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'Du sollst dir kein Bildnis machen'. Über Bilder und Worte.
#15
Ich habe den Eindruck, die momentane Diskussion hier in diesem Thread läuft in eine Sackgasse! Von der Frage der Bilder hat sie sich entfernt. Aber es muss ja eine Bedeutung haben, wenn Religionen, zb. der Islam, alle Gottesbilder ausdrücklich verbieten. Davon abgesehen: leben wir nicht gerade jetzt, in heutiger Zeit, noch viel stärker in einer Bilderwelt als jemals zuvor? Wir werden mit Werbebildern, Videos, Filmen, PC-Spielen usw. regelrecht zugeschüttet. Da kann man zwar über Jesus und über Bibelstellen philosophieren, aber ist es nicht manchmal wie in einem Wartesaal auf einem Bahnhof ohne Züge?

Als Kunsthistoriker bin ich bild-, medien- und lärmempfindlich. In der heutigen Zeit wird in den Medien immer mehr `gebrüllt', akustisch und optisch. Leider nicht nur dort, auch fast in jedem Kinderzimmer. Heute hörte ich anläßlich der Gamescom in Köln ein apologetisches Interview bei WDR 5 mit einem Professor für 'Neue Medien', der allen Ernstes behauptete, ständige PC-Spiele von Kinder und Jugendlichen förderten die soziale Kompetenz und die intellektuellen Fähigkeiten. Zwar wären über 50% der PC-Spiele Gewaltspiele, aber früher hätte es ja 'Cowboy und Indianer' gegeben. Es werden inzwischen Milliarden mit Gewaltspielen umgesetzt (es gibt auch andere). Der Gehirnforscher Spitzner warnt vor den Folgen der neuen, interaktiven Welten der Bilder, denn das sind ja alle PC-Spiele: neue Bilderwelten. Er meint, sie führen zur Demenz.

Was hat das mit dem Wort 'du sollst dir kein Bildnis machen' zu tun? Es hat viel damit zu tun! Denn dieses Wort hat als Nebenbedeutung: 'du sollst dir auch kein Bildnis machen lassen'. Kein Bildnis Gottes und der Welt, daher auch kein Bildnis des Menschen in seinem Tun, denke ich. Der Grundgedanke scheint mir überzeugend: Bilder sind oft Verführer. Und der Mensch neigt zur Anschauung, nicht zur Idee.

Hinter jedem 'Brüllen' von Bild und Ton steckt ein Interesse. Oft ist es finanziell. Der 'olle Marx' schrieb sinngemäß: 'wenn eine Idee auf ein Interesse stößt, ist es immer die Idee, die sich blamiert'. Mit anderen Worten: Interessen setzen sich durch. Ideen gibt es viele. Nehmen wir folgenden Gedanken: 'Am Anfang war das Wort'. Wenn es so geblieben wäre! Denn kaum war das gesprochen, flüsterten die Interessen sich zu: 'Am Anfang war das Bild'. Wie bei jedem Verkaufsgespräch, bei dem Erzeugen von Bildern. Bilder erzeugen Begehren. Worte sind dann nur die Brücken zu Wünschen, die durch Bildern erst geschaffen wurden.

Bilder sind Teile unserer Kultur. Aber welche Rolle spielen sie? Die 'Kultur' der PC-Spiele, meist Gewaltspiele, ist eine optische 'Kultur'. Gewaltfilme, Krimis, Kriegsfilme, Videos der Massenkultur haben ebenso ein Thema wie diese Spiele: meist das Töten von Menschen. Man muß es nur, je nach aktueller Situation, richtig darstellen, um das gute Töten immer vom bösen Töten unterscheiden. Das wechselt von 'Jud Süss' zu 'Inglorious Basterds'. Beides waren Publikumserfolge in Deutschland. In heutiger Zeit ist das Bild aber noch viel mehr. Wir leben in einer Art Zeitenwende, seit einigen Jahren.

Bilder wurden Teil eigener Selbstdarstellung in 'sozialen Netzwerken'. Und ein riesiger Konzern gibt seitdem der 'Neuen Zeit' ihr Gesicht. Er nennt sich daher 'Das Buch des Gesichts'. Aber was ist das Gesicht? Ein Foto? Ein Foto mit dem Text: 'das bin ich'? Mit 500 Freunden, die dann auf 'gefällt mir' klicken? Mit Nachrichten wie: 'bin gerade aufgewacht'? Oder sind das nur Abbilder der Oberfläche, zwar unsterblich als Datei, aber sterblich als Mensch, der es eventuell wirklich glaubt, 500 Freunde zu haben? Gefangene Fische im Netz sehen das Netz meistens nicht, vielleicht auch nicht das 'soziale Netz', das gar nicht sozial ist.

Vielleicht strapaziere ich die Leser und Leserinnen, aber jedes Bild ist, auch wenn wir es nicht merken, eine Übersetzung! Jedes Spiegelbild ist seitenverkehrt. Auch die 'Kultur', sich selbst zu spiegeln, wie wir sie von Facebook kennen, ist seitenverkehrt. Denn sie verwechselt die Reihenfolge von Wort und Bild. 'Erst war das Wort', das bedeutet, dass es für jedes Bild immer erst eine Absicht gegeben hat. Rembrandt malte und zeichnete in großer Zahl Selbstporträts, Schritt für Schritt mit den Spuren des vergehenden Lebens. Die Sterblichkeit ist Teil des Seins und das Bild ist Teil der Erscheinung. In heutiger Zeit, die hektisch und brüllend in ihren Botschaften wird, vergeht Lebenszeit leider nur noch heimlich und leise. Laden wir unsere lieben Freunde von Facebook zu einer Beerdigung ein? Nein? Trotz so vieler Bilder von ihnen und uns?

Ich will kein Bilderverbot, sondern ein Bilderbewußtsein. Es gibt hervorragende Bilder, aber auch entlarvende Bilder, wie das Bild von Kyrill I. mit seiner Golduhr im Kreml, zwar wegretouschiert, aber noch in der Spiegelung auf dem Tisch erkennbar. Der Spiegel ist Zeichen der Vanitas, zb. in dem Roman von Oskar Wilde ('Das Bildnis von Dorian Grey'). Vanitas war damals die Welt vor den Spiegeln, heute ist sie die Welt vor dem PC-Bildschirm, zb. beim Erstellen und Verwalten des eigenen Facebook-Profils. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis? Die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen? Es sind andere Oberflächen!
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RE: 'Du sollst dir kein Bildnis machen'. Über Bilder und Worte. - von Robert1111 - 16-08-2012, 18:20

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