(15-03-2012, 13:40)helmut schrieb: Für Historiker ist es übrigens Routine, Quellen, die sich scheinbar widersprechen, so zu interpretieren, dass ein konsistentes Bild zustande kommt.
Das so vereinfacht zu behaupten, ist Unfug.
Es ist nicht Aufgabe des Historikers, widerspruchsfreie Bilder zu konstruieren, wenn die Quellen das nicht hergeben.
Im Gegenteil:
Ein verantwortungsbewusster Historiker immer auch anmerken, worin die Schwächen vorgetragener Thesen und Hypothesen bestehen und wo man mangels eindeutiger Befunde spekulative Aussagen macht.
Was Du Dir unter Quellenkritik vorstellst, hast Du ja in einigen Deiner Beiträge anschaulich kundgetan. Wenn Du die Technik der Analyse von Quellen diskutieren willst, können wir dazu ein Thema eröffnen.
Allerdings:
Wenn ich versuche, Fragen zur Klärung auszugliedern, kommt dazu von Dir in der Regel nichts mehr.
Bei Quellen, die einander nur scheinbar widersprechen, wird man die scheinbaren Widersprüche aufklären können. Allerdings widersprechen einander biblische Texte in wesentlichen Dingen nicht scheinbar, sondern offensichtlich.
Evangelikale neigen einerseits dazu, manche Quellen (beispielsweise die Gallio-Inschrift) zu überinterpretieren, andererseits aber jene Dinge, die ihnen nicht ins Konzept passen, entweder gänzlich zu ignorieren oder zumindest kleinzureden.
Beispiele:
1.
Die Gallio-Inschrift, die Du als Beweis für die Authentizität der Apg bemüht hast, sagt nüchtern gesehen nur aus, dass ein Mann namens „Gallio“ (Senecas Bruder) Statthalter der Provinz Achaia gewesen war und der Verfasser der Apg das gewusst hat.
Wenn man, wie es überwiegend angenommen wird, das Zusammentreffen des Statthalters mit Paulus für historisch hält, ist die Gallio-Inschrift ein wichtiges Zeugnis für die Datierung des Aufenthalts des Paulus in Korinth (wahrscheinlich 51, ev. auch 52 nC). Nicht mehr und nicht weniger!
2.
Vergleich die Berichte zum Antiochenischen Streit (Gal 2,11ff. – Apg 11,2f.) und zum Ergebnis des Apostelkonzils (Gal 2,6 – Apg 15,20). Von der Schärfe der Auseinandersetzung ist in der Apg nicht zu lesen. Von den Vorgaben für die Heidenchristen nach Apg weiß Paulus nichts.
3.
Du datierst den Galaterbrief, wenn ich mich richtig erinnere, in das Jahr 48 nC, stellst das als gesichertes Faktum hin und baust darauf Deine Argumente.
Diese Datierung kenne ich von Colin J. Hemer (The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, Tübingen 1989). Hemer meint, Gal wäre um diese Zeit am Orontes verfasst worden. Auf die Frage, warum sich Paulus in dieser Phase seines Wirkens nicht selbst nach Galatien aufgemacht hat, um die offensichtlich gravierenden Probleme zu lösen, bleibt Hemer die Antwort schuldig.
Die Frühdatierung des Galaterbriefs ist unter Theologen und Kirchenhistorikern eine Minderheitenmeinung. Damit ist selbst ein notorischer Frühdatierer wie Klaus Berger (der den Galaterbrief, wie die meisten anderen Fachgelehrten auch, mit 56 nC datiert) nicht einverstanden.
Noch eine Bitte:
Diskutieren wir ein Ding aus, bevor wir innerhalb des Threads ein zweites, drittes, viertes, usw. anreißen.
MfG B.