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Normale Version: Ephesos
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Die vorgriechische Geschichte von Ephesos liegt weitgehend im Dunkeln. Seit wann das Gebiet Siedlungsraum war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Bewohnt war die Landschaft um die spätere Stadt schon in ↗vormykenischer Zeit gewesen. Spuren von Besiedlungen reichen ins 7. Jahrtausend vC zurück1.

Möglicherweise hatte es sich bei der in einem ↗hetitischen Bericht aus der 14. Jh vC angesprochenen Hauptstadt des Arzawa-Reiches, Apaša, um das später Ephesos genannte Gebiet gehandelt2. ↗Griechen ließen sich dort in Zuge von Wanderungsbewegungen (↗Seevölker, ↗Ionische Wanderung) seit dem 11. Jh vC nieder. Nachrichten aus der Frühzeit der griechischen Siedlung Ephesos sind nicht vorhanden. Es sind die sogenannten ↗"dunklen Jahrhunderte", in denen die Landnahme stattfindet. Alle Nachrichten dazu entstanden später aus gemeinschaftlicher Erinnerung. Viele dieser Erinnerungen wurden aktuellen Bedürfnissen angepasst.

Nach ältesten Berichten war das Heiligtum in Ephesos eine Stiftung der ↗Amazonen gewesen. Ein Kultbild sollen die Kriegerinnen der ↗Artemis aufgerichtet haben (Paus. 4,31,8), nach einer Amazone gleichen Namens soll die Stadt benannt worden sein (Strab. 12,3,21).

Seit ↗hellenistischer Zeit lässt sich die ↗Sage, wonach die Stadt nach einem Mann namens Ephesos benannt war, nachweisen. Er sei der Sohn des Flussgottes Kaystros3 gewesen und habe das Heiligtum der Artemis gestiftet. Auch davon berichtet ↗Pausanias (7,2,7).

Der jüngsten Gründungssage nach war es Androklos, Sohn eines Königs Kodros von Attika4, gewesen, der das Gebiet etwa 1000 vC erobert und es danach als König beherrscht haben soll. Ihn sahen die Epheser als Gründer ihrer Stadt an. Münzbilder bewahrten sein Andenken bis in die ↗Spätantike. Auch ein Grab des ↗Heros wurde in Ephesos gezeigt. Pausanias konnte es bei seinem Besuch der Stadt noch besichtigen (Paus. 7,2,9). In römischer Zeit war das die populärste Gründungserzählung zur Stadt Ephesos gewesen. In den späten Gründungssagen treten Amazonen nurmehr als Schutzsuchende in Erscheinung.

Berichte zur griechischen Landnahme liegen in verschiedenen Fassungen vor. Nach ↗Strabon war das Gebiet von Karern und Lelegern und nach Pausanias von Lelegern, die dieser als eine Stammesgruppe der Karer sieht, und von Lydern besiedelt.

Es war wohl so, dass siedelnde Griechen den Kult einer ↗Muttergöttin vorgefunden und diese Göttin mit Artemis identifiziert hatten. Sie hatten griechische Kultelemente eingebracht, die Muttergöttin (↗Kybele?) verschmolz mit der Jungfrau (Artemis), das religionsgeschichtlich erfolgreiche Modell einer Jungfrau, die zugleich Mutter ist, war geschaffen. Die Artemis Ephesia hat viel von ihrer orientalischen Ursprünglichkeit behalten.

Archäologisch fassbare Reste eines Kultbaus (Tempelhof mit Ringhalle) reichen in das 8. Jh vC zurück (Breitsprecher 44). Das Heiligtum lag damals am Meer im Mündungsbereich des Kaystros, die befestigte Siedlung war rund 1200 Meter davon landeinwärts auf einer Anhöhe gelegen. Sandablagerungen des Flusses hatten bewirkt, dass Ephesos nunmehr rund 10 km landeinwärts liegt.

Um 645 vC wurde das Heiligtum von den Kimmerern zerstört und danach wiedererrichtet.

