Schalom, Fritz :)
Zitat:Hmm, wesentlich im Sinne das Wesen einer Synagoge ausmachend? Muss man dann nochmal differezieren zwischen den ländlichen Gebets-Stüberln und schlichten Synagogen? Ist ein fürs gemeinsame Zusammenkommen bestimmter Raum KEINE Synagoge mehr ohne Schrein und Bima? Tuts da ein mittiger Tisch und Ein Schrankfach für die Schriften nicht ebenso?
Ohne "Schrein" wird auch die kleinste Stube nicht sein, denn wenn auch eine Synagoge in nach unten offener Grenze klein und arm sein kann, wird einer, der in dem Zimmer eine Schriftrolle hütet, ihr einen Schrank fuer sie gesondert goennen. 10 Mann oder 10 Frau, die erst eine "Gemeinde" bilden koennen, werden das zusammen mal immer noch hinkriegen, dass ihre Hl.Thorah ihren respektierten Ort hat.
Als "Bimah" bezeichnet man den Lesetisch wegen seiner Funktion, natuerlich kann man dazu jeden beliebeigen Tisch nehmen, der daist, wenn man arm ist, ist doch schon der Tisch, wo Juden essen und am Sabbath die Lichter brennen, ein heiliger Gebetsaltar.
Wenn es aber Leute dann besser haben, moechten wir, dass unser Hl.Versammlungsort es am Besten von allen in der Gemeinde habe, folglich steigt die Schoenheit und Kostbarkeit der Einrichtungen im Masse, wie es mal ab und zu Reichere gibt oder gab.
Zitat:Gerade wenn man z.B. in Westfalen einige Jahrhunderte zurückgeht, wird doch vieles nicht ganz so edel ausgesehen haben, als uns die museale Erinnung glauben zu machen sucht ... vielleicht auch mangels konkreter Überlieferung ... Die heute beschriebenen Landsynagogen reichen doch kaum weiter als Mitte des 19. JH. zurück. Das lässt auch Schlüsse auf vormalige fast provisorische Bauqualität aufgrund des eher ärmlichen Lebensstils zu. Nur tat dies der Gültigkeit kultischer Gemeinschaft kaum Abbruch. Wegen wirtschaftlichen Aufschwungs UND preussischer Konzentrations- und Regulierungswut blieben ab etwa 1850 dann nur noch weniger aber ansehnlichere Synagogen nach. - wenn ich mich da ganz irren sollte ...
Ja, so ungefaehr lief das ab, mitunter zu Ungunsten der synagogalen Herzlichkeit und Gemuetlichkeit, "bei sich zuhause" zu sein, bestand der Preussenkoenig im 19.Jhd mit Ausblick auf eine Kaiser-Werdung auf "Erhabenheit" - in Kassel, die Liberale Neue Synagoge, die hatte hoch oben am Giebel eine Gestaltung der Gesetztafeln Moses, da amuesierten sich die Landjuden drueber und sagen: "Ja, gugge-mal, die Gebote! - hoch genug, dass die koaner uebertreten kann..."
In unserm Ort hatten sie grad mit Muehe das Geld zusammengekratzt und eine Scheune ersteigert - vor 1806 durften wir doch überhaupt keine Immobilien haben - die baute man sinnreich um in Gebetsraum, Kuesterwohnung, Sozial-Einlieger-Stube, Gaertchen dahinter fuer die Armenspeisung am Sabbath - aber die Unkosten waren noch drin, um der Hl.Thorah auch eine gemauerte Bimah an diese nette kleine Fachwerkscheune anzufügen
Das Geld trieben wir auf durch Versteigern der Ehre, wer vorliest - der Reihe nach und jeweils an den Hoechstbietenden zuerst (wir brauchen je 3 dafuer, einen Israel, einen Levi und einen Cohen, jeder kommt 2 mal dran) - das Vergnuegen galt nicht als genug "erhaben an heiliger Staette" - der Staat verbot es uns
- 10 Menschen waren nicht immer zu kriegen, weil jeder Freiherr rundum mal 2 oder 3 Juden "halten" durfte. Nun teilte sich das noch in a) herkoemmliche Konservative b) kaiserlich gewuenschte erhaben-deutsch betende Liberale und c) etwas erschrockene nun ploetzlich strikt neu-Orthodoxe - und eher noch seltener kriegten diese je 10 Mann zusammen.
Die Gemeinde hatte sich sogar besonders angestrengt und "koederte" einen Thorah-Lehrer fuer die kleine Gemeinde herbei, mithilfe eines teuren Holzrahmen-Bettes mit richtiger Bettleinwand-Ausstattung, weil wir gehoert hatten, dass Staedter eventuell nicht mehr wie wir auf Strohlagern schlafen wollten. Wir kriegten auch einen, uj, der konnte Hebraeisch, und dawnen und singen, und lehren - aber der konnte kein Hochdeutsch und bestand nicht das Staatsexamen - also verbot ihn der Staat uns
Liberal und auf Deutsch teils sehr eigenartige Gebetbuecher benutzen -das war uns zu ungewoehnlich - strikt orthodox wiederum - dazu waren wir nicht gelehrt genug - und unser begabtester eigener Talmud-Schueler verstarb schon als Schueler an TBC oder so. Hochdeutsch redeten da herum nur Beamte von auswaerts - unsere paar Kinder haetten wir mit den katholischen paar Kindern zusammen in 1 Zwergschule schicken duerfen - zusammen haette es fuer 1 Schulmeister gereicht - oder man schickte sie - oft noch in Schuhen aus Filz, selbstgenaeht - noch ein paar km weiter zu dem Dorf, wo es viele Judenfamilien gab, wo auch der Friedhof fuer alle zuerst war.
