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Normale Version: Die Christentumsckritik des Ludwig Feuerbach
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Saldo

Ich möchte hier einen der bekanntesten und scharfsinnigsten Kritiker und Analytiker des Christentums vorstellen und zur Diskussion stellen: Ludwig Feuerbach.

Feuerbach lebte von 1804 -1872, war ein Schüler und Kritiker des dem deutschen Idealismus zugerechneten Philosophen Friedrich Hegel (1770–1831)und übte seinerseits starken Einfluss auf Karl Marx (1818-1883) aus.

Sein Hauptwerk lautet: „Das Wesen des Christentums“ (die drei von ihm selbst betreuten Auflagen stammen von 1841, 1843, 1849).

Schon in seinem Vorwort zur Zweiten Auflage schrieb er:

„Die albernen und perfiden Urteile, welche über diese Schrift seit ihrer Erscheinung in der ersten Auflage gefällt wurden, haben mich keineswegs befremdet, denn ich erwartete keine anderen und konnte auch rechtlicher- und vernünftigerweise keine anderen erwarten. Ich habe es durch diese Schrift mit Gott und Welt verdorben.“

Das Buch ist am günstigsten bei Reclam erhältlich, aber es kann auch – da es gemeinfrei ist -, im Netz legal heruntergeladen werden.

Karl Marx griff den „Materialismus“ Feuerbachs auf, kritisierte ihn aber auch, zum Beispiel in seinen „Thesen über Feuerbach“.
Auch diese Thesen – eine recht kurze Schrift – ist gemeinfrei und im Netz herunterladbar.


Nun zu dem Werk „Das Wesen des Christentums“:

Es besteht – neben den Vorworten und der Einleitung - aus zwei Teilen.
Der zweite Teil enthält das, was man heute allgemein von einer Religionskritik erwartet: Aufdeckung von Widersprüchen.
Der erste Teil erforscht die anthropologischen Komponenten, die versteckt, verdeckt, unbewusst im Christentum enthalten sind.

Die Titel der Teile sind:

Erster Teil. Das wahre, d.i. anthropologische Wesen der Religion
Zweiter Teil. Das unwahre, d.i. theologische Wesen der Religion

Im übrigen ist auch Ernst Bloch (1885-1977). jüdischer und neo-marxistischer Philosoph, auf vergleichbaren Wegen unterwegs gewesen. Er sieht in diesen alten Mythen Anthropologisches und Vorwärtsweisendes verborgen.


Vielleicht noch eine Anmerkung am Rande – ich habe sie dem Feuerbach-Artikel bei Wikipedia entnommen -, die aber auf Verschiedenes ein bezeichnendes Licht wirft:

1929 sammelten verschiedene Persönlichkeiten in Nürnberg Geld, um dort ein Denkmal für Ludwig Feuerbach zu errichten. 1930 wurde es aufgestellt.

Nach der Machtergreifung der Nazis aber wurde die Inschrift dort entfernt und das Denkmal vergraben.
Der von den Nazis eingesetzte Bürgermeister erklärte den Vorgang:

„Auf der einen Seite trägt das Denkmal die Inschrift Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde. Wir sind der Auffassung: Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde.“

Das Denkmal wurde aber später, nach Ende des Krieges, unter dem Bombentrümmern wiedergefunden und 1955 an dem alten Platz wieder aufgestellt – allerdings unter heftigem Widerstand der Kirchen und gegen die Stimmen der CSU und der FDP. Aber die Stimmen der SPD hatten überwogen.

Die Inschrift des Denkmals lautet:

"Dem Freidenker Ludwig Feuerbach zum Gedächtnis 1804–1872“. Und es sind zwei Zitate Feuerbachs angebracht: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde“ und „Tue das Gute um des Menschen Willen“.

Auch noch nach 1955 wurde die Inschrift immer wieder von Neonazis und von Christen überschmiert. Zeitweise musste das Denkmal unter Polizeischutz gestellt werden.


Die Quelle zu der Beschreibung dieser Vorgänge ist in dem genannten Wikipedia-Artikel angegeben:

↑ Alfred Kröner, „Ludwig Feuerbach und die Stadt Nürnberg. Gedenken und Denkmäler“, in: Aufklärung und Kritik, Heft 1/2004, S. 164–170; Stadtlexikon Nürnberg. Nürnberg 2000 ISBN 3-921590-69-8, Stichwort Feuerbachdenkmal; Helmut Steuerwald: Franke(n) und frei. Ludwig Feuerbach, Umfeld – Leben – Wirken -Resonanz. In: Ludwig Feuerbach. Religionskritik und Geistesfreiheit. Hrsg. von Volker Mueller, Neustadt am Rübenberge 2004 ISBN 3-933037-43-3, S. 27 ff.

Und hier der Link zu dem Wikipediaartikel:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Feuerbach#Karl_Marx


Ich werde in loser Folge Zitate oder Paraphrasierungen aus „Das Wesen des Christentums" hier einfügen und zur Diskussion stellen.
Mit Feuerbach wollte ich mich schon länger mal befassen , nur komme ich kaum dazu . Icon_wink
Ich persönlich bin kein großer Anhänger der Thesen Feuerbachs. Dies dürfte aus naheliegendem Grund verständlich sein. Ich muss offen gestehen, dass ich seine Werke, "das Wesen der Religion" und "das Wesen des Christentum", eher kursorisch gelesen habe und bisher mehr der Sekundärliteratur entnommen habe. Sich mit den Thesen Feuerbachs auseinanderzusetzen, dürfte hier sicher zu einer fruchtbaren Diskussion führen. Schließlich führt gerade der Disput und das Aufdecken von Neuem oder das Herausstellen von Altbekannten immer wieder zu ertragreichen Erkenntnissen. Gerade die Religion muss sich auch kritischen Anfragen stellen und kann es auch, wenn sie ihre Bedeutung und ihre vermittelte Wahrheit weiter erhalten will.

In diesem Sinne auf zur Diskussion....

P.S. Mir fallen sofort ein paar Stellen ein, auf die ich sofort mit Gegenkritik antworten könnte auf seine Thesen. Es ist mir daher lieber, wenn Saldo, die Textauswahl vornimmt. Das dürfte für eine wesentlich anregendere Diskussion sorgen.

