(Text in Arbeit)
Therese Neumann, als Therese von Konnersreuth bekannt, war das älteste Kind des Ehepaares Ferdinand und Anna Neumann. Sie hatte zehn Geschwister, von welchen eines noch als Kleinkind verstarb.
Therese wuchs in ärmlichsten Verhältnissen auf. Der Vater konnte mit seiner Schneiderei die Familie, zu der sich über einen Zeitraum von 14 Jahren nahezu jedes Jahr ein weiteres Kind hinzugesellte, kaum ernähren.
Therese wurde am 9. April 1898 in Konnersreuth, einem kleinen Dorf bei Waldsassen in der Oberpfalz nahe der tschechischen Grenze, geboren und sollte in wundergläubigen Kreisen als "Therese von Konnersreuth" als religiöses Mirakel der christlichen Welt Berühmtheit erlangen.
Sie trug über 30 Jahre lang an Händen, Füßen und in der Herzgegend die Wundmale Jesu, hat blutige Tränen geweint, nahm angeblich jahrelang keine feste Nahrung und über längere Zeiträume, so wurde behauptet, auch keine Flüssigkeiten zu sich. In regelmäßigen Abständen verfiel sie in Ekstasen, während dieser sie religiöse Visionen hatte. Damit löste sie jahrzehntelange Wallfahrtszüge nach Konnersreuth aus, deren Mittelpunkt sie bildete. Sie wurde zum Fall für die religiöse Obrigkeit aber auch für die kritische Wissenschaft.
Mediziner, die sich des Falls annahmen, kamen mit wenigen Ausnahmen zum Schluss, dass die mit Therese Neumann verbundenen Phänomene weder einzigartig seien1 noch von der Wissenschaft unerklärbar wären.
Krankengeschichte:
Der Vater der Therese war ein starrköpfig-strenger Mann, die Mutter eine zur Hypomanie neigende, sich für ihre Kinder aufopfernde und besonderes um die älteste Tochter besorgte Frau. Für beide Elternteile war Religion Lebensmittelpunkt. Mit dem katholischen Dorfpfarrer, Josef Naber, pflegte die Familie gutes Einvernehmen. Für Therese war Pfarrer Naber geistlicher Lehrer, ihr Beistand bei ekstatisch-religiösen Erlebnissen sowie Erklärer und Deuter der Bilder ihrer ↗Visionen.
Über den Pfarrer wurde Therese mit ↗Heiligenlegenden und anderen frommen Geschichten vertraut. Zur Lieblingsperson, der sie sich wohl auch des Namens wegen verwandt fühlte, wurde sehr bald ↗Therese von Lisieux (1873-1896) , eine junge, tuberkulosekranke ↗Karmeliterin, die meinte, sie müsse mit ihren Leiden die Sünden der Welt abbüßen. Diese Nonne wurde 1925 seliggesprochen. Therese Neumann empfand die Selig- und spätere Heiligsprechung der Therese von Lisieux wohl als ein Weg, der auch ihr vorgezeichnet zu sein schien.
Im März 1918 half Therese bei Löscharbeiten infolge eines Brandes. Dabei erlitt sie eine schwere Rückenverletzung. Im April 1918 fiel sie im Gasthof ihres Dienstgebers die Kellertreppe hinunter. Dabei soll sie sich eine Kopfverletzung zugezogen haben. Danach verbrachte sie zehn Tage bettlägerig im Elternhaus. Da sich ihr Zustand nicht besserte, wurde ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Ein sechswöchiger Spitalsaufenthalt folgte. Während des Spitalsaufenthalts hatte sie mehrfach hysterische Anfälle, sie erbrach Blut, die Monatsperiode setzte für ein Jahr aus und stellte sich danach nur mehr wenige Male unregelmäßig ein. Ab 1920 blieb sie ständig aus.
Die junge Frau, die bis zu ihrem Unfall Oktober 1918 gesund war und Schmerzen nicht gekannt hatte, fühlte sich von da weg schwer leidend. Die Schmerzen, die sie nunmehr zu ertragen hatte, lösten offenbar eine hysterische Reaktion aus, was der Abheilung ihrer Verletzungen im Wege stand und ihren Allgemeinzustand nach und nach verschlechterte. Ab Oktober 1918 traten Lähmungen auf, sie konnte nicht mehr gehen und wurde ständig bettlägerig. Dazu gesellten sich Blindheit2, zweiweise Taubheit, Ohrbluten und Blut erbrechen.