Der Druck der ↗Lyder auf griechische Siedlungen an der Westküste Kleinasiens nahm zu. ↗Milet, ↗Priene, ↗Kolophon, ↗Magnesia und andere Städte wurden erobert, schließlich auch Ephesos.

Als der Lyder ↗Kroisos die Stadt einnahm (≈560 vC), ließ er das Heiligtum unbehelligt5. Allerdings erzwang er die Aufgabe der befestigten Stadt auf dem Hügel. Die Siedlung musste in der Ebene um das Artemision neu errichtet werden. Unter Kroisos, der sich an der Finanzierung beteiligte, begann die Tempelanlage jene Gestalt zu erhalten, die sie zu einem der antiken Weltwunder machte. Fertiggestellt war "dieses Wunder" allerdings erst 460 vC.

Mit der Eroberung des Lyderreiches durch ↗Kyros II. (≈545 vC) geriet Ephesos unter die Oberhoheit der Perser. Am Aufstand der ionischen Städte gegen die Perser (500-493 vC) beteiligt sich Ephesos nicht. Nachdem der Aufstand niedergeschlagen war, profitiert die Stadt durch die Zerstörung Milets.

Ab der Kyros-Zeit ist auch einiges über die Verwaltung des Artemis-Heiligtums bekannt.

Der Oberpriester, der den Titel Megabyzos führte, genoss nicht nur in der griechischen, sondern auch in der orientalischen Welt hohes Ansehen. Möglicherweise wurde das Amt erst unter Kroisos eingerichtet. In anderer Form war es sicher auch davor schon vorhanden, vielleicht auch weiblich besetzt. Die Amtsbezeichnung und die Vorgabe, dass der Megabyzos Eunuch zu sein hatte (Strab. 14,1,23), dürfte aber erst seit der Perserzeit bestanden haben. Als oberster Verwalter des Vermögens der Göttin, des Tempelschatzes, war er eine mächtige Person. Er agierte er als Bankdirektor, nahm fremdes Vermögen in Verwahrung6 und vergab Kredite.

Das an den Kulthandlungen beteiligte weibliche Personal war μελίσσαι (Melissai = ↗Bienen) genannt.

Die Stadt konnte sich trotz wechselnder Abhängigkeiten von den sie umgebenden Großmächten Dank der überragenden Bedeutung des Artemisions immer eine gewisse innere Unabhängigkeit bewahren.

Nach dem vorläufigen Ende der Perserherrschaft (479 vC) ging Ephesos zunächst ein Bündnis mit ↗Athen (↗Attischer Seebund) ein, um 413 vC die Seiten zu wechseln und auf ↗Sparta zu setzen. Die Stadt gerät wieder unter persische Herrschaft. 407 vC werden die Perser von den Spartanern unter Lysandros vertrieben. 386 gerät Ephesos letztmals unter persische Herrschaft (↗Friede des Antalkidas, Königsfriede).

356 vC wurde das Artemision durch Herostratos in Brand gesteckt. Unter der Folter gestand der Brandstifter, dass er das Feuer aus Geltungssucht gelegt hatte. Durch die Brandstiftung wollte er in die Geschichtsbücher eingehen. In hellenistischer Zeit entstand die Sage, Artemis hätte ihr Heiligtum nicht beschützen können, weil sie zum Zeitpunkt der Tat in ↗Pella gewesen war, um die Geburt ↗Alexanders des Großen zu überwachen. 334 befreit dieser Ephesos von den Persern.

Alexander wollte sich finanziell am Wiederaufbau des Tempels beteiligen. Die Epheser lehnten ab. Sie brachten die nötigen Mittel selbst auf.