Saldo

(07-06-2009, 01:37)Presbyter schrieb: [ -> ]Sich mit den Thesen Feuerbachs auseinanderzusetzen, dürfte hier sicher zu einer fruchtbaren Diskussion führen. Schließlich führt gerade der Disput und das Aufdecken von Neuem oder das Herausstellen von Altbekannten immer wieder zu ertragreichen Erkenntnissen. Gerade die Religion muss sich auch kritischen Anfragen stellen und kann es auch, wenn sie ihre Bedeutung und ihre vermittelte Wahrheit weiter erhalten will.


Das ist eine hilfreiche Aussage.


Zitat:P.S. Mir fallen sofort ein paar Stellen ein, auf die ich sofort mit Gegenkritik antworten könnte auf seine Thesen. Es ist mir daher lieber, wenn Saldo, die Textauswahl vornimmt. Das dürfte für eine wesentlich anregendere Diskussion sorgen.


Ich denke, dass auch ich heute auf dieses und jenes von Feuerbach mit Gegenkritik reagieren würde. Ich habe das Werk sehr lange nicht mehr gelesen, es ist auch für mich ein Abenteuer.

Es wäre aber sinnvoll, wenn man nicht gleich das Angreifbare ins Auge fasst, sondern seine Intention, seinen Grundansatz nachvollziehen könnte.

Was mich persönlich motivierte, dieses Werk vorzustellen, war unter anderem Feuerbachs letztendlich konstruktiver Ansatz, in der christlichen Religion wesentliche anthropologische Elemente herauszuschälen, die nach seiner Auffassung noch nicht realisiert seien, aber als realisierbar sozusagen, vorausprojiziert, im Christentum enthalten sind.

Seine übergreifende These - die er in seinem ersten Vorwort formuliert - ist ja die,

daß das Geheimnis der Theologie die Anthropologie ist (Reclam 1969, S. 10).

Da steckt aber mehr dahinter, als auf dem ersten Blick sichtbar ist.

Ob das in allen Punkten ins Heute übertragbar ist, werden wir sehen. Das Werk ist vor 168 Jahren veröffentlicht worden. Und auch, wenn sich Feuerbach zu diesem Zeitpunkt schon weit von Hegel entfernt hat, so spürt man doch überall die Hegelsche Basis.
Das muss allerdings kein Manko sein. Er hat vor allem den Entfremdungsgedanken aufgegriffen, der bis heute eine große Rolle spielt.

Im übrigen hat "Das Wesen des Christentums" 500 eng beschriebene Reclamseiten. So einfach können also nicht "Thesen" aufgestellt werden, sie müssen erst aufgefunden werden.
Herausgegriffene Zitate - die ich nach bestem Wissen und Gewissen bringe - können dennoch immer irgendetwas Wichtiges und Erläuterndes verfehlen.

Aber ich wies ja schon darauf hin, dass der Gesamttext im Netz legal einsehbar ist. So kann jeder den Kontext nachlesen.

Als zweites - neben der obigen fettgedruckten These - kopiere ich das Inhaltsverzeichnis rein, weil dieses schon mal die Grundtendenz verdeutlicht.



Ludwig Feuerbach
Das Wesen des Christentums

* [Vorworte]
o Vorwort [zur ersten Auflage]
o Vorrede zur zweiten Auflage
o Vorwort zur dritten Auflage 1848

* Einleitung
o 1. Das Wesen des Menschen im allgemeinen
o 2. Das Wesen der Religion im allgemeinen

* Erster Teil. Das wahre, d.i. anthropologische Wesen der Religion
o 3. Gott als Wesen des Verstandes
o 4. Gott als moralisches Wesen oder Gesetz
o 5. Das Geheimnis der Inkarnation oder Gott als Herzenswesen
o 6. Das Geheimnis des leidenden Gottes
o 7. Das Mysterium der Dreieinigkeit und Mutter Gottes
o 8. Das Geheimnis des Logos und göttlichen Ebenbildes
o 9. Das Geheimnis des welterschaffenden Prinzips in Gott
o 10. Das Geheimnis des Mystizismus oder der Natur in Gott
o 11. Das Geheimnis der Vorsehung und Schöpfung aus Nichts
o 12. Die Bedeutung der Kreation im Judentum
o 13. Die Allmacht des Gemüts oder das Geheimnis des Gebets
o 14. Das Geheimnis des Glaubens - das Geheimnis des Wunders
o 15. Das Geheimnis der Auferstehung und übernatürlichen Geburt
o 16. Das Geheimnis des christlichen Christus oder des persönlichen Gottes
o 17. Der Unterschied des Christentums vom Heidentum
o 18. Die christliche Bedeutung des freien Zölibats und Mönchtums
o 19. Der christliche Himmel oder die persönliche Unsterblichkeit

* Zweiter Teil. Das unwahre, d.i. theologische Wesen der Religion
o 20. Der wesentliche Standpunkt der Religion
o 21. Der Widerspruch in der Existenz Gottes
o 22. Der Widerspruch in der Offenbarung Gottes
o 23. Der Widerspruch in dem Wesen Gottes überhaupt
o 24. Der Widerspruch in der spekulativen Gotteslehre
o 25. Der Widerspruch in der Trinität
o 26. Der Widerspruch in den Sakramenten
o 27. Der Widerspruch von Glaube und Liebe
o 28. Schlußanwendung

* Anhang. Erläuterungen - Bemerkungen - Belegstellen

* Fußnoten

Saldo

So, geht los.

Die drei Vorworte zu den verschiedenen Auflagen habe ich übersprungen.

Die EINLEITUNG hingegen ist nicht überspringbar, da werden die Grundlagen für Feuerbachs Religionskritik gelegt.


Die Einleitung besteht aus zwei Kapiteln:
Das Wesen des Menschen im allgemeinen
Das Wesen der Religion im allgemeinen


Ich habe hier nun die wichtigsten Zitate des Ersten Kapitels reinkopiert.
Manche Zitate sind etwas länger, aber ich denke, das Wichtigste kann man hier gemeinsam zusammenfassen.

Welchen Sinn dieses Kapitel in Bezug auf die Religionskritik hat, wird im Ansatz hoffentlich schon sichtbar.

Ich schlage ein Brainstorming vor, wo alle Anmerkungen und Fragen erst mal gesammelt werden. Wie man dann weitergeht, kann man dann sehen.


Und hier die Zitate (es sind alles Zitate, wenn auch herausgepickte. Die Reihenfolge habe ich gelassen, die Interpunktion an manchen Stellen verändert):


EINLEITUNG

Erstes Kapitel
Das Wesen des Menschen im allgemeinen

Die Religion beruht auf dem wesentlichen Unterschiede des Menschen vom Tiere – die Tiere haben keine Religion.