Nach einem Invaliditätsverfahren wurde ihr 1920 eine Unfallrente zugesprochen. Die Diagnose der begutachtenden Ärzte lautete: "Schwerste Hysterie mit Blindheit und teilweiser Lähmung."3
Von 1920 bis 1925 wurde Therese Neumann nicht ärztlich betreut. Pfarrer Naber stand ihr damit bei, sie auf die Leiden Christi und die der Heiligen hinzuweisen. Auch Terese von Linsieux, deren Heiligsprechungsprozess gerade lief, wurde ihr in Erinnerung gebracht. In dieser Zeit traten infolge der Bettlägerigkeit auch die ersten Druckgeschwüre am Rücken und im Fußbereich auf. Nachdem sie vom Pfarrer die Erlaubnis erhielt, Therese von Linsieux zu bitten, ein Rheumaleiden ihres Vates auf sich nehmen zu dürfen, verkrampfte sich der linke Arm so stark, dass die Hand beim Liegen unter der linken Brust auf die Rippen drückte und dort ebenfalls ein Druckgeschwür entstand. Der Vater wurde gesund, auch die Krampfstellung von Thereses Arm und Hand löste sich wieder.
Am Tag der ↗Seligsprechung der Terese von Linsieux (29.4.1923) war Therese Neumann von ihrer Blindheit geheilt. Am Tag der ↗Heiligsprechung (17.5.1925) verschwanden bei ihr schlagartig alle Lähmungserscheinungen. Solche Phänomene sind der Psychiatrie in Fällen von Autosuggestion bei Hysterie nicht unbekannt.
In der Osterzeit 1926 traten erstmals ↗Stigmata auf. Zunächst blutige Tränen, später eine Wunde in der Herzgegend. Mit Karsamstag 1927 traten kleine Wundstellen an Händen und Füßen auf.
Ab 25. Dezember 1922 wollte Therese keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen. Sie ernährte sich von Milch, Milchkaffee und Fruchtsäften. Ab dem 23. Dezember 1926 nahm sie angeblich weder Nahrung noch Getränke mehr zu sich. Ausnahmen waren ein Stück ↗Hostie und ein Schluck Wasser bei der täglichen Kommunion.
Das hatte später während des Krieges zur Folge, dass sie keine Lebensmittelkarte zugeteilt bekam.
Wie sind die Geschehnisse um Therese Neumann nun einzuordnen?
Pfarrer Naber war von der Übernatürlichkeit der Ereignisse um Therese überzeugt. Ebenso der Historiker und Journalist Fritz Gerlich.
Was die Wundmale betrifft, lassen sich diese medizinisch durchaus erklären. Es handelt sich um ein bekanntes psychosomatisches Phänomen. Es liegen keine Wunden vor, sondern Austreten von mit Blutzellen vermengter Körperflüssigkeit durch intakte, aber ungewöhnlich durchlässige Haut. Es ist also kein Bluten, sondern Nässen, was in solchen Fällen beobachtet wird. Die Medizin nennt eine solche Erscheinung "Diapedese". Naturgemäß tritt im Zuge des zeitweisen Verschwindens der "Wundmale" auch keine Wundheilung, sondern Verschorfung der betroffenen Hautstellen ein.
Dem Blutweinen (Hämolakrie) liegt ebenfalls ein physiologisch erklärbarer Vorgang zugrunde. Es handelt sich um Tränen, denen Blut eingemischt ist. Ursachen können unter anderem psychogene und hormonelle Defekte sein.
