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Moderner Kirchenbau - Druckversion

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Moderner Kirchenbau - maximilianstauder - 18-11-2008

hey,

vieleicht könnt ihr mir helfen. Wir machen in der Schule gerade das Thema Kirchenbau der verschiedenen Epochen. Ich hab "Modernen Kirchenbau" abbekommen...
Könnt ihr mir helfen folgende Leitfrage zu beantworten:

"Was sagt der Stil des modernen Kirchenbaus, über den Glauben der Menschen dieser Zeit aus?"

Och bin um jeden Rat dankbar.

Lg

Max


RE: Moderner Kirchenbau - azad - 18-11-2008

(18-11-2008, 17:43)maximilianstauder schrieb: "Was sagt der Stil des modernen Kirchenbaus, über den Glauben der Menschen dieser Zeit aus?"
Den modernen Kirchenbaustil gibt es nicht. Kirchen aus früheren Epochen konnte man noch relativ leicht anhand gemeinsamer Stilmerkmale zeitlich einordnen. Damit ist es, zumindest in Westeuropa (orthodoxe Kirchenarchitektur ist nochmal was ganz anderes), vorbei. Es regiert allgemeine Vielfalt. Sowas wie ein architektonisches Corporate Design gibt es nicht mehr, und vielleicht ist das ja gerade das Typische: Kirche ist keine für die breiten Massen sinnstiftende Institution mehr. Dort, wo sie es noch ist, will sie es aber gern bleiben, und anderswo will sie es gern wieder werden. Also sucht sie nach einer entsprechend ansprechenden Formensprache (das war jetzt Absicht!). Das hat notgedrungen etwas sehr Experimentelles. Denn auf die Frage, wie man die Menschen erreicht, gibt es keine allgemein gültige Antwort.

Aber die Kirche ist ja nicht nur damit beschäftigt, den Menschen hinterherzulaufen. Es wollen ja auch Gottesdienste gefeiert, Treffen unterschiedlichster Gruppen abgehalten werden usw. Auch die bereits vorhandene Klientel will berücksichtigt sein. Die heutigen Kirchenbauten spiegeln also unter anderem eine Kirche auf der Suche. Das läßt vielleicht weniger Rückschlüsse auf den Glauben der Menschen zu als auf die Fragen nach der gesellschaftlichen Rolle, die sie spielen. Die Frage nach dem Glauben muß man wohl schon bei jedem Gebäude einzeln stellen.

Gruß
Matthias


RE: Moderner Kirchenbau - Ekkard - 19-11-2008

Was 'azad' geschrieben hat, unterstreiche ich gerne.
Vielleicht eine Ergänzung: Moderne Kirchen sind wesentlich kleiner als die bekannten mittelalterlichen Dome. Baumaterialien sind nicht selten Beton und Glas. Häufig sind sie "lichtdurchflutet" und folgen einem bestimmten religiösen Motiv. Über den Glauben im Allgemeinen sagen sie so gut wie nichts - es sei denn, man nimmt die Vielfalt der Architekturen als Zeichen der Vielfalt des religiösen Glaubens. Andere mögen darin sogar einen Verfall sehen. Meine persönliche Meinung: Religion ist entweder Vielfalt oder eben Einfalt, wobei mir die Vielfalt lieber ist, wenn auch anstrengender.


RE: Moderner Kirchenbau - Marlene - 19-11-2008

Hallo
ein Zusammenhang zwischen moderner Architektur und 'Glaube der Menschen heute', dies kann - bei genauerem Hinschauen - durchaus beobachtet und erkennbar werden.

Ich gebe dir zwei Internetadressen, wo du selbständig am Thema weiterarbeiten kannst und dir dabei der Zusammenhang deutlich wird, wie Formensprache der Architektur, Zeit und Mensch ineinandergreifen.
Architektur war immer auch äusseres, sichtbares Zeichen menschlicher (geistiger) Entwicklung; technischer, gesellschaftlicher und religiöser Hinsicht.

Ein spannendes Thema.

viel Spass

http://deu.archinform.net/stich/592.htm#Moderner_Kirchenbau
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/religionen/834506/


RE: Moderner Kirchenbau - maximilianstauder - 19-11-2008

Danke schon mal an euch drei!!
Hilft mir auf jeden Fall weiter!!

Hat noch jemand anderes Ahnung von modernen Kirchen?


RE: Moderner Kirchenbau - Alanus ab Insulis - 19-11-2008

Seblatnig, Heidemarie:"Profane Sakralarchitektur in Wien ab 1960 / Profane Sacred Architecture in Vienna since 1960", facultas.wuv, 1. Aufl. 2006.

Mit großem Interesse habe ich die Beiträge in diesem Büchlein gelesen, das aus einem Projekt der Technischen-Universität Wien hervorging.

Es hat mich darin bestätigt, dass moderne Krichenbauten (meine Erfahrung bezieht sich vorallem auf katholische Kirchen) sich durch ein Fehlen eines sakralen Raumgefüges auszeichenen. Vergleicht man heutige Kirchenbauten mit denen vergangener Epochen so wird dies besonders deutlich.