Was ist aber dieser wesentliche Unterschied des Menschen vom Tiere? Die einfachste und allgemeinste, auch populärste Antwort auf diese Frage ist: das Bewußtsein – aber Bewußtsein im strengen Sinne.

Bewußtsein im strengsten Sinne ist nur da, wo einem Wesen seine Gattung, seine Wesenheit Gegenstand ist. Das Tier ist wohl sich als Individuum – darum hat es Selbstgefühl –, aber nicht als Gattung Gegenstand – darum mangelt ihm das Bewußtsein.

Das Tier kann keine Gattungsfunktion verrichten ohne ein anderes Individuum außer ihm; der Mensch aber kann die Gattungsfunktion des Denkens, des Sprechens – denn Denken, Sprechen sind wahre Gattungsfunktionen – ohne einen andern verrichten. Der Mensch ist sich selbst zugleich Ich und Du.

Das Wesen des Menschen im Unterschied vom Tiere ist nicht nur der Grund, sondern auch der Gegenstand der Religion. Aber die Religion ist das Bewußtsein des Unendlichen; sie ist also und kann nichts andres sein als das Bewußtsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen, beschränkten, sondern unendlichen Wesen. Ein wirklich endliches Wesen hat nicht die entfernteste Ahnung, geschweige ein Bewußtsein von einem unendlichen Wesen, denn die Schranke des Wesens ist auch die Schranke des Bewußtseins.

Aber was ist denn das Wesen des Menschen, dessen er sich bewußt ist, oder was macht die Gattung, die eigentliche Menschheit im Menschen aus? Die Vernunft, der Wille, das Herz. Zu einem vollkommenen Men-schen gehört die Kraft des Denkens, die Kraft des Willens, die Kraft des Herzens.

Der Mensch ist nichts ohne Gegenstand.

An dem Gegenstande wird daher der Mensch seiner selbst bewußt: das Bewußtsein des Gegenstands ist das Selbstbewußtsein des Menschen. Aus dem Gegenstande erkennst du den Menschen; an ihm erscheint dir sein Wesen: der Gegenstand ist sein offenbares Wesen, sein wahres, objektives Ich. Und dies gilt keineswegs nur von den geistigen, sondern selbst auch den sinnlichen Gegenständen. Auch die dem Menschen fernsten Gegenstände sind, weil und wiefern sie ihm Gegenstände sind, Offenbarungen des menschlichen Wesens.

Das absolute Wesen, der Gott des Menschen ist sein eignes Wesen. Die Macht des Gegenstandes über ihn ist daher die Macht seines eignen Wesens.

Was für eines Gegenstandes wir uns daher auch nur immer bewußt werden: wir werden stets zugleich unsres eignen Wesens uns bewußt; wir können nichts anderes betätigen, ohne uns selbst zu betätigen.
Es ist aber unmöglich, daß wir uns des Willens, des Gefühls, der Vernunft als endlicher Kräfte bewußt werden, weil jede Vollkommenheit, jede Kraft und Wesenheit die unmittelbare Bewahrheitung und Bekräftigung ihrer selbst ist.

Bewußtsein ist das Sich-selbst-Gegenstand-Sein eines Wesens; daher nichts Besonderes, nichts von dem Wesen, das sich seiner bewußt ist, Unterschiednes.

Jede Beschränkung der Vernunft oder überhaupt des Wesens des Men-schen beruht auf einer Täuschung, einem Irrtum. Wohl kann und soll selbst das menschliche Individuum – hierin besteht sein Unterschied von dem tierischen – sich als beschränkt fühlen und erkennen; aber es kann sich seiner Schranken, seiner Endlichkeit nur bewußt werden, weil ihm die Vollkommenheit, die Unendlichkeit der Gattung Gegenstand ist, sei es nun als Gegenstand des Gefühls oder des Gewissens oder des denkenden Bewußtseins. Macht es gleichwohl seine Schranken zu Schranken der Gattung, so beruht dies auf der Täuschung, daß es sich für eins mit der Gattung hält – eine Täuschung, die mit der Bequemlichkeitsliebe, Trägheit, Eitelkeit und Selbstsucht des Individuums aufs innigste zusammenhängt. Eine Schranke nämlich, die ich bloß als meine Schranke weiß, demütigt, beschämt und beunruhigt mich. Um mich daher von diesem Schamgefühl, von dieser Unruhe zu befreien, mache ich die Schranken meiner Individualität zu Schranken des menschlichen Wesens selbst.
Einem beschränkten Wesen ist sein beschränkter Verstand keine Schranke; es ist vielmehr vollkommen glücklich und befriedigt mit demselben.

Der Verstand ist der Gesichtskreis eines Wesens. So weit du siehst, so weit erstreckt sich dein Wesen, und umgekehrt.

Was subjektiv oder auf seiten des Menschen die Bedeutung des Wesens, das hat eben damit auch objektiv oder auf seiten des Gegenstands die Bedeutung des Wesens. Der Mensch kann nun einmal nicht über sein wahres Wesen hinaus. Wohl mag er sich vermittelst der Phantasie Individuen anderer, angeblich höherer Art vorstellen, aber von seiner Gattung, seinem Wesen kann er nimmermehr abstrahieren; die Wesensbestimmungen, die er diesen andern Individuen gibt, sind immer aus seinem eignen Wesen geschöpfte Bestimmungen – Bestimmungen, in denen er in Wahrheit nur sich selbst abbildet und vergegenständlicht.
Dieser Abschnitt beschreibt - wie ich es verstanden habe - die Beschränktheit des Menschen und seine Eigenschaft, sich die Welt aus seinem Blickwinkel heraus zu erklären.
Dabei kann auch nichts "größeres" herauskommen, als der Mensch erfassen kann.
Jegliche menschlichen Beschreibungen irgendeines "Gottes" zeugen nur vom Menschen selbst.
Frage, darf man ausführlich antworten?

Wenn nein, werde ich selbstverständlich meine nachfolgenden Ausführungen löschen. Wenn etwas "apdiktisch" erscheinen mag, seht es mir bitte nach. Vieles ist x-mal im Forum erörtert worden, das macht ein Bisschen müde und damit streng.

