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Blasphemie-Debatte
#1
Angestoßen von Martin Mosebach, schwelt seit geraumer Zeit die Debatte darum, ob die Beleidigung von Gott und Religion (nicht den Menschen, sondern den Inhalten der Religionen!) auch in Deutschland wieder verschärft verfolgt und bestraft werden sollte.

Nun meldet sich der Münsteraner Philosoph Robert Spaemann zu Wort und verlangt eine doppelt so hohe Bestrafung der Beleidigung von Religion wie für Beleidigung von Menschen:

"Ein Staat, der seine Bürger nicht gegen die Verunglimpfung dessen, was ihnen das Heiligste ist, schützt, kann nicht verlangen, dass diese Menschen sich als Bürger ihres Gemeinwesens fühlen. Wenn es sich um Christen handelt, so bleiben sie loyale Untertanen, aber nicht mehr. Wem die Beleidigung der Religion so wichtig ist, dass er den Preis des Vorbestraftseins dafür zu zahlen bereit ist, soll ihn auch zahlen. Und was die Höhe betrifft, so müsste sie etwa das Doppelte dessen betragen, was auf Beleidigung von Menschen steht, nicht mehr, aber auch nicht weniger."
*http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/robert-spaemann-zur-blasphemie-debatte-beleidigung-gottes-oder-der-glaeubigen-11831612.html

Steht die Religion also höher als der Mensch? Ist dementsprechend die Aussage "Es gibt keinen Gott" auch eine Beleidigung? Sollten Atheisten jetzt alle nicht nur in die Hölle, sondern auch in den Knast?
Es gibt weder gut noch böse in der Natur, es gibt keine moralische Entgegensetzung, sondern es gibt eine ethische Differenz. (Gilles Deleuze)
#2
Nein, Blasphemie sollte weder verfolgt, noch bestraft werden.

Viel blasphemischer als die Flüche, die man z.B. unter durchaus gläubigen Bosniern sehr häufig hören kann, geht eigentlich kaum. *g*

Was anderes ist es, wenn Blasphemie (welche z.B. mit guter Satire wunderbar funktioniert) statt als Argument zum Thema zur gezielten Beleidigung gebraucht wird.


"Und schmäht die nicht, welche sie statt Allah anrufen, sonst würden sie aus Groll ohne Wissen Allah schmähen. Also lassen Wir jedem Volke sein Tun als wohlgefällig erscheinen. Dann aber werden sie zu ihrem Herrn heimkehren; und Er wird ihnen verkünden, was sie getan haben. "(Sure 6 / 108)
#3
Dieser Professor Spaemann will wohl zurück ins Mittelalter, wo man Andersdenkende mundtot machen konnte, indem man ihre Worte als Blasphemie brandmarkte! Wobei sich sowieso die Frage stellen müsste: "Was ist Blasphemie" bzw.: "wo fängt sie an"? Ist ein Film wie "Das Leben des Brian" Blasphemie? Oder wenn ich Praktiken des Voodoo-Kults kritisiere - ist das nicht genauso Blasphemie, weil es Leute auf der Welt gibt, die sie für sinnvoll halten?

Wer sollte das alles entscheiden? Spaemann, der Papst oder eine Abordnung von Bischöfen? Und was ist mit anderen Religionen? Sollte es da einen Ausschuss geben, wo Christen, Muslime, Hindus, Buddhisten und andere an einem runden Tisch sitzen und nur darüber diskutieren, ob der Ausspruch von Bundesbürger XY blasphemisch ist? Oder sollte sich der Schutz der Religion auf das Christentum beschränken und damit andere Religionen diskriminiert werden?

Wenn ich Gott oder Jesus beschimpfe, um meinen frommen Nachbarn oder den Pfarrer zu ärgern (letzterer sollte von Amts wegen darüber stehen), so könnte man das einer persönlichen Beleidigung gleichsetzen, und die kann man ja sowieso anzeigen, wenn man als humorlos gelten und sich lächerlich machen will. Alles andere fällt unter den Begriff der Meinungsfreiheit. Und in einem Land, wo es Meinungsfreiheit gibt, werden immer Positionen vertreten, die dem einzelnen nicht passen. Und das ist gut so, denn wohin es führen kann, wenn Verspotten einer Religion als Verbrechen gilt, kann man ja an den Mohammed-Karrikaturen sehen.

