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Das beste Argument gegen den Materialismus und für Gott?
#31
(20-07-2025, 17:10)Noumenon schrieb: Das ist in vielen Fällen die Mühe nicht wert. Entweder ist jemand halbwegs bewandert in Naturwissenschaft & Philosophie, oder eben nicht. Und das hier ist zwar ein Diskussionsforum, aber kein Nachhilfeforum. Icon_wink

Touché!
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#32
(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Meines Erachtens können ja Materialismus und Idealismus (im weitesten Sinne dieser Begriffe) als zwei gleichberechtigte Deutungen dieser Welt nebeneinander bestehen bleiben, aber am spannendsten wird es, wenn, wie etwa in den Beiträgen von Noumenon, Materialismus und Idealismus ineinander verschmelzen.

Ach, bitte nicht! Das Gegenteil von Idealismus (in seinen verschiedenen Spielformen) ist Realismus (in seinen verschiedenen Spielformen). Wenn wir schon dabei sind...

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Da ich davon ausgehe, dass wir im Kern geistige Wesen sind, muss ich diese Unterscheidungen natürlich treffen.

Nun, schon, nur sollte nicht die Philosophie der Erfahrung entspringen, nicht umgekehrt?

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Das rein Geistige aber bleibt immer frei von materiellen Einflüssen. Was also aus materialistischer Sicht wie Schubladendenken aussehen mag, ist innerhalb des Idealismus einfach nur eine konsequente Betrachtung der Wirklichkeit, in der wir (derzeit) leben.

Ich finde dualistische Anschauungen wie Deine schwierig, da sie jeglicher Evidenz entbehren. Ich sehe das eher als Wunschdenken. Dass es irgendwelches Geistiges gibt, das von materiellen Einfluessen unabhaengig ist, muesste mir auch erst mal jemand zeigen.     

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Verstehe ich dich richtig, dass du hier den gesamten Bereich der menschlichen Sprache darauf reduzieren willst, dass seine Funktion die einer Hierarchiebildung innerhalb der Menschheit bzw. innerhalb von Menschengruppen ist?

Nein, natuerlich nicht. Sprache dient der Orientierung in der Welt. Die Etablierung von Rangordnung passiert automatisch in jeder menschlichen Gruppe; das ist den meisten Menschen nur nicht bewusst, weil es so selbstverstaendlich geschieht. Ich hatte noch Partnerfindung genannt, aber es geht natuerlich auch um Nahrungserwerb, Warnung vor Feinden, etc. Das Wichtige hier ist, dass Sprache zunaechst entstanden ist, um sich mit der materiellen Welt, ihren Chancen und Gefahren auseinanderzusetzen im Austausch mit anderen Lebewesen, hauptsaechlich konspezifischen.

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Das ist mir nun wieder viel zu reduktionistisch und funktional gedacht. Sprache hat doch so viele verschiedene Funktionen - zum Beispiel haben doch gerade die Diskussionen hier im Forum gar nichts mit einer Hierarchiebildung zu tun, sondern mit dem Austausch von Ideen.
 
Ja, aber auch Ideen dienen der Werbung innerhalb der Gemeinschaft, wie ich bereits dargelegt habe. Sie koennen Gemeinschaften zusammenschmieden, indem ein gemeinschaftliches Narrativ identitaetsstiftend fuer eine Gruppe wirkt. Geschichtenerzaehlen ist auch bei der Partnerwerbung ein probates Mittel, wie ich auch bereits erwaehnt habe. Die Entstehung von Religion aus einem Balzritual ist uebrigens nicht meine Idee gewesen; ich finde nur gerade den Link nicht.