Romanik: Die romanischen Basiliken entstehen aus den kaiserlichen Basiliken. Vom gr. basiliké her kommend heist es soviel wie Königshalle. Sie ist zumeist ein mehrschiffiger Raum mit mehreren Seitenabsiden.
Der christliche Kirchenbau unter Konstantin übernimmt dieses Model und wandelt es ab. Die vielen Seitenabsiden werden zu Gunsten einer einzigen West- oder Ostabside aufgegeben. In ihr steht der Altar und wird theologisch für die Einzigkeit Gottes gedeutet. Sie ist nun nicht mehr Gerichtshalle des Kaisers, sondern Tempel des einzig, wahren Königs Christus.

Gotik: Sie erweitert das Basilika-Model bleibt ihm aber treu. Ohne auf die kunstgeschichtlichen Unterschiede einzugehen, wird dennoch deutlich, dass die Gotik vor allen anderen versucht architektonisch das Himmlische Jerusalem in Form von Symbolen darzustellen. Dies wird z.B. in der Anordnung der tragenden Säulen, der Kreuzform, der Apsisgestaltung, usw. angedeutet.

Renaissance/Barock: Hier wird vor allem mit Kunst versucht ein Gefühl und ein Bild des himmlischen Jerusalems zu entwerfen. Vor allem im Barock ist man daran interessiert die Herrlichkeit der Ewigkeit im Gegensatz zur Vergänglichkeit des Diesseits darzustellen.


Interessant ist, das dies zwar alles epochenbeinflussende Baustile sind, jedoch ihr Einzigartigkeit immer in der jeweiligen Umsetzung liegt. Ein jeder Kirchenbau kann als authentische, architektonische Umsetzung eines ekklesiologischen Kirchenverständnisse verstanden werden. Der Glaube liefert die Grundstruktur und die Voraussetzung für die Anordnung des Bauwerkes.
Während die ersten romanischen Basiliken eine Umdeutung erfahren und auch eine architektonische Abwandlung (nur 1 Apsis) und damit die Grunderfahrung der alten Kirche ausdrücken, der in dem liturgischen Satz ausgedrückt ist: ad Dominum converte - bekehrt euch zum Herrn, so ist es heute gerade umgedreht. Moderne Kirchenbauten nehmen vor allem profane Elemente auf und verlassen klassische oder traditionelle ekklesiale Elemente. Anstatt einer Sakralisierung profaner Räume (wie bei den Basiliken) haben wir heute eine Profanierung sakraler Räume.
Dies ist auch gar nicht verwunderlich. Die immer weiter voranschreitende Säkularisierung der modernen Gesellschaft kennt keine gemeinsamen Formen für den Ausdruck des Spirituellen oder von Kirchlichkeit. Bestehende Gläubige verhaften hingegen in traditionellen Kirchenmodellen (Neogotik, Neobarock, Neoromanik). Das spricht einerseits für die Innovationslosigkeit moderner Kirchenarchitektur (und auch des Glaubens, der offensichtlich keine angemeßenen Formen für seine Entfaltung mehr findet), als auch für den Versuch den Glauben vor der Säkularisierung zu schützen. Moderne Kirchenarchitektur fällt m.E. nach dadurch auf, dass sie sich meist nur einen Teil des Glaubens oder der Liturgie herausgreift und ihn mit zumeist profanen Elementen umzusetzen versucht. Der Mangel liegt hier darin, dass diese Formen nicht geeignet sind die Gesamtheit des kirchlichen Glaubens und der Liturgie darzustellen, wie dies z.B. Gotik und Renaissance tun. Vielfach sind moderne Kirchenbauten Experimente vor allem progressiver Liturgiker oder Umsetzungen glaubensferner Architekten, deren profane Qualifikation nicht zur Debatte steht. Die manchmal spöttischen, vor allem polemischen auftauchenden Begriffe wie Halleluja-Garage oder St. Beton sind zwar ungeeignet, lassen jedoch auch die Formen- und Symbolarmut moderner Sakralarchitektur erkennen, die seit jeher Bestandteil religöser Kunst und Bauweise war.


RE: Moderner Kirchenbau - Marlene - 20-11-2008

Mag sein, die angesprochene Symbolarmut bestehe tatsächlich; doch vermute ich diesbezüglich, dass wir uns in einer Orientierungphase befinden. Der sakrale Raum formt sich neu - wird reduzierte Formen annehmen, da der geistige Prozess fortlaufend ist. Das braucht eine andere Formensprache.
Ich habe mich mit sakralen Räumen schön öfters auseinandergesetzt und denke, hier tut sich allerhand. Was als Symbolarmut (eventuell) wahrgenommen wird, kann auch ein Reduzieren auf etwas Wesentliches sein.
Der Erlebnisraum, Denkhorizont des Menschen hat sich erweitert. Diese Weite braucht ein Symbol - vielleicht die Transparenz...; ich erinnere mich an eine moderne Klosteranlage, die das rein Formal aufnimmt: reduzierte Formensprache, Einfachheit - auf das Wesentliche konzentriert.