Nach Alexander stand die Stadt unter der Herrschaft verschiedener Diadochen. Prägend war die Herrschaftszeit des ↗Lysimachos über Ephesos (287-281 vC) gewesen. Unter ihm wurde die Stadt von der durch Hochwasser bedrohten Ebene um das Artemision weg auf die höhergelegene Ebene zwischen dem Panayir dag und dem Bülbül dag verlegt und nach seiner Ehefrau (Arsinoë) Arsinoeia benannte. Nach seinem Tod wurde die Umbenennung Rückgängig gemacht. Danach wechselten einander ↗Ptolemäer und ↗Seleukiden in der Herrschaft über die Stadt ab.

Als die Seleukiden Kleinasien 188 vC an die Römer abtreten mussten, kam Ephesos unter die Herrschaft von ↗Pergamon. Der letzte König von Pergamon, Attalos III., vererbte sein Reich 133 vC den Römern. Damit kam auch Ephesos unter römische Herrschaft.

129 vC richteten die Römer die Provinz Asia ein.

Ein blutiger Aufstand der Epheser und der Versuch, sich von der Herrschaft der Römer zu lösen und sich dem Königreich Pontos unterzuordnen, wurde niedergeschlagen (88 vC). Die Bestrafung der Stadt durch ↗Sulla war empfindlich. Unter anderem wurden die Steuern auf das Fünffache erhöht.

29 vC wird die Provinz Asia durch ↗Augustus neu geordnet. Ephesos wird Hauptstadt der Provinz. Tempel für die ↗Dea Roma und den ↗Divus Iulius sowie der Staatsmarkt werden errichtet.

Als Oberpriester stand der Megabyzos dem Heiligtum bis ins 1. Jh vC vor. Das Amt fiel der augusteischen Reform zum Opfer, es wurde weiblich besetzt. Begründet hat man das mit dem Anspruch, man wolle ursprüngliche Zustände wiederherstellen. Die Amtszeit der Oberpriesterinnen, die Jungfrauen sein mussten, wurde auf ein Jahr bemessen. Junge Frauen aus der gesellschaftlichen Oberschicht bekleideten das Amt.

Der Geburtstag der Göttin wurde am 6. Mai gefeiert. Das Fest dürfte nur von regionaler Bedeutung gewesen sein (Elliger 125f.). Die Ephesien aber, die alle vier Jahre abgehalten wurden, waren, ohne jemals die Bedeutung anderer ↗panhellenischer Spiele zu erlangen, ein gesamtgriechisches Fest gewesen. Thukydides berichtet dazu von sportlichen und musischen Wettkämpfen (Thuk. 3, 104).

Spät, wohl erst in der Kaiserzeit, entstand der ↗Mythos, ↗Leto habe Artemis und ↗Apollon nicht in ↗Delos, sondern an einen Ölbaum gelehnt in dem am Bach Kenchreios gelegenen Hain Ortygia7 geboren und dort mit ihren Kindern Schutz gefunden. Artemis selbst habe den Ort später als ↗Asylstätte geheiligt (Tac. Ann. 3,60ff.)8.

Als ↗Paulus in der Stadt missionierte, war Ephesos mit etwa 200000 Einwohnern eine der großen Städte der römischen Welt gewesen. Paulus verweilte dort zwischen 52-55 nC und verbrachte davon wohl längere Zeit in Gefangenschaft. Von der Gefangenschaft, die Paulus beklagt, weiß die ↗Apostelgeschichte des Lukas nichts, nur von großartigen Missionserfolgen. Die gedrückte Stimmung, die die Briefe des Paulus aus dieser Zeit vermitteln, ist mit den Erfolgen, die ↗Lukas beschreibt, nicht gut in Einklang zu bringen (↗Paulus in Ephesos). Auch der Aufruhr der Silberschmiede, die sich durch Paulus in ihrer Existenz gefährdet sahen, dürfte so, wie Lukas das Ereignis schildert, kaum stattgefunden haben.

↗Domitian lässt für sich eine Kultstätte errichten (Kaisertempel 82-84 nC).  Die Stadt darf sich mit dem Titel einer ↗Neokorie schmücken.