Mir ging es vor allem darum, dass uns als Menschen unsere biologischen Funktionen haeufig gar nicht mehr bewusst sind, bzw., wieviele Dinge wir eigentlich tun und sagen, um unsere biologischen Beduerfnisse zu befriedigen. Vielleicht mal ein wenig auf Soziologie und Psychologie schauen?
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#33
(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Meines Erachtens können ja Materialismus und Idealismus (im weitesten Sinne dieser Begriffe) als zwei gleichberechtigte Deutungen dieser Welt nebeneinander bestehen bleiben, aber am spannendsten wird es, wenn, wie etwa in den Beiträgen von Noumenon, Materialismus und Idealismus ineinander verschmelzen. Das ist doch im Grunde das Ziel dieses Forums hier und aller Philosophie - dass man eine möglichst vereinheitlichte Theorie über die Wirklichkeit bekommt, widerspruchsfrei und eindeutig. Davon sind wir zwar noch weit entfernt, aber wir machen Fortschritte.
Ich halte eigentlich sowohl "Materie" als auch "Geist" für nicht ganz unproblematische und teils überholte Konzepte. Nicht, weil sie grundsätzlich unbrauchbar wären, sondern weil sie beide aus einer Zeit stammen, in der man versuchte, die Welt entweder substanzhaft oder dualistisch zu denken. Heute wissen wir: Beide Begriffe sind stark modellabhängig, kulturell gewachsen und bestenfalls vereinfachende Annäherungen an etwas, das sich unserem direkten Zugriff oft entzieht. Im Fall von "Materie" haben wir immerhin eine gewisse begriffliche und theoretische Entwicklung durchlaufen: Von vorsokratischen Naturphilosophen wie Demokrit und Epikur, die erstmals eine atomistische, substanzbasierte Sicht der Welt entwarfen, über den mechanistischen Materialismus des 17. und 18. Jahrhunderts, der in der klassischen Physik kulminierte, bis hin zur modernen Quantenfeldtheorie, in der von "Materie" im traditionellen Sinne kaum noch die Rede sein kann. Wir haben gelernt, dass das, was wir "materiell" nennen, nichts Festes, Stoffliches mehr ist, sondern ein Geflecht aus Feldern, Wahrscheinlichkeiten, Anregungen, Symmetrien und Wechselwirkungen. Da ist zumindest eine gewisse begriffliche Aufarbeitung im Gange.

Im Fall von "Geist" stehen wir jedoch weit weniger klar da: Die Natur des Bewusstseins, das sogenannte Qualiaproblem, die Frage nach Intentionalität oder innerer Erfahrung - all das sind offene Fragen, bei denen wir bislang keinen physikalisch oder philosophisch konsistenten Zugriff haben. Das Konzept "Geist" ist daher nicht weniger vage als das Konzept "Materie" - ganz im Gegenteil.

Beide Begriffe sind ontologische Hilfskonstruktionen, erdachte Konzepte, die uns zwar eine gewisse Orientierung bieten, aber letztendlich wahrscheinlich nicht den geeigneten Deutungsrahmen bieten, um Wirklichkeit in ihrer Tiefe zu verstehen. Vielmehr brauchen wir künftig wahrscheinlich ganz andere Kategorien - etwa Prozess, Information, Relation, Struktur oder sogar etwas noch Unbekanntes - um die Kluft zwischen Physik und Phänomen, zwischen Weltbeschreibung und Weltbezug zu überbrücken.

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Wie schon gesagt: Deine Beiträge in diesem Thread (und es waren die ersten, die ich hier von dir gelesen habe) fand ich sehr interessant. Du beschreibst in einer sehr klaren Sprache, wie sich - jetzt mal etwas gewitzt formuliert - der Materialismus in Luft auflöst, wenn man die Erkenntnisse der modernen Physik in Betracht zieht, weil es nämlich gar keine feste Materie im eigentlichen und ursprünglich postulierten Sinne gibt, sondern alle Materie aus nicht-materiellen, feineren Strukturen hervorgeht. Man kann an dieser Stelle dann stehen bleiben, so wie du es tust. Oder man kann noch einen Schritt weiter gehen und daraus schlussfolgern, dass das, was eigentlich hinter all diesen feinstofflichen Strukturen steckt, eben das Geistige im weitesten Sinne ist. Dies ist dann der endgültige Übergang vom Materialismus in den Idealismus, aber wie du siehst, lässt er sich durchaus logisch begründen. Nur beweisen lässt sich das eben nicht im wissenschaftlichen Sinne.
Ich denke, hier zeigt sich ein klassisches Beispiel für ein falsches Dilemma: Entweder sei der Materialismus wahr - also eine Welt, die auf festen, stofflichen Grundlagen beruht -, oder aber der Idealismus - also eine geistige Grundlage allen Seins. Diese Gegenüberstellung suggeriert, dass es nur zwei mögliche Grundformen der Wirklichkeit gäbe: materiell oder geistig. Aber gerade die moderne Physik (und in gewisser Weise auch die moderne Erkenntnistheorie) zeigt, dass diese Zweiteilung zu grob und zu metaphysisch vorgeprägt ist.

Weder "Materie" im klassischen Sinn, noch "Geist" im spekulativen (!) Sinn sind heute als fundamentale Konzepte besonders tragfähig. Vieles spricht dafür, dass die Grundstruktur der Wirklichkeit nicht in klassischen Substanzen, sondern in relationalen, prozesshaften oder strukturellen Zusammenhängen liegt - etwa in Feldern, Informationen, Zuständen oder Systemdynamiken. Diese lassen sich weder eindeutig dem Materiellen noch dem Geistigen zuordnen, sondern entziehen sich dieser Einteilung.

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Jetzt zu deiner Frage, was das mit Gott zu tun haben soll: Ich hatte vor einiger Zeit ein Erlebnis, das ich nur als ein Zeichen von Gott verstehen kann. Darauf werde ich weiter unten in meiner Antwort an Ekkard noch weiter eingehen. Zunächst beantworte ich die Frage aber allgemein gehalten und so wie ich sie bisher hier im Forum immer beantwortet habe: Wenn man den Schritt vom Materialismus zum Idealismus gemacht hat, folgt meines Erachtens (ich weiß, dass man das auch anders sehen kann) ganz automatisch und folgerichtig auch die Erkenntnis, dass Gott existiert. Denn wenn der Idealismus recht hat, liegt der Welt ein geistiges Prinzip zu Grunde, also die geistige Welt existiert. Wenn die geistige Welt existiert, existieren auch geistige Wesenheiten. Und wenn geistige Wesenheiten existieren, dann muss es auch ein hierarchisch höchstes geistiges Wesen in der geistigen Welt geben und dieses Wesen wird als Gott bezeichnet.
Auch wenn man der Annahme folgt, dass der Welt ein geistiges Prinzip zugrunde liegt, folgt daraus nicht logisch zwingend, dass dieses Prinzip personal, intentional oder hierarchisch organisiert sein muss, geschweige denn, dass es ein "höchstes geistiges Wesen" im Sinne eines Gottes gibt. Das ist eine zusätzliche metaphysische Annahme, die man machen kann, aber eben nicht muss. Es gibt zahlreiche idealistische oder panpsychistische Modelle, die keine personalisierbare Gottheit voraussetzen (Spinoza, Schelling, Whitehead, Strawson, etc.).

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Jetzt zu deiner Frage, was das mit Gott zu tun haben soll: Ich hatte vor einiger Zeit ein Erlebnis, das ich nur als ein Zeichen von Gott verstehen kann.
Was du beschreibst, ist letztlich eine Umkehrung von Begründung und Überzeugung: Man glaubt bereits an ein geistiges Prinzip oder eine höhere Wesenheit - und interpretiert dann bestimmte Erlebnisse oder Erfahrungen als Bestätigung dieses Glaubens. Das ist menschlich verständlich, aber erkenntnistheoretisch problematisch: Denn solche Erfahrungen können auch völlig anders gedeutet werden - psychologisch, neurologisch, symbolisch, zufallsbedingt oder metaphorisch.

Der Umstand, dass man sich etwas nicht anders erklären kann, ist kein Beleg für eine metaphysische Deutung. Das wäre in etwa so, als würde man auf unerklärliche Geräusche im Haus schließen: "Ich weiß nicht, was es war, also war es ein Geist." Das ist kein Argument, sondern die klassische Wissenslücke, die mal wieder mit Glaubensinhalten gefüllt wird.

