Religionsforum (Forum Religion)

Normale Version: Ein weltliches Urteil gegen einen Kirchenmann
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Davut

Jeder kann ergooglen, wie jetzt der Prozess gegen den evangelischen fundamentalistischen Pastor Olaf Latzel (52) ausgegangen ist: 9100 Euro Geldstrafe wegen Volksverhetzung. Prozessablauf und Urteilsbegründung vor "großer Kulisse"  sind ebenfalls nachlesbar. 

Latzels Predigten, die er nicht nur als Hauptpastor in seiner Bremer Martini-Gemeinde sondern deutschlandweit veröffentlicht bzw. hält, haben schon früher mal Furore gemacht. 

Er hat 20.000 Follower,  der eintaegige Prozess mit (völlig ungewöhnlich) gleich zwei Staatsanwälten  fand vor ausverkauften Hause wegen des Publikumsandrangs da statt, wo sonst Musik erklingt: in einem Festspielsaal. 

Wie wird in diesem Forum ueber diesen ungewöhnlichen Vorgang  gedacht? War das nötig, hier das Volksverhetzungsgeschuetz aufzufahren?  

M. E. wäre hier in diesem Forum dann schon öfter Grund zur juristischen Intervention   gewesen.
Schwierig. Mit unseren Gesetzen geht das zwar so konform, aber man macht aus dem Herrn mit begrenzter Anhaengerschaft auf die Art natuerlich auch einen Maertyrer. Dass das in den USA in den einschlaegigen Medien Wellen schlaegt, sollte niemanden verwundern; dort gilt das Recht auf Meinungsfreiheit fast unbegrenzt. Da gibt's dann natuerlich schon Artikel, die beschreiben, dass er einen hohen Preis dafuer bezahlt hat, die ethische Wiederbelebung Europas einzufordern, und natuerlich als politisch Verfolgter. Selbst Vergleiche mit dem Apostel Paulus sind zu finden. So werden Helden geboren. Ich bin mir fast sicher, dass er ein Vielfaches der verhaengten Strafe an Spenden bekommen wird.

Was waere denn eine gaengige rechtliche Alternative gewesen? Einfache Beleidigung koennte ich mir vorstellen.

Davut

(28-11-2020, 23:12)Ulan schrieb: [ -> ]Was waere denn eine gaengige rechtliche Alternative gewesen? Einfache Beleidigung koennte ich mir vorstellen.
Die  Beurteilung des Falles Latzel und seiner homophobischen Äußerungen ("Genderdreck, die Verbrecher vom CSD") muss vor dem Hintergrund der rechtlichen Entwicklung in Deutschland gesehen werden. In meinem Studium waren  die § 175 und 175 a StGB noch geltendes Recht (in der DDR schon nicht mehr). Hätte Latzel seine Ansprache da gewählt, wäre keiner auf die Idee gekommen, ihn wegen  Volksverhetzung anzuklagen. Unzüchtige Handlungen zwischen Gleichgeschlechtlichen (nicht nur die beischlafähnlichen)  waren ja sogar mit Zuchthaus strafrechtlich bewehrt (denk der Nazi-Gesetzgebung).

Also: historisch ist der 175er erst 1994 nach der Wiedervereinigung abgeschafft worden. Die Tinte über die Steichung ist gerade mal trocken.

In vielen Ländern der Welt ist Homosexualität noch strafbar, manchmal sogar bei Todesstrafe. Da ist Deutschland schon sehr progressiv. 

Das Urteil ist dem Zeitgeist geschuldet. Juristisch wird es noch in mehreren Berufungsverfahren auf den Prüfstein gelegt. Ausgang offen. Ich persönlich kann den Vorwurf der "Volksverhetzung" nicht nachempfinden.  Wo hat er das Volk aufgestachelt? Wir reden hier über deutsches Strafrecht und nicht über Kirchenrecht. 

Und was die Spenden angeht: Seine stramme bundesweite Anhängerschaft Zigtausender  wird ihn (mit der Bibel unter dem Arm) bis zum obersten Gericht begleiten und finanzieren, da bin ich sicher. Aber macht Trump das jetzt in den USA mit seinen sinnlosen Wahlanfechtungsklagen nicht auch?

MfG
Beleidigung hatte ich deshalb ins Spiel gebracht, da er ja eine ganze Gruppe pauschal als kriminell bezeichnet hat, was nach derzeitiger Rechtslage wohl nicht sitmmt. Dass man mit dem Vorwurf von Volksverhetzung ein wenig vorsichtiger umgehen sollte, kann ich schon sehen.