Niemand soll sich dadurch eingeschränkt wissen!
(09-06-2009, 03:05)Saldo schrieb: [ -> ]Ich schlage ein Brainstorming vor, wo alle Anmerkungen und Fragen erst mal gesammelt werden.
Das einleitende Kapitel konfrontiert den Leser mit bestimmten Objekten des Denkens, die zu klären wären, wobei ich mit „F.“ Ludwig Feuerbach meine:
  • Verhältnis von Mensch und Tier: Hieran definiert F., was „Religion“ ist, was ich nicht verstehe und deshalb skeptisch betrachte.
    Ludwig Feuerbach schrieb:Die Religion beruht auf dem wesentlichen Unterschiede des Menschen vom Tiere – die Tiere haben keine Religion.

  • Wesenheit oder das Wesen: F. benutzt diesen Begriff im Zusammenhang mit „Gegenstand“ (des Menschen) und der „Erkenntnis des Menschen“ bzw. seines Wesens. Dazu einige kritische Anmerkungen: F. bezieht diesen Diskurs auf die Fähigkeit des Menschen, die eigene Person als Gegenstand seines Nachdenkens zu bestimmen. Lassen wir einmal außen vor, dass F. diese Fähigkeit einem Tier abspricht, was aber durch die Kognitionsforschung nicht mehr allgemein aufrecht erhalten werden kann. Diese spezielle Auffassung vom „Wesen des Menschen“ wird hier als Unterscheidungsmerkmal zum Tier definiert.
    Es ist grundsätzlich zu hinterfragen, ob solche Abhebungen (Differenz-Definitionen) nicht letztlich irrelevant sind. Die Aussageform Feuerbachs lautet etwas überspitzt ausgedrückt: Das Wesen des „Tieres“ ist es, kein menschliches Wesen zu sein und umgekehrt. F. nutzt aus diesem Zirkel nur den rechten Teil. Ich will die Gefahr dieser Art der Definition einmal an einem anderen Beispiel verdeutlichen:
    Der Blumpf des „Wassers“ ist es, kein Blumpf des Landes zu sein und umgekehrt. Wissen wir eigentlich jetzt, wie wir uns einen „Blumpf“ vorzustellen haben? – Offensichtlich nein! Der Leser muss also wissen, was „Wesen“ bedeutet, auch ohne diese Einleitung. Später im Text gibt F. eine ganz andere Definition:
    Ludwig Feuerbach schrieb:Die Vernunft, der Wille, das Herz. Zu einem vollkommenen Men-schen gehört die Kraft des Denkens, die Kraft des Willens, die Kraft des Herzens.
    Wozu dann die Differenz-Definition?

  • Gegenstand: Ist die feuerbachsche Verwendung des Begriffes allgemeinverständlich? Ich denke nicht: Gemeint ist wohl die Selbsterfahrung. Der Gegenstand des menschlichen Bewusstseins ist also das „Ich“ oder das „Selbst“. Bedenken: Neurologische Forschungsergebnisse zeigen, dass diese Funktion nicht auf den Menschen beschränkt ist. Reaktionen auf die eigene Existenz zeigt auch ein Wald. Im Hinblick auf „Religion“ entwickelt F. hier einen Begriff, der meiner Meinung nach „ausfranst“, weil sich jeder dabei etwas anderes vorstellt.

  • Bewusstsein (im strengsten Sinne): Hier taucht der Begriff „Wesenheit“ wieder auf. Für das, was für F. der Begriff „Bewusstsein“ darstellt, muss das Lebewesen seine Gattung zum Gegenstand seines Denkens machen können. F. sieht dies als wesentlich menschlich an und definiert diese wieder als Gegensatz zum Tier. F. setzt hinter „Gattung“ die Einfügung „seine Wesenheit“. Diese Einfügung macht deutlich, das F. in dem Begriff „Gattung“ einen Mangel erkennt, der zu füllen sei. Da aber „Wesen des Menschen“ nur durch einen Zirkel in die Debatte eingefügt wurde, wird jetzt der Begriff „Bewusstsein“ in diesen Zirkel eingebunden.

  • Gattung, Gattungsfunktion: Diese Begriffe werden nur beispielhaft mit Denken und Sprechen synonymisiert. In der Tat können Tiere – um diesen Gegensatz geht es in der Einleitung – keine menschliche Sprache sprechen oder lernen. Die Frage ist, ob die Gattung Mensch nicht umgekehrt die Kommunikation der Tierarten einfach nur nicht begreift.
    Dies läuft natürlich auf die gleiche Frage hinaus: Ist es vernünftig, den Menschen im Gegensatz zum Tier zu betrachten. Auf diesen Betrachtungen soll schließlich die Definition der Religiosität des Menschen beruhen. Ganz klar kommt diese Aussage in folgender Feststellung Feuerbachs zum Ausdruck:

  • Religion:
    Ludwig Feuerbach schrieb:Das Wesen des Menschen im Unterschied vom Tiere ist nicht nur der Grund, sondern auch der Gegenstand der Religion.
    Ich muss ganz klar bekennen: Diese Auffassung teile ich nicht – zumindest nicht diese Abhebung gegenüber den Tieren. Tiere weisen, gemessen am Menschen, rudimentäres Bewusstsein auf, was Feuerbach noch nicht wissen konnte. Folglich müssten Tiere „religiöse Gegenstände“ kennen, was sein kann; aber wir wissen es nicht.
    Dass das „Wesen des Menschen“ zugleich Gegenstand der Religion ist, bedarf der ausführlichen Erörterung. Man darf auf Weiteres gespannt sein!