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Ich hatte ja vor einiger Zeit in einem anderen Thread schon einmal angedeutet, dass ich kürzlich ein Zeichen von Gott bekommen habe. Das war nun nochmal eine weitere Bestätigung meines Glaubens und die bisher tiefgreifendste Erfahrung meines Lebens, weil ich nämlich seither diverse Baustellen in meinem Leben angehe, die über Jahre, ja teilweise sogar Jahrzehnte, liegen geblieben sind. Wie ich damals berichtet habe, hatte ich Gott um Hilfe gebeten, woraufhin ich ein ganz starkes Zeichen bekommen habe, das mich in Richtung von Jesus Christus geführt hat. Wenn ich nun noch die positiven Auswirkungen auf mein ganz reales Alltagsleben mit bedenke, die in Folge dieses Zeichens geschehen sind, dann kommt sogar noch exakt das dazu, was in der Bibel als die Wirkung des Heiligen Geistes im Leben des Gläubigen bezeichnet wird. Damit solltest du dich als Mitglied einer christlichen Gemeinde ja auskennen, auch wenn du Atheist bist. Hier haben wir also das gesamte Bild der Trinität - Gott Vater (der Zeichengeber), Gott Sohn (der Inhalt des Zeichens) und Gott Heiliger Geist (die positiven Auswirkungen auf das reale Alltagsleben) - und wenn man das tatsächlich erlebt, lässt es sich nicht mehr klein reden geschweige denn ignorieren.
Deine subjektive Erfahrung soll keineswegs in Frage gestellt sein, aber sie ist eben genau das: eine subjektive Erfahrung. Dass sie für dich bedeutsam war, steht außer Zweifel. Doch aus einer inneren Wandlung und dem Gefühl, ein "Zeichen" empfangen zu haben, gleich auf die objektive Realität der christlichen Trinität zu schließen, ist philosophisch schlicht ein Denkfehler: Du deutest eine subjektive Erfahrung als Beweis für eine objektive metaphysische Weltordnung.

Solche Erlebnisse sind auch keineswegs selten. Menschen in anderen Kulturen machen ähnliche Erfahrungen, fühlen sich von Buddha, Allah, Ahnengeistern oder dem Universum berührt. Die Inhalte unterscheiden sich, das psychologische Muster ist stets gleich: Man erlebt etwas Außergewöhnliches und interpretiert die eigene Weltanschauung hinein. Das ist menschlich, aber keine tragfähige und vor allem widerspruchsfreie Erkenntnistheorie.
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#34
(20-07-2025, 18:52)Noumenon schrieb: Wir haben gelernt, dass das, was wir "materiell" nennen, nichts Festes, Stoffliches mehr ist, sondern ein Geflecht aus Feldern, Wahrscheinlichkeiten, Anregungen, Symmetrien und Wechselwirkungen.

Ich muss gestehen, dass ich immer noch nicht verstehe, warum derlei Formulierungen notwendig erscheinen (nichts gegen Dich; ich habe sie so aehnlich auch von Physikern gehoert). Ist "Materielles" weniger "fest" oder "stofflich", wenn wir langsam erkennen, wie es zur Eigenschaft "fest" oder "stofflich" kommt? Aber das bringt uns wohl wieder zur Frage, was "Realitaet" eigentlich ist. Oder zu Deiner ontologischen Begruendung, die ich trotzdem als unbefriedigend empfinde, auch wenn sie logisch erscheint.
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#35
@Ulan
Die zentrale Erkenntnis ist: Materie ist ein emergentes Phänomen.

Gerade weil wir heute ziemlich genau nachvollziehen können, wie Eigenschaften wie "Festigkeit" oder "Stofflichkeit" zustande kommen (u.a. durch das Zusammenwirken quantenphysikalischer Felder, Kräfte, Symmetrien und Wechselwirkungen), ist es nur konsequent zu sagen: "Materie" ist nicht fundamental, sondern emergent.

