24-01-2014, 14:43
(24-01-2014, 09:39)Keksdose schrieb: In der Glaubenspraxis kostet das vermutlich einige Mühe, ständig anzuerkennen, dass meine Religion auf Vertrauen (man könnte streng sein und sagen: "Spekulation") und nicht auf Tatsachenwissen beruht.Vertrauen finde ich persönlich meistens gar nicht weiter anstrengend. Manchmal allerdings dann eben doch. Wie eben jede gute Beziehung ihre Höhen und Tiefen hat. Umgekehrt hilft Tatsachenwissen auch nicht immer unbedingt weiter. Wenn ich z.B. an einer tödlichen Krankheit leide und weiß, was auf mich zukommt, kann mir das helfen, den Rest meines Lebens möglichst sinnvoll zu gestalten. Aber es ist eben nicht das Tatsachenwissen, das diese Zeit wertvoll macht, sondern die Art und Weise, wie ich damit umgehe. Und wer einen Marathon läuft und bei km 35 am liebsten sterben möchte, hat zwar das Tatsachenwissen, daß es nur noch 7 km sind, aber das hilft in diesem Augenblick auch nicht unbedingt aus der Verzweiflung heraus.
(24-01-2014, 10:00)Keksdose schrieb: wenn ich die zwei konstruierten Haltungen eines Gläubigen und eines Agnostizisten plakativ nebeneinanderstelle ("Ich weiß, dass es Gott gibt" vs. "Ich weiß nicht, ob es Gott gibt") impliziert meiner Meinung nach die Haltung des Gläubigen eher als die des Agnostizisten, die Wahrheit gepachtet zu haben.Kommt drauf an. Bisher sagen beide in Deinem Beispiel ja einfach nur "ich". Natürlich gibt es Leute, die "ich!" sagen und "Hände hoch, das ist ein Überfall!" meinen. Aber unterstellen wir einfach mal, beide äußern sich rein subjektiv und ohne Bekehrungsabsichten. Dann sagt weder der Gläubige "ich weiß, weil man einsehen muß, daß es so ist", noch sagt der Agnostiker "ich weiß nicht, weil man nicht wissen kann", d.h. keiner von beiden unterstellt, der andere gehe mit seiner Position zu weit oder nicht weit genug.
In etwas älteren Bibelübersetzungen gibt es häufig noch Wendungen wie "ich bin gewiß". So redet heute kein Mensch mehr, und deshalb steht an diesen Stellen heute i.d.R. "ich weiß". Mir gefällt die erstere Formulierung besser, gerade weil sie bewußt keine Objektivität beansprucht.
Noch ein Beispiel: Hiob 19,25 beginnt mit den Worten "ich weiß, daß mein Erlöser lebt". Im Hebräischen steht da "wa-anî jâda'ti go'eli haj". "Jâda'ti" finde ich mit "ich weiß" etwas unglücklich übersetzt. Erstmal steht es im Original der Form nach im Perfekt. Das klingt für mich schon mal viel dynamischer als das Präsens. Nicht der Zustand wird beschrieben, sondern eine Handlung als Ausgangspunkt einer weiteren Entwicklung. Außerdem hat das Verb eine sehr große Bandbreite von Bedeutungen: bemerken, erkennen, kennenlernen, kennen, verstehen - und unter ferner liefen dann eben auch wissen. Da finden sich also diverse Wortbedeutungen, die es ermöglichen, die Gotteserkenntnis nicht als objektives Wissen zu verbuchen, das man irgendwo abheftet, sondern als echtes Erlebnis, das einen immer wieder trifft, dem Leben eine Richtung gibt und zugleich so persönlich ist, daß man daraus nicht schließen darf, so und nicht anders habe man mit Gott umzugehen oder über ihn zu denken.
Zitat:Ich sehe keine Möglichkeit, Demut aus Gottesglauben zu schöpfen, außer durch das Gehorchen eines Demutsgebots. Vielleicht liegt das an meiner Sicht darauf, wie Demut idealerweise sein müsste. Ich kann das nur aus der Tatsache schöpfen, dass ich als Individuum für das Universum unbedeutend bin, sogar für diesen Planeten, sogar für dieses Land und recht wahrscheinlich auch für diese Stadt.
Jaja, Demut ist schon was Feines. Sie nimmt einem den Druck, sich etwas auf sich einbilden zu müssen (wofür ja wiederum nur knallharte Leistung in allen Lebensbereichen eine adäquate Berechtigung liefert). Und so macht sie es manchmal sogar möglich, einigermaßen streßfrei Verantwortung für sein Leben und seine Mitwelt zu übernehmen. Mehr kann man gar nicht erwarten. In Wirklichkeit ist es ja, wie Du sagst: Für das Universum und selbst für etliche kleinere Entitäten sind wir ziemlich unbedeutend. Allerdings können wir uns darauf auch nicht rausreden, denn wissen wir ja nicht, wo genau unsere Bedeutsamkeit aufhört. Deshalb hat es immer Sinn, sich für das verantwortlich zu fühlen und zu engagieren, was uns wichtig und erhaltenswert erscheint.
Zitat:Tue ich. Fast immer. Schreckliche Eigenschaft.Wieso schrecklich? Die meisten Idealbilder sind doch nichts anderes als Möglichkeiten der Wirklichkeit. Wie also soll sich die Wirklichkeit ohne Idealbilder ändern können?
Zitat:Solltest du dich kritisiert gefühlt haben, bitte ich um Entschuldigung.Nun bin ich ja nicht über jede Kritik erhaben. Solltest Du mir also plausibel erklären können, wieso da jetzt eine Entschuldigung erforderlich sein soll, lasse ich mich vielleicht sogar dazu herbei, sie zu akzeptieren.
