18-01-2013, 21:50
(18-01-2013, 17:18)Syrius schrieb:(17-01-2013, 19:32)Syrius schrieb: Wie würdest Du denn das Leid durch Geburtschaden oder Kinderlähmung oder so bezeichnen?(17-01-2013, 20:25)Lelinda schrieb: Als besonders unglücklichen Zufall
Unglücklicher Zufall! und mich bezichtigst Du des Zynismus - ist ja schon unglaublich!
Warum regst du dich auf einmal so auf?
Du kannst solche Tatsachen anscheinend besser ertragen, wenn du einen Sinn darin erkennen kannst (und sei es, dass die Ursache in einem früheren Leben des Betroffenen liegen muss, weil in diesem Leben niemand dafür verantwortlich gemacht werden kann). Dieser Sinn ist (falls ich dich nicht missverstanden habe) eine moralische Begründung, warum Gott den Betroffenen mit diesem Schicksal belegt hat.
Ich dagegen kann solche Dinge besser ertragen, wenn ich mich nicht zwingen muss, mir irgendeine moralische Begründung für schreckliches Leiden ausdenken zu müssen, sondern wenn ich mir sagen kann, dass niemand daran Schuld hat, sondern es einfach zufällig so passiert ist – und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln behandelt werden darf.
Übrigens scheint Jesus Glück und Pech nicht als direkte Zumessung Gottes aufgrund des Charakters oder Lebenswandels des Betroffenen (also als Belohnung, Strafe, Läuterung, zur Besserung oder wie auch immer) angesehen zu haben. Er stimmte nicht nur den Jüngern, die meinten, der Blinde könnte blind sein, weil er in einem anderen Leben gesündigt hätte, nicht zu, sondern sagte auch mehrmals, dass Glück und Unglück nichts mit dem (individuellen) sittlichen Verhalten des Betroffenen zu tun haben. Ich kann dir entsprechende Stellen heraussuchen, wenn du möchtest.
(18-01-2013, 17:18)Syrius schrieb: Du meinst ob Du wie Albert Schweizer Dich für Deine Mitmenschen aufopferst, oder in jungen Jahren als Drogensüchtiger Dich verabschiedest oder gar der Chefarzt im KZ, oder der als Krüppel geborene, der nur Schmerzen hatte - das alles fällt ab und bleibt ohne Konsequenzen?
Halte ich tatsächlich für denkbar, ja. Ich halte „Gott“ (wie ich ihn verstehe) für so gütig, dass er fähig und willens sein könnte, das Böse in Charakter und Erinnerungen nach dem Tod verschwinden zu lassen, so dass nur noch Positives übrig bleibt. Ohne den Zwang zu einem weiteren Leben, um irgendwelche Verfehlungen zu büßen. Und auch ohne als Vertreter eines übergeordneten Gesetzes zu fungieren, der dann die (zu Lebzeiten sicher vorhandenen) Rachewünsche der Opfer des Betroffenen erfüllt.
Ich glaube auch nicht, dass nach dem Tod noch irgendwelche Rache-Gefühle bleiben. Die meisten negativen Gefühle des Menschen, z.B. Angst, gibt es, weil er im Leben oft irgendwelchen Gefahren (zum Beispiel einem Raubtier) ausgesetzt ist. Solche Gefahren sind nach dem Tod nicht mehr vorhanden; also werden auch die damit verbundenen Gefühle (wie die Angst, von einem Raubtier gefressen zu werden) nicht mehr benötigt. Du wirst ja auch keinen Hunger mehr haben; schließlich brauchen Verstorbene kein Essen mehr. So werden sich Gefühle, die nicht mehr gebraucht werden, nach und nach im Nichts verabschieden. Positive Gefühle (wie Zuneigung) könnten dagegen bestehen bleiben, denn sie sind immer noch nützlich, wenn man von einer Art Gemeinschaft im Jenseits ausgeht.
Natürlich ist es denkbar, dass nach dieser Neu-Orientierung von der Seele eines Albert Schweizer mehr übrigbleibt als von der eines KZ-Arztes, da ersterer sicher mehr Positives in sich aufgebaut hat – zum Beispiel durch das Glück, jemandem geholfen zu haben, der ohne seine Hilfe gestorben wäre. Ich sage keineswegs, dass der Lebenswandel ohne Bedeutung wäre.
(18-01-2013, 17:18)Syrius schrieb: Mit anderen Worten: ob ich mich an die Gebote Gottes halte und mich in Nächstenliebe übe ist völlig bedeutungslos.
Nein. Es mag im Jenseits keine oder zumindest keine große Rolle mehr spielen. Aber auf Erden ist es doch auf keinen Fall bedeutungslos! Wenn du zum Beispiel deinen Nachbarn erschlagen würdest, weil du ihn sowieso nicht leiden kannst und dir Gesetze und Gebote egal sind, dann sorgst du für Leid und Kummer bei seiner Familie. Du sollst dich gut verhalten, damit sich auch andere gut fühlen und nicht durch deine Schuld leiden müssen.
Reicht es denn nicht, sich anständig zu verhalten, damit niemand anderer durch das eigene Verhalten leiden muss? Braucht es denn unbedingt göttlicher Befehle? Offenbar ja, denn sonst gäbe es sie ja nicht.