Festigkeit bspw. ist keine fundamentale Eigenschaft eines Objekts, sondern ergibt sich aus elektrodynamischen Abstoßungen zwischen Elektronenhüllen, vermittelt über Felder. Die darunterliegenden "Bausteine" selbst - wie Elektronen oder Quarks - sind wiederum ebenfalls keine festen Teilchen, sondern Anregungen oder Zustände von Feldern. Mit anderen Worten: Das, was wir im Alltag als "materiell" erleben, ist eine makroskopische Erscheinung, nicht das Fundament der Realität.

Genau deshalb ist es wichtig, zwischen phänomenaler Realität (wie wir die Welt erleben) und ontologischer Realität (wie sie in den Theorien beschrieben wird) zu unterscheiden. Und in letzterer ist "Materie" eben kein grundlegender Baustein mehr, sondern eine abgeleitete Kategorie, die sich aus tieferliegenden Strukturen ergibt. Das soll auch keine Abwertung des Materiellen sein, nur eine präzisere Einordnung.
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#36
(20-07-2025, 21:37)Noumenon schrieb: @Ulan
Die Kernbotschaft ist: Materie ist ein emergentes Phänomen.

Gerade weil wir heute ziemlich genau nachvollziehen können, wie Eigenschaften wie "Festigkeit" oder "Stofflichkeit" zustande kommen (u.a. durch das Zusammenwirken quantenphysikalischer Felder, Kräfte, Symmetrien und Wechselwirkungen), ist es nur konsequent zu sagen: "Materie" ist nicht fundamental, sondern emergent.

Der Punkt ist mir vollkommen klar, was hoffentlich auch aus meinem letzten Beitrag hervorgegangen ist.

(20-07-2025, 21:37)Noumenon schrieb: Festigkeit bspw. ist keine fundamentale Eigenschaft eines Objekts, sondern ergibt sich aus elektrodynamischen Abstoßungen zwischen Elektronenhüllen, vermittelt über Felder. Die darunterliegenden "Bausteine" selbst - wie Elektronen oder Quarks - sind wiederum ebenfalls keine festen Teilchen, sondern Anregungen oder Zustände von Feldern. Mit anderen Worten: Das, was wir im Alltag als "materiell" erleben, ist eine makroskopische Erscheinung, nicht das Fundament der Realität.

Auch das ist kein Problem.

(20-07-2025, 21:37)Noumenon schrieb: Genau deshalb ist es wichtig, zwischen phänomenaler Realität (wie wir die Welt erleben) und ontologischer Realität (wie sie in den Theorien beschrieben wird) zu unterscheiden. Und in letzterer ist "Materie" eben kein grundlegender Baustein mehr, sondern eine abgeleitete Kategorie, die sich aus tieferliegenden Strukturen ergibt. Das soll auch keine Abwertung des Materiellen sein, nur eine präzisere Einordnung.

Ja, dann wuerde ich so etwas aber anders sagen. Materie ist immer noch fest, auch wenn das nur eine emergente Eigenschaft ist. Es ist immer noch "etwas Festes". In der makroskopischen Welt bleibt es das auch, solange der Temperaturbereich stimmt.

Nur weil etwas emergent ist, ist es fuer mich nicht weniger real, auch als phaenomenale Realitaet. Auch wenn das jetzt wie eine Tautologie klingen mag.
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#37
(20-07-2025, 21:37)Noumenon schrieb: @Ulan
Die zentrale Erkenntnis ist: Materie ist ein emergentes Phänomen.

Gerade weil wir heute ziemlich genau nachvollziehen können, wie Eigenschaften wie "Festigkeit" oder "Stofflichkeit" zustande kommen (u.a. durch das Zusammenwirken quantenphysikalischer Felder, Kräfte, Symmetrien und Wechselwirkungen), ist es nur konsequent zu sagen: "Materie" ist nicht fundamental, sondern emergent.

Festigkeit bspw. ist keine fundamentale Eigenschaft eines Objekts, sondern ergibt sich aus elektrodynamischen Abstoßungen zwischen Elektronenhüllen, vermittelt über Felder. Die darunterliegenden "Bausteine" selbst - wie Elektronen oder Quarks - sind wiederum ebenfalls keine festen Teilchen, sondern Anregungen oder Zustände von Feldern. Mit anderen Worten: Das, was wir im Alltag als "materiell" erleben, ist eine makroskopische Erscheinung, nicht das Fundament der Realität.