Die ↗Tradition, wonach der ↗Apostel Johannes nach Ephesos gegangen sei und dort sein ↗Evangelium niedergeschrieben habe (Iren. adv. haer. 3,1,1), hat sich wohl erst im 2. Jh nC gebildet. Die ↗Johannesakten berichten ausführlich von den Wundern, die der Apostel dort gewirkt haben soll (ActJ 19-55). Die ↗Legende, wonach ↗Maria  und Johannes in ↗Jerusalem verfolgt worden und gemeinsam nach Ephesos geflohen seien, ist erst in der ↗Neuzeit entstanden. 

Sowohl für Maria als auch für Johannes wurden später Kirchen errichtet. Für beide Kirchen wurde dem Artemistempel Baumaterial entnommen. Die Marienkirche wurde im 4. Jh über einem ↗Zeustempel  aus dem 2. Jh nC errichtet und diente dem ↗Konzil von Ephesos  (431 nC) als Tagungsort. 449 nC fand dort ein weiteres Konzil, die sogenannte ↗Räubersynode, statt9.

Um 550 nC lässt ↗Justinian die Johanneskirche errichten.


1) *https://kurier.at/freizeit/ephesos-lebt/31.520.106# (Zugriff v. 9-3-2024, 10:10 Uhr)
2) Vgl. Friedrich Cornelius. Geschichte der Hethiter. 1973 Darmstadt. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S. 177.
3) Kaystros (heute Büyük Menderes) = Fluss bei Ephesos
4) Sowohl Kodros als auch Androklos sind historisch nicht fassbar. Es sind Gestalten der Erinnerung.
5) Kroisos versprach für den Fall, dass er König der Lyder werde, der Artemis von Ephesos das Vermögen seines Feindes Sadyattes zu stiften (Klebinder-Gauss 14, Fußnote 44).
6) Dass die Göttin beim Ableben von Deposit-Gebern fallweise auch reiche Erbschaften antreten konnte, ist durch ↗Xenophon (Anab. 5,3,6) belegt. Siehe dazu auch Scheibelreiter 30.
7) Ortygia war ein Beiname der Artemis, zugleich ein heiliger Hain mit Grotte bei Ephesos, in dem die Göttin nach einem lokalen Mythos geboren worden sein soll. Nach dem älteren und überall bekannten Mythos war die Insel Delos Geburtsort der Artemis. Auch die Insel Delos wurde nach Strabon (10,5,5) im Altertum Ortygia genannt. Und schließlich trägt auch ein auf einer vorgelagerten Insel gelegener Stadtteil von ↗Syrakus auf Sizilien den Namen Ortygia. Auch dort beanspruchte man, Geburtsort der Artemis gewesen zu sein.
8) So hat es jedenfalls 22 nC eine Delegation aus Ephesos in Rom in der Hoffnung vorgetragen, Ephesos als Asylstätte zu erhalten.
9) Bei diesem Konzil wird der ↗Monophysitismus zum ↗Dogma erklärt. Zwei Jahre später, auf dem ↗Konzil von Chalkedon (451 nC), wird der Dogmen-Beschluss widerrufen und das vorangegangene Konzil aus dem Verzeichnis der ↗Ökumenischen Konzile genommen.


Literatur:
Winfried Elliger. Ephesos. Geschichte einer antiken Weltstadt. 21992 Stuttgart. Verl. W. Kohlhammer.
Gudrun Klebinder-Gauss. Bronzefunde aus dem Artemision von Ephesos. Forschungen in Ephesos Bd XII/3. 2007 Wien. Österreichisches archäologisches Institut in Wien. Österreichische Akademie der Wissenschaften in Wien.
Victoria Johanna Breitsprecher. Die Asylie im Münzbild. Masterarbeit 2012 UNI Wien.
Philipp Scheibelreiter. Geldverwahrung bei Artemis. In: Symposion. Akten der Gesellschaft für griechische und hellenistische Rechtsgeschichte. Bd 24 Jg 2013. Österr. Akademie der Wissenschaften.



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