Wobei uebrigens der Paragraph 175 schon vorher entschaerft war - der galt eigentlich seit 1969 nur noch fuer Maenner uber 18 mit unter 21-Jaehrigen (darunter und darueber war's fuer Gleichaltrige erlaubt - nur in der Bundeswehrzeit nicht) und ab 1973 nur noch fuer sexuelle Handlungen von Erwachsenen an unter 18-Jaehrigen. Das ist dann letztlich im generellen Jugendschutz aufgegangen.

Davut

(30-11-2020, 17:40)Ulan schrieb: [ -> ]Beleidigung hatte ich deshalb ins Spiel gebracht, da er ja eine ganze Gruppe pauschal als kriminell bezeichnet hat, was nach derzeitiger Rechtslage wohl nicht sitmmt. 

Diesen Vorwurf "kriminell" kenne ich aus den Presseberichten aus der Verhandlung nicht. Die schrittweise Entfernung von dem "alten"  175er aber ist zutreffend.

Was bleibt, ist die Inszenierung des Pastors mit der Bibel unter dem Arm vor Gericht. Das ist doch unsere Materie hier im Religions-Forum.

Ist es angemessen, dass vor einer juristischen Institution des Staates eine Bibel als Rechtfertigungsgrund herhalten darf? 

Nein, und nochmals nein.

 Ebenso unangemessen wie das Urteil ueber religiöse Meinungsäußerungen in einem christlichen Eheseminar (auch wenn sie kurze Zeit online stehen), ebenso unangemessen ist der Versuch Latzel und seines Anwalts, Bibel-Inhalte fuer ein weltliches Urteil heranzuziehen. Ganz abgesehen davon, dass diese ohnehin historisch kaum relevant sein dürften. 

Bitte auf strikte Trennung von Kirche und Staat achten, das gebietet schon unsere Verfassung. Und gilt fuer beide: Ankläger wie Angeklagter. 

MfG
Wie ist eigentlich die engere, juristische Definition für "Volksverhetzung" oder einfacher nur "Hetze"?
M. E. liegt hier ein Fall von Amts- oder Autoritätsmissbrauch vor: Eine im Namen des Volkes definierte Verhaltensweise (Homosexualität) wird als strafbewehrt dargestellt. Ich muss 'Davut' Recht geben: Was maßt sich ein (einzelner) (Kirchen-) Mann an, (sehr viel) ältere Moralvorstellungen in unser heutiges Staatswesen einzuführen? So etwas steht allein der Volksvertretung zu!

Davut

(30-11-2020, 20:16)Ekkard schrieb: [ -> ]Wie ist eigentlich die engere, juristische Definition für "Volksverhetzung" oder einfacher nur "Hetze"?
Ich kenne das Urteil und seine Rechtsgrundlage nicht. Aber es kann nur auf 130, (2) 1 c StGB fussen. Bitte den genauen Text ergooglen.

In der Sache im übrigen d'accord. 

MfG

P. S. : Dann wäre hier im Forum schon öfter dagegen verstoßen worden [z. B. Dschannah].
(30-11-2020, 19:58)Davut schrieb: [ -> ]Diesen Vorwurf "kriminell" kenne ich aus den Presseberichten aus der Verhandlung nicht.

OK, ich habe noch mal gegoogelt, und der Ausdruck war "Verbrecher". Irgendwie hatte meine Suchmaschine nur englischsprachige Resultate ausgespuckt, obwohl ich in den Settings "Deutsch" stehen habe, und dort wurde das mit "criminals" wiedergegeben.

Wie auch immer. Ich bin jetzt gerade etwas verwirrt bzgl. Deiner Position. Beide Seiten in der Verhandlung haben danebengegriffen?

Davut

(30-11-2020, 21:56)Ulan schrieb: [ -> ]Wie auch immer. Ich bin jetzt gerade etwas verwirrt bzgl. Deiner Position. Beide Seiten in der Verhandlung haben danebengegriffen?

Wir kennen beide die Schilderungen nur aus der Zeitung und dass der Fall bundesweites Aufsehen erregt und 24 verschiedene Redaktionen incl. Radio/TV nach Bremen gelockt hat.

Es gibt zwei Fotos, auf einem trägt Latzel die Bibel unterm Arm, auf dem anderen liegt sie unter seinen Händen auf dem Tisch. Entweder trotzig nach dem Motto: "Seht her, das ist mein Gesetzbuch" oder  als reuigen entschuldigenden Hinweis darauf, wem er sich verpflichtet fühlt. Seinen Duktus aus den YT-Predigten kennen wir; er lässt beide Schlüsse zu.

