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Normale Version: Das Deuteronomium und die assyrischen "Vasallenverträge des Asarhaddon"
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Da diese Frage oefter mal aufkommt, sei hier kurz die in der Bibelforschung gefundene Beziehung des Deuteronomiums (oder 5. Buch Mose, wie Luther es nannte) zu den sogenannten ""Vasallenverträgen des Asarhaddon" angerissen, bei denen es sich um in den Tempeln der Vasallen aufgestellte Texte handelt, die die Treue zu Assyrien und den reibungslosen Uebergang der Oberhoheit auf seinen Sohn Assurbanipal regeln sollten. Das Detail ist interessant, weil das Aufstellen dieser Tafeln in die Regierungszeit Manasses von Juda faellt, dessen Regierungszeit kurz vor dem Beginn der Regierungszeit des Joschija (640-609 v.Chr.), des "Finders" des Deuteronomiums, endete. Letzterer war bei Amtsantritt nur 8 Jahre alt, was wohl den Tempeleinfluss erklaert.

Ich beziehe mich hier der Einfachheit halber auf den Wikipedia-Text zum Deuteronomium, den ich auszugsweise zitieren werde (fuer die vollstaendige Darstellung siehe dort; Hervorhebungen von mir):

Zitat:Manasses Vasalleneid

Der von der Bibel negativ gewertete König Manasse verhielt sich als treuer Vasall der Neuassyrer, was den Untertanen während seiner langen Regierung (694–640 v. Chr.) eine stabile und prosperierende Zeit bescherte.[25]

Der assyrische König Asarhaddon ließ 672 einen Text verfassen, mit dem seine Vasallen auf die von ihm gewünschten Thronfolger verpflichtet wurden: Assurbanipal auf dem Thron Assurs und Šamaš-šuma-ukin auf dem Thron Babylons. Der Text, auf Keilschrifttafeln niedergelegt, wurde assyrisch als adê („Treueid“) bezeichnet. Britische Archäologen fanden 1955 über 350 Fragmente dieser Tafeln im Nabu-Tempel von Nimrud. Bei der Erstveröffentlichung 1958 interpretierte man adê als „Vasallenvertrag“, daher die Bezeichnung The Vassal-treaties of Esarheddon, abgekürzt VTE. Die Ähnlichkeit der bei Untreue angedrohten Flüche mit den Flüchen in Dtn 28 war auffällig.[26] Aber erst 1995 konnte Hans Ulrich Steymans nachweisen, dass die Ähnlichkeiten nicht auf einer altorientalischen Tradition des Drohens und Fluchens beruhen, sondern dass Dtn 28 von den VTE literarisch abhängig ist. [Beispiel siehe in der Quelle - Ulan][...]

Exemplare der VTE wurden bisher nur in Tempeln gefunden, wo sie von den Vasallenkönigen anscheinend wie Götterbilder verehrt wurden. Man kann daher annehmen, dass auch König Manasse von Juda sein Exemplar im JHWH-Tempel von Jerusalem aufstellte.[29] So wurde der Text in der Jerusalemer Oberschicht bekannt.[...]

Eckart Otto weist auf eine weitere Parallele hin. Schon ein „übles, schlechtes, unpassendes Wort, das für Assurbanipal … nicht angemessen, nicht gut ist“, gilt in den Eidesformeln der VTE als Hochverrat (VTE §10). Hochverräter müssen angezeigt und an den Palast ausgeliefert werden, am besten ist es aber, „sie zu packen, sie zu töten“ (VTE §12). Es besteht eine auffällige Ähnlichkeit zu Dtn 13,2–10 EU, wo der Tatbestand eines religiösen Hochverrats geschaffen wird, der ebenfalls mit Lynchjustiz geahndet werden soll. „Die Forderung der Lynchjustiz … hat im gesamten Rechtssystem des Alten Testaments keinen weiteren Anhalt, wohl aber in den VTE [...]

Thomas Römer sieht in den VTE die „Vorlage und Inspirationsquelle“ des Ur-Deuteronomiums, legt sich aber nicht fest, ob diese Rezeption subversiv war „oder einfach dem Zeitgeist entsprach.“[34] Das heißt auch: „Ohne die Assyrer hätte es das Dtn nie gegeben!“[35]

Moshe Weinfeld und S. David Sperling weisen darauf hin, dass dem Leser im Deuteronomium die konventionelle Sprachform von Staatsverträgen des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr., nur eben auf die Gottheit und nicht auf den Herrscher bezogen, begegnet. So sei die Versicherung, man „liebe ihn mit ganzem Herzen“, die übliche Weise, wie man damals seine Loyalität zum Herrscher bekundet habe (vgl. Dtn 6,5 EU).

Ein weiterer Bezug, der hier im Wikipedia-Text nicht genannt ist, besteht in der Benutzung des assyrischen Worts adê als ungewoehnliches hebraeisches Wort edöt fuer den Text als Ueberschrift in Dtn 4,45 (weiteres siehe hier(Link geht zu einer pdf-Datei)).

Die Regierungszeit des Knaben Joschija begann entweder direkt nach Manasse oder hoechstens zwei Jahre danach, je nachdem, wie lange die Koregentschaft seines ermordeten Vaters Amon mit Manasse dauerte. Die Gelegenheit, die durch den Kindkoenig gegeben wurde, wurde dann wohl fuer diverse religioese Reformen, wie Aenderungen im Kult und Zentralisierung des Jahwe-Kults auf Jerusalem, genutzt. Ueber die "Auffindung" des Deuteronomiums im Jahwe-Tempel berichtet 2 Kön 22,9 EU. Dass es sich bei der Fundsache eigentlich um die VTE handelte, ist naheliegend. Wie Angelika Berlejung resuemiert: "Falls historisch, war Joschijas Modernisierungsprogramm ohne Rückhalt in der Bevölkerung und blieb daher Episode."

Zur generellen Einordnung des Deuteronomiums zitiere ich noch mal Wikipedia (hier):
Zitat:Georg Braulik definiert das im Tempel zur Zeit Joschijas vorhandene Tora-Buch als relativ knappe Vorstufe des Deuteronomiums. Es habe noch keine Mosereden und keine Sozialgesetze enthalten, sondern vor allem Kultgesetze und Segen-Fluch-Sanktionen.[40] Auch habe Joschija die Schwäche der Großmacht Assur nutzen und das Gebiet des Reiches Juda nach Norden und nach Westen erweitern wollen (vgl. 2 Kön 23,15–20 EU). Mit einer „Landeroberungserzählung“ habe er seine Expansion auf das Territorium assyrischer Provinzen (bzw. des früheren Nordreichs Israel) propagandistisch begründet. [...] Die Verfasserkreise des Ur-Deuteronomiums sucht Braulik in der Jerusalemer Führungselite, bei Personen mit höfischem Redestil wie auch Kenntnis neuassyrischer Rechtstexte. Das Ur-Deuteronomium sei für den öffentlichen Vortrag in der Volksversammlung bestimmt gewesen.