Genau deshalb ist es wichtig, zwischen phänomenaler Realität (wie wir die Welt erleben) und ontologischer Realität (wie sie in den Theorien beschrieben wird) zu unterscheiden. Und in letzterer ist "Materie" eben kein grundlegender Baustein mehr, sondern eine abgeleitete Kategorie, die sich aus tieferliegenden Strukturen ergibt. Das soll auch keine Abwertung des Materiellen sein, nur eine präzisere Einordnung.
Das mag von jemanden mit einem naturwissenschaftlichen Studium verstanden werden. Für mich und vermutlich viele andere sind das böhmische Dörfer. Ein Argument, das nicht verstanden, wird taugt nichts.
Wenn Fundamentalisten ein Problem sind, dann ist das Fundament ein Problem. Irgendein Weiser
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#38
(20-07-2025, 18:52)Noumenon schrieb: Wir haben gelernt, dass das, was wir "materiell" nennen, nichts Festes, Stoffliches mehr ist, sondern ein Geflecht aus Feldern, Wahrscheinlichkeiten, Anregungen, Symmetrien und Wechselwirkungen. Da ist zumindest eine gewisse begriffliche Aufarbeitung im Gange.

Im Fall von "Geist" stehen wir jedoch weit weniger klar da: Die Natur des Bewusstseins, das sogenannte Qualiaproblem, die Frage nach Intentionalität oder innerer Erfahrung - all das sind offene Fragen, bei denen wir bislang keinen physikalisch oder philosophisch konsistenten Zugriff haben. Das Konzept "Geist" ist daher nicht weniger vage als das Konzept "Materie" - ganz im Gegenteil.

Beide Begriffe sind ontologische Hilfskonstruktionen, erdachte Konzepte, die uns zwar eine gewisse Orientierung bieten, aber letztendlich wahrscheinlich nicht den geeigneten Deutungsrahmen bieten, um Wirklichkeit in ihrer Tiefe zu verstehen. Vielmehr brauchen wir künftig wahrscheinlich ganz andere Kategorien - etwa Prozess, Information, Relation, Struktur oder sogar etwas noch Unbekanntes - um die Kluft zwischen Physik und Phänomen, zwischen Weltbeschreibung und Weltbezug zu überbrücken.
So ist es wohl! Dabei betrachte ich "Geist" als ein Epiphänomen der Tätigkeit unseres Gehirns. Faszinierend daran ist, der Selbstbezug, der es ermöglicht, Erfahrungen ständig in anderer Weise zu verarbeiten (je nach Vergangenheit). Wie komplex selbstbezügliche Systeme reagieren können, kann man sich an Fraktalen ansehen (im buchstäblichen Sinne).

Ich bin deswegen kein Freund von Zusatzannahmen, die uns an der gedanklichen Oberfläche fixieren. Unsere Welt können wir als eine riesige Informationsmaschine mit Selbstbezug auffassen. Klar, darin finden sich alle Arten von Erfahrungen und Reaktionen unseres Gehirns darauf, auch Gottesvorstellungen. Aber diese Welt reicht viel tiefer als bis zu religiösen Vorstellungen als "Beginn von Allem" (so, wie ich z. B. @Reklov verstehe). Und @Subdil führt uns gerade vor, wie man gewisse Erfahrungen eben nicht interpretieren darf (falsches Dilemma).

Im Übrigen halte ich Idealismus (im Gegensatz zu: Realismus) für extrem problematisch. Auch hier findet eine Fixierung an die Oberfläche statt, was eigentlich immer zu Fehleinschätzungen führt.