Bei Therese ging das Auffrischen der Blutmale mit Ekstasen einher. An Donnerstagen kurz vor Mitternacht richtete sie sich im Bett auf und blieb mit ausgestreckten Armen sitzen, ohne sich zu bewegen. Aus den Augen liefen ihr blutgefärbte Tränen. Die Wundmale bekamen ein frischrotes Aussehen. Die ekstatischen Anfälle dauerten etwa 10 Minuten an und wiederholten sich jede Stunde drei- bis viermal. Therese hatte dabei erkennbar Schmerzen, war bei Bewusstsein und unterhielt sich mit Besuchern. Dieser Zustand hielt bis Freitagmittag an. Die Zahl derer, die den Ort aufsuchten, um das "Wunder" miterleben zu dürfen, war enorm. Den Berichten nach sollen bei den ekstatischen Erlebnissen der Therese Neumann bis zu 2000 Personen in Konnersreuth zugegen gewesen sein4.
Visionen, die Therese zu Geschehnissen in ↗Jerusalem hatte, sind allesamt in frommen Texten beschrieben. Dass eine junge Frau, für die von Kindheit an die Religion Lebensmittelpunkt war, die biblischen Geschichten kannte und von diesen ihre Interpretationen wiedergeben konnte, sollte nicht weiter wundern. Dass auch historisch im höchsten Maße anzweifelbare Sachverhalte wie Szenen zum ↗Bethlehemer Kindermord5 visionär "erlebt" und geschildert wurden, bestärken Kritiker in der Ablehnung solch paranormaler Phänomene.
Das gläubige Umfeld der Therese Neumann nahm die geschilderten Ereignisse samt den leichten Korrekturen im Detail begierig entgegen. Dass kritische Beobachter nie zu nahe an Therese herankamen, dafür sorgten Vater Neumann und Pfarrer Naber.
Den kulthafte Betrieb, der sich um Therese Neumann entwickelte, hatte zum guten Teil Pfarrer Naber zu verantworten. Von der Übernatürlichkeit der Vorgänge um Therese war er überzeugt. Auch die Eltern Neumann, die aus der Schaustellung der vermeintlich zukünftigen Heiligen Vorteile zogen, wollten von kritischen Untersuchungen der Stigmatisierten wenig wissen.
Gerlich zog seinen Freund Franz Xaver Wutz, Professor für ↗Altes Testament an der Hochschulte Eichstätt, ins Vertrauen. Wutz meinte in dem Kauderwelsch, das Therese manchmal von sich gab, ↗aramäische Wörter und Satzteile zu erkennen, denen er durch Hinterfragen Sinn zu geben versuchte. Von Kritikern musste er sich später den Vorwurf gefallen lassen, dass er die in Thereses Visionserzählungen erkannten aramäischen Worte und deren erkannte Bedeutung regelrecht hineingefragt hat.
Der später hinzugezogene Professor für semitische Philologie, Johannes Bauer, bekam bereits die von Professor Wutz "aramäisierte" Fassung der Visionserlebnisse, die Therese Neumann verinnerlicht hatte, vorgetragen.
Einer der renommiertesten Hebraisten seiner Zeit, der Tübinger Professor für semitische Philologie, Rudolf Kittel, hielt fest, dass die Kenntnis der jüdischen Dialekte der Zeit Jesu zu den allerschwierigsten Kapiteln der biblisch-orientalischen Sprachwissenschaft gehöre, so dass nur wenige sich rühmen können, sie zu beherrschen. Weiters meinte er: Selbst wenn Wutz zu den wenigen gehöre, bestehe immer noch die Möglichkeit, dass er in die authentischen Wörter der Therese Neumann etwas ihm Bekanntes hineingehört hat.
Kittel hielt fest, was nötig wäre, um die Sprachphänomene der Visionen unvoreingenommen zu untersuchen. Das aber wurde von Wutz und den Personen, mit denen Therese umgeben war, abgelehnt.
Ebenfalls abgelehnt wurden von Therese (Der Heiland will das nicht!) und ihrer Familie eine wissenschaftlich gesicherte Überprüfung der behaupteten nahrungs- und flüssigkeitsabstinenten Lebensweise und des sich damit ergebenden Stoffwechselwunders. Daran änderten auch eine entsprechende bischöfliche Aufforderung, die Überprüfungen vornehmen zu lassen, die Bestärkung dieser Aufforderung durch die ↗römische Kurie und die Androhung der ↗Exkommunikation wegen Ungehorsams im Weigerungsfalle nichts.
Ein bezeichnendes Licht auf die Sache wirft auch eine Bemerkung der Theres Härtl, einer Nichte der Therese Neumann, die bei ihr als eine Art Dienstmädchen tätig war.
