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Normale Version: Gnosis, Gnostizismus
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(Text in Arbeit)

Ursprünglich stand der Begriff  Gnosis (γνῶσις) sowohl für das  rationale Erfassen (Erkennen) von Sachverhalten als auch für höhere Erkenntnis und Weisheit. Auch für das richterliche Erkenntnis konnte γνῶσις stehen.

Von ↗Platon (und in mittel- und neuplatonischen Texten) wird der Begriff γνωστικοί (gnostikoi = Erkennende) im Sinne von "mit Erkenntnis zusammenhängende Wissenschaft" (γνωστικὴ ἐπιστήμη, Gnostike episteme) gebraucht.

In ↗spätantiker Zeit wurde der Begriff zunehmend für verborgenes, heilsrelevantes Wissen (Wissen um die göttlichen Geheimnisse), wie es auch von den ↗Mysterienkulten vermittelt wurde, gebraucht und auch auf frühchristliche religiöse Bewegungen, die den Anspruch erhoben, über solches Wissen zu verfügen und es vermitteln zu können, angewandt.

Die Gnostiker vermittelten ↗Erkenntnis, ohne dafür rationale Begründungen anzubieten. Die verborgene Überwelt zu erkennen, ist das gnostische Lebensziel. Menschen, die die Mühen der Wahrheitssuche auf sich nehmen, erleben irgendwann diesen  Augenblick des Erkennens. Auf die ↗Philosophie wird in der Regel kein Bezug genommen. Wenn philosophisches Erkennen angesprochen wird, dann geschieht das überwiegend mit Ablehnung.

Ansprüche, über "über die erlösende Erkenntnis" zu verfügen, sind  eine universal-religiöse Erscheinung und praktisch in allen Religionen vorzufinden.

Was die abrahamitischen Religionen betrifft, sind solche religiöse Haltungen im ↗kabbalistischen Judentum, im ↗mystischen Christentum und im ↗mystischen Islam (Sufismus) auffindbar.

Gnostische Erkenntnislehre des ↗griechisch sprechenden Judentums hat auch ins ↗AT Eingang gefunden.

In den ↗Weisheitsbüchern heißt es beispielsweise:

"Der Herr gibt Weisheit, von seinem Angesicht kommen Erkenntnis und Einsicht" (Spr 2,6), der Gerechte darf sich also rühmen, dass er "Erkenntnis Gottes besitzt" (Weish 2,13).

Auch im ↗NT sind gnostische Ideen vertreten.

↗Rudolf Bultmann hat in seinem Kommentar zum ↗Johannesevangelium dargelegt, dass die Kernaussagen des ↗Evangeliums "Teil einer gnostischen Erlösungslehre" seien.  Mit Trennungen von "Licht und Finsternis", "Gott und Welt", wie sie in gnostischen Texten vorgenommen bzw. betont werden, zeichnet der Verfasser des JohEv eindrucksvolle Bilder, ein ↗Demiurg, als widergöttlicher Weltenschöpfer, wird von ihm nicht benötigt.

Bis zu den (koptischen) Textfunden jüngerer Zeit wusste man über die Gnosis nur aus "Widerlegungsschriften" frühchristlicher Autoren (↗Justin, ↗Irenäus von Lyon, ↗Clemens von Alexandrien, ↗Tertullian, ↗Hippolyt von Rom, ↗Origenes) Bescheid.

Gegen Ende des 18. Jhs wurden die ↗Codices Askewianus (↗Pistis Sophia), im 19. Jh der ↗Codex Brucianus (↗Bücher des Jeû) bekannt.

Gegen Ende des 19. Jhs entdecke der Berliner Koptologe Carl Schmidt in Ägypten einen Text, den er dem Berliner Ägyptischen Museum übergab. Dort ist er unter der Bezeichnung "Papyrus Berolinensis 8502" (↗Codex Berolinensis Gnosticus) vermerkt.

Der bisher bedeutenste Fund wurde 1945 mit der gnostischen Bibliothek von ↗Nag Hammadi gemacht.

Wieweit die Systementwürfe von ↗Markion und ↗Mani (Manichäismus) der Gnosis zuzurechnen sind, dazu ist man sich in Fachkreisen nicht einig. Jedenfalls ist sowohl bei Markion als auch bei Mani gnostisches Denken erheblichen Ausmaßes vorzufinden.

Als Schöpfer bedeutender gnostischer Systeme gelten:

↗Simon Magus (Simonianer)

↗Basilides

↗Valentin (↗Valentinianer)

↗Karpokrates und sein Sohn ↗Epiphanes

Gnostische Sekten waren in der Spätantike weit verbreitet und standen in erheblicher Konkurrenz zum "rechtgläubigen" Christentum, was durch die polemischen Widerlegungsschriften frühchristlicher Autoren gegen die Valentinianer, ↗Barbelo-Gnostiker, ↗Ophiten, ↗Kainiten, ↗Sethianer, ↗Naassener, ↗Doketen, u. a. eindrucksvoll belegt ist.


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