Die Richterin hat durch ihr (demonstratives) Urteil klargestellt, dass fuer die weltliche Justiz die ellenlang vorgetragenen Bibelgesichtspunkte irrelevant bleiben. Was die Disziplinargewalt der Bremer Kirche jetzt daraus macht, bleibt abzuwarten. Das kirchliche Verfahren ruht bis zum Abschluss des Strafverfahrens. Die Bremer Kirche ist bekannt fuer die tolerante Haltung in dogmatisch Hinsicht.

Meine Haltung kann ich praezisieren:
  • Der Paragraf 130 [2], 1 c wurde gegen Latzel sehr eng ausgelegt. Du @Ulan sprachst auch vom Märtyrer-machen. Er hat die Äußerungen in einer geschlossenen kirchlichen Veranstaltung gemacht und nicht selbst publiziert. Seine sonstige, vorbelastete kirchliche Haltung muss hier unberücksichtigt bleiben, sie hat erst recht in einem weltlichen Verfahren keine Bedeutung. 
  • Die Verteidigung ueber Bibel-Inhalte, unterstützt durch das demonstrative Zeigen derselben, ist unangemessen. Glaubensinhalte sind keine Steckenpferde, auf denen man in der Strafgerichtsbarkeit zum erwünschten Ziel reiten darf. 
Meine Haltung zu dem Kleriker Latzel und seinen erzkonservativen "Amtsbruedern" hat hier nichts zu suchen. 

MfG

Davut

Die evangelische Landeskirche Bremen hat gegen den Hauptpastor St. Martini, Olaf Latzel  jetzt ein Predigt - Verbot verhängt. Zeitlich zunächst unbegrenzt, meine ich. Latzel hatte vom Amtsgericht eine Geldstrafe wg. Volksverhetzung bekommen. 

Den theologischen Ansichten Latzels  kann man in vielen Punkten nicht zustimmen. Aber Ist das richtig?  Das kommt praktisch einem Berufsverbot gleich. Ein dagegen gerichtetes Laien-Video hat bereits nach 3 Tagen ueber 35.000 Klicks (!) bekommen.

MfG
Ein Angestellter ist normalerweise im Geschaeftsbereich des Arbeitsgebers verpflichtet, die Linie dieses Arbeitgebers zu vertreten. Bei Zuwiderhandlungen hat das Folgen. Wobei die im konkreten Fall wohl erst einmal materiell nicht fassbar sind, da er ja nicht entlassen wurde.

Berufsverbot ist das sicherlich nicht. Latzel kann sich ja eine andere Kirche suchen oder seine eigene gruenden. Das haette dann natuerlich finanzielle Folgen fuer ihn, vor allem, was die Pension angeht. Das ist dann aber eine Entscheidung, vor der viele Geistliche stehen, deren Weltbild und dessen Verhaeltnis zu ihrer Funktion sich geaendert hat; folgen sie ihrer Berufung, oder handeln sie nach finanziellen Gesichtspunkten.

Auch der finanzielle Aspekt hat aber zwei Seiten. Die Pension mag bei einem Wechsel in die Selbstaendigkeit futsch sein, aber das Gruenden einer Religionsgemeinschaft kann ja auch ein sehr erfolgreiches Geschaeftsmodell sein, was das eventuell mehr als ausgleicht.

Davut

(16-12-2020, 11:05)Ulan schrieb: [ -> ]Ein Angestellter ist normalerweise im Geschaeftsbereich des Arbeitsgebers verpflichtet, die Linie dieses Arbeitgebers zu vertreten. Bei Zuwiderhandlungen hat das Folgen.

Berufsverbot ist das sicherlich nicht. Latzel kann sich ja eine andere Kirche suchen... 

So wenig ich den Bibelaussagen traue (da ist der YT-Pastor das genaue Gegenteil), so sehr vertraue ich aus beruflicher Gewohnheit dem geschriebenen Gesetz.

Die Kirchen als Körperschaften des oeffentlichen Rechts haben beide eigene Disziplinarordnungen, die kirchen rechtlich auch angewandt werden. Die evangelische ist sehr umfangreich und sieht von der Ermahnung des Pfarrers bis hin zu seiner Entfernung aus dem Dienst das ganze Spektrum der Disziplinargewalt vor. Sie werden nicht nach Gefühl und Wellenschlag  sondern streng reglementiert angewandt. Pastor Latzel wird anwaltlich vertreten. Das allein garantiert eine peinlich genaue Treue zum Kirchenrecht.

