05-02-2014, 17:31
Vielleicht mal ein paar allgemeine Gedanken zu diversen hier angesprochenen Aspekten:
1. "Metapher vs. wahre Begebenheit" ist aus mehreren Gründen eine irreführende Alternative:
Eine Metapher ist eine rhetorische Figur und besagt, daß eine bestimmte Phrase in einem übertragenen Sinn zu verstehen ist. Darum geht es hier aber nicht, sondern darum, welche Art von Wahrheit die biblischen Texte enthalten - oder