Und was Gott oder Götter betrifft, sollte man diesen übermächtigen Wesen doch so viel Souverenität zugestehen, dass sie damit fertigwerden, wenn sich jemand über sie lustig macht. Eine Religion, die vor Kritik geschützt werden muss, scheint keine besondere Kraft zu haben. Und dass die Beleidigung von solchen Wesen (bei denen niemand weiß, ob sie überhaupt existieren) sogar noch schlimmer bestraft werden soll als die Beleidigung von Menschen, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.
#4
(27-07-2012, 23:05)schmalhans schrieb: Steht die Religion also höher als der Mensch? Ist dementsprechend die Aussage "Es gibt keinen Gott" auch eine Beleidigung? Sollten Atheisten jetzt alle nicht nur in die Hölle, sondern auch in den Knast?

Wie kommst du darauf?

Spaemann schreibt übrigens im selben Artikel auch: "Die Crux der Strafen für Religionsbeleidigung liegt seit je in der Schwierigkeit, den Tatbestand eindeutig zu definieren. Es ist klar, dass es sich nicht um ein Offizialdelikt handeln kann, bei dem es nicht darauf ankommt, ob irgendjemand sich wirklich beleidigt fühlt. Es bedarf eines Klägers. Aber das Gefühl eines Klägers, beleidigt worden zu sein, kann wiederum nicht der alleinige Maßstab sein, weil damit absurde Empfindlichkeit honoriert würde. Man wird hier nicht auskommen ohne einen Spielraum richterlichen Ermessens. Aber das gilt schließlich für jede Beleidigung. Auch hier muss der Richter beurteilen, ob jemand sich zu Recht beleidigt fühlt oder nicht. Und das funktioniert ja auch in der Regel. Es müsste eben auch auf Religionsbeleidigung Anwendung finden."
#5
(28-07-2012, 09:10)Lelinda schrieb: Dieser Professor Spaemann will wohl zurück ins Mittelalter, wo man Andersdenkende mundtot machen konnte, indem man ihre Worte als Blasphemie brandmarkte!

Keine Ahnung wo du das rausliest.

(28-07-2012, 09:10)Lelinda schrieb: Wobei sich sowieso die Frage stellen müsste: "Was ist Blasphemie" bzw.: "wo fängt sie an"? Ist ein Film wie "Das Leben des Brian" Blasphemie? Oder wenn ich Praktiken des Voodoo-Kults kritisiere - ist das nicht genauso Blasphemie, weil es Leute auf der Welt gibt, die sie für sinnvoll halten?

So wie ich Spaemann verstehe zieht er die Grenze dort wo es darum geht eine absichtliche Beleidigung herbeizuführen. Von einem generellen Kritikverbot oder gar Mundtotmachen kann ich nichts erkennen.

(28-07-2012, 09:10)Lelinda schrieb: Wer sollte das alles entscheiden? Spaemann, der Papst oder eine Abordnung von Bischöfen?

Leute, lest doch auch mal die Texte die ihr kommentiert. Er legt die Entscheidungsgewalt doch eindeutig in die Hände der Gerichte.

(28-07-2012, 09:10)Lelinda schrieb: Wenn ich Gott oder Jesus beschimpfe, um meinen frommen Nachbarn oder den Pfarrer zu ärgern (letzterer sollte von Amts wegen darüber stehen), so könnte man das einer persönlichen Beleidigung gleichsetzen, und die kann man ja sowieso anzeigen, wenn man als humorlos gelten und sich lächerlich machen will.

Was ist denn das für ein Argument? Seit wann ist man humorlos wenn man Beschimpfungen nicht lustig findet.
Naja, jeder wie er meint.

(28-07-2012, 09:10)Lelinda schrieb: Eine Religion, die vor Kritik geschützt werden muss, scheint keine besondere Kraft zu haben. Und dass die Beleidigung von solchen Wesen (bei denen niemand weiß, ob sie überhaupt existieren) sogar noch schlimmer bestraft werden soll als die Beleidigung von Menschen, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.