  • Das Unendliche und das Bewusstsein des Unendlichen:
    Ludwig Feuerbach schrieb:Das Wesen des Menschen im Unterschied vom Tiere ist nicht nur der Grund, sondern auch der Gegenstand der Religion. Aber die Religion ist das Bewußtsein des Unendlichen; sie ist also und kann nichts andres sein als das Bewußtsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen, beschränkten, sondern unendlichen Wesen. Ein wirklich endliches Wesen hat nicht die entfernteste Ahnung, geschweige ein Bewußtsein von einem unendlichen Wesen, denn die Schranke des Wesens ist auch die Schranke des Bewußtseins.
    Nach F. ist das Wesen des Menschen unendlich. Wir Menschen sind aber „wirklich endliche Wesen“. Wir sind so beschränkt auf die so genannte Mittelwelt, dass wir uns alles, was darüber hinaus reicht in den Mikro- wie in den Makrokosmos nicht wirklich vorstellen können. Dazu gibt es eindeutige Erkenntnisse der Experimentatoren.
    Was F. meint, könnte sein: Wir erschließen uns Mikro- und Makrokosmos durch mathematische Modelle, die Aussagen über die Enden unsere Welt in deren Mitte abbilden. Da wir einen unmittelbaren Zugang zur Außenwelt ohnehin nicht haben, bemerken wir diese Abbildungsfunktionen so wenig, wie wir bemerken, dass unsere einfache, erlebte Realität bereits Abbildung ist.
  • Offenbarung des Wesens durch Mitteilung
    Ludwig Feuerbach schrieb:Der Mensch ist nichts ohne Gegenstand.
    An dem Gegenstande wird daher der Mensch seiner selbst bewußt: das Bewußtsein des Gegenstands ist das Selbstbewußtsein des Menschen. Aus dem Gegenstande erkennst du den Menschen; an ihm erscheint dir sein Wesen: der Gegenstand ist sein offenbares Wesen, sein wahres, objektives Ich. Und dies gilt keineswegs nur von den geistigen, sondern selbst auch den sinnlichen Gegenständen. Auch die dem Menschen fernsten Gegenstände sind, weil und wiefern sie ihm Gegenstände sind, Offenbarungen des menschlichen Wesens.
    Der Text wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Er setzt „Denkenkönnen“ oder „Vorstellung“ voraus. „Gegenstand“ ist hier das Mitteilbare, d. h. das, worüber wir sprechen und sprechen könnten. Was ist dann mit „objektivem Ich“ gemeint? Und was „offenbart“ sich dadurch?
Ich denke, damit ist die Liste der Begriffsbildungen vollständig. Der restliche Text jongliert jetzt damit. Ehe ich die Frage nach Gott erörtere und hinterfrage, einige Anmerkungen zu den begründenden Texten, die Feuerbach hinter seine Gottesthese gesetzt hat.
Ludwig Feuerbach schrieb:Was für eines Gegenstandes wir uns daher auch nur immer bewußt werden: wir werden stets zugleich unsres eignen Wesens uns bewußt; wir können nichts anderes betätigen, ohne uns selbst zu betätigen.
“Bewusst werden“ meint wohl neudeutsch: darüber reflektieren, mit Erfahrungen verknüpfen, Urteile fällen. Wieso werden wir dabei „unseres Wesens bewusst“? Ist das so, oder tun wir nur, was typisch menschlich ist. Und wie typisch ist dies?

Ludwig Feuerbach schrieb:Es ist aber unmöglich, daß wir uns des Willens, des Gefühls, der Vernunft als endlicher Kräfte bewußt werden, weil jede Vollkommenheit, jede Kraft und Wesenheit die unmittelbare Bewahrheitung und Bekräftigung ihrer selbst ist.
Könnte mir das jemand erläutern?
Für mich ist es eher selbstverständlich, dass unsere Vernunft, unser Wollen und Fühlen sehr beschränkt sind. Wir merken’s nicht.
F. stellt dazu Folgendes in den Raum:
Ludwig Feuerbach schrieb:Jede Beschränkung der Vernunft oder überhaupt des Wesens des Men-schen beruht auf einer Täuschung, einem Irrtum. … (Das Individuum) kann sich seiner Schranken, seiner Endlichkeit nur bewußt werden, weil ihm die Vollkommenheit, die Unendlichkeit der Gattung Gegenstand ist, sei es nun als Gegenstand des Gefühls oder des Gewissens oder des denkenden Bewußtseins. Macht es gleichwohl seine Schranken zu Schranken der Gattung, so beruht dies auf der Täuschung, daß es sich für eins mit der Gattung hält – eine Täuschung, die mit der Bequemlichkeitsliebe, Trägheit, Eitelkeit und Selbstsucht des Individuums aufs innigste zusammenhängt. Eine Schranke nämlich, die ich bloß als meine Schranke weiß, demütigt, beschämt und beunruhigt mich. Um mich daher von diesem Schamgefühl, von dieser Unruhe zu befreien, mache ich die Schranken meiner Individualität zu Schranken des menschlichen Wesens selbst. …
Steckt hinter diesem schwer verständlichen Text ein Postulat, nämlich offensichtliche Beschränktheiten unserer Vorstellung (was experimentell erwiesen ist) durch vernunftgemäße Abbildungen (siehe oben) zu überwinden? (was ja auch tatsächlich geschieht).

Ludwig Feuerbach schrieb:Wohl mag er sich vermittelst der Phantasie Individuen anderer, angeblich höherer Art vorstellen, aber von seiner Gattung, seinem Wesen kann er nimmermehr abstrahieren; die Wesensbestimmungen, die er diesen andern Individuen gibt, sind immer aus seinem eignen Wesen geschöpfte Bestimmungen – Bestimmungen, in denen er in Wahrheit nur sich selbst abbildet und vergegenständlicht.
Eben! Das sind feststellbare Grenzen. Deswegen fällt mir der Unterschied zu der voraus gehenden Kritik an der (Selbst-) Beschränkung auf. Wer über dies Menschenwelt nachdenkt, kann die tatsächlichen Schranken auch erkennen. Es gibt da ganz nette Selbsterfahrungen mit geometrischen Reihen, Sinnestäuschungen und Ähnliches. Ich halte es für selbstverständlich, dass wir diese Beschränkungen größtenteils nicht wahr nehmen. Deswegen hat es ja im Mittelalter die Kritik an Kepler und Galilei gegeben, die unseren Horizont durch eine Abbildung erweitert haben. Ein Fernrohr macht nichts anderes, als die für uns unzugängliche Entfernung auf unsere Mittelwelt abzubilden. Damit wurde auch unsere Vernunft „erweitert“ oder an dieser Stelle entschrankt. Aber wir sollten uns bescheiden geben, weil wir nicht wissen, wo weitere Schranken stehen!

Ludwig Feuerbach schrieb:Der Mensch kann nun einmal nicht über sein wahres Wesen hinaus.
Eine kluge Feststellung!

Ludwig Feuerbach schrieb:Das absolute Wesen, der Gott des Menschen ist sein eignes Wesen. Die Macht des Gegenstandes über ihn ist daher die Macht seines eignen Wesens.
Dieses Argument ist richtig, sobald ich Gott zum „Gegenstand“ meiner Überlegungen mache. Da hat F. vollkommen Recht. Die Anmerkung von Petronius auf eine entsprechende Äußerung meinerseits ist auch richtig: Die Kirchen äußern sich über Gott, als sei ER ein Gegenstand unserer religiösen Vorstellungen. Dem widerspricht aber bereits das AT. Die Frage ist also: Fördern wir diese Art der Gottesvorstellung und tappen damit den Philosophen in die selbst gebastelte Falle.
Liefert die Einleitung etwas Tragfähiges über Religion?