Als Theres Härtl einmal Dritten gegenüber bemerkte, dass ihre Tante Therese einen Schlüssel zu einer Kammer besäße, in der Speisen aufbewahrt werden, und sie sie einmal beim Aufwärmen eines Eintopfgerichts überrascht habe, bekam Pfarrer Naber, als er damit konfrontiert wurde, einen Wutanfall.
In der Folge wurde Theres Härtl bedroht. Es wurde ihr nahegelegt, zu gestehen, es sei von ihr alles erlogen worden. Auf Betreiben einflussreicher Persönlichkeiten des "Konnersreuther Kreises" kam sie zunächst unter Polizeiaufsicht, musste widerrufen und landete schließlich in einem Kloster, wo ihr die Äbtissin Redeverbot auferlegte.
1) Der katholischen Kirche sind über 300 Fälle, in denen bei Frauen und Männern Stigmata auftraten, bekannt. Der Erste dieser Fälle war der ↗Hl. Franz von Assisi. Etwa 60 der betroffenen Personen wurden kanonisiert.
2) Alle Untersuchungen weisen auf eine hysterische Erblindung hin. Die von der Familie behaupteten organischen Ursachen wurden nicht nachgewiesen.
3) Vier der Ärzte, die Therese Neumann behandelt hatten, stellten übereinstimmend die angemerkte Diagnose "Schwere Hysterie". Von einem fünften Arzt, Dr. Wilhelm Burkhardt, den die Familie Neumann privat zu Rate gezogen hatte, liegt eine Diagnose zum Fall nicht vor.
4) Der Schilderung liegt eine Beobachtung des Psychiaters, Dr. Gottfried Ewald, Professor an der Universität Erlangen, vor. Er durfte ca. drei Stunden ekstatischen und visionären Erlebnissen am Bett der Therese Neumann beiwohnen. Eine Untersuchung durfte er nicht vornehmen.
Die Stigmen hat er als echt eingeschätzt und dazu angemerkt, dass diese nicht wirklich bluteten, sondern blutig-seröse Flüssigkeit austrat.
Kritisch äußerte er sich zur behaupteten ernährungslosen Lebensweise der Betroffenen. Er meinte, dass da irgendwas nicht stimmen könne. Die ernährungslose Lebensweise wurde nur für einen kurzen Zeitraum überwacht. Danach wurde ein Gewichtsverlust von 8 Pfund festgestellt. Der Urin ließ alle Merkmale eines Hungerurins erkennen. Mit Ende der Überwachung nahm Therese wieder an Körpergewicht zu und der Urin zeigte Normalwerte. Eine Überwachung dieses Phänomens in einer neutralen Klinik unter wissenschaftlich gesicherten Rahmenbedingungen lehnte die Familie Neumann ab.
5) Gerlich (Gerlich 1, 210) gibt den Wortlaut folgendermaßen wieder: "Von 1:37 bis 1:41 Uhr erfolgte die dritte Schauung. Therese Neumanns Gesichtsausdruck war dabei lebhaft und freudig. Sofort nachdem die Schauung beendet war, begann sie zu sprechen. "Wo bin ich da g’west (= gewesen)? Na, jetza so was! Da ham s’ an Haufen so Butzerln (= Kinder) abg’stochen g’habt."
Literatur:
Fritz Gerlich. Die stigmatisierte Therese Neumann von Konnersreuth. 2 Bände. 1929 München. Verlag Josef Kösel & Friedrich Pustet.
Josef Deutsch. Konnersreuth in ärztlicher Beleuchtung. 1932 Paderborn. Verl. Bonifacius-Druckerei.
Irmtraud Götz v. Olenhusen. Wunderbare Erscheinungen. Frauen und katholische Frömmigkeit im 19. u. 20. Jahrhundert 1995 Paderborn. Verlag Ferdinand Schöningh.
Josef Hanauer. Konnersreuth oder Ein Fall von Volksverdummung. 1997 Aachen. Verlag Karin Fischer.
Hans Bankl. Wie oft Fluchte der Pharao? Von Leuten, die Geschichte machten. 2003 Wien. Seifert Verlag. Seiten 90-99.
● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
Therese Neumann, als Therese von Konnersreuth bekannt, war das älteste Kind des Ehepaares Ferdinand und Anna Neumann. Sie hatte zehn Geschwister, von welchen eines noch als Kleinkind verstarb.
Therese wuchs in ärmlichsten Verhältnissen auf. Der Vater konnte mit seiner Schneiderei die Familie, zu der sich über einen Zeitraum von 14 Jahren nahezu jedes Jahr ein weiteres Kind hinzugesellte, kaum ernähren.
Therese wurde am 9. April 1898 in Konnersreuth, einem kleinen Dorf bei Waldsassen in der Oberpfalz nahe der tschechischen Grenze, geboren und sollte in wundergläubigen Kreisen als "Therese von Konnersreuth" als religiöses Mirakel der christlichen Welt Berühmtheit erlangen.
Sie trug über 30 Jahre lang an Händen, Füßen und in der Herzgegend die Wundmale Jesu, hat blutige Tränen geweint, nahm angeblich jahrelang keine feste Nahrung und über längere Zeiträume, so wurde behauptet, auch keine Flüssigkeiten zu sich. In regelmäßigen Abständen verfiel sie in Ekstasen, während dieser sie religiöse Visionen hatte. Damit löste sie jahrzehntelange Wallfahrtszüge nach Konnersreuth aus, deren Mittelpunkt sie bildete. Sie wurde zum Fall für die religiöse Obrigkeit aber auch für die kritische Wissenschaft.
Mediziner, die sich des Falls annahmen, kamen mit wenigen Ausnahmen zum Schluss, dass die mit Therese Neumann verbundenen Phänomene weder einzigartig seien1 noch von der Wissenschaft unerklärbar wären.
Krankengeschichte:
Der Vater der Therese war ein starrköpfig-strenger Mann, die Mutter eine zur Hypomanie neigende, sich für ihre Kinder aufopfernde und besonderes um die älteste Tochter besorgte Frau. Für beide Elternteile war Religion Lebensmittelpunkt. Mit dem katholischen Dorfpfarrer, Josef Naber, pflegte die Familie gutes Einvernehmen. Für Therese war Pfarrer Naber geistlicher Lehrer, ihr Beistand bei ekstatisch-religiösen Erlebnissen sowie Erklärer und Deuter der Bilder ihrer ↗Visionen.
Über den Pfarrer wurde Therese mit ↗Heiligenlegenden und anderen frommen Geschichten vertraut. Zur Lieblingsperson, der sie sich wohl auch des Namens wegen verwandt fühlte, wurde sehr bald ↗Therese von Lisieux (1873-1896) , eine junge, tuberkulosekranke ↗Karmeliterin, die meinte, sie müsse mit ihren Leiden die Sünden der Welt abbüßen. Diese Nonne wurde 1925 seliggesprochen. Therese Neumann empfand die Selig- und spätere Heiligsprechung der Therese von Lisieux wohl als ein Weg, der auch ihr vorgezeichnet zu sein schien.
Im März 1918 half Therese bei Löscharbeiten infolge eines Brandes. Dabei erlitt sie eine schwere Rückenverletzung. Im April 1918 fiel sie im Gasthof ihres Dienstgebers die Kellertreppe hinunter. Dabei soll sie sich eine Kopfverletzung zugezogen haben. Danach verbrachte sie zehn Tage bettlägerig im Elternhaus. Da sich ihr Zustand nicht besserte, wurde ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Ein sechswöchiger Spitalsaufenthalt folgte. Während des Spitalsaufenthalts hatte sie mehrfach hysterische Anfälle, sie erbrach Blut, die Monatsperiode setzte für ein Jahr aus und stellte sich danach nur mehr wenige Male unregelmäßig ein. Ab 1920 blieb sie ständig aus.
Die junge Frau, die bis zu ihrem Unfall Oktober 1918 gesund war und Schmerzen nicht gekannt hatte, fühlte sich von da weg schwer leidend. Die Schmerzen, die sie nunmehr zu ertragen hatte, lösten offenbar eine hysterische Reaktion aus, was der Abheilung ihrer Verletzungen im Wege stand und ihren Allgemeinzustand nach und nach verschlechterte. Ab Oktober 1918 traten Lähmungen auf, sie konnte nicht mehr gehen und wurde ständig bettlägerig. Dazu gesellten sich Blindheit2, zweiweise Taubheit, Ohrbluten und Blut erbrechen.
