(15-08-2016, 16:26)Severus schrieb: [ -> ]Wann wird gemäß christlicher Lehre Jesus Christus wiederkommen
und das Jüngste Gericht stattfinden?
Im Neuen Testament können wir lesen,
dass das... schon längst hätte passieren
müssen.
Sieht man sich den näheren Kontext der Aussage aus Mt 16,28 an, dann fällt auf, dass sie tatsächlich in Zusammenhang mit dem Jüngsten Tag steht (V. 27; vgl. 24,31ff). Der Herr wird mit seiner Wiederkunft den Jüngsten Tag und damit auch das Gericht, das am Ende stattfinden wird (Offb 20,12ff), einleiten. Was nun auffällt, ist die Aussage, unter seinen Zuhörern würden solche stehen, die den Tod nicht sehen würden, bis sie Christus in seiner Königsherrschaft kommen sehen würden. Das impliziert, dass – noch bevor sie sterben – sie den Herrn sehen würden, und zwar als den verherrlichten Sohn des Menschen. Schaut man sich den weiteren Zusammenhang an, erschließt sich die Bedeutung dieser Aussage eigentlich von allein:
1 Und nach sechs Tagen nimmt Jesus den Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, mit und führt sie abseits auf einen hohen Berg.
2 Und er wurde vor ihnen umgestaltet. Und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, seine Kleider aber wurden weiß wie das Licht;
3 und siehe, Mose und Elia erschienen ihnen und unterredeten sich mit ihm.
4 Petrus aber begann und sprach zu Jesus: ›Herr, es ist gut, dass wir hier sind. Wenn du willst, werde ich hier drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine.‹
5 Während er noch redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke, und siehe, eine Stimme kam aus der Wolke, welche sprach: ›Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Ihn hört!‹
6 Und als die Jünger es hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr.
7 Und Jesus trat herbei, rührte sie an und sprach: ›Steht auf, und fürchtet euch nicht!‹
8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als ihn, Jesus, allein.
9 Und als sie von dem Berg herabstiegen, gebot ihnen Jesus und sprach: ›Sagt niemandem die Erscheinung weiter, bis der Sohn des Menschen aus den Toten auferweckt worden ist!‹ « (Mt 17,1–9).
Sechs Tage, nachdem er gesagt hatte, dass einige seiner Zuhörer den Tod nicht sehen würden, ehe sie ihn in Herrlichkeit kommen sehen würden, nahm Jesus drei seiner Zuhörer bzw. Jünger mit sich, und diese erlebten eine visionäre Verklärungsszene, in der sie ihn als den verherrlichten Sohn des Menschen in seiner Königsherrschaft sahen.
Jesus wusste, dass keiner seiner Zeitgenossen im diesseitigen Sinne mehr am Leben sein würde, wenn er wiederkommt; an mehreren Stellen deutete er sein langes Fernbleiben bis zum Jüngsten Tag an (z. B. in Mt 25,14f.19). Dennoch verhieß er wenigen seiner Zuhörer, ihn vorher noch in seiner Königsherrschaft erblicken zu dürfen. Das traf auf Petrus, Jakobus und Johannes in Mt 17,1–9 zu. Auf diese Weise erfüllte sich seine Zusage – sicher anders, als seine Zuhörer es erwartet hatten.
Was Offb 1,3 betrifft (»die Zeit ist nahe«): welche Zeit? Die Offenbarung berichtet über eine ganze Zeitspanne zwischen dem 1. Jh. n. Chr. und dem Herabkommen des neuen Himmels und der neuen Erde anstelle dieser alten, in Sünde gefallenen Welt. Die Entwicklungen innerhalb der Geschichte werden in verschiedenen Bildern und Zyklen dargestellt, und die Offenbarung nimmt definitiv in Anspruch, Dinge zu enthüllen, die Johannes »gesehen hat«, die »sind« und die »nach diesem geschehen« werden (Offb 1,19). Bedenkt man, dass die Offenbarung vom Ende des apostolischen Zeitalters an bis zur Erscheinung der Neuschöpfung berichtet, ist (aus Sicht der damaligen Gemeinden) »die Zeit« – nämlich jene Spanne zwischen diesen besagten beiden Punkten – definitiv »nahe«. Mit der Offenbarung entlässt Johannes als der letzte noch lebende Apostel die Gemeinde Christi in die Zukunft der Weltgeschichte, die unaufhaltsam ihrem Ende entgegengeht.
In 1. Joh. 2,18 meint die »letzte Stunde« keineswegs das Jüngste Gericht. Begriffe wie »Endzeit«, »letzte Tage«, »Zeit des Endes« usw. bezeichnen im NT im Regelfall die Übergangszeit zwischen dem Pfingstereignis und der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n. Chr. Die etwa vierzig Jahre zwischen diesen beiden Ereignissen waren die »letzten Tage« des jüdischen Tempelsystems, es war die »Endzeit« des Alten Bundes. Der Neue Bund trat bereits in Kraft, das auf den Alten Bund gegründete religiöse System ging seinem Ende entgegen. Die Zeitspanne, in der sich die Systeme des Alten (jüdischer Tempelkult) und des Neuen Bundes (christliche Gemeinde) überschnitten, weil sie noch nebeneinander existierten, sind im NT die »letzten Tage«. Mit dem eigentlichen Weltende hat diese Begrifflichkeit recht wenig zu tun, mögen auch noch so laute Unkenrufe das stetig wiederholen; aber stetige Wiederholung macht eine Fehlinterpretation eben auch nicht richtig.
Bevor wir – mit einem vorgefertigten Auslegungsschema im Hinterkopf – zwangsläufig »letzte Stunde«, »letzte Tage« usw. mit dem Jüngsten Tag assoziieren und schlussfolgern, die Weissagungen der Schrift hätten sich nicht erfüllt, sollten wir sorgfältig die Anwendung besagter Begriffe im NT studieren. Dann erscheint so manches in einem ganz anderen Licht, und auch so manchem »Endzeitprediger« könnte bei sauberer Hermeneutik und entsprechender Exegese Einhalt geboten werden.