RE: Moderner Kirchenbau - Petrus - 20-11-2008

(20-11-2008, 08:43)Marlene schrieb: Was als Symbolarmut (eventuell) wahrgenommen wird, kann auch ein Reduzieren auf etwas Wesentliches sein.
Der Erlebnisraum, Denkhorizont des Menschen hat sich erweitert. Diese Weite braucht ein Symbol - vielleicht die Transparenz...; ich erinnere mich an eine moderne Klosteranlage, die das rein Formal aufnimmt: reduzierte Formensprache, Einfachheit - auf das Wesentliche konzentriert.

Hallo, Marlene,

bei dem, was Du grade schriebst, musste ich an den "Mariendom" in Neviges denken, eines der schönsten und zugleich "einfachsten" Kirchenbauten der 60er Jahre, die ich kenne. Ein Besuch lohnt sich in jeder Hinsicht.

siehe hier

oder

auch hier

Lieben Gruss

Petrus


RE: Moderner Kirchenbau - Marlene - 20-11-2008

Petrus, genau das meine ich. Der Architekt G. Böhm ist für diese Art des Kirchenbaus berühmt. Er hat eine Formensprache gefunden, die diese meditative Stille eines sakralen Raumes aufnimmt - und diese Stille bebt :).


RE: Moderner Kirchenbau - Petrus - 20-11-2008

Ach, Marlene, das ist wunderbar, dass mal jemand Gottfried Böhm kennt! Meine Frau und ich sind mal in einem Urlaub (ich glaube 1999) durch halb NRW gefahren, "auf den Spuren Böhms", um all die Kirchen zu besuchen, die er gebaut hat: Neviges natürlich, dann eine kleinere, aber sehr schöne Kirche in Essen-Katernberg, dann hier mehrere Orte am und in Köln, besonders in den Stadtteilen. Wir sind sogar vor 3 Wochen nach Neuss gefahren, weil dort im Museum eine Ausstellung über Kirchenbau nach dem Krieg lief, und dort war natürlich Böhm auch vertreten. Obwohl er auf die 90 zugeht, arbeitet er immer noch. Sein Sohn hat ja die neue Moschee in Köln entworfen, und sein Vater hat ihn dabei beraten. Ich schätze diesen Architekten ausserordentlich!

Liebe Grüsse

Petrus


RE: Moderner Kirchenbau - Marlene - 20-11-2008

Hallo Max,
liest du noch mit?

Hier noch eine optische Begegnung - wenn auch rein virtueller Art - , des Architekten Le Corbusier und dessen sakraler Bau; eine Innen-und Ausseinansicht: http://thomasmayerarchive.de/categories.php?cat_id=1361&sessionid=cc395c289e1320b94568a8ee5b86dc91&l=english&page=1


RE: Moderner Kirchenbau - Marlene - 20-11-2008

Von Symbolarmut kann keine Rede sein, eher von Symbolreichtum in 'neuer, verwandelter Formensprache'.
Siehe Le Corbusier (s.o. Link).

generelle Anmerkung


RE: Moderner Kirchenbau - maximilianstauder - 20-11-2008

Danke an euch alle. Super Hilfe.

Den Mariendom in Neviges kenne ich übrigens! Icon_lol)


RE: Moderner Kirchenbau - Marlene - 21-11-2008

hallo max,
viel erfolg bei deiner arbeit!
(hatte dir noch ein beispiel beigefügt, doch der link funktioniert leider nicht)

alles gute

ps.: versuche vielleicht trotzdem, auf der seite von thomas mayer_archive/architecture, folgende präsentation zu finden:

die 'New Apostolic Church Zuchwil',
ein beispiel reduzierter, freifliessender form von architektur/baukörper; oft das schwierigste überhaupt. wie ich sehe, hat der architekt mit licht und körper gespielt. welche idee dahinter steckt, kann ich jetzt nur interpretieren. betrachten muss es jeder eigenständig; dafür gibt es keine vorgaben oder absolutes.


RE: Moderner Kirchenbau - Fritz7 - 21-11-2008

Mich irritiert mal wieder, dass auch in dieser Diskussion nirgends Moderne definiert und datiert wird, auch nicht abgegrenzt von zeitgenössischer Kunst. Ästetische Moderne ist imho doch heute schon wieder seit mehr als einer Generation vorbei ...

Und dann kratzt mich noch etwas: Es gibt zuviel Kirchen, mehr Kirchen als die organisierte Kirche zu erhalten bereit oder imstande ist. Deswegen werden wohl Tausende von Kirchengebäude abgerissen werden. Dabei scheint der Widerstand gerade gegen den Wegfall "moderner" Kirchengebäude am geringsten und somit werden davon besonders zahlreiche verschwinden oder entwidmet oder umgebaut oder anders verändert. Ich finde das schade ...