Es geht Spaemann darum, dass der Staat das schützen soll, was seinen Bürgern heilig ist.
Teilweise nachvollziehbar, allerdings finde ich eine Bestrafung ebenfalls für nicht richtig.
#6
Wie ich darauf komme?
Nun, zunächst einmal sind es Fragen, die in an das Forum stelle, keine Aussagen. Fragen, die mich interessieren - überspitzt formuliert, um Reaktionen zu provozieren. Wie der Essay ja auch provozieren will.

Schön, dass du den ganzen Essay gelesen hast. Und auch den letzten zentralen Satz nicht weglässt: "Es müsste eben auch auf Religionsbeleidigung Anwendung finden."
"Es" ist das richterliche Ermessen, inwieweit eine Beleidigung vorliegt, und der Spielraum bei der Straffestsetzung. Paradoxerweise bezieht sich Spaemann ja wiederum auf eine Person, die beleidigt sein müsste, um zu klagen - und führt somit den Sachverhalt ad absurdum. Womöglich um ein philosophisches Problem daraus zu konstruieren. Aber das ist für mich nur ein Nebenschauplatz.

Entscheidend aber ist, dass gerade Monotheisten in ihrem heiligsten Grundsatz - der Gottesexistenz - durch die Aussage "es gibt keinen Gott" verletzt und beleidigt werden, ja sein müssen. In einigen nichtsäkulären Staaten wird Gottesleugnung hart bestraft, in anderen werden Atheisten verfolgt und vertrieben. Ist es das, was Mosebach und Spaemann - beabsichtigt oder nicht - für Deutschland auch wieder angewandt wissen wollen? Mosebach mit dem Argument besserer Kunstwerke, Spaemann mit dem Argument des Heiligen? Müssen wir bald wieder aus dem Schierlingsbecher trinken?
Es gibt weder gut noch böse in der Natur, es gibt keine moralische Entgegensetzung, sondern es gibt eine ethische Differenz. (Gilles Deleuze)
#7
Sollen die Gerichte vielleicht entscheiden ob es einen Gott gibt, den man beleidigen kann ?
#8
Wie meinen?
#9
(28-07-2012, 12:49)schmalhans schrieb: Schön, dass du den ganzen Essay gelesen hast. Und auch den letzten zentralen Satz nicht weglässt: "Es müsste eben auch auf Religionsbeleidigung Anwendung finden."
"Es" ist das richterliche Ermessen, inwieweit eine Beleidigung vorliegt, und der Spielraum bei der Straffestsetzung. Paradoxerweise bezieht sich Spaemann ja wiederum auf eine Person, die beleidigt sein müsste, um zu klagen - und führt somit den Sachverhalt ad absurdum.

Das verstehe ich leider nicht.
Jemand meint, er wurde beleidigt (bzw. seine Religion), klagt dagegen und das Gericht urteil darüber ob es sich um eine Beleidigung handelt. Was ist daran absurd?


(28-07-2012, 12:49)schmalhans schrieb: Entscheidend aber ist, dass gerade Monotheisten in ihrem heiligsten Grundsatz - der Gottesexistenz - durch die Aussage "es gibt keinen Gott" verletzt und beleidigt werden, ja sein müssen.

Ich hoffe doch stark, dass hier das Recht auf freie Meinungsäußerung stärker wiegt.
Ich sehe in einer Beleidigung eigentlich vor allem eine sinnlose Diffamierung.
Bei dem Statement "Es gibt keinen Gott" sehe ich absolut nichts beleidigendes.
Wie aber Mustafa schon angemerkt hat, wird es natürlich kompliziert wenn es Satire und Beleidigung zu unterscheiden gilt.
Man denke nur an Aktionen der Gordiano-Bruno-Stiftung.
Schon deshalb wäre ich gegen eine Strafe für Blasphemie.
#10
(28-07-2012, 15:56)Gundi schrieb: Jemand meint, er wurde beleidigt (bzw. seine Religion), klagt dagegen und das Gericht urteil darüber ob es sich um eine Beleidigung handelt. Was ist daran absurd?

Das sgat doch keiner. Aber Spaemann will ja den Tatbestand der Religionsbeleidigung gewürdigt wissen, des Heiligen an sich. Er schließt explizit Beleidung (religiöser) Personen aus. Das Paradoxon ist, dass die Beleidigung einer Weltanschauung oder Ideologie eigentlich nicht möglich ist
(etwa wenn ich sage: Du doofer Marxismus-Leninismus, es gibt ja gar keine Arbeiterklasse!) und sich deshalb eine Person beleidigt fühlen müsste, die dann die Klage führt - ohne aber tatsächlich beleidigt worden zu sein.

