiert. Das Original wurde nicht sichergestellt und ist seither unauffindbar. Anhand der Fotos wurde die Handschrift von Paläographen beurteilt und ihr Entstehen zeitlich vom Ende des 17. bis Anfang des 19. Jhs eingeordnet.

Nach einer eingehenden sprachlichen Untersuchung des Textes meinte M. Smith, sicher sein zu können, dass der Text von Clemens v. A. stamme.

Im Brief wird vor einem durch die Sekte der ↗Karpokratianer verfälschten ↗Markusevangelium gewarnt. Es wird festgehalten, dass es eine geistlichere Fassung des Markusevangeliums gäbe, und es wird aus dieser zitiert.

Ob der Text tatsächlich von Clemens v. A. stammt, ist noch nicht geklärt. Sprachliche Gründe sprechen dafür, sachliche dagegen. Bemerkenswert ist, dass ein Text aus dem 2. Jh, der im 18. Jh letztmals kopiert wurde, keine der sonst üblichen Überlieferungsfehler aufzeigt.

Morton Smith hat die Schlüsse aus seinem Fund in seinem Buch "Jesus the Magican", London 1978, vorgelegt. Diese wurden so ziemlich von der gesamten Fachgelehrtenschaft kritisiert und abgelehnt. Das gilt insbesondere für die von ihm zwar nicht ausdrückliche behauptete, aber zwischen den Zeilen wahrnehmbare Beschreibung einer homoerotischen Beziehung zwischen Jesus und dem Jüngling, den er liebte.

Was die Echtheitsfrage betrifft, ist die sprachliche Qualität der Textfragmente des geheimen ↗Evangeliums mehr Argument für Zweifler als für Befürworter. Schon 1974 hat Cyril C. Richardson eingewandt, dass der Text zu markinisch sei, um von ↗Markus zu stammen. Im ↗kanonischen Markusevangelium selbst sind markinische Stileigenheiten nirgendwo so gehäuft vorzufinden wie in den beiden Textfragmenten des "Geheimen Evangeliums nach Markus". Die Annahme, dass Clemens- und Markustext geschickte Fälschungen seien, die zeitlich irgendwann zwischen der Spätantike und dem 20. Jh eingeordnet werden müssen, gewinnt mehr und mehr Befürworter.

Die Mehrheit der Fachgelehrten also bezweifelt die Echtheit des Textes, und man ist sich weitgehend einig, dass das sogenannte "Geheime Markus-Evangelium" ein durch die kanonischen Evangelien begründetes ↗Apokryphon ist.



Das geheime Evangelium nach Markus. Die Textfragmente:

Fragment 1:

Und sie kommen nach Bethanien. Und dort war eine Frau, deren Sohn gestorben war. Und sie kam und warf sich vor Jesus verehrend nieder und sagt zu ihm: „Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Die Jünger aber schalten sie. Und erzürnt ging Jesus mit ihr weg in den Garten, wo das Grabmal war. Und sogleich wurde aus dem Grabmal eine laute Stimme gehört. Und Jesus trat herzu und wälzte den Stein vom Eingang des Grabmals weg. Und sogleich ging er hinein, wo der Jüngling war, streckte die Hand aus und richtete ihn auf, indem er ihn bei der Hand fasste. Der Jüngling aber blickte ihn an und gewann ihn lieb und fing an, ihn zu bitten, dass er bei ihm bleibe. Und sie gingen aus dem Grabmal heraus und kamen in das Haus des Jünglings. Er war nämlich reich. Und nach sechs Tagen gebot ihm Jesus; und als es Abend geworden war, kommt der Jüngling zu ihm, bekleidet mit einem Leinengewand auf dem nackten Leib. Und er blieb bei ihm jene Nacht. Denn Jesus lehrte ihn das Geheimnis des Reiches Gottes. Und er erhob sich und kehrte von dort zurück an das jenseitige Ufer des Jordans.

Fragment 2:

Und er kommt nach Jericho. Und dort waren die Schwester des Jünglings, den Jesus liebte, und seine Mutter und Salome. Und Jesus nahm sie nicht auf.



Literatur:
Wilhelm Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen 2 Bde., Bd 1 - Evangelien. 61990 Tübingen. Verl. J.C.B. (Paul Siebeck).



● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
MfG B.
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