helmut schrieb:Eine Quelle kann aber auch dann, wenn sie erkennbar Defizite aufweist, wertvolle Informationen enthalten. Von erwiesenen Fälschungen abgesehen, wird ein Historiker keine Quelle absolut verwerfen.
Wer spricht den von "absolut verwerfen"?
Auch die Texte der frühen griechischen Dichtung sind Quellen. Um solche Quellen zu nutzen, muss man sich allerdings vergegenwärtigen, zu welchem Zweck diese Texte verfasst wurden.
Wenn ich einen Text nicht als "Historia" anerkenne, heißt das ja nicht, dass ich ihm keinerlei Quellenwert zumesse.
Nimmt man die Apg als "Historia(e)" im Sinne hellenistischer Geschichtsschreibung hin, wird man einwenden dürfen, dass die Beschreibungen von Personen und deren Taten oft mit phantasievollen Elementen versehen sind, die mehr an Deus-ex-machina-Lösungen des griechisch-römischen Theaters erinnern als an die großen Vorbilder der griechischen Geschichtsschreibung, von denen Du (William M. Ramsay zitierend) Thukydides als Beispiel genannt hast.
helmut schrieb:Von erwiesenen Fälschungen abgesehen,…
Selbst erwiesene Fälschungen können Quellenwert haben.
Zum Beispiel als Beleg dafür, dass irgendein Papst zu einer bestimmten Zeit (zw. 750 und 850 nC) keine Skrupel hatte, ein Dokument herstellen zu lassen, wonach dem Papst das Imperium über das Abendland übergeben worden sei.
Von der Wirkungsgeschichte dieser Fälschung gar nicht zu reden.
helmut schrieb:Nur wenn es z.B. darum geht, ob "Paulus die Kirche gegründet hat", ist die Apg eine wertvolle Quelle, die auch von Theologen durchaus benutzt wird.
"Ob Paulus die Kirche gegründet hat", steht in einem anderen Thread zur Debatte. Ich werde hier nicht Beihilfe zum Verzetteln leisten.
Hier geht es um die Historizität der Apostelgeschichte.
Die Frage ist:
Was von den Lukanischen Berichten ist in hohem Maße, was in geringerem Maße glaubhaft? Und was davon ist erbauliche Dichtung, ohne den Anspruch, Tatsachen zu berichten, auch nur im Ansatz zu erfüllen?
Wobei mir nicht klar ist, was Dein Einlenken, niemand müsse Wundergeschichten glauben, bedeutet?
helmut (in: Why I hate religion, but love Jesus # 92) schrieb:Die Apostelgeschichte zeichnet sich dadurch aus, dass darin praktisch Alles stimmt, was sich überprüfen lässt. Das spricht für die Glaubwürdigkeit von Lukas, selbst wenn du die Wundergeschichten darin skeptisch betrachtest.
Was nun?
Sind die Wundergeschichten
für Dich nun Tatsachenberichte oder - wie ich sie einordne - Lügengeschichten, die in der Antike nicht unüblichen waren, um Erzählungen interessant zu machen?
Und:
Natürlich sind Teile der Apg als Quelle zum frühen Christentum wertvoll, vor allem deshalb, weil sie für so manche Dinge als einzige Quelle zur Verfügung stehen.
Nur: Den Anspruch,
Historia zu sein, können sie nicht erheben.
Eckhard Plümacher hat vorgeschlagen, die Apg als "historische Monographie" (ein moderner Begriff!) zu bezeichnen. Nur wenige wollen ihm da folgen.
Und selbst er relativiert diesen Anspruch, wenn er schreibt:
E. Plümacher schrieb:Über die Möglichkeit, die Apostelgeschichte einer der in der hellenistischen Welt gebräuchlichen literarischen Gattung zuzuordnen, urteilt die neutestamentliche Forschung weithin äußerst skeptisch. "Es gibt … keine Gattung, die er (sc. Lukas) bei der Gestaltung der Apg hätte nachahmen können" – so ein Urteil für viele.
Den treffendsten Einwand dagegen hat für mich Georg Strecker geliefert:
G. Strecker schrieb:Lukas stellt die Jesusgeschichte und die Geschichte der Apostel nicht so dar, wie sich diese ereignet haben, sondern wie es nach seinem Verständnis gewesen sein sollte.
helmut schrieb:Bion schrieb:In diesem Zusammenhang hast Du die Quellenlage zum Tod von Sokrates und Cäsar mit jener der Hinrichtung Jesu gleichgesetzt, was ich als nicht gegeben erachte.
Ich habe verglichen: in beiden Fällen können wir davon ausgehen, dass die Berichte zugunsten einer bestimmten Sicht (der der Christen bzw. der Anhänger von Sokrates bzw. des römischen Kaiserhaus) gefärbt ist, …
Ich hatte behauptet, dass die Quellenlage zu Caesar und zu Sokrates ungleich besser ist als zum Leben Jesu.
Dem hast Du widersprochen!
Natürlich weiß man, dass Platon in den Dialogen auch seine Gedanken verpackt hat und der Sokrates, wie er in den Komödien dargestellt wird, überzeichnet ist.
Und Caesar hat, wie Du sicher weißt, selbst historiographische Texte verfasst.
helmut schrieb:…die Evangelien sind zeitlich deutlich näher am Geschehen.
Das stimmt nun schon gar nicht!
Du wirst doch nicht behaupten wollen, dass die Evangelisten näher an Jesus dran waren als Platon, Xenophon und Aristophanes an Sokrates? Und näher als Cicero an Caesar? Oder Caesar an sich selbst?