Hallo Ulan
Ein sehr interessanter Beitrag von Dir - vielen Dank!
Allerdings sehr viele Gedanken in einem Beitrag - ich muß auftrennen
(25-02-2019, 12:59)Ulan schrieb: [ -> ]wobei er in einem siegreichen Kampf Israel befreit
Dieser Aspekt war nur für
Judenchristen interessant. Für Heidenchristen etwa in Athen war das irrelevant
(25-02-2019, 12:59)Ulan schrieb: [ -> ]und die uneingeschraenkte Herrschaft Gottes durchsetzt.
Ob diese Gottesherrschaft auf der Welt wirklich das Ziel der Christen war, sei dahingestellt. Sagte doch Jesus zu Pontius Pilatus "Mein Reich ist nicht von dieser Welt"
Daraufhin erkannte Pontius Pilatus, daß Jesus ungefährlich für Rom war und sagte "Ich finde keine Schuld an diesem Mann"
Spätestens seit diesem Verhör glauben Christen nicht an die Verjagung der Römer
Der Wunschtraum der Gottesherrschaft auf Erden kam erst durch allerlei Sekten in den USA des 19. Jahrhunderts auf - nachdem in der Zeit des Metternich Systems alle staatsgefährdenden Mikrosekten aus Europa vertrieben waren und in die USA geflüchtet waren - wo sie alsbald eine quantité non négligeable und sehr selbstbewußt wurden
(25-02-2019, 12:59)Ulan schrieb: [ -> ]Alle diese Texte wurden offensichtlich nach der Wiederauferstehung Christi, wie sie in den Evangelien beschrieben wird, geschrieben
Um das Jahr 40 und danach waren die Christen wohl sehr ratlos wenn nicht orientierungslos. Jede Versammlung eines Dorfes hatte andere Ideen. Denn blöderweise ging das Leben weiter wie eh und je
Es hatte sich genau Null geändert
Die Pharisäer predigten ihre unerträglich verknöcherte Tradition die jedes Jahr starrer wurde, die nicht an Engel und Auferstehung glaubenden Sadduzäer hielten im Tempel bei der Schlachtung der Tiere ihre Show ab, während Streifen von gepanzerten römischen Legionären das Straßenbild beherrschten
Genau so wie es wohl zur Zeit des Herodes war
Nun begannen christliche Schreihälse zu schreien - auf Märkten und überall dort, wo Menschenansammlungen waren, begannen sie wirre Sachen von sich zu geben. Dinge, von denen Jesus nie etwas gesagt hat
Marktschreier und Verschwörer (beispielsweise Schüler des Mannes mit dem häufigen Namen Johannes, der die sogenannte "Geheime Offenbarung" geschrieben hatte) hatten das Wort.
Das Christentum degenerierte vielerorts zu einer ominösen Verschwörersekte mit Massenmord Phantasien (1/3 der Menschheit soll ja laut der "Geheimen Offenbarung" umgebracht werden)
Die Gemäßigten waren um Schadensbegrenzung bemüht und distanzierten sich von den Schreihälsen
Leider nahmen sie später aus unerfindlichen Gründen diese sogenannte "Geheime Offenbarung" in ihren Bibelkanon auf
Während die Schreihälse ein Gemetzel auf Erden herbeisehnten - sprachen die Gemäßigten von einem Reich oben im Himmel
Zwei völlig konträre Arten der Religion. Da soll man gar nicht auf die dumme Idee der Ökumene kommen
Denn das ist absolut unvereinbar und gegenteilig
(25-02-2019, 12:59)Ulan schrieb: [ -> ]Da ewig nichts passierte . . .
Es ist eines der merkwuerdigen Phaenomene der menschlichen Psyche, dass, wenn etwas, an das sie sehr fest glauben, sich als falsch herausstellt, bei vielen Menschen dies in einer Verschiebung der Glaubensvorstellungen muendet, ohne den Glauben an sich zu zerstoeren, sondern im Gegenteil sogar eine Verstaerkung des Glaubens erfolgt. Das sieht man ja auch in neuer Zeit immer wieder. Das mag eine Variante der "sunk cost . . . " sein, also die Reaktion auf den Verlust einer grossen Investition (hier wohl Jahre intensiven Glaubens), indem man mehr "Geld" hinterherwirft . . .