Daher auch ein weiteres Ruhen dieses Verfahrens bis zum Abschluss des/der Gerichtsverfahren.

Weiter stehe ich dazu, dass die Homophobie in dem internen Eheseminar der falsche Weg ist, diesen unbequemen Prediger mit seinen fundamentalistischen Zügen mundtot zu machen. Wie man schon nach drei Tagen an den 35.000 Klicks zu dem Unterstuetzungsvideo für den zivil verurteilten Pastor sieht, wird das Thema noch mehrere Stuerme im Wasserglas auslösen.

Eine Popularität, die der Kirchenmann eigentlich gar nicht verdient hat. Und um die Kosten, da gebe ich Ulan aus einem früheren Post recht,  wird er sich keine Sorgen machen muessen. Der Paulus der Bibel wird seine Gemeindespende aus dem Jahr 48  notfalls statt nach Jerusalem zu ihm und seinem Anwalt zu den Bremer Stadtmusikanten bringen.

Jeder, der will, kann sich das alles bei entsprechender Stichworteingabe ueber Google schnell aufrufen.

MfG

Davut

(16-12-2020, 11:05)Ulan schrieb: [ -> ]Berufsverbot ist das sicherlich nicht. Latzel kann sich ja eine andere Kirche suchen oder seine eigene gruenden. 

Eine neue Kirche gruenden oder gar woanders hin "fluechten" muss er gar nicht. Dem TV-Sender Radio Bremen ist zu entnehmen, dass seine Kirchengemeinde komplett hinter ihm steht und aufgrund der kirchlichen Disziplinarmassnahmen heute nach dem Gottesdienst erklärt hat, sie wolle gegen das Disziplinarurteil angehen. Latzel hatte einem freiwilligen Predigt Verzicht nicht zugestimmt. 

So kann es Jahre lang ebenso spannend wie kirchenschaedlich (so oder so) bleiben.

MfG
(16-12-2020, 14:26)Davut schrieb: [ -> ]Jeder, der will, kann sich das alles bei entsprechender Stichworteingabe ueber Google schnell aufrufen.

lustiger thread

nirgends wird konkret dargelegt, um was es eigentlich geht - aber "wer will, kann sich eh alles ergoogeln"

danke für den freundlichen hinweis, auf so was wär ich ja selber nie gekommen
(28-11-2020, 17:18)Davut schrieb: [ -> ]Wie wird in diesem Forum ueber diesen ungewöhnlichen Vorgang  gedacht? War das nötig, hier das Volksverhetzungsgeschuetz aufzufahren?  

M. E. wäre hier in diesem Forum dann schon öfter Grund zur juristischen Intervention   gewesen.

Hallo Davut,

... Olaf Latzel hat seine biblische Sichtweise auf den Eros in unserer Welt in entsprechende Worte gekleidet. Bei einem Pastor darf einen dies nicht groß wundern, denn in den Mosaischen Gesetzen heißt es u.a.:
"Du sollst nicht mir einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft. Ein Gräuel ist das." (3. Mose 18,22)

Diese antike Sichtweise ist heute nicht mehr überall akzeptiert und das aus gutem Grund, denn - in der Natur kommt nun mal gleichgeschlechtliche Anziehungskraft vor. Demnach kann man sie auch schlecht als "unnatürlich" bezeichnen.

Auch lesbische Liebe wird in den Mosaischen Gesetzen untersagt. Ebenso der geschlechtliche Verkehr mit Tieren.

Angefügt:
Sex mit Tieren ist in Deutschland nach §3 des Tierschutzgesetes unter Strafe gestellt. Es ist verboten, ein Tier für eigene sexuelle Handlungen zu nutzen oder für sexuelle Handlungen Dritter abzurichten oder zur Verfügung zu stellen und dadurch zu artwidrigem Verhalten zu zwingen. 
Kinder unter 14 Jahren sind vom Gesetz besonders geschützt. Alle sexuellen Handlungen an oder vor Kindern gelten als sexueller Missbrauch.
Prinzipiell gilt: freiwilliger Sex unter Gleichaltrigen ist erlaubt und hat keine rechtlichen Konsequenzen.
Geschlechtsverkehr ist also erlaubt, wenn beide Partner mindestens 14 Jahre alt sind.
Aber ist der Junge beispielsweise 14 Jahre alt und das Mädchen 13 Jahre alt, können in diesem Fall die Eltern des Mädchens Strafanzeige erstatten. (Internet)

Gruß von Reklov
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