Nach einem Invaliditätsverfahren wurde ihr 1920 eine Unfallrente zugesprochen. Die Diagnose der begutachtenden Ärzte lautete: "Schwerste Hysterie mit Blindheit und teilweiser Lähmung."3
Von 1920 bis 1925 wurde Therese Neumann nicht ärztlich betreut. Pfarrer Naber stand ihr damit bei, sie auf die Leiden Christi und die der Heiligen hinzuweisen. Auch Terese von Linsieux, deren Heiligsprechungsprozess gerade lief, wurde ihr in Erinnerung gebracht. In dieser Zeit traten infolge der Bettlägerigkeit auch die ersten Druckgeschwüre am Rücken und im Fußbereich auf. Nachdem sie vom Pfarrer die Erlaubnis erhielt, Therese von Linsieux zu bitten, ein Rheumaleiden ihres Vates auf sich nehmen zu dürfen, verkrampfte sich der linke Arm so stark, dass die Hand beim Liegen unter der linken Brust auf die Rippen drückte und dort ebenfalls ein Druckgeschwür entstand. Der Vater wurde gesund, auch die Krampfstellung von Thereses Arm und Hand löste sich wieder.
Am Tag der ↗Seligsprechung der Terese von Linsieux (29.4.1923) war Therese Neumann von ihrer Blindheit geheilt. Am Tag der ↗Heiligsprechung (17.5.1925) verschwanden bei ihr schlagartig alle Lähmungserscheinungen. Solche Phänomene sind der Psychiatrie in Fällen von Autosuggestion bei Hysterie nicht unbekannt.
In der Osterzeit 1926 traten erstmals ↗Stigmata auf. Zunächst blutige Tränen, später eine Wunde in der Herzgegend. Mit Karsamstag 1927 traten kleine Wundstellen an Händen und Füßen auf.
Ab 25. Dezember 1922 wollte Therese keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen. Sie ernährte sich von Milch, Milchkaffee und Fruchtsäften. Ab dem 23. Dezember 1926 nahm sie angeblich weder Nahrung noch Getränke mehr zu sich. Ausnahmen waren ein Stück ↗Hostie und ein Schluck Wasser bei der täglichen Kommunion.
Das hatte später während des Krieges zur Folge, dass sie keine Lebensmittelkarte zugeteilt bekam.
Wie sind die Geschehnisse um Therese Neumann nun einzuordnen?
Pfarrer Naber war von der Übernatürlichkeit der Ereignisse um Therese überzeugt. Ebenso der Historiker und Journalist Fritz Gerlich.
Was die Wundmale betrifft, lassen sich diese medizinisch durchaus erklären. Es handelt sich um ein bekanntes psychosomatisches Phänomen. Es liegen keine Wunden vor, sondern Austreten von mit Blutzellen vermengter Körperflüssigkeit durch intakte, aber ungewöhnlich durchlässige Haut. Es ist also kein Bluten, sondern Nässen, was in solchen Fällen beobachtet wird. Die Medizin nennt eine solche Erscheinung "Diapedese". Naturgemäß tritt im Zuge des zeitweisen Verschwindens der "Wundmale" auch keine Wundheilung, sondern Verschorfung der betroffenen Hautstellen ein.
Dem Blutweinen (Hämolakrie) liegt ebenfalls ein physiologisch erklärbarer Vorgang zugrunde. Es handelt sich um Tränen, denen Blut eingemischt ist. Ursachen können unter anderem psychogene und hormonelle Defekte sein.
Bei Therese ging das Auffrischen der Blutmale mit Ekstasen einher. An Donnerstagen kurz vor Mitternacht richtete sie sich im Bett auf und blieb mit ausgestreckten Armen sitzen, ohne sich zu bewegen. Aus den Augen liefen ihr blutgefärbte Tränen. Die Wundmale bekamen ein frischrotes Aussehen. Die ekstatischen Anfälle dauerten etwa 10 Minuten an und wiederholten sich jede Stunde drei- bis viermal. Therese hatte dabei erkennbar Schmerzen, war bei Bewusstsein und unterhielt sich mit Besuchern. Dieser Zustand hielt bis Freitagmittag an. Die Zahl derer, die den Ort aufsuchten, um das "Wunder" miterleben zu dürfen, war enorm. Den Berichten nach sollen bei den ekstatischen Erlebnissen der Therese Neumann bis zu 2000 Personen in Konnersreuth zugegen gewesen sein4.
