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Gilgamesch, Gilgamesch-Epos
#1
Gilgamesch, König von ↗Uruk, ist die wohl berühmteste Sagengestalt des Alten Orients. Ob der Figur eine historische Person zugrunde liegt, ist nur hypothetisch zu beantworten. Manche Fachgelehrte nehmen das an. Beispielsweise der Philologe und Orientalist Karl Hecker, der meint, Gilgamesch sei zweifelsohne eine historische Persönlichkeit gewesen. Zwar hat sich keine authentische Inschrift von ihm selbst erhalten, doch ist eine solche von einer Person auf uns gekommen, die in Erzählungen über Gilgamesch erwähnt ist, nämlich von ↗Mebaragesi, König von ↗Kisch1. Schon im 21. Jh vC genießt Gilgamesch zusammen mit seinen Eltern (↗Lugalbanda und ↗Ninsun) in Ur göttliche Verehrung.

Sofern Gilgamesch als historische Person gesehen wird, ist seine Lebenszeit im 27. Jh vC (die Zeit des Baus der Stadtmauer von Uruk) zu vermuten.

Als sich nach dem Zusammenbruch des Großreichs ↗Sargons von Akkad in einigen Städten, so auch in ↗Ur, wieder sumerische Herrscherfamilien festsetzten, erinnerte man sich des großen Vorfahren. Um diese Zeit entstanden die ersten epischen Dichtungen, die das Leben und die Herrschaft Gilgameschs zum Thema hatten. Fragmentarisch erhalten sind die Kurzepen (↗Sumerischer Gilgameschzyklus): ↗Bilgamesch und Akka2; ↗Bilgamesch und Huwawa; ↗Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt; ↗Gilgamesch und der Himmelsstier;  ↗Tod des Gilgamesch. Sie sind Abbild der damaligen Gegenwart und geben die Grundmotive für die spätere Gilgamesch-Dichtung vor.

Erzählungen über Gilgamesch waren in altbabylonischer Zeit weit verbreitet und wichen inhaltlich voneinander ab. ↗Akkadische, ↗hethitische und ↗hurritische Nachdichtungen, die fragmentarisch erhalten sind, belegen das.

Heute versteht man unter "Gilgameschepos" vornehmlich die akkadische, sogen. "Zwölf-Tafel-Fassung" aus ↗Ninive, die zu ihrem größten Teil der Bibliothek ↗Assubanipals entstammt. Als Redaktor des Textes von Ninive ist ein Priester namens Sin-leqe-unninni, der um 1200 vC gelebt hat, bekannt. Das hat allerdings nur für die Tafeln I-XI Gültigkeit. Die Tafel XII ist als späterer Zusatz entstanden.

Die Textausgaben der Zwölf-Tafel-Fassung weichen voneinander ab. Das ist in dem Umstand geschuldet, dass der über die Ninive-Tafeln auf uns gekommene Text, dort, wo er lückenhaft oder zerstört ist, mittels anderer Textfunde, denen abweichende Traditionen zugrunde liegen, ergänzt wurde.

Die Übersetzungsversuche vom Fragmenten der Tafel XI durch George Smith im Jahr 18723 stießen wegen der dort festgehaltenen ↗Sintfluterzählung des ↗Utnapischtim auf besonderes Interesse von Orientalisten und Alttestamentlern. Auch die hohe literarische Qualität des Epos wurde rasch erkannt. ↗Rainer Maria Rilke war von den Textproben, die ihm zugekommen waren, begeistert4.

Die ältesten erhaltenen Zeugnisse zur Beschäftigung mit dem Gilgamesch-Sagenstoff in akkadischer Sprache stammen aus altbabylonischer Zeit (19. – 16 Jh vC). Tafeln bzw. Fragmente sind auf verschiedene Museen verteilt (Iraq-Museum in Bagdad, University-of-Pennsylvania-Museum in Philadelphia, Oriental Institute Chicago, Staatliches Museum Berlin, British Museum London, Antiken-Museum Jerusalem, etc.).

Das Zwölf-Tafel-Epos

Tafel I

Gilgameschs Kraft wird besungen und gerühmt. Der Bau der Stadtmauer von Uruk durch ihn wird erwähnt.

