(18-08-2008, 10:15)nadia schrieb: [ -> ]... aber wie ist das mit der Lutheranerin Margot Käsmann? Sie ist promovierte Theologin und einer der führenden Köpfe der Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie weiß also genau was Sache ist, es ist ihr Beruf das zu wissen. Die kriegt sich vor Begeisterung über Martin Luther kaum noch ein...Von den meisten Deutschen wird der antisemitische Hassprediger Martin Luther positiv wahrgenommen. Ich finde das alles widerlich und abstoßend!
Bleiben wir doch im Zusammenhang dieser Bewertung,
dann hat Margot Käsmann völlig Recht.
Kein Deutscher (außer vielleicht Karl Marx) hat so intensiv in dieser Welt gewirkt, wenn man die Ausbreitung des Protestantismus in der Welt als Wirkung der Person betrachtet, und darum ging es in der Umfrage "Wer sind die wichtigsten Deutschen?".
Ich bin sicher, dass niemand an die Hass-Tiraden Luthers gegenüber Juden gedacht und damit diese irgendwie gerechtfertigt hat. "Wichtig" ist ja nicht gleich "richtig"!
Man wird wohl kaum einen berühmten Menschen finden, der nicht irgendwo Leichen im Keller hat. Da kann man die ganze Geschichte durchgehen. Mir fällt niemand ein im Zusammenhang dieser Umfrage, und nur um die ging es.
Auch in der Bibel, auch in der Tora,
finden wir Textstellen zum Völkermord an den Ureinwohnern bei der "Landnahme" Israels, die ekelhaft und abstoßend sind. Dort werden die Ergebnisse von Mord und Raub als Gottesgeschenke verkauft und übelste Unmenschlichkeiten als von Gott befohlen dargestellt (z.B. 5.Mose 20,10-18). Deshalb verlieren die Tora und die Bibel aber nicht ihre Gültigkeit oder Wichtigkeit. Wer diese Schriften also deshalb nicht zu den wichtigsten der Welt zählen würde, ginge an der Realität vorbei!
Natürlich hätten die, die Luther auf Platz eins setzten, auf seine Negativ-Seite zur Relativierung hinweisen müssen, aber das geht nun einmal bei Umfragen nicht.
Dass Luthers Leistungen, die Kässmann meint, wichtig und für die Entwicklung der Kirche in Deutschland oder die deutsche Sprache richtungweisend waren, lässt sich nicht leugen.
Dass Luther irgendwo auch "Opfer" war,
wie Ekkard sagt,
ist auch nachvollziehbar. Luther hat den christlichen Antijudaismus nicht erfunden. Er befindet sich bereits in den Evangelien und den Schriften anderer Kirchenväter, die anerkannt waren. Luther ist insofern Opfer des Zeitgeistes, der christlichen Tradition und seiner Theologie des "sola scriptura", der Wörtlichnahme der Bibel, in der auch schon Antisemitismus übelster Sprachprägung vorkommt (z.B. Juden haben den Teufel zum Vater).
Wenn ich überlege, wie wichtig jemand ist,
dann denke ich i.d.R. nicht an das, was er mit anderen gemeinsam hat, sondern das, was er initiiert und originär in Gang gesetzt hat. Und da sind seine Kirchenkritik und sein Einsatz für die Bibel als letzte Instanz wichtige Errungenschaften im Kontext der damaligen Verhältnisse.
Zu seinen Irrtümern gehört ja nicht nur der Antisemitismus,
sondern auch z.B. seine Empfehlungen, Behinderte zu ertränken (als vom Teufel Besessene) oder die von seinem eigenen Vorgehen animierten aufständischen Bauern am Ende mit Gewalt und Mordeifer zu "bestrafen".