Saldo

(10-06-2009, 12:23)Ekkard schrieb: [ -> ]Frage, darf man ausführlich antworten?

Wenn nein, werde ich selbstverständlich meine nachfolgenden Ausführungen löschen. Wenn etwas "apdiktisch" erscheinen mag, seht es mir bitte nach. Vieles ist x-mal im Forum erörtert worden, das macht ein Bisschen müde und damit streng.

Niemand soll sich dadurch eingeschränkt wissen!


Entschuldigung, hab diesen Beitrag übersehen.
Natürlich darf man ausführlich antworten, ist doch sogar hilfreich.

Um die Antworten auszuwerten, brauche ich einen gewissen Batzen Zeit am Stück und Ausgeschlafensein - beides gleichzeitig zu erlangen ist gar nicht so leicht. :icon_wink:
Ich werde das heute oder an diesem Wochenende aber wohl schaffen.

Saldo

TEIL 1


(09-06-2009, 23:46)melek schrieb: [ -> ]Dieser Abschnitt beschreibt - wie ich es verstanden habe - die Beschränktheit des Menschen und seine Eigenschaft, sich die Welt aus seinem Blickwinkel heraus zu erklären.
Dabei kann auch nichts "größeres" herauskommen, als der Mensch erfassen kann.
Jegliche menschlichen Beschreibungen irgendeines "Gottes" zeugen nur vom Menschen selbst.


„Beschränktheit“ gilt – innerhalb der Feuerbachchen Termininologie - für den Menschen nicht so allgemein.

Siehe aber die weitere Diskussion, wo das noch öfter auftaucht.


Aus meleks Anmerkung leite ich folgende Fragestellungen ab:

Was versteht Feuerbach unter "Beschränktheit" und was unter "Unbeschränktheit"

Wie sieht F. den Bezug zwischen Tier - Individuum - Gottesvorstellung?



(10-06-2009, 12:23)Ekkard schrieb: [ -> ][*] Verhältnis von Mensch und Tier: Hieran definiert F., was „Religion“ ist, was ich nicht verstehe und deshalb skeptisch betrachte.


Ich glaube, F. "definiert" nicht, was Religion ist, sondern versucht zu erläutern, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier Religion haben kann. Und er sucht zu bestimmen, was genau es ist, das die zentrale Voraussetzung für die Religionsbildung ist.

Meines Erachtens liegt der Akzent seiner Erläuterung nicht darauf, das Tier zu bestimmen, sondern den Zusammenhang zwischen einer bestimmten Form des Bewusstseins und Religion herzustellen.
Also: der geschilderte Zusammenhang wäre m.E. auch dann gültig, wenn sich herausstellen sollte, dass auch Tiere in gleicher Form wie Menschen eine Religion haben (können). Dann würde die Form der Bewusstheit, die er den Menschen zugesprochen hat, eben auch für die Tiere gelten.
Das würde aber keinen Unterschied machen für den Zusammenhang zwischen bestimmten Eigenschaften des Menschen- und der Religionsbildung.

Dennoch. Ich formuliere die Anmerkung in eine Fragestellung um:

Was genau ermöglicht laut F. im Menschen - im Gegensatz zum Tier - die Fähigkeit zur Religion?


Ekkard schrieb:
Ludwig Feuerbach schrieb:Die Religion beruht auf dem wesentlichen Unterschiede des Menschen vom Tiere – die Tiere haben keine Religion.

[*] Wesenheit oder das Wesen: F. benutzt diesen Begriff im Zusammenhang mit „Gegenstand“ (des Menschen) und der „Erkenntnis des Menschen“ bzw. seines Wesens. Dazu einige kritische Anmerkungen: F. bezieht diesen Diskurs auf die Fähigkeit des Menschen, die eigene Person als Gegenstand seines Nachdenkens zu bestimmen.
Lassen wir einmal außen vor, dass F. diese Fähigkeit einem Tier abspricht, was aber durch die Kognitionsforschung nicht mehr allgemein aufrecht erhalten werden kann. Diese spezielle Auffassung vom „Wesen des Menschen“ wird hier als Unterscheidungsmerkmal zum Tier definiert.


So schreibt F. das nicht. Und so ist auch nicht sein Gedankengang. Er schreibt:
„Das Tier ist wohl sich als Individuum – darum hat es Selbstgefühl –, aber nicht als Gattung Gegenstand“.
Sich auch seiner Gattung bewusst werden: das nennt F. „Bewusstsein im strengen Sinne“.

Der entscheidende Gegensatz ist „Individuum“ und „Gattung“.
Später – eventuell im 2. Kapitel– schreibt er, dass der Mensch sich sowohl seines Individuums als auch seiner Gattung bewusst sein kann.

Es ist letztlich diese Unterscheidung, die F. zur Basis der Religion macht. Ohne diese zweite Möglichkeit gäbe es keine Religion. Aber er definiert sie dadurch nicht. Es zeigt nur ein wesentliches Markmal auf.
Ob das Tier das gleiche Merkmal hat oder nicht, ist lrtztlich nicht relevant. Es dient nur zur Abklärung eines Merkmals des Menschen.

Ich färbe blau als Fragestellung:

Unterschied zwischen Individuum und Gattung bzw. sich des Indivdiuums und der Gattung bewusst werden.



’Ekkard’ schrieb:Es ist grundsätzlich zu hinterfragen, ob solche Abhebungen (Differenz-Definitionen) nicht letztlich irrelevant sind. Die Aussageform Feuerbachs lautet etwas überspitzt ausgedrückt: Das Wesen des „Tieres“ ist es, kein menschliches Wesen zu sein und umgekehrt. F. nutzt aus diesem Zirkel nur den rechten Teil.


Ich färbe Kritikpunkte mal rot.
Wir sollten sie vielleicht für später sammeln, denn ob hier ein Zirkelschluss vorliegt – überhaupt irgendeinen „Schluss“ zieht - , sieht man wohl erst, wenn man Feuerbachs Gedankengang zu Ende verfolgt hat.

Also:


Macht F. im ersten Kapitel einen Zirkelschluss und behauptet, das Wesen des Tieres sei es, kein menschliches Wesen zu sein und umgekehrt.



