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Universismus und Messianismus
#1
Ich würde die Behauptung aufstellen, dass es so etwas
wie die zwei grundsätzlichsten Weltauffassungen gibt der
Menschheit gibt. Es gibt keinen tieferen weltanschaulichen
Riss, als den Riss zwischen diesen zwei Formen des
Weltgefühls. Die erste der Beiden, die ältere bezeichne
ich als Universismus (was nicht mit Universalismus 
gleichzusetzen ist). Der Duden definiert Universismus
als "[Die] Anschauung, besonders des chinesischen
Taoismus, dass die Welt eine Einheit sei, in die
der Einzelmensch sich einordnen müsse".

Der Taoismus ist seinem Wesen nach universistisch.
Für Laotse wurde die Welt nicht geschaffen, damit in
ihr ein göttlicher Heilsplan verwirklicht werde.
Die Geschöpfe seien der Natur "wie stroherne Hunde".
Mit Genügsamkeit soll sich der Mensch in die kosmische
Ordnung einfügen.

"Das Nicht-Handeln üben:
 so kommt alles in Ordnung."  Tao te king 

Aber auch in anderen religiösen Traditionen der alten
Welt findet sich der zeitlose Gedanke eines kosmischen
Gleichgewichts, das aufrechterhalten werden sollte. Für
die Ägypter war es die sogenannte Ma'at. Die Römer wollten
mit ihrem Götterkult die PAX DEORVM erhalten und selbst die
Menschenopfer bei den Mesoamerikanern - im Grunde ein Überbleibsel
aus barbarischer Zeit - dienten dem Zweck des Erhalts der 
universalen Ordnung.

Für Universisten verläuft die Zeit zyklisch. Die Griechen und 
Römer hatten verschwommene Vorstellungen von einem 
"Goldenen Zeitalter" - "AETAS AVREA", das hinter ihnen lag.
In der indischen Kosmologie finden wir deutlichere Bilder
von vier großen Zeitaltern, vom Satya Yuga bis zum Kali Yuga.

Dem Universismus entgegen steht der Messianismus, der Glaube
an die totale Erlösung, der Glaube an die Geschichte als Linie
zu einem paradiesischen Ziel, der Glaube an die apokalyptische
"gerechte" Abrechnung mit der alten Ordnung.

Das Christentum ist eine messianische Religion par
excellence, genauso wie die heidnischen Religionen,
die einst auf der gesamten Erdkugel vorherrschten,
universistisch waren und sind.

Ganze Kulturkreise lassen sich in die Kategorien
"universistisch" und "messianisch" einordnen. Das christliche
Abendland hat eine messianische "faustische" Kultur, deshalb
entstand hier auch der Totalitarismus als politisches Symptom
des Messianismus. Die römische Kultur, die den Abendländern
fremder ist, als sie annehmen, war in ihrem Wesen hingegen 
universistisch - "apollinisch".

P.S. Dieser Beitrag ist lang geraten, aber ich wüsste 
nicht, wie man eine solche Sache in wesentlich weniger 
Worten adäquat beschreibt.
#2
Einmal mehr führt mir dieser Artikel vor Augen, wie fremd mir die Religionen geworden sind.
Universismus: Wieso sollte der Mensch sich in die oder eine kosmische Ordnung einfügen? M. E. werden hier Nöte zu Tugenden erhoben. Armut oder Ressourcenmangel wird zur Genügsamkeit hochstilisiert. Wieso sollte es eine "kosmische Ordnung" überhaupt geben? Hier wird der menschliche Erkenntnisapparat auf die Außenwelt projiziert.

Messianismus: Nicht viel anders geht es bei den Buch- oder Offenbarungsreligionen zu. Auch hier wird der Welt ein Mythos übergestülpt, der erkennbar durch die Priesterschaft und ihre Interessen geschaffen wurde.

Ich denke, dass man die von dir angegebene Aufteilung so vornehmen kann, auch wenn mir universistische Vorstellungen vollkommen fremd sind. In vielen alten, nichtchristlichen Mythen findet man tatsächlich Bestrebungen, die Ordnung der Welt zu erhalten bzw. wieder herzustellen.
Aber so ganz frei sind die abrahamitischen Religionen von solchen Vorstellungen auch nicht. Denn Schuld verlangt einen Ausgleich - die Schuld der Menschen wird z. B. durch die Opferung Christi ausgeglichen. (Persönlich habe ich damit erhebliche Probleme).
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
#3
(20-07-2016, 23:17)Ekkard schrieb: Ich denke, dass man die von dir angegebene Aufteilung so vornehmen kann, auch wenn mir universistische Vorstellungen vollkommen fremd sind. In vielen alten, nichtchristlichen Mythen findet man tatsächlich Bestrebungen, die Ordnung der Welt zu erhalten bzw. wieder herzustellen.
Aber so ganz frei sind die abrahamitischen Religionen von solchen Vorstellungen auch nicht. Denn Schuld verlangt einen Ausgleich - die Schuld der Menschen wird z. B. durch die Opferung Christi ausgeglichen. (Persönlich habe ich damit erhebliche Probleme).

Yup, das Menschenopfer als Abgeltung ist ein zentraler Aspekt des Christentums.

