(03-01-2010, 19:37)Joe schrieb: ich dachte bis vor einiger zeit das die entstehungsgeschichte der bibel weit komplizierter war als das des korans.Das Problem ist, dass wir wenig über die Entstehung des Qor'ans wissen.
Als nach der Revolution des Abu Muslim die Abbassiden an die Macht kamen, haben sie als Staatsdoktrin verbreitet, dass ihre Form des Islams die richtige sei und der Islam, den die vor ihnen regierenden Umayyaden praktiziert hatten, eine gottlose Abweichung von der ursprünglichen Gestalt sei. Die gesamte Geschichte des frühen Islams, wie sie in Geschichtsbüchern steht, stammt aus dieser Darstellung, zeitgenössische Quellen geben die nicht her. Da notiert ein Chronist, dass mit den Umayyaden auch gleich viele Christen umgebracht wurden, weil die Christen dem Herrscherhaus nahe standen, da bringt ein Pilger aus dem heiligen Land die Geschichte zurück, wie Kalif Mauias (offensichtlich Mu'awiya I. oder II.) eine Reliquie von Johannes dem Täufer verbrannte, und in der theologischen Begründung dazu von Christus sprach, der für die ganze Welt gelitten hat, die Araber werden nie als Muslime bezeichnet, sondern als Ismaeliten oder so ähnlich, die "vier rechtgeleiteten Kalife" haben anscheinend auch keine Spuren in der Geschichte hinterlassen ...
Immerhin: die von einige Forschern vorgebrachte These, dass Muhammad nie gelebt hat, ist wohl übertrieben. Bei Sebeos (Kap. 30, rbedrosian.com/seb9.htm) wird er erwähnt: er predigte in der Wüste von Tachkastan (wo immer das lag), vereinigte Ismaeliten und Juden als seine Anhänger, und versprach ihnen Palästina, auf das sie als Söhne Abrahams Anspruch hatten, worauf es zum Angriff der Araber kam ... theologisch hat er außer Monotheismus noch das Verbot verkündet, Aas zu verzehren oder Wein zu trinken, und auch Lüge und Ehebruch verboten. Vom Verbot des Schweinefleischs scheint Sebeos genauso wenig gehört zu haben wie vom Qor'an.
Umgekehrt ist es ja fast genauso: im Qor'an kommt das Wort "Muhammad" selten vor, und meist kann es problemlos als Adjektiv "der gepriesene" verstanden werden und nicht als Eigenname. Die christlichen Apologeten und Kirchenväter, die sonst alle möglichen Irrlehren verurteilten, haben bis zur Revolution des Abu Muslim (oder bis kurz zuvor) auch so gut wie nichts gegen die Lehren des Qor'ans gesagt, die waren anscheinend sogar in den von Arabern beherrschten Ländern kaum bekannt. Und ein Umayyadischer Gouverneur, der in der Revolution des Abu Muslim umkam, soll gesagt haben: ich habe noch nie einen Menschen mit Verstand getroffen, der den Qor'an auswendig gelernt hat.
Tja, wie es kam, dass der Qor'an zur heiligen Schrift der Muslime wurde, ist nicht ganz klar, und ob er ursprünglich überhaupt mit Muhammad in Verbindung gebracht wurde, ist auch eine offene Frage. Natürlich nicht für die, die der Darstellung der Abassidenkalife folgen

Was durch Handschriftenfunde geklärt werden konnte: die Bismillah war kein ursprünglicher Teil des Qor'ans. Zunächst wurden die Suren durch Trennlinien oder auch kompliziertere Ornamente getrennt, später wurde dann die Bismillah ans Ende der alten oder vor den Anfang der neuen Sure gesetzt, und die zweite Möglichkeit hat sich durchgesetzt. Allerdings sind diese Funde (in ein Haus in Sana'a eingemauerte Fragmente, die beim Einsturz des Hauses zu Tage kamen) nicht geeignet, die Frage zu klären, ob der Qor'an immer den gleichen Umfang hatte wie heute: dazu müsste ein vollständiges Exemplar gefunden werden.
Wie sich eine so unsichere Geschichte mit der Kanonbildung des NTs verglichen lassen soll, ist mir unklar. Da ist immerhin das grobe Bild bekannt, allerdings auch nicht alles geklärt: ob die Paulusbriefe und die vier Evangelien schon vor 100 in jeweils einem Band vereinigt wurden, oder erst kurz danach, ist unklar; wie es dazu kam, dass sie als heilige Schrift anerkannt wurden, ist im Dunkel der Frühzeit verborgen (die Reaktion auf Markion zeigt, dass dies um 150 schon ziemlicher Konsens war), und warum es nie einen formalen Konzilsbeschluss gab (d.h. im Konzil von Trient 1546++ gab es dann doch noch einen ;) ), sondern sich der Kanon fast als Gewohnheitsrecht durchsetzte: das und andere Details sind unbekannt. Wobei es sicher Details gibt, die Experten herausgefunden haben aber ich nicht kenne. Das Hin und Her in der Diskussion über den zweiten Johannesbrief, die Offenbarungen des Johannes und Petrus, dem Barnabas- oder dem Hebräerbrief, oder dem Hirten des Hermas etc. kann ich jedenfalls garantiert nicht fehlerfrei wiedergeben, ich fands auch nicht allzu spannend.
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Toleranz: "was du sagst ist falsch, aber du hast das Recht, es zu sagen"
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