Ekkard schrieb:Später im Text gibt F. eine ganz andere Definition:
Ludwig Feuerbach schrieb:Die Vernunft, der Wille, das Herz. Zu einem vollkommenen Menschen gehört die Kraft des Denkens, die Kraft des Willens, die Kraft des Herzens.
Wozu dann die Differenz-Definition?


F. hat keine Differenzdefinition gegeben.
Der Unterschied zwischen der Fähgikeit, sich seines Individuums und seiner Gattung bewusst zu werden, war nur das Sprungbrett, von dem F. ausging ->
Der erste Satz des Kapitels lautet:
„Die Religion beruht auf dem wesentlichen Unterschiede des Menschen vom Tiere – die Tiere haben keine Religion.“

Das ist keine Definition. Religion „beruht“ nur auf diesem Unterschied. F. will auf eine anthropologische Grundkomponente hinaus. Dieses erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Menschen, nicht mit der Religion.

Und auch wäre noch zu überprüfen, ob „Vernunft“, „Wille“, „Herz“ hier als Definition des Menschen oder der Religion gemeint ist:

Welche Funktion haben die Begriffe „Vernunft“, „Wille“, „Herz“ für F. innerhalb seiner Argumentation?


Ekkard schrieb:[*] Gegenstand: Ist die feuerbachsche Verwendung des Begriffes allgemeinverständlich? Ich denke nicht: Gemeint ist wohl die Selbsterfahrung.


F. schreibt:
“Der Mensch ist nichts ohne Gegenstand.

An dem Gegenstande wird daher der Mensch seiner selbst bewußt: das Bewußtsein des Gegenstands ist das Selbstbewußtsein des Menschen.“

Das heißt: das Bewusstsein seiner selbst ensteht dadurch, dass der Mensch auf Gegenstände stößt. Mit dem Begriff „Selbsterfahrung“ verbinde ich persönlich Esoterik: der Mensch muss erfahren, welches sein innerer Weg ist oder so.

Vielleicht meinst Du es ber so wie F. Bewusstheit im strengen Sinn – so wie F. diese Begriffe benutzt – meint: Ich muss etwas außerhalv von mir erkennen. Weiter oben schreibt er:

„Der Mensch ist sich selbst zugleich Ich und Du“.

Das ist diese Selbstspaltung, auf der unsere ganze Grammatik beruht. -> ‚Ich sehe mich.’ ‚Ich erkenne nich’.

Diese Spaltung des „Ich“ in ein Subjekt und ein Objekt ist für uns Westeuropäer (fast) unumgehbar. Unsere Sprache bringt uns in dieses Denken hinein.
In den beiden oberen Sätzen ist das Subjekt (’Ich’) nicht identisch mit dem Objekt (‚mich’). Es sind zwar immer dieselben Personen gemeint, aber jeweils unter einem anderen Aspket.
Der, der sieht, hat nicht die gleiche Merkmale wie der, der gesehen wird – auch wenn in beiden Fällen von derselben Person die Rede ist.

Wenn diese gedankliche Spaltung nicht da wäre, könnten solche grammatischen Sätze wie diese beiden gar nicht aufgestellt werden.
Dann könnte auch „Selbsterkenntnis“ nicht stattfinden, denn man kann etwas als man selbst ja nur erkennen, weil es theoretisch auch nicht man selbst sein könnte.
Die gedankliche Teilung des Menschen ist also Bedingung für einen grammatischen Satz, der ja eine Erkenntnis beschreibt.

Aber F. geht weiter, indem er sagt, dass alle Gegenstände, die der Mensch erkennt – oder derer er sich bewusst wird -, auch etwas über den Menschen selber zeigen ->

„Was für eines Gegenstandes wir uns daher auch nur immer bewußt werden: wir werden stets zugleich unsres eignen Wesens uns bewußt; wir können nichts anderes betätigen, ohne uns selbst zu betätigen.“


Ekkard schrieb:[*] Bewusstsein (im strengsten Sinne): Hier taucht der Begriff „Wesenheit“ wieder auf. Für das, was für F. der Begriff „Bewusstsein“ darstellt, muss das Lebewesen seine Gattung zum Gegenstand seines Denkens machen können. F. sieht dies als wesentlich menschlich an und definiert diese wieder als Gegensatz zum Tier. F. setzt hinter „Gattung“ die Einfügung „seine Wesenheit“. Diese Einfügung macht deutlich, das F. in dem Begriff „Gattung“ einen Mangel erkennt, der zu füllen sei.


F. sieht – falls ich Dich richtig verstanden habe - in dem Begriff „Gattung“ keinen Mangel, sondern genau das Gegenteil ->

„Bewußtsein im strengsten Sinne ist nur da, wo einem Wesen seine Gattung, seine Wesenheit Gegenstand ist. Das Tier ist wohl sich als Individuum – darum hat es Selbstgefühl –, aber nicht als Gattung Gegenstand – darum mangelt ihm das Bewußtsein."

„Bewussthein im strengen Sinn“ hätte er sagen müssen, denn weiter oben unterscheidet er das ja. Das Tier hat durchaus für ihn Bewusstsein.

- 2 -

Saldo

TEIL 2


Ekkard schrieb:Da aber „Wesen des Menschen“ nur durch einen Zirkel in die Debatte eingefügt wurde, wird jetzt der Begriff „Bewusstsein“ in diesen Zirkel eingebunden.


Die Debatte ist nicht durch einen Zirkel eingeführt worden. Aber ich denke, dass wir das noch klären können.


Ekkard schrieb:[*] Das Unendliche und das Bewusstsein des Unendlichen:
Ludwig Feuerbach schrieb:Das Wesen des Menschen im Unterschied vom Tiere ist nicht nur der Grund, sondern auch der Gegenstand der Religion. Aber die Religion ist das Bewußtsein des Unendlichen; sie ist also und kann nichts andres sein als das Bewußtsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen, beschränkten, sondern unendlichen Wesen. Ein wirklich endliches Wesen hat nicht die entfernteste Ahnung, geschweige ein Bewußtsein von einem unendlichen Wesen, denn die Schranke des Wesens ist auch die Schranke des Bewußtseins.
Nach F. ist das Wesen des Menschen unendlich. Wir Menschen sind aber „wirklich endliche Wesen“. Wir sind so beschränkt auf die so genannte Mittelwelt, dass wir uns alles, was darüber hinaus reicht in den Mikro- wie in den Makrokosmos nicht wirklich vorstellen können. Dazu gibt es eindeutige Erkenntnisse der Experimentatoren.