Andererseits sind auch einige der orientalischen Religionen nicht frei vom Erloesungsglauben. Das Leben auf der Erde ist so quasi die Hoelle, der es zu entrinnen gilt. Die Erloesung vom Zirkel der Wiedergeburt ist das ultimative Ziel.
#4
Ulan schrieb:Yup, das Menschenopfer als Abgeltung ist ein zentraler Aspekt des Christentums.

Gemäß christlicher Vorstellung ist es so, dass Gott-Vater seinen Sohn
Jesus Christus den Opfertod am Kreuz sterben ließ, um die Sünden
der Menschen zu beseitigen, was Teil einer messianischen Theorie
ist. Währenddessen gab es bei den Azteken
Menschenopferungen, um die kosmische Ordnung zu
erhalten. Ich sehe da einen wesentlichen Unterschied.

Ulan schrieb:Andererseits sind auch einige der orientalischen Religionen nicht frei vom Erloesungsglauben. Das Leben auf der Erde ist so quasi die Hoelle, der es zu entrinnen gilt. Die Erloesung vom Zirkel der Wiedergeburt ist das ultimative Ziel.

Im indischen Sanatana Dharma (besser bekannt als "Hinduismus"), gibt es zwar die
Vorstellung eines Ausbruchs aus dem Kreislauf der Reinkarnation, aber nichts
was mit dem "Jüngsten Gericht" der Christen vergleichbar wäre. Kein endgültiges
Ende der Geschichte, sondern zyklische Großzeitalter. Ähnliches dürfte auch
für den Buddhismus gelten, auch wenn ich mich mit diesem nicht gut
auskenne.
#5
(21-07-2016, 16:06)Severus schrieb: Im indischen Sanatana Dharma (besser bekannt als "Hinduismus"), gibt es zwar die Vorstellung eines Ausbruchs aus dem Kreislauf der Reinkarnation, aber nichts was mit dem "Jüngsten Gericht" der Christen vergleichbar wäre. Kein endgültiges Ende der Geschichte, sondern zyklische Großzeitalter. Ähnliches dürfte auch für den Buddhismus gelten, auch wenn ich mich mit diesem nicht gut auskenne.

Das Nirvana ist halt soteriologisches Ziel in mehreren oestlichen Religionen. Das Ziel ist das Ende der Verhaftung im Samsara, also das Abkoppeln von der Welt. Dass die Welt durch Zyklen geht, ist dabei unerheblich, da sie dann ueberwunden ist, der erfolgreiche Glaeubige also ausserhalb steht. Um Erloesung geht es hier also auch.

Im Endeffekt sehe ich, wie bereits von Ekkard angemerkt, von rein praktischen Ueberlegungen her, keinen Unterschied in den positiven oder negativen Auswirkungen der verschiedenen Religionskonzepte auf das Leben der Menschen und die Welt. Bei beiden gibt es grundsaetzlich postive und grundsaetzlich negative Aspekte.

Um das mal zu konkretisieren, so hat das, was Du als Tugend der "Nichteinmischung" siehst die Kehrseite des Lasters der "Gleichgueltigkeit und Apathie". Die Sache mit der christlichen Naechstenliebe laesst zwar in der praktischen Anwendung sehr zu wuenschen uebrig, aber es ist zumindest ein erklaertes Ziel. Bei Religionen, die nach innen gerichtet sind, ist das weniger der Fall. Um beim Hinduismus zu bleiben, so ist der Gipfel der Tugend, die einem zugedachte Rolle im Leben zu spielen (siehe den Dialog zwischen Krishna und Arjuna im Mahabharata). Das bleibt fuer mich weit hinter christlicher Ethik zurueck.
#6
(21-07-2016, 16:41)Ulan schrieb: Um beim Hinduismus zu bleiben, so ist der Gipfel der Tugend, die einem zugedachte Rolle im Leben zu spielen (siehe den Dialog zwischen Krishna und Arjuna im Mahabharata).

Das Blöde ist, woher weiß der Mensch, was "die ihm zugedachte Rolle im Leben" ist ?

Beispiel: ein Mann hat Grauen Star
Soll er jetzt unbehandelt erblinden ?   Ist ihm im weiteren Leben die Rolle des Blinden "zugedacht" ?
Soll er sich jetzt operieren lassen ?     Ist ihm im weiteren Leben die Rolle des Schriftstellers "zugedacht" ?
#7
(20-07-2016, 23:32)Ulan schrieb: Andererseits sind auch einige der orientalischen Religionen nicht frei vom Erloesungsglauben.


Abgrenzungsfrage:  Was sind - orientalische - Religionen ??

Meines Erachtens gehören da auch die folgenden Patienten dazu:
Judentum
Christentum
Islam
Mormonen
Zeugen Jehovas
Hussiten
Wiedertäufer
Hugenotten
Katharer und Bogomilen

Aber auch:
Religion der Osterinseln
Und weiter östlich dann die Indianer Perus !
#8
Hast du mal nach dem Thema geschaut? Welchen Gewinn bringt es, die "orientalischen Religionen" näher einzugrenzen? Beispiele wurden ja oben gegeben. Dieselbe Frage erhebt sich zur Erörterung der "Rolle im Leben". Es war einfach eine Feststellung, wie Universisten die Welt betrachten. Wie im Einzelnen braucht uns nicht weiter zu beschäftigen.

Ich schließe vorläufig die Diskussion, weil die beiden Fragestellungen nur Nebenschauplätze eröffnen, die besser in anderen oder eigenen Threads erörtert werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard


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