Visionen, die Therese zu Geschehnissen in ↗Jerusalem hatte, sind allesamt in frommen Texten beschrieben. Dass eine junge Frau, für die von Kindheit an die Religion Lebensmittelpunkt war, die biblischen Geschichten kannte und von diesen ihre Interpretationen wiedergeben konnte, sollte nicht weiter wundern. Dass auch historisch im höchsten Maße anzweifelbare Sachverhalte wie Szenen zum ↗Bethlehemer Kindermord5 visionär "erlebt" und geschildert wurden, bestärken Kritiker in der Ablehnung solch paranormaler Phänomene.
Das gläubige Umfeld der Therese Neumann nahm die geschilderten Ereignisse samt den leichten Korrekturen im Detail begierig entgegen. Dass kritische Beobachter nie zu nahe an Therese herankamen, dafür sorgten Vater Neumann und Pfarrer Naber.
Den kulthafte Betrieb, der sich um Therese Neumann entwickelte, hatte zum guten Teil Pfarrer Naber zu verantworten. Von der Übernatürlichkeit der Vorgänge um Therese war er überzeugt. Auch die Eltern Neumann, die aus der Schaustellung der vermeintlich zukünftigen Heiligen Vorteile zogen, wollten von kritischen Untersuchungen der Stigmatisierten wenig wissen.
Gerlich zog seinen Freund Franz Xaver Wutz, Professor für ↗Altes Testament an der Hochschulte Eichstätt, ins Vertrauen. Wutz meinte in dem Kauderwelsch, das Therese manchmal von sich gab, ↗aramäische Wörter und Satzteile zu erkennen, denen er durch Hinterfragen Sinn zu geben versuchte. Von Kritikern musste er sich später den Vorwurf gefallen lassen, dass er die in Thereses Visionserzählungen erkannten aramäischen Worte und deren erkannte Bedeutung regelrecht hineingefragt hat.
Der später hinzugezogene Professor für semitische Philologie, Johannes Bauer, bekam bereits die von Professor Wutz "aramäisierte" Fassung der Visionserlebnisse, die Therese Neumann verinnerlicht hatte, vorgetragen.
Einer der renommiertesten Hebraisten seiner Zeit, der Tübinger Professor für semitische Philologie, Rudolf Kittel, hielt fest, dass die Kenntnis der jüdischen Dialekte der Zeit Jesu zu den allerschwierigsten Kapiteln der biblisch-orientalischen Sprachwissenschaft gehöre, so dass nur wenige sich rühmen können, sie zu beherrschen. Weiters meinte er: Selbst wenn Wutz zu den wenigen gehöre, bestehe immer noch die Möglichkeit, dass er in die authentischen Wörter der Therese Neumann etwas ihm Bekanntes hineingehört hat.
Kittel hielt fest, was nötig wäre, um die Sprachphänomene der Visionen unvoreingenommen zu untersuchen. Das aber wurde von Wutz und den Personen, mit denen Therese umgeben war, abgelehnt.
Ebenfalls abgelehnt wurden von Therese (Der Heiland will das nicht!) und ihrer Familie eine wissenschaftlich gesicherte Überprüfung der behaupteten nahrungs- und flüssigkeitsabstinenten Lebensweise und des sich damit ergebenden Stoffwechselwunders. Daran änderten auch eine entsprechende bischöfliche Aufforderung, die Überprüfungen vornehmen zu lassen, die Bestärkung dieser Aufforderung durch die ↗römische Kurie und die Androhung der ↗Exkommunikation wegen Ungehorsams im Weigerungsfalle nichts.
Ein bezeichnendes Licht auf die Sache wirft auch eine Bemerkung der Theres Härtl, einer Nichte der Therese Neumann, die bei ihr als eine Art Dienstmädchen tätig war.