(28-07-2012, 15:56)Gundi schrieb: Ich hoffe doch stark, dass hier das Recht auf freie Meinungsäußerung stärker wiegt.

Ja, das hoffe ich auch - aber Menschen wie Mosebach und Spaemann (und viele andere) möchten das eingeschränkt wissen (wie es ja auch andere Einschränkungen der Meinungsfreiheit gibt, zum Beispiel die Leugnung des Holocausts betreffend, was ja in den USA als Meinungsäußerung gilt, in Deutschland verboten ist). Deshalb finde ich es wichtig, eben nicht nur eine Meinung zu haben, sondern auch Argumente dagegen in die Öffentlichkeit zu bringen. Hoffen allein genügt halt nicht.
Es gibt weder gut noch böse in der Natur, es gibt keine moralische Entgegensetzung, sondern es gibt eine ethische Differenz. (Gilles Deleuze)
#11
Sollte es dem Herrn Philosophen entgangen sein, dass es entsprechende gesetzliche Bestimmungen schon gibt?

Offenbar genügen ihm diese nicht!

Für Österreich gilt die Regelung nach § 188 StGB:

Zitat:Wer öffentlich eine Person oder eine Sache, die den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft bildet, oder eine Glaubenslehre, einen gesetzlich zulässigen Brauch oder eine gesetzlich zulässige Einrichtung einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft unter Umständen herabwürdigt oder verspottet, unter denen sein Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

In Deutschland sind Beleidigungen dieser Art im § 166 StBG, in der Schweiz im Artikel 261 des Schweizerischen Strafgesetzbuches geregelt.

In den genannten Staaten gilt:

Ob beleidigende Äußerungen den umschriebenen Tatbestand erfüllen, obliegt der richterlichen Beurteilung.

Ich denke, das sollte genügen.
MfG B.
#12
(28-07-2012, 16:47)schmalhans schrieb:
(28-07-2012, 15:56)Gundi schrieb: Jemand meint, er wurde beleidigt (bzw. seine Religion), klagt dagegen und das Gericht urteil darüber ob es sich um eine Beleidigung handelt. Was ist daran absurd?

Das sgat doch keiner. Aber Spaemann will ja den Tatbestand der Religionsbeleidigung gewürdigt wissen, des Heiligen an sich. Er schließt explizit Beleidung (religiöser) Personen aus. Das Paradoxon ist, dass die Beleidigung einer Weltanschauung oder Ideologie eigentlich nicht möglich ist
(etwa wenn ich sage: Du doofer Marxismus-Leninismus, es gibt ja gar keine Arbeiterklasse!) und sich deshalb eine Person beleidigt fühlen müsste, die dann die Klage führt - ohne aber tatsächlich beleidigt worden zu sein.

Ah ok, jetzt verstehe ich was du meinst.
#13
So wie ich ihn verstehe, will er es auf etwa eine Stufe wie die Holocaustleugnung stellen.
#14
Das sehe ich so ähnlich und ich sehe das grundsätzliche, rechts-philosophische Problem. Es gibt doch immer die konziliante Art der Religionskritik oder der Kritik an "heiligen" Ideologien und die bewusst beleidigende und vor allem verletzende Abwertung des Heiligen. Letztere halte ich dann für gegeben, wenn ein Kritikpunkt z. B. die Geldpolitik der Religionsgemeinschaft dem Einzelnen als besonders groteskte Engstirnigkeit, Dummheit oder verantwortungslose Unterstützung krimineller Bestrebungen unterstellt wird. Es handelt sich also um die Verbindung von allgemeiner Kritik und persönlicher Abwertung. Ich hoffe, ich konnte den Zusammenhang einigermaßen verständlich darstellen.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
#15
Eine bewusste Beleidigung ist natürlich etwas ganz anderes als normale Kritik. Eine bewusste Beleidigung zeigt aber vor allem ein negatives Bild von dem Beleidiger selbst und weniger von dem, der (oder der Religion, die) beleidigt wird.

Normale, konstruktive Kritik muss auf jeden Fall erlaubt bleiben, denn sonst landen wir wieder in einer Diktatur.


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