Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Die Kinder des Uranos, oder "Was tat Ham dem Noah an?"
#10
(05-10-2016, 09:36)Ulan schrieb: Allerdings sollte man nicht ignorieren, dass eine der Hauptanliegen der Geschichte war, zu erklaeren, warum es vollkommen okay war, die Kanaaniter zu versklaven.

Richtig. Die meisten Mythen im Tanach haben ätiologische Funktion, d.h. sie sollen einen bestehenden historischen oder natürlichen Sachverhalt kausal erklären. Die Frage ist nur, warum die Ätiologie in diesem Fall die Verletzung eines sexuellen Tabus involviert.

Eine hundertprozentig zutreffende Interpretation des Ham-Narrativs kann es nicht geben. Dafür bietet der Text zu viele gleichwertige Deutungsmöglichkeiten. Zu den hier bisher genannten lassen sich weitere delikate Varianten hinzufügen:

1)
Kanaan wird verflucht, weil Ham seinen Sohn über dem nackten Noah hat masturbieren lassen. Das schließt die Verfluchung der Nachkommen Kanaans ein.

2)
Mein persönlicher Favorit:

Objekt der Begierde des Ham ist gar nicht sein Vater Noah, sondern seine Mutter Namaah (so in der jüdischen Tradition genannt). Der Ausdruck "die Blöße des Vaters aufdecken" bedeutet im frühjüdischen Sprachgebrauch eindeutig "die Blöße der Mutter aufdecken".

Beispiel Levitikus 18:

6 Niemand soll sich zu seiner nächsten Blutsfreundin tun, ihre Blöße aufzudecken; denn ich bin der HERR. 7 Du sollst deines Vaters und deiner Mutter Blöße nicht aufdecken; es ist deine Mutter, darum sollst du ihre Blöße nicht aufdecken. 8 Du sollst deines Vaters Weibes Blöße nicht aufdecken; denn sie ist deines Vaters Blöße.

Es handelt sich bei Hams Vergehen also höchstwahrscheinlich um einen vom Autor nicht explizit gemachten Beischlaf mit seiner Mutter während der Trunkenheit des Vaters.

Der Logik des Ödipuskomplexes entsprechend wird das mit der symbolischen Kastration Hams bestraft (Versklavung seiner Nachkommen).

Nun zu deinem Einwand betr. psychoanalytische "Meta-Ebene":

Natürlich zielt eine psychoanalytische Interpretation nicht auf historische Figuren, sondern auf die unbewussten Faktoren im Entstehungsprozess des Narrativs. Anzunehmen ist, dass es nicht das Produkt eines einzelnen Autors ist, sondern die Endredaktion einer oral tradierten Fabel, die einen bestimmten, nicht wirklich gelösten psychologischen Konflikt in der israelitischen Lebenswelt verarbeitet.

Dieser Kollektiv-Konflikt könnte z.B. ein unbewusster homosexueller Aspekt der Jahwe-allein-Bewegung (promotet durch die ´Propheten´) gewesen sein. Homosexuell, weil die ´natürliche´ Gendervielfalt des Polytheismus, die eine libidinöse Zuwendung zu Göttinnen erlaubte, durch die monolatrische Konzentration auf einen maskulinen Gott unterdrückt wurde, d.h. die religiöse Libido richtete sich nur noch auf ein maskulines Objekt. Nun hat die Homosexualität ausgerechnet beim Judentum eine denkbar schlechte Presse. Wie passt das zusammen? Ich hab´s kürzlich erklärt - siehe das FBI-Hoover-Beispiel. Das durch die unbewusste Homosexualität verursachte Schuldgefühl entlädt sich fiktional in Noahs Zorn auf Ham. Dass Homosexualität im Judentum durchaus ein internes Problem darstellt, zeigt das jüdische Tabu des Sich-nicht-nackt-zeigen-Dürfens des Vaters vor seinem Sohn.

Die zuvor erwähnte Mutterinzest-Interpretation weist auf die Möglichkeit eines anderen innerjüdischen Kollektiv-Konflikts hin, der aus der Unterdrückung weiblicher Gottheiten durch den maskulin orientierten Monotheismus resultiert. Diese Konflikt ist die Kehrseite des vorgenannten Konflikts. Das Schuldgefühl entsteht hier aus dem verbotenen Begehren der Mutter(-Göttin).
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Die Kinder des Uranos, oder "Was tat Ham dem Noah an?" - von Tarkesch - 05-10-2016, 20:14

Möglicherweise verwandte Themen…
Thema Verfasser Antworten Ansichten Letzter Beitrag
  Masoreten - Sadduzäer oder Pharisäer ? Sinai 11 10009 18-12-2018, 04:40
Letzter Beitrag: WiTaimre
  Das Judentum als Geschichtsreligion oder Schriftreligion Glypton 10 15549 08-10-2016, 01:17
Letzter Beitrag: Bion
  Dana International - oder, der Umgang mit Transsxualität Witch of Hope 33 47340 06-10-2009, 17:18
Letzter Beitrag: Witch of Hope

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste