Harpya schrieb:Für Uneingeweihte.
Wenn ich Gruppe lese, Gruppen haben ja im Allgemeinen
eine Art Anführer, Prediger, Priester o.a.
Gibts das da auch oder ist das eine Art gruppendynamischer Prozess.
Das ist etwas kompliziert - also erstmal: einen religiösen Anführer, wie christliche Gemeinden sie im Pastor finden, gibt es hier nicht. Das liegt in der Natur der Sache, da die Riten dereinst im Sippen-Verbund gelebt wurden und der Älteste, sprich Erfahrenste, in der Regel eben das ganze Fest koordinierte. Heute, wo die ganzen gläubigen Heiden aus ganz verschiedenen Sippen kommen, dienen diese "Gruppen" als eine Art Ersatz-Sippen-Verbund, in dem dann gemeinsam den alten Sitten gefrönt wird.
Es gibt zwar niemanden, der den anderen erzählt, was sie zu glauben haben, aber wenn mal ein Fest ansteht, muss ja auch irgendwer dieses organisieren, die Riten koordinieren und leiten etc... es ist also eher ein
Organisator, man nennt ihn oft den "
Goden", andere Bezeichnungen gibt es auch. In den meisten Gruppen kristalliert sich der eben so raus, weil er die meiste Erfahrung, das meiste Wissen und genug Elan hat, sich immer wieder um die Festlichkeiten zu kümmern...
Prinzipiell kann heute jedoch jeder, ob Mann oder Frau, jung oder alt, wenn er will ein Ritual leiten.
:)
Klaro schrieb:@Hathagat, hat Deine Richtung etwas mit dem Neopaganismus zu tun ?
Ja - aber ebenso viel, eigentlich nicht mal so viel wie etwa das Christentum mit "
abrahamitischen Religionen" zu tun hat.
Denn Neopaganismus ist ein sehr sehr breit gefasster Begriff. Darunter fallen viele Religionen, die sich in ganz unterschiedlichem Maße auf vorchristliche Glaubenssysteme beziehen. Da gibt es Leute wie etwa die "
Wicca", die sich als moderne Form eines Hexentums verstehen, und die sich nur teilweise auf heidnische Riten berufen, zu anderen Teilen auch auf abrahamitische oder etwa fernöstliche.
Dann gibt es natürlich auch die, die sich schon umfassender auf alte heidnische Religionen beziehen, wobei es da auch ganz viele gibt: keltische, germanische, slawische, baltische, römische, griechische, ägyptische,... "
Neuheiden". Zwischen denen gibt es immer wieder Mischformen, aber auch innerhalb dieser einzelnen Strömungen gibt es auch wieder welche, die sich mehr, andere, die sich weniger genau auf das was war beziehen, und viel von sich aus integrieren...
Du siehst also, der Begriff "
Neopaganismus" ist keineswegs etwas, was man so genau abgrenzen kann. Man kann es sich wie einen bunten Nebel vorstellen, der aus vielen verschieden-farbigen Schwaden besteht, die mal ineinander übergehen, mal auseinander gehen, mal neue Farben bilden, sich mal aufspalten, sich hier verdichten, und dort verdünnen...
Klaro schrieb:Verbindet man im Heidentum die Natur nicht stärker mit den Göttern, als in Religionen, wo Gott oben steht und alles untergeordnet ist und der Natur diese Kraft nicht zugestanden wird ?
Eigentlich schon, ja. In den abrahamitischen Religionen steht die Gottheit meines Wissens ja vor bzw. über der Schöpfung, ist also in gewissem Maße von ihr getrennt.
In heidnischen Religionen sind die Götter
Teil der Schöpfung. Sie sind weder die ältesten noch die höchsten Instanzen/Mächte binnen dieser Schöpfung - in ihnen manifestieren sich lediglich gewisse Aspekte der Welt.
Da unsere Götter also nicht über der Natur stehen, sondern die Natur sind bzw. sich in der Natur ausdrücken, denke ich werden sie bei uns schon eher damit verbunden. :)
Klaro schrieb:Das Wort "Heide" klingt immer noch abwertend, wenn man auf diese Weise von Gläubigen bezeichnet wird, aber es scheint, daß Naturreligionen als solches die ersten "Religionen" waren.
Naja, die einen sehen das mit dem Begriff "
Heide" so, die anderen so. Zur ursprünglichen Bedeutung des Wortes gibt es zig unbewiesene Thesen. Und ja, mit dem Aufkommen des Christentums geriet dieses Wort in ein schlechtes Licht, und dennoch ist es heutzutage am angebrachtesten, da sich die Leute am ehesten darunter vorstellen können wer wir so sind.
Ja, die Naturreligionen waren wohl wahrlich die ersten Religionen. Schon Tiere wie Elefanten oder Affen zeigen ja teilweise Verhaltensformen, die als primitive religiöse Akte interpretiert werden können. Das ist also mehr ein fließender Übergang. Die ältesten menschlichen religiösen Akte,
die uns bekannt sind, werden auf vor 500.000 Jahren datiert und dem Homo Heidelbergensis, dem Vorgänger des Neandertalers, zugesprochen.
Allerdings gibt es da zwei Irrtümer, die den Leuten immer wieder unterlaufen: 1. Das Heidentum sei eine reine Naturreligion und 2. Naturreligionen würden die Natur verehren.
O.o
Um mit Zweiterem zu beginnen: Naturreligionen heißen so, weil ihre Inhalte die Aspekte der Natur lediglich wieder geben! Denn, was viele in unserer heutigen Welt gar nicht mehr so wahr nehmen, ist, dass die Natur auch sehr viele zerstörerische und destruktive Kräfte hat (
Fluten, Unwetter, Waldbrände, Dürren, Frost, Erdbeben,...), die gerade für vorzeitliche Bauern schlimm waren. Diese Kräfte auch noch zu verehren wäre doch reine Idiotie, weswegen sie in dem Glauben, dem ich angehöre, auch durch die oft antagonistischen Riesen, nicht Götter, verursacht werden. Nein, Naturreligionen geben zwar die Natur mit ihren Abläufen und ihrem Aufbau wieder, verehren aber nicht unbedingt alle Aspekte.
Ist das Heidentum nun eine solche Religion? Nicht ganz, nur teilweise! Wer das meint, übersieht, dass es auch sogenannte "
Kulturreligionen" gibt, und das Heidentum auch solche Inhalte hat. So wie sich bei Naturreligionen die Natur in den Inhalten wieder spiegelt, spiegelt sich bei Kulturreligionen eben die Kultur in den Inhalten wieder. Und das Heidentum ist eben ein Mix aus beidem.
Zu diesen kulturellen Inhalten zählen unter anderem die Bedeutung des Rechts, die von Haus und Hof, die von Anführer und Gefolge, von familiärer und gesellschaftlicher Hierarchie, und so weiter...
Klaro schrieb:Scheint so, daß viele Menschen sich vermehrt wieder entweder dem Atheismus oder dem Heidentum zuwenden.
Wie siehst Du die Entwicklung ?
Ich stimme da zu. Neulich stand auch eine Studie in der Zeitung, der zu Folge sich die Gesellschaft religiös spaltet: Die einen treten vermehrt aus der Kirche aus und vom Christen-Glauben zurück, die die drin bleiben verstärken ihre Bindung.
Dass die Menschen sich vermehrt anderen Glaubenssystemen zuwenden ist zum einen der immer geringer werdenden Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft und zum anderen dem steigenden Bedürfnis nach Individualismus geschuldet. Und da gibt es dann eben jene, die überhaut keine Religion mehr haben und ein eher atheistisches Leben führen und jene, die sich anderen Religionen zuwenden...
Die Geschichte des Neuheidentums bei uns kann man nochmal genauer betrachten: Diese Idee ist gar nicht mal so jung. Erste Ansätze, sich wieder mit dem vorchristlichen Glauben zu befassen, gab es schon in der Renaissance, als man sich wieder vermehrt für die antike Welt interessierte und darüber zurück zu den Germanen fand- auch Luther, der Schelm, hatte seine Finger da im Spiel. ^^
Mit der
Nationalromantik des 19. Jahrhunderts dann begann man sich intensiv mit den Germanen und ihrem Glauben zu beschäftigen, Vorreiter waren hier die Herren Grimm. Das Christentum wurde als fremd angesehen und man suchte nach einem heimischen Glauben, der dem Geist der zeit entsprach - und fand ihn ganz klar im Heidentum. Doch wie der Name der Epoche schon sagt war hier viel Romantik mit im Spiel... und das Heidentum wurde, nicht zuletzt durch Wagners Meisterwerke, romantisch verklärt.
Zudem kamen mit der Zeit auch
rassistisch-völkische Einflüsse hinzu, die im Grunde gar nichts mit den alten Heidentum gemein hatten. Diese Germanen-Euphorie wuchs und wuchs und fand ihren traurigen Höhepunkt im 3. Reich, weniger in Hitlers, viel mehr in Himmlers Kreisen, in denen man nur noch einen rassisch-verklärten Abklatsch des Heidentums feierte - dessen sich viele Nazis heute leider bedienen.
Nach dem Krieg war erstmal Schluss mit Neuheidentum. Niemand wollte mehr etwas damit zu tun haben.
Dann kamen die Hippie- und 68er-Bewegungen, die das alte abstreiften wollten und auch nach neuen alternativen Lebenswegen suchten. Auf einer kleinen abgelegenen Insel nahm das eine interessante Entwicklung:
Island. Die Isländer wurden nie richtig christianisiert und der Glaube an die alten germanischen Götter und Geister ist da bis heute mehr oder weniger präsent in der Bevölkerung. Die neuen alternativen Bewegungen wendeten sich wieder vermehrt den alten heidnischen Riten zu und dem als verstaubt und engstirnig angesehenen Christentum ab, so dass Anfang der 70er Jahre eine neue neuheidnische Bewegung von dort aus ihren Lauf nahm - eine Bewegung ohne Verklärung und Rassismus, die sich eher auf wissenschaftliche Ergebnisse berief.
Diese Bewegung verbreitete sich langsam von Island aus, erst nach Skandinavien, erreichte dann auch Britannien und Amerika.
Mit den 90ern fiel der
eiserne Vorhang und auch in den slawischen Ländern fand diese Rückbesinnung großen Anklang. Hinzu kam eine neue Musik-Richtung: Der
Metal. Zwar ist er auch wieder verklärend, bietet den Menschen aber auch wieder einen ästhetisch-künstlerischen Zugang zum Heidentum, und mittlerweile hat es auch in Deutschland Fuß gefasst.
Heute ist das Neuheidentum verbreiteter als man meinen mag. In Island ist es heute so verbreitet wie bei uns der Islam, wahrscheinlich noch mehr. Auch in Skandinavien, England und den USA sind die heidnischen Gruppierungen wieder recht verbreitet und allgemein anerkannt. In Russland, Polen und dem Baltikum sind es dann zwar nicht germanische, aber slawische und baltische Neuheidentümer, die recht verbreitet sind, und auf den britischen Inseln, in Frankreich und im Alpenraum sind es keltische Heidentümer.
In Deutschland ist das ganze noch nicht so ausgereift wegen der Vergangenheit im 3. Reich, die Scheu vor allem, was germanisch ist, ist immer noch groß... aber auch hier gedeiht das Neuheidentum ungemein. :)