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Tunesien - ein erster Schritt
#1
Da es hier immer wieder viele Leser und Schreiber interessiert, habe ich eine aktuelle Meldung, die vor ein paar Tagen noch nicht ganz sicher war, gepostet. Tunesien hat es nämlich einerseits geschafft sich auf eine neue Verfassung zu einigen, aber darüber hinaus ist es beachtlich wie diese neue Verfassung inhaltlich aussieht.

"Tunesien feiert neue Verfassung

Religionsfreiheit und Gleichstellung der Frau: Besonders heftig gestritten wurde um einen Artikel, der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit garantiert. Viele konservative Abgeordnete wollten dies verhindern, da sich sogar Atheisten auf ihn beziehen können.


Viele der Delegierten weinten vor Freude, andere tanzten, fielen sich begeistert in die Arme: Am späten Sonntagabend wurde das neue tunesische Grundgesetz mit überwältigender Mehrheit von der verfassungsgebenden Versammlung angenommen. „Es ist kein perfektes Dokument, aber es ist das Produkt einer Einigung“, so Mustapha Ben Jaafar, Vorsitzender der Versammlung. Mehr als zwei Jahre hatten die 217 Delegierten an dem Dokument gearbeitet. Es gab viel Streit und immer wieder sah es so aus, als würde der Prozess platzen. Zu unüberwindlich waren die Meinungsverschiedenheiten, zu erbittert der Streit zwischen den Vertretern der moderat-islamischen Ennahda-Partei, die mit 40 Prozent der Sitze die stärkste Fraktion in der Versammlung stellt, und der eher säkularen Opposition.

....

So bleibt der Islam zwar auch nach der neuen Verfassung die Religion des Staates. Die Bezüge zum islamischen Recht hingegen wurden gestrichen. Das ist ein Novum und steht im Gegensatz zu fast allen anderen arabischen Ländern. Deren Verfassungen sehen vor, dass die islamische Scharia oder zumindest deren Prinzipien Grundlage der Rechtsprechung sind. Die tunesische Verfassung setzt auch für die Gleichstellung der Frauen neue Maßstäbe in der Region und widmet zudem 28 Artikel dem Schutz von Freiheiten und Rechten von Schutzbedürftigen.

Besonders heftig gestritten wurde um einen Artikel, der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit garantiert. Viele konservative Abgeordnete wollten dies verhindern, da sich sogar Atheisten auf ihn beziehen können. Zudem wird nach diesem Artikel untersagt, Muslime zu Ungläubigen zu erklären, wenn sie gegen die Prinzipien des Islam verstoßen. In vielen Fällen kommt diese Praxis einer Aufforderung gleich, den Betreffenden umzubringen. Wohl als Gegenleistung wurde ein anderer umstrittener Artikel in die Verfassung aufgenommen: So macht sich weiterhin strafbar, wer Religionen beleidigt und Heiligtümer schlecht macht.

....
+www.berliner-zeitung.de/politik/tunesien-tunesien-feiert-neue-verfassung,10808018,26009782.html

Na, das ist doch eine erfreuliche Nachricht. Eusa_dance
Das ist schon ein historischer Schritt, wie ich finde. Solch eine Entwicklung hätten wohl die wenigsten einem arabisch-muslimischen Land zugetraut.
Ich hoffe, dass man auch über Ägypten bald ähnliches berichten wird.
Noch ist das erst der Anfang, aber eben schon ein erster historischer Anfang.
Meine Gratulation! Eusa_clap und weiter so.
with great power comes great responsibility

Entscheidungen machen uns zu denen, die wir sind. Und wir haben immer die Wahl, das Richtige zu tun.
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#2
Eigentlich ist das eine neubeatmete alte Fassung.
(taz)
""Bis zum Wochenende legten die Abgeordneten die Grundlagen der neuen tunesischen Republik. Der Text folgt dem, was 1959 in der ersten Verfassung nach der Unabhängigkeit von Frankreich festgeschrieben wurde.

Die ersten Artikel der Verfassung, die den Charakter des Staates definieren, sind mit dem Zusatz versehen, dass sie künftig nicht geändert werden können.
"
Was soll dass Nichtändern, klar kann man das wieder ändern.
Dann gibts da noch die Hintertürchen.

"Obwohl das islamische Recht, die Scharia, nicht in die Verfassung aufgenommen wurde, befürchten Menschenrechtsorganisationen, dass die Verfassung an manchen Punkten zu ungenau ausfällt. Die gelte vor allem für Artikel 6. Er schreibt die Gewissensfreiheit fest, macht den Staat aber gleichzeitig zum „Wächter der Religion“ und „des Heiligen“.

„Alles Vage muss aus dem Artikel 6 entfernt werden“, heißt es in einer Erklärung der Tunesischen Menschenrechtsliga vom Samstag. Die doppelte Rolle des Staats „könne zu für die Bürger und die Freiheiten bedrohliche Auslegungen führen“.

