07-12-2010, 00:00
Rao (zum Thema: Harmagedon) schrieb:…, wieviel an Auslegungsmöglichkeiten durch die (in diesem Zusammenhang geradezu barbarisch verstümmelnd wirkenden) Übersetzungen ins Griechische und ins Deutsche verschütt gegangen sind.
[...]
Und Du hast natürlich recht, in den Übersetzungen liest dann jeder das, was er will,…
Einerseits rühmst Du die "vielen Auslegungsmöglichen", die das Hebräische offenbar zulässt, andererseits tadelst Du, "dass bei Übersetzungen jede/r das herausliest, was er/sie will".
Für mich sieht es so aus, als ob auch des Hebräischen kundige Menschen aus hebräischen Texten Verschiedenartiges herauslesen.
Eine Sprache, wie die griechische zu kritisieren, die beides ist, schön und exakt, sie mit Ausdrücken wie "barbarisch und verstümmelnd" zu belegen, ist jedenfalls ungerecht.
Ich ziehe es vor, Rechtstexte, historische Texte aber auch religiöse Texte in einer Sprache vorgesetzt zu bekommen, die das, was der Autor zu Ausdruck bringen will, nicht mehrdeutig wiedergibt. Das gilt insbesondere dann, wenn es um Normen geht, die ich - ob nun göttlich oder von Menschen verordnet - einzuhalten habe.
Die Septuaginta (LXX) wurde, darf man annehmen, von gelehrten Männern übersetzt, denen beide Sprachen, das Hebräische wie das Griechische, gleichermaßen geläufig und denen die Texte, die es zu übersetzen galt, vertraut und heilig waren. Das gilt vor allem für den Pentateuch, dessen Übersetzung in der Mitte des 2. Jhs. vC abgeschlossen war.
Im Hauptbestand lagen neben dem Pentateuch um etwa 140 vC auch die großen Geschichtsbücher, die Propheten, der Psalter und die Weisheitsschriften vor, was aus dem Prolog des Sirachbuches hervorgeht. Dazu kamen dann noch Texte, die schon in Griechisch abgefasst wurden (Weisheitstexte, Gebete, etc.).
Einiges von diesem fand rasch Verbreitung und ging deshalb zusätzlich in die LXX ein.
Es wurden hebräische bzw. aramäische Texte übersetzt und in die LXX aufgenommen, die im Tanach fehlen (Jesus Sirach, Gebet Menasses, Tobit, 1Makk, Psalmen Salomos). Dazu jene Texte, die in Griechisch verfasst wurden (also nicht Ergebnis von Übersetzungen waren): 1Esdras, Judit, 2-4Makk, Weisheit Salomons, Baruch, Brief des Jeremia, Susanna, Bel und Drache.
An der Wende vom 2. zum 1. Jh. vC setzte ein Redaktionsprozess ein. Der Text der LXX wurde an einem hebräischen Text, der damals autoritativ wurde (dem sogenannten protomasoretischen Text), überprüft und korrigiert.
Was das NT angeht, darf man natürlich, wie das für alle Sprachen gilt, auch ins Hebräische übersetzen. Allerdings kommt man dem Sinn des Textes damit nicht näher, sondern man interpretiert, wie das bei jeder anderen Übersetzungen auch der Fall ist.
Wer beansprucht, der Tanach müsse in Hebräisch gelesen werden, damit man ihn verstehen könne, muss das auch den griechischen Texten des NTs zugestehen. Die Texte wurden in Griechisch für ein griechisch lesendes und denkendes Publikum verfasst.