Ich hoffe, daß ich Dich richtig verstehe.
sunk cost bedeutet im Deutschen
Absolute Fixkosten
Im Sinne von unwiderbringlichen Kosten; wie etwa horrende Entwicklungskosten für ein Atomkraftwerk - die man auch dann nicht mehr "zurückbekommt" wenn man das AKW nicht in Betrieb nimmt. Selbst wenn die variablen Kosten bei der Produktion des Atomstroms teurer sind als bei der Fortsetzung der Produktion von Strom aus Kohleverbrennung, bleibt man beim Atomstrom, weil Entwicklung und Bau des Atomkraftwerks bereits ein Vermögen verschlungen hatten - und nicht mehr zurückzubekommen sind
Anderes Beispiel - das noch mehr ins Philosophische geht:
A hat bereits 4 Jahre seiner wertvollen Jugendjahre für ein bestimmtes Universitätsstudium verbraucht. Hat aber erst den 1. Abschnitt beendet. Nun sieht er, daß er für diesen Wahnsinn wohl nochmals 4 Jahre brauchen wird. Hätte er das
vor Studienbeginn gewußt, hätte er sich nie auf diesen Blödsinn eingelassen. Aber jetzt ist es zu spät, um umzukehren. Diese 4 vergeudeten Jahre sind sunk cost. Da aber nach 4 Jahren der Point of no Return längst überschritten wurde, muß er grollend weitermachen
Am Beispiel der Religion:
Ein Judenchrist in Jerusalem des Jahres 60
Als junger Mann hatte er begeistert den Worten Jesu zugehört und sich das Paradies auf Erden ausgemalt. Ohne Römer, ohne pharisäische Überreglementierung aller Tätigkeiten des Alltags, ohne eigentlich atheistische Sadduzäer die einen Tempel führten ohne an Engel und Auferstehung zu glauben - als junger Mann hatte er seine Zeit vertrödelt indem er herumreisenden Predigern dieses asketischen Rabbi Jesus folgte, statt einen Beruf zu erlernen; dann starb sein Vater und er verkaufte das Haus und verschenkte das dafür erhaltene Geld an nichtsnutzige Faulpelze - doch nun war er ein Greis von 55 Jahren, zahnlos und es wird ihm immer schwindelig wenn er ein Glas süßen Traubensaft trinkt und der Rücken tut ihm weh
Jesus war von den Pharisäern und den Sadduzäern der Garaus gemacht worden, sie beschlossen seinen Tod, die Drecksarbeit machten wie so oft die Goi (Römer) und es kam nicht das Paradies auf Erden. Im Gegenteil, seit Jesus nicht mehr predigte, zerfiel seine Anhängerschaft alsbald in eine große Zahl von Sekten - in jeder Ortschaft gab es eine Mikrosekte die von der Mikrosekte des Nachbarortes nicht wissen will . . . ein absolut hilfloses Christentum - eine absolut hilflose Messiasbewegung.
Die große Investition dieses Judenchristen - nennen wir ihn Moishe - waren seine Jugendjahre. Diese sind unwiederbringlich vergangen . . . Soll er jetzt reumütig seine Jugendjahre wegwerfen, der Messiasidee des Jesus abschwören und als alter Mann nun als kleiner Wurm in der Synagoge weitertun - mit dem Status eines 15 Jährigen ?
Da sitzt der Sohn seines ehemaligen Nachbarn neben ihm (bevor er das Vaterhaus sinnlos verschenkt hatte) - er ist jetzt 17 und ist der Stolz der 10-köpfigen Synagoge seines Dorfes - und dem müßte er sich nun kriecherisch unterordnen und sich von ihm belehren lassen - als Narr - als reumütig zurückgekehrter verlorener Sohn sozusagen.
Nie und Nimmer !
Da bleibt Moishe lieber bei der Messiasgemeinde seines Ortes - ja, rechtlich verbleibt er in der Synagoge weil ein Austritt ja gar nicht vorgesehen ist - aber er bleibt ein Christ
Klar hatte der formalistische Hokuspokus der Pharisäer mit ihrer magischen Trennung der Küche in eine fleischliche und eine milchige Seite den Jahwe nicht zum eingreifen in Jerusalem bewegt - und der Tempelbetrieb war ohne Glauben an Engel und Auferstehung ein leeres äußerliches Ritual - und Jesus hatte sich als falscher Messias erwiesen - aber immerhin hat Moishe in der Christenversammlung den Status eines Ältesten. In der Christenversammlung wird Moishe geachtet
Moishe findet trotz seines Alters und seiner Gebrechlichkeit ein Weib - eine alte kinderlose Witwe die ein kleines Häuschen hat - sie hat nun einen Ehemann und er hat ein Eheweib und ein Dach über dem Kopf. Sie ist eine 50 Jährige begeisterte Christin - eine Judenchristin wie Moishe
Soll er sie desillusionieren? Soll er ihr seine Zweifel offenbaren? Sie würde ihn ohnehin nicht verstehen. Sie würde sich Sorgen um sein Seelenheil machen und Rat bei anderen Ältesten suchen um ihn zu retten. Die Sache würde ruchbar werden - Moishe würde alsbald zur Rede gestellt, verwarnt, degradiert, ausgeschlossen werden. So redete er lieber mit seinem Weib nicht über seine Zweifel.
Nach ein paar Jahren wurde er schwer krank, siechend, und verstarb alsbald
War es das was Du gemeint hast ?