Da er in seinem Übermut die Stadt Uruk tyrannisiert, schuf die Göttin ↗Aruru mit ↗Enkidu einen Tier-Menschen, einen für Gilgamesch gleichstarken Konkurrenten. Ein Jäger entdeckt ihn. Die Wildheit Enkidus, der unter den Steppentieren lebt, musste gezähmt werden. Das geschieht durch eine ↗Tempelprostituierte namens Schamchat. Durch den Beischlaf mit ihr verliert Enkidu seine tierhafte Wildheit.  Er lässt sich von Schamchat nach Uruk führen, wo ihn Gilgamesch - durch Träume auf das Zusammentreffen vorbereitet - erwartet.

Tafel II

Enkidu will sich im Zweikampf mit Gilgamesch messen. Wie dieser Kampf ausgegangen war, erfährt man nicht. Die Verse, die den Ausgang beschreiben, sind nicht erhalten. Nach dem Kampf werden Gilgamesch und Enkidu zu Freunden.

Gilgamesch beschließt, den Herrn des Zedernwaldes, ↗Chumbaba, zu töten. Enkidu rät davon ab.

Tafel III


Gilgamesch erhält für den Kampf mit Chumbaba den Segen der Ältesten. Enkidu wird ihn begleiten. Er kennt den Zedernwald. Er wird dem Freund Schutz geben. Ninsun bringt ↗Schamasch, dem Sonnengott, ein Rauchopfer dar. Danach bittet sie Enkidu, den Freund zu beschützen. Dann brechen die beiden auf.

Tafel IV

Am dritten Tag erreichen sie den ↗Libanon. Gilgamesch steigt auf einen Berg, um zu opfern. Enkidu bereitet das Nachtlager. Sie versuchen, die Träume, die sie in der Nacht heimsuchen, zu deuten und sprechen einander Mut zu.

Tafel V

Gilgamesch und Enkidu stehen vor dem Wald und betrachten die gewaltigen ↗Zedern. Zuerst sehen sie die Spuren Chumbabas. Dann tritt Chumbaba auf und verspottet die beiden. Es kommt zum Kampf. Schamasch, der Sonnengott, greift auf Seiten Gilgameschs und Enkidus ein. Mit gewaltigen Stürmen engt er die Bewegungsfreiheit Chumbabas ein. Chumbaba gerät in Bedrängnis, er versucht, sein Leben zu retten und beginnt Gilgamesch zu schmeicheln. Schließlich bettelt er um sein Leben. Enkidu warnt Gilgamesch, auf Chumbaba zu hören. Er fordert, ihn zu erschlagen. Danach wird Chumbaba getötet, sein Körper zerteilt. Den Kopf Chumbabas nimmt Gilgamesch mit.

Tafel VI

Er (Gilgamesch?) wäscht sein verfilztes Haar, reinigt seine Waffen.  Er legt die verschmutzen Kleider ab, zieht reine an und bindet eine Schärpe um.

Gilgamesch setzt seine Krone auf. In seiner Schönheit fällt er ↗Ischtar auf, die ihm anbietet, ihr Gemahl zu sein. Gilgamesch lehnt ab, worauf sich die Göttin wütend entfernt. Bei ihrem Vater ↗Anum beklagt sie sich über ihn. Sie fordert von Anum, ihr den gewaltigen ↗Himmelsstier zu überlassen, der Gilgamesch und sein Gefolge töten solle.

Ischtar führt den Himmelsstier nach Uruk. Alleine durch zweimaliges Schnauben entstehen Gruben, in denen 100 und 200 Menschen verschüttet werden. Durch ein drittes Schnauben entsteht eine Grube, in die Enkidu fällt, aber nur zur Hälfte verschüttet wird. Enkidu springt aus der Grube und packt den Stier an den Hörnern. Er fordert Gilgamesch auf, den Stier mit dem Schwert zwischen Hals und Hörnern zu treffen und zu töten. Gemeinsam gelingt ihnen das auch.

Ischtar ist bestürzt und legt Trauerkleidung an. Sie bedroht Gilgamesch, der sie verschmäht und den Himmelsstier getötet hat. Als Enkidu das hört, reißt er dem toten Stier das rechte Bein ab, wirft es vor Ischtar hin und droht, gleiches auch mit ihr zu tun, sollte er ihrer habhaft werden.

Danach wird im Palast ein Freudenfest abgehalten. In der folgenden Nacht hat Enkidu einen fatalen Traum, den er gedeutet haben möchte.

Tafel VII

Enkidu hatte geträumt, die großen Götter hätten beschlossen, ihn als Strafe für die Tötung Chumbabas erkranken und sterben zu lassen.

Als Gilgamesch vom Traum erfährt, wird er traurig. Er sagt zu Enkidu, er möge dem Traum keine Bedeutung beimessen, will aber zu den großen Göttern beten.

Enkidu wendet sich an Schamschat, den Sonnengott, weint und verflucht den Jäger, der ihn gefunden und Schamchat, die Tempelprostituierte, die ihn aus der Wildnis geführt hatte. Schamschat erinnert ihn an die liebevolle Behandlung durch Schamchat, worauf Enkidu seinen Fluch zurücknimmt.

Die Krankheit Enkidus, die ihn mit dem Tag nach dem Traum befallen hatte, verschlimmert sich zusehends.
(Die Verse, die den Tod Enkidus beschreiben, sind nicht erhalten).

Tafel VIII

Gilgamesch beklagt den Tod Enkidus und lässt ein Bildnis von ihm herstellen.

Tafel IX

Gilgamesch begibt sich zu seinem Ahn Utnapischtim, um ihn über Tod und Leben zu befragen. Auf dem Weg durch die Steppe beweint er seinen Freund Enkidu. Dann kommt er in das Gebiet der Skorpionmenschen, die den Eingang zum Maschu-Gebirge bewachen, das der Sonnengott täglich durchwandert. Durch einen Hohlweg, der durch das Gebirge führt, gelangt Gilgamesch in einen Wald. Dieser besteht aus früchte- und laubtragenden Edelsteinen.

Tafel X

Gilgamesch kommt ans Meer, wo ↗Siduri, die Schenkin, mit ihrem Maischbottich sitzt. Sie erzählt ihm vom Fährmann ↗Urschanabi. Er sucht den Fährmann auf, der ihn - nach einem schwer deutbaren Vorfall (Gilgamesch zerbricht "die von Stein", die Wächter des Bootes?) - über das Wasser des Todes zu Utnapischtim bringt. Bei Utnapischtim angekommen, erzählt ihm Gilgamesch von der Todesfurcht, die ihn seit  Enkidus Tod bedrückt. Daraufhin erklärt Utnapischtim Gilgamesch den Sinn des Lebens.

Tafel XI

Gilgamesch bittet Utnapischtim, ihm zu sagen, wie er als Mensch die Unsterblichkeit erlangen konnte. Utnapischtim erzählt ihm von der Sintflut, die er als einziger Mensch überlebt und verrät ihm, wie Gott ↗Ea das eingerichtet hatte:  

Ea ließ Utnapischtim wissen, dass die großen Götter geschworen hatten, die Menschheit zu vernichten. Kein Sterblicher, so waren sich die Götter einig, dürfe die Flut überleben. Da Ea das mitbeschlossen hatte, musste er zu einer List greifen, um Utnapischtim zu warnen. Der Rohrhütte, in der Utnapischtim wohnte und in der er durch die Wand mithören konnte, erzählte Ea vom Götterbeschluss5.

Ea gab genaue Anweisungen wie die ↗Arche beschaffen sein müsse, berichtet Utnapischtim weiter. Nach Fertigstellung möge er von allem Samen des Lebens auf das Schiff bringen.

Es folgt eine genaue Beschreibung vom Verlauf der Sintflut, die in vielen Einzelheiten dem biblischen Bericht gleicht.

Nachdem die Flut zurückgegangen war, bereitete Utnapischtim ein großes Opfer. Der Duft des Opfers erfreute die Götter, und sie kamen herbei. Als ↗Enlil die Arche sah, wurde er wütend. Nach seinem Willen hätte kein Mensch dem Verderben entkommen dürfen. Ea, auf den sofort der Verdacht fiel, dafür verantwortlich zu sein, hielt Enlil die Unverhältnismäßigkeit seiner Handlung vor. Dem Götterbeschluss, wonach kein Sterblicher die Flut überleben dürfe, wurde nachträglich Rechnung getragen. Utnapischtim und seine Frau wurden in den Kreis der Götter aufgenommen und unsterblich.

Die Sintflut, bei der er, Utnapischtim, Unsterblichkeit erlangt habe, werde sich nicht wiederholen, lässt er Gilgamesch wissen. Er wisse aber von einem stechenden Kraut, das im ↗Apsu, dem Süßwasserozean, wächst und die Jugend wiederbringen könne.

Gilgamesch bindet sich schwere Steine an die Beine und lässt sich auf den Grund des Ozeans ziehen. Dort findet er das Lebenskraut, schneidet sich die Steine von den Beinen und lässt sich danach ans Ufer spülen. Als Gilgamesch auf dem Heimweg in einer Quelle Kühlung sucht, wird ihm das Kraut von einer ↗Schlange gestohlen.  Die Schlange lässt die alte Haut ihres Körpers zurück.

Tafel XII

Die Tafel, die den Abschluss bildet, ist inhaltlich mit den anderen Tafeln nicht einfach in Deckung zu bringen. Beispielsweise tritt  Enkidu auf, ist also wieder am Leben.

Der Text, der das Dasein in der Unterwelt veranschaulichen soll,  deckt sich inhaltlich in großen Teilen mit dem sumerischen Epos "Bilgamesch, Enkidu und die Unterwelt". Somit ist die Tafel XIII wohl eine Übersetzung von Teilen desselben. Dort wird der Totengeist Enkidus beschworen. Gilgamesch erfährt im Gespräch mit Enkidu vom Schicksal der Verstorbenen in der ↗Unterwelt.



1) K. Hecker in: O. Kaiser Hrsg. Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd III, Lfg. 4, Mythen und Epen II, S. 646.

2) Bilgamesch = sumerische Bezeichnung für Gilgamesch

3) 1844 begann Henry Layard unter Schutthügeln in ↗Mesopotamien zu graben und fand schließlich die Ruinen von Ninive samt den ↗Überresten der königlichen Bibliothek. Mehrere Tausend Tafelfragmente übersandte er an das British Museum of London, wo G. Smith, ein Banknotengraveur, der im Selbststudium die nötigen Kenntnisse erworben hatte, mit den ersten Übersetzungsversuchen in der Fachwelt Aufsehen erregte.

4) R.M. Rilke in einem Brief (11.12.1916) an Maria Kippenberg:
Gilgamesch ist ungeheuer: Ich kenns aus der Ausgabe des Urtextes und rechne es zum Größten, das einem widerfahren kann. Von Zeit zu Zeit erzähl ichs dem und jenem, den ganzen Verlauf, und habe jedesmal die erstaunendsten Zuhörer. Die Zusammenfassung Burckhardts ist nicht durchaus glücklich, bleibt hinter der Größe und Bedeutung zurück —, ich fühle: ich erzähls besser.

Und in einem Brief (31.12.1916) an Helene von Nostitz schreibt er:
Ich habe mich mit der genauen gelehrten Übersetzung (von Ungnad) eingelassen und an diesen wahrhaft gigantischen Bruchstücken Maße und Gestalten erlebt, die zu dem Größten gehören, was das zaubernde Wort zu irgendeiner Zeit gegeben hat.

5) Im Vers 20 der Tafel XI erzählt Ea das Geheimnis einer Rohrhütte, in der sich Utnapischtim befand und mithören konnte, nach Vers 186 wurde der Götterbeschluss Utnapischtim über einen Traum mitgeteilt.



Literatur:
Beyerlin. Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament, 1985 Göttingen, Verl. Vandenhoeck & Ruprecht.
Otto Kaiser Hrsg. Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, 19 Bde, 1994 Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus.
Raoul Schrott. Gilgamesch, 2001 München, Hanser Verlag.
Stephen Mitchell Hrsg. Gilgamesch, 2006 München, Verl. Goldmann
.



● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
MfG B.
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