Zu weiteren hitzigen hitzigen Debatten dürfte es kommen, wenn es um die Rolle der Frau geht. Die Geschlechter sind in Tunesien seit 1959 gleichgestellt. Die Islamisten würden dies gerne ändern. Für sie „ergänzen“ sich Mann und Frau."

Da gibts in der Praxis sicher Konfliktpotential.
Also eigentlich nichts wirklich Neues.

Nur der Zeitpunkt des Wiedereinführens der alten Verfassung.
Schaun wir mal.
Erst mal muss man die Worte mit Leben füllen.
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#3
(27-01-2014, 22:15)paradox schrieb: Na, das ist doch eine erfreuliche Nachricht. Eusa_dance
( . . . )
Ich hoffe, dass man auch über Ägypten bald ähnliches berichten wird.

Das ist sehr naiv.

Es mag schon sein, daß es dem Staat verboten ist, Andersgläubige zu verfolgen.

Aber wer kann die privaten Terrorbanden zähmen ??
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#4
Die haben eben anstatt den Passus, dass sich die Geschlechter ergänzen - wie sie ihn die moderaten Moslems forderten, eine Gleichstellung von Mann und Frau vereinabrt.

Das Gute ist, dass sie das nach der zuletzt langen Krise gemeinsam vereinbart haben.

Sie sagen auch selbst, dass das Dokument nicht perfekt ist, aber hey, auch die deutsche Verfassung kann abgeändert werden. Nichts ist perfekt. Ich finde es jedenfalls einen wichtigen Schritt in Richtung Demokratie.

Wenn man im Leben alles nur negativ sieht und nörgelt, dann kann man gleich aufgeben.
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#5
(28-01-2014, 01:36)Sinai schrieb: Das ist sehr naiv.

Es mag schon sein, daß es dem Staat verboten ist, Andersgläubige zu verfolgen.

Aber wer kann die privaten Terrorbanden zähmen ??

Das ist eine andere Baustelle.

Es geht darum, dass der Staat sich eine demokratische Verfassung gegeben hat. Und das ist ein historisches und wichtiges Zeichen. Gerne kann man alles nur schlecht sehen und den Pessimisten raushängen lassen - das kann ich auch gerne machen - aber mir gehts darum, dass niemand den muslimischen Tunesiern diesen Schritt wohl zugetraut hätte.

Sind doch alles radikale Moslems, heißt es doch von allen Seiten- die wollen Scharia, heißt es doch. Und Tunesien beweist aber, dass dem eben nicht so ist. Es gibt eben auch säkulare Moslems, die Demokratie haben wollen. Die Ausnahme Mustafa hier im Forum ist eben kein Einzelfall mehr.
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#6
(28-01-2014, 01:53)paradox schrieb: Das Gute ist, dass sie das nach der zuletzt langen Krise gemeinsam vereinbart haben.

Sie sagen auch selbst, dass das Dokument nicht perfekt ist, aber hey, auch die deutsche Verfassung kann abgeändert werden. Nichts ist perfekt. Ich finde es jedenfalls einen wichtigen Schritt in Richtung Demokratie.

Wenn man im Leben alles nur negativ sieht und nörgelt, dann kann man gleich aufgeben.
Vorsicht ist nicht negativ.
Ich habe mein Befremden ausgedrückt, das Unabändrbarkeit der
Grundlagen explizit drinsteht. Ist also nicht veränderbar (theoretisch)
Genauso ist das erstmal ein theoretisches Papier,
erstmal umsetzen.
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#7
Die Unabänderbarkeit soll helfen, dass nicht wieder rückständige Islamisten oder sonst wer, das System für sich ändert. Ein Mindestmaß an demokratischen Standards soll auf diese beibehalten werden.
Die Zeit wird zeigen, wie es sich entwickeln wird.
Aber natürlich kann man nicht erwarten, dass es zB in 10 Jahren noch besser wird, wenn das Land keine stabile Wirtschaft hinbekommt und auch die Nachbarstaaten nicht ähnliche Wege gehen.
Als Nächstes hoffe ich, dass es in Ägypten - vll. aber auch in einem anderen bisher nicht aufgefallenen musl. Staat - eine ähnliche Entwicklung geben wird.
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#8
Nur eine Anmerkung zu einem der angesprochenen Punkte: Bei uns herrscht allgemein die Tendenz, Scharia mit Fundamentalismus, drakonischen Körperstrafen usw. zu assoziieren. Dabei muß man sich aber klarmachen, daß es Scharia als kodifiziertes Recht nicht gibt. Man kann nirgends in eine Buchhandlung gehen und sich dort eine Scharia besorgen. Nicht mal in Saudi-Arabien wird man einem solchen Kunden weiterhelfen können.

Scharia als Begriff entspricht eigentlich dem, was man bei uns philosophisch oder auch theologisch unter einem ethischen Konzept versteht. D.h. es wird einerseits danach gefragt, wie auf der Grundlage bestimmter Prinzipien (hier der islamischen Glaubenslehre) Grundsätze des Handelns zu formulieren seien, und andererseits werden dann solche Grundsätze oder auch konkrete Richtlinien oder Anweisungen formuliert. Vor allem letzteres kann aber sehr verschieden aussehen.

Grundsätzlich ist das also nichts anderes, als das, was bei uns passiert, wenn einer bestimmten Weltanschauung oder Religion verpflichtete politische Parteien versuchen, deren Prinzipien in die Gesetzgebung einfließen zu lassen. In einem pluralistischen Staat ist das ja legitim.

Scharia an sich ist also gar nicht das Problem. Stirnrunzeln kriege ich woanders. Wo nämlich eine Theologie mit einer Hermeneutik, die - sagen wir mal: - über das rein Volkstümliche hinausgeht und akademischen Ansprüchen genügt, über relativ wenig politischen Einfluß verfügt, besteht natürlich die Gefahr, daß die Rechtsfindung relativ schlicht vonstatten geht. Dann wird es schwer sein, z.B. im Erbrecht zu einer Gleichstellung der Geschlechter zu kommen oder nicht-islamische Religionsgemeinschaften mit einem zivilrechtlichen Status auszustatten, der über koranische Verfügungen hinausgeht.

Tunesien gehört da allerdings eher zu den Staaten, bei denen ich da Hoffnung habe. Schauen wir also mal, was dabei herauskommt.
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#9
Zitat:Aber natürlich kann man nicht erwarten, dass es zB in 10 Jahren noch besser wird, wenn das Land keine stabile Wirtschaft hinbekommt und auch die Nachbarstaaten nicht ähnliche Wege gehen.
huschidibuschi mal schnell Jahrtausende alte Traditionen und Gebräuche + Regeln zu ändern, ist ein Trugschluß.
Und eine Gesellschaft, die an Traditionen fest hält, bestimmt die Regeln. Ehe das aufbricht, das kann dauern.
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#10
Besonders an Militärdiktaturen, hallo Sisi.
Gabs da im letzten Jahrhundert nicht gleich eine ganze Handvoll Führe
die mit Traditionen nicht viel am Hut hatten.

AUf marxistischen Grundlagen z.B., kann fix gehen.

Alles nur getrugschlusst ?
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#11
Entweder die Tendenz geht in Richtung islamistische Gottesstaaten ohne Rechte oder in Militärdiktaturen mit stark eingeschränkten Rechten.
Ob eine Demokratie westlicher Prägung in diesen Ländern Sinn macht, ist fraglich. Europa hatte eine ganz andere geschichtliche Entwicklung.
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#12
(27-01-2014, 22:15)paradox schrieb: Da es hier immer wieder viele Leser und Schreiber interessiert, habe ich eine aktuelle Meldung, die vor ein paar Tagen noch nicht ganz sicher war, gepostet. Tunesien hat es nämlich einerseits geschafft sich auf eine neue Verfassung zu einigen, aber darüber hinaus ist es beachtlich wie diese neue Verfassung inhaltlich aussieht

den tunesiern ist nur zu gratulieren und zu hoffen und wünschen, daß ihnen auch die weiteren schritte hin zu einer aufgeklärten demokratie gelingen
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#13
(28-01-2014, 01:36)Sinai schrieb: Es mag schon sein, daß es dem Staat verboten ist, Andersgläubige zu verfolgen.

Aber wer kann die privaten Terrorbanden zähmen ??

was hältst du vom staat?
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#14
(28-01-2014, 02:01)paradox schrieb: Sind doch alles radikale Moslems, heißt es doch von allen Seiten- die wollen Scharia, heißt es doch. Und Tunesien beweist aber, dass dem eben nicht so ist. Es gibt eben auch säkulare Moslems, die Demokratie haben wollen. Die Ausnahme Mustafa hier im Forum ist eben kein Einzelfall mehr.

die radikalen moslems wollten das sehr wohl

daß alle moslems radikale wären, sagen nur dumme oder verhetzte wie... du weißt ja eh, wer

natürlich ist mustafa kein einzelfall. leider trotzdem nicht repräsentativ für die gesamtheit der muslimischen welt, wie tunesien eben leider auch nicht

was kein vorwurf ist, sondern eine auszeichnung
einen gott, den es gibt, gibt es nicht (bonhoeffer)
einen gott, den es nicht gibt, braucht es nicht (petronius)
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#15
Ein erster Schritt. In der langen Reihe der besorgten bis kritischen Anmerkungen hier ist gelegentlich vor lauter "aber" sogar das zweifellos anzubringende "Ja" ganz vergessen worden. Das lässt fast den Eindruck entstehen, als sei dieser erste Schritt im Grunde genau so viel wert, wie wenn er nicht erfolgt wäre.
Und selbst wenn das Ganze sich nach Art der Echternacher Springprozession entwickelt, sollten wir das Erreichte mit den fortschrittlichen Tunesiern einfach mal feiern. Die naive Hoffnung nun sei alles schon "in Butter" dürfte nach den Vorgängen in Libyen, Ägypten, Syrien und Irak wohl eh kaum noch sehr verbreitet sein.
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