Als Theres Härtl einmal Dritten gegenüber bemerkte, dass ihre Tante Therese einen Schlüssel zu einer Kammer besäße, in der Speisen aufbewahrt werden, und sie sie einmal beim Aufwärmen eines Eintopfgerichts überrascht habe, bekam Pfarrer Naber, als er damit konfrontiert wurde, einen Wutanfall.
In der Folge wurde Theres Härtl bedroht. Es wurde ihr nahegelegt, zu gestehen, es sei von ihr alles erlogen worden. Auf Betreiben einflussreicher Persönlichkeiten des "Konnersreuther Kreises" kam sie zunächst unter Polizeiaufsicht, musste widerrufen und landete schließlich in einem Kloster, wo ihr die Äbtissin Redeverbot auferlegte.
1) Der katholischen Kirche sind über 300 Fälle, in denen bei Frauen und Männern Stigmata auftraten, bekannt. Der Erste dieser Fälle war der ↗Hl. Franz von Assisi. Etwa 60 der betroffenen Personen wurden kanonisiert.
2) Alle Untersuchungen weisen auf eine hysterische Erblindung hin. Die von der Familie behaupteten organischen Ursachen wurden nicht nachgewiesen.
3) Vier der Ärzte, die Therese Neumann behandelt hatten, stellten übereinstimmend die angemerkte Diagnose "Schwere Hysterie". Von einem fünften Arzt, Dr. Wilhelm Burkhardt, den die Familie Neumann privat zu Rate gezogen hatte, liegt eine Diagnose zum Fall nicht vor.
4) Der Schilderung liegt eine Beobachtung des Psychiaters, Dr. Gottfried Ewald, Professor an der Universität Erlangen, vor. Er durfte ca. drei Stunden ekstatischen und visionären Erlebnissen am Bett der Therese Neumann beiwohnen. Eine Untersuchung durfte er nicht vornehmen.
Die Stigmen hat er als echt eingeschätzt und dazu angemerkt, dass diese nicht wirklich bluteten, sondern blutig-seröse Flüssigkeit austrat.
Kritisch äußerte er sich zur behaupteten ernährungslosen Lebensweise der Betroffenen. Er meinte, dass da irgendwas nicht stimmen könne. Die ernährungslose Lebensweise wurde nur für einen kurzen Zeitraum überwacht. Danach wurde ein Gewichtsverlust von 8 Pfund festgestellt. Der Urin ließ alle Merkmale eines Hungerurins erkennen. Mit Ende der Überwachung nahm Therese wieder an Körpergewicht zu und der Urin zeigte Normalwerte. Eine Überwachung dieses Phänomens in einer neutralen Klinik unter wissenschaftlich gesicherten Rahmenbedingungen lehnte die Familie Neumann ab.
5) Gerlich (Gerlich 1, 210) gibt den Wortlaut folgendermaßen wieder: "Von 1:37 bis 1:41 Uhr erfolgte die dritte Schauung. Therese Neumanns Gesichtsausdruck war dabei lebhaft und freudig. Sofort nachdem die Schauung beendet war, begann sie zu sprechen. "Wo bin ich da g’west (= gewesen)? Na, jetza so was! Da ham s’ an Haufen so Butzerln (= Kinder) abg’stochen g’habt."
Literatur:
Fritz Gerlich. Die stigmatisierte Therese Neumann von Konnersreuth. 2 Bände. 1929 München. Verlag Josef Kösel & Friedrich Pustet.
Josef Deutsch. Konnersreuth in ärztlicher Beleuchtung. 1932 Paderborn. Verl. Bonifacius-Druckerei.
Irmtraud Götz v. Olenhusen. Wunderbare Erscheinungen. Frauen und katholische Frömmigkeit im 19. u. 20. Jahrhundert 1995 Paderborn. Verlag Ferdinand Schöningh.
Josef Hanauer. Konnersreuth oder Ein Fall von Volksverdummung. 1997 Aachen. Verlag Karin Fischer.
Hans Bankl. Wie oft Fluchte der Pharao? Von Leuten, die Geschichte machten. 2003 Wien. Seifert Verlag. Seiten 90-99.
● Zum Inhaltsverzeichnis des Lexikons
MfG B.