(20-07-2025, 18:52)Noumenon schrieb: Weder "Materie" im klassischen Sinn, noch "Geist" im spekulativen (!) Sinn sind heute als fundamentale Konzepte besonders tragfähig. Vieles spricht dafür, dass die Grundstruktur der Wirklichkeit nicht in klassischen Substanzen, sondern in relationalen, prozesshaften oder strukturellen Zusammenhängen liegt - etwa in Feldern, Informationen, Zuständen oder Systemdynamiken. Diese lassen sich weder eindeutig dem Materiellen noch dem Geistigen zuordnen, sondern entziehen sich dieser Einteilung.
Der beschriebenen Einschätzung der Konzepte Materie/Geist und vielleicht dem "Neuen" kann ich ohne Weiteres zustimmen. Obgleich ich denke, dass die Wirklichkeit schon längst im "neuen Sinn" verstanden wird. Vielleicht braucht "das Kind" einfach einen prägenden Namen?

Meine Frage ist auch noch nicht befriedigend beantwortet: Welche logische Notwendigkeit gibt es für das Konzept Gott (oder ein "heiliges", höheres Wesen)? Und da ich @subdils Begründung noch im Kopf habe: Was ist denknotwendig an einem höheren Wesen, wenn es nach dem Tod weiter geht? Beides hat nichts miteinander zu tun.

Aber: Wohin gehen die Klänge eines Konzerts, wenn die Musiker ihr Spiel beenden?
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#39
(20-07-2025, 22:34)exkath schrieb: Das mag von jemanden mit einem naturwissenschaftlichen Studium verstanden werden. Für mich und vermutlich viele andere sind das böhmische Dörfer. Ein Argument, das nicht verstanden, wird taugt nichts.

Das ist aber jetzt ein rein subjektives Urteil, was nur relevant waere, wenn Ziel gewesen waere, Dich spezifisch zu ueberzeugen. Wie Noumenon es ausdrueckte: das ist hier kein Nachhilfeforum. Das mag harsch klingen, aber muss man fehlende Physik- und Philosophiekenntnisse in einem spezifischen Argument nachliefern?

Ich meine das jetzt auch gar nicht abwertend, aber manchmal muss man fuer ein Verstaendnis etwas Arbeit reinstecken, die einem niemand abnehmen kann.
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#40
(20-07-2025, 22:37)Ekkard schrieb: Der beschriebenen Einschätzung der Konzepte Materie/Geist und vielleicht dem "Neuen" kann ich ohne Weiteres zustimmen. Obgleich ich denke, dass die Wirklichkeit schon längst im "neuen Sinn" verstanden wird. Vielleicht braucht "das Kind" einfach einen prägenden Namen?

Ja, so geht mir das hiermit. In der zugrundeliegenden Sache sind Noumenon, Du und ich uns ja eigentlich einig. Nur, ich habe kein Problem damit, dass meine phaenomenale Realitaet nicht die fundamentale Realitaet ist; praktisch aendert sich fuer mich ja nichts. Das mag auch an meiner monistischen Weltsicht liegen.
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#41
Richtig! Ein Name würde auch einfach nur zusammen tackern, was sich wie "relationale, prozesshafte oder strukturelle Zusammenhänge - etwa in Feldern, Informationen, Zuständen oder Systemdynamiken" anhört. Das Ganze geht ja noch weiter: Was sind wir denn anderes als Durchgangsstationen im großen Datenstrom unserer Welt? Es scheint einige Leute zutiefst zu kränken, dass sie mehr nicht sind. Der Traum vom sinnstiftenden höheren Wesen ist eines der Rinnsale im "großen Datenstrom".
.
Mit freundlichen Grüßen
Ekkard
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#42
(20-07-2025, 21:47)Ulan schrieb: Ja, dann wuerde ich so etwas aber anders sagen. Materie ist immer noch fest, auch wenn das nur eine emergente Eigenschaft ist. Es ist immer noch "etwas Festes". In der makroskopischen Welt bleibt es das auch, solange der Temperaturbereich stimmt.