Was F. unter „unendlich“ versteht, ist wirklich erst zu klären.

Im übrigen: Es gibt niemals „eindeutige Erkenntnisse der Experimentatoren“. Schon gar nicht, wenn die Psyche der Menschen untersucht wird.

Auf jeden Fall spricht F. nie vom Weltall. Das ist nicht sein Thema, darüber macht er keine Aussagen.
Er bezieht „unendlich“ – ein wirklich schwieriger Begriff bei F., den man auf Grund seiner Vorgaben deuten muss – auf die Gattung.
Das wird aber noch sehr viel deutlicher erklärt im nächsten Kapitel (glaube ich).


Ich stelle als Fragestellung auf:

Was versteht F. unter „unendlich?


Ekkard schrieb:
Ludwig Feuerbach schrieb:Es ist aber unmöglich, daß wir uns des Willens, des Gefühls, der Vernunft als endlicher Kräfte bewußt werden, weil jede Vollkommenheit, jede Kraft und Wesenheit die unmittelbare Bewahrheitung und Bekräftigung ihrer selbst ist.
Könnte mir das jemand erläutern?


Daran hab ich mir als Student des zweiten Semesters (vor „etwas längerer Zeit …“) – ich hatte damals über „Das Wesen des Christentums“ eine Seminararbeit“ geschrieben - mir auch den Kopf heißgeknobelt.


Ekkard schrieb:
Ludwig Feuerbach schrieb:Jede Beschränkung der Vernunft oder überhaupt des Wesens des Men-schen beruht auf einer Täuschung, einem Irrtum. … (Das Individuum) kann sich seiner Schranken, seiner Endlichkeit nur bewußt werden, weil ihm die Vollkommenheit, die Unendlichkeit der Gattung Gegenstand ist, sei es nun als Gegenstand des Gefühls oder des Gewissens oder des denkenden Bewußtseins. Macht es gleichwohl seine Schranken zu Schranken der Gattung, so beruht dies auf der Täuschung, daß es sich für eins mit der Gattung hält – eine Täuschung, die mit der Bequemlichkeitsliebe, Trägheit, Eitelkeit und Selbstsucht des Individuums aufs innigste zusammenhängt. Eine Schranke nämlich, die ich bloß als meine Schranke weiß, demütigt, beschämt und beunruhigt mich. Um mich daher von diesem Schamgefühl, von dieser Unruhe zu befreien, mache ich die Schranken meiner Individualität zu Schranken des menschlichen Wesens selbst. …
Steckt hinter diesem schwer verständlichen Text ein Postulat, nämlich offensichtliche Beschränktheiten unserer Vorstellung (was experimentell erwiesen ist) durch vernunftgemäße Abbildungen (siehe oben) zu überwinden? (was ja auch tatsächlich geschieht).


Zunächst einmal steckt hinter diesem Text – der tatsächlich zentral lst für die Gesamtarugmentation F.’s – der Gedanke, dass das Wort „beschränkt“ oder „endlich“ nur dann einen Sinn macht, wenn das Gegenteil davon vorhanden ist.
Begriffe brauchen immer ihren Gegenpart, sonst sind sie sinnlos. Wenn es nur „weiß“ gibt und nicht „nicht-weiß“, ist alles ununterschieden in der Farbe. Es macht keinen Sinn, das Wort „weiß“ zu prägen, wenn es nichts gibt, das nicht „weiß“ ist.

Darum kann ich nur dann etwas als „beschränkt“ auffassen, wenn ich es abhebe von „nicht-beschränkt“. Ich muss mir also auch von letzterem eine Vorstellung machen, wenn ich ersteres sinnvoll einsetzen will.

Das ist aber natürlich noch nicht die ganze Erklärung.
Ein Postulat allerdings sehe ich – bislang – noch nicht. Oder doch?
Jedenfalls noch nicht bezüglich des Begriffes „unendlich“.

Bezogen auf die scheinbare Beschränkung aber liegt da schon ein Fortschirttsgedanke drin.
Das hebt wohl schwer ab gegen den klassischen deutschen Idalismus: die Grenzen der Menschen sind die Grenzen der Menschheit, da kann man nichts gegen tun.
Feuerbach zeigt als erster - nach ihm Marx, nach Marx Georg Lukacz, auch Adorno etc, bis hin zur modernen Anthopologie – dass das, was der Menschen als seine persönlichen Grenzen wahrnimmt, eingeredet ist.
Das gilt sogar nicht nur für das Indivdiuum, sondern auch für das Menschsein an sich. Gerade das Christentum redet dem Menschen ja ohne Ende ein, dass er begrnzt und unfähig ist.

Das ist aber eher etwas, was aus Feuerbach folgt, er selber vielleicht nicht hauptsächlich thematisiert hat.
Ekkards Beispiele, wie man seine „Schranken“ immer weiter nach vorne versetzt – neuen Raum gewinnt – sind da ja in gleichen Sinn.

Schwerer wird noch zu klären sein, wie genau das Individuum als Gattung – also der Einzelmensch als Mensch überhaupt – nach F. nicht beschränkt ist.
Vielleicht hilft der Gedanke der Liebe – den f. irgendwo auch ausführlich erläutert.
In einem gewissen Sinne wird durch den geliebten Menschen – auch durch das geliebte Tier übrignes – die Ichschranke aufgeweicht.

Liebe kann durchaus als „Vollkommenheit“ empfunden werden – wenn vielleicht auch nur in wenigen Sekunden. Sogar die körperliche Liebe kann einen auf solche Ideen bringen.

Es gibt also laut F.das Doppelte:
Beschänkt ist der Mensch, wenn es sich nur als Individuum wahrnimmt, also nicht als Teil der Gesamtgattung.
Nimmt der Mensch sich in seinem ganzen Wesen wahr – also eben als Teil der Gesamtgattung – kann er nicht anders als die Vollkommenheit wahrnehmen.

Über dieser ganze Wesen aber kommt er nicht hinaus.


*Ekkard’ schrieb:Liefert die Einleitung etwas Tragfähiges über Religion?


Die Einleitung besteht aus zwei Kapiteln:
Das Wesen des Menschen im allgemeinen
Das Wesen der Religion im allgemeinen


Bisher habe ich nur Zitate aus dem ersten Kapitel gezogen.
Das Gleiche für das zweite Kapitel mache ich demnächst.