Es galt wiederum als "
unsittliches Verhalten" (weil "nicht Sitte" der Region) wenn unsereiner ausser der knappen preussischen Schule (=4 Grund-Rechenarten, Auswendiglernen, Schreiben, Lesen, Singen, Geschichte der preuss.Siege, und - Apfelbaeumchen pflanzen) fuer ausschliesslich spaeter wehrfaehige Knaben - den Kindern samt der Maedchen, am Nachmittag etwa, auch noch Prozent-Rechnen, Englisch, Franzoesisch oder Italienisch, Griechisch, Latein (falls eins Arzt werden sollte) mehr Geschichte, sowie Hebraeisch und Geografie beibrachte. Ein Tadel fuer "unsittliches Verhalten" dieser art und gar "Quaelen der zarten Kinder durch doppelte schulische Belastung" wirkte sich empfindlich aus, im Preussenstaat. - Unsere Kinder lernten daher ab dem 3.Lebensjahr das Nötigste auf Hebraeisch zu schreiben und lesen. Ältere Kinder schickten wir zum Weiterlernen eventuell ins Baltikum, nach Polen oder nach Italien. Hauslehrer von dort pflegten seit Jahrhunderten die Runde zu machen und nahmen sie dann mit. Das war nicht immer optimal, und ging manchmal komplett schief, aber wenigstens halfen Reichere hier den Aermeren mit Stipendien aus.
Weil man noch nicht Recht hatte, sich selber Holz zum Heizen zu holen, obwohl drumherum eins der groessten Waldreviere war, pflegte die ganz Gegend sich Misthaufen von aussen dicht an die zugigen Fachwerkwaende zu packen, was im Winter wenigstens etwas das Haus heizt, und es frieren die Wasserleitungen nicht ein. - Das war aber nicht "erhaben", befand die koenigliche Kontrolle - es wurde verboten vom Staat.
Wir hatten sogar ein super-modernes WC im Synagogenhaus eingebaut - das galt leider auch nicht als genug erhaben - wir mussten ein Herzchenhaeuschen an die aeusserste Ecke des Gartens stellen und das WC abreissen.
Als "erhaben genug" galt es, dass am Sabbath unsere Maenner eigentlich einen Zylinderhut aufsetzen sollten, wenn sie muessig durch das Dorf spazierten, um zu beten, wenn alle Welt drumherum Hausputz-Tag hatte ...
Die rituelle Bad-Stube unter der Synagoge wurde wegen Bausicherheit zu betreiben verboten und geschlossen - man haette ja nahebei zwei kleine Fluesse nehmen koennen - oder so - wo durch die Schwemme die Last-Karren und Kutschen mit Pferden hindurch-fuhren und ritten (dann hielten die Holz-Raeder fester, wenn sie oefter durchnaesst werden)
Je erhabener die allgemeine Anforderung an uns wurde, desto mehr fuehlten wir uns infolge unserer armen Gemeinde blossgestellt und aermlich - umsomehr verlor sich das Freuen an der Lehre - laut durfte man nicht sein, lachen sollte man nicht im Gebetshaus - irgendwonach riechen durfte es nicht mehr - Lehrer zu besorgen, die einfach das, was wir zusaetzlich brauchten, haetten lehren koennen, kriegten wir nicht mehr - es war im Winter zu kalt - Zum Reinigungsbad musste man wer-weiss-wie-weit laufen, der Zylinder als Schabbesdeckl loeste Lachsalven bei unsern Nachbarn und uns gegenseitig aus - einer nach dem andern zog dann fort, nach Amerika oder in die grossen Staedte
Schliesslich waren wir also so erhaben geworden, dass wir nicht mehr genug Gemeinde waren, um das Bethaus zu finanzieren, da wurde der bewohnbare Anteil an Christen vermietet. Nur deshalb wurde uns dann am 9.Nov. der "spontane Volkszorn" erlassen, aber derr Vorsitzende musste auf dem Marktplatz die Kaiserdeutsche Fahne mit Benzin verbrennen, denn wir seien des Deutschen nicht mehr wuerdig genug - der alte Mann weinte verzweifelt und brachte das nicht fertig, die Gemeinde war doch seit 300 Jahren hier gewesen - schliesslich, ehe man den zusammenschluege, tat es Isidor Lorsch, der Schuster, sein Sohn, dessen Frau Selma in der Kueche immer so gerne sang "Tief drunt' im Boehmerwald" - und das Haus blieb bestehen.
Der, dem es zufiel, hat es spaeter leer gelassen, aber das Dach neu gedeckt und die Waende gesichert, falls wir wiederkaemen.
- Es fanden sich aber niemals mehr 10 juedische Beter in diesem Ort. Wenn man auf die leeren Augen des Hauses schaute, hoerte man geradezu dieses Loch in der Luft, dass von dort her keine Gebete mehr aufsteigen unf kein Schofar mehr zu Neujahr das Volk zusammenruft, es zankt sich niemand mehr um die Ehre, vorlesen zu duerfen und man hoert keinen "Krach-wie-in-der-Judenschul" mehr herausschallen -
So gesehn -
das Wesentliche an einer Synagoge ist nicht etwas Architektonisches, sondern es sind die dazu gehoerigen Menschen mit unserer "Sabbath-Braut", der Hl.Thorah
mfG WiT