Nur weil etwas emergent ist, ist es fuer mich nicht weniger real, auch als phaenomenale Realitaet. Auch wenn das jetzt wie eine Tautologie klingen mag.
Sicher, so wie bspw. Wasser flüssig ist, ganz objektiv, da sind wir uns einig.
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#43
Ich finde es schon witzig, dass sprachliche Erklaerungsversuche von physikalischen Phaenomenen bei mir oft das Gegenteil von dem bewirken, was sie eigentlich bewirken sollen. Das war schon beim Welle-Teilchen-Dualismus so, wo mir die sprachlichen Bilder, die zur Erklaerung benutzt werden, das Verstaendnis solange erschwerten, bis ich mich endlich von diesen Bildern loeste und die Grundlagen betrachtete. Aehnlich ist das wohl auch hier, auch wenn ich jetzt kein Verstaendnisproblem habe. "Fest" ist doch sowieso eine phaenomenologische Feststellung; es ist ja sogar ein Adjektiv, beschreibt also eine Eigenschaft oder einen Zustand. Vielleicht liegt mein sprachlicher Stolperstein hier einfach daran, dass ich "fest" sowieso als emergent gesehen habe, selbst bei einem atomistischen, teilchenbasierten Materiebegriff, denn auch da war mir das Atom immer als "hauptsaechlich leer" beschrieben im Kopf. Mir fehlte also anscheinend grundsaetzlich das Bild, gegen das argumentiert wird.

Aber das nur am Rande.
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#44
(19-07-2025, 19:17)Geobacter schrieb:
(19-07-2025, 17:31)Reklov schrieb: ... anstatt beim Thema "Ästhetik" von evolutionärem Nutzen zu reden, wäre es weitaus lehrreicher, wenn eine jede Person mal versucht, selber etwas Ästhetisches zu erschaffen! 

Warum  bloß, habe ich immer dieses unästhetische  Gefühl, dass bei dir etwas im Kopf nicht ganz stimmt..

... deine diesbezüglichen Gefühle, kann dir ein Neurologe oder ein Psychiater sicher fachlich fundiert beantworten.
Musst' halt nur mal den Mut haben und dich zur Untersuchung anmelden.   Icon_razz

Gruß von Reklov
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#45
(20-07-2025, 23:16)Ekkard schrieb: Richtig! Ein Name würde auch einfach nur zusammen tackern, was sich  wie "relationale, prozesshafte oder strukturelle Zusammenhänge - etwa in Feldern, Informationen, Zuständen oder Systemdynamiken" anhört. Das Ganze geht ja noch weiter: Was sind wir denn anderes als Durchgangsstationen im großen Datenstrom unserer Welt? Es scheint einige Leute zutiefst zu kränken, dass sie mehr nicht sind. Der Traum vom sinnstiftenden höheren Wesen ist eines der Rinnsale im "großen Datenstrom".

@ Ekkard,

... alle vorübergehenden "Erscheinungen" sind eine Art Durchgangsstation! Die ungelöste Frage ist nur, ähnlich wie auf einem Bahnhof, ob (und wohin) die "Zwischenstation", auf der wir ja nur mit gepackten Koffern sitzen, für uns eine weitere "Reise" auf einem Datenstrom ermöglichen könnte?

Sinn stiftend kann das irdische Dasein eh nur begrenzt sein, denn alles individuelle Leben ist nur kurzzeitig! Und wer vom Datenstrom spricht, sollte auch bedenken, wer od. was denn diesen in Gang gesetzt haben könnte?

Aus meiner Sicht, sind wir mehr, als nur ein Datenstrom, - genauso wenig, wie wir nur ein Blutkreislauf sind, obwohl er, zumindest für unsere biologische Form, lebensnotwendig ist!

Verehrter Ekkard, da hat sich deine Weltsicht wohl in einem Rinnsal menschlicher Deutungsweisen gesammelt. Dass aber nun keiner genau sagen kann, wohin dieses langsame Fließwasser hinläuft, ist ja die große Tragik, welche viele Menschen seit jeher nicht nur "kränkt", sondern "krank" macht!

Apropos "kränken/gekränkt sein": 
Über C. G. Jung konnte ich mal lesen, dass er der Meinung war, er könne keine Person wirklich "heilen", die spirituell nicht offen ist. Jung erkannte die Bedeutung von psychischen und spirituellen Problemen, aber seine Praxis umfasste auch konkrete psychologische Methoden. Spiritualität war also nicht die einzige Voraussetzung, sondern nur ein wichtiger Aspekt bei seiner Arbeit.

Gruß von Reklov
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