Tages (oder besser Tarchies) war der legendaere Gruendungsprophet der etruskischen Religion (oder auch Gott der Weisheit). Leider ist die
Etrusca Disciplina, das Buch, das in etruskischer Sprache die Offenbarungen des Tages enthielt, schon lange verloren gegangen. Eventuell war das Buch auch eine Mischung aus altem Latein und Etruskisch, wenn man dem letzten Bericht darueber durch Johannes Lydos (6. Jhdt.) Glauben schenken kann; er sagte, die Antworten des Tages waeren auf Etruskisch gewesen, und er (Johannes Lydos) haette sich auf Uebersetzungen verlassen muessen, von denen auch nichts erhalten ist. Etruskisch konnte zu der Zeit niemand mehr lesen. Wir haben aber eine ungefaehre Vorstellung von den Titeln der einzelnen Buecher, die das Werk ausmachten (siehe Massimo Pallotino,
Etruskologie. Birkhäuser, Basel 1988).
Als Quelle bleibt uns sonst noch ein alter Spiegel aus der Toskana des 3. Jhdts. v.Chr., der einen jugendlichen Haruspex mit der Bezeichnung "pavatarchies" zeigt, der die Leberschau einem aelteren, baertigen Haruspex erklaert, der "avl tarchunus" bezeichnet ist. Nach Massimo Pallotino bedeutet die erste Bezeichnung "das Kind, Tarchies" und die zweite "der Sohn des Tarchon". Tarchon ist der legendaere Koenig der Stadt Tarquinia (wo Tages herkommen soll), der die etruskische Liga gegruendet haben soll. Es gibt auch spaetere Abbidlungen aehnlicher Szenen, mit einem teils in einem Erdloch steckenden Kind mit altem Gesicht, das zu einem aelteren Mann spricht.
Was sonst noch bleibt, sind die Legendenverarbeitungen antiker Autoren, wie Ovid oder Cicero. Die Version, die Du da angedeutet hast, steht bei Cicero. Beim roemischen Grammatiker Festus (Sextus Pompeius Festus) steht in seiner "De Verborum Significatione", Tages sei der Sohn des Genius und Enkel des Jupiter gewesen.
Und da bleibt uns auf Deine eigentliche Frage "Hinweis auf eine chthonische Religion?" nur ein "naheliegend, aber alles weitere ist reine Spekulation" als Antwort. Die Beine in Schlangenform, die in Abbildungen zu finden sind, sind uebrigens ein weiterer Hinweis auf den chthonischen Ursprung. Allerdings bedeutet chthonischer Ursrpung keineswegs automatisch, dass auch die Verehrung in der Praxis spaeter chthonische Zuege gehabt haben sollte. Interesse bestand spaeter wohl nur an der Ursprungslegende und an der korrekten Durchfuehrung der Divinationen.
Geheim war daran eigentlich nur, dass ab einem gewissen Punkt kaum noch jemand Etruskisch lesen konnte. Die Julier sollen eine der letzten Familien gewesen sein, die noch ein wenig Etruskisch verstanden, bevor es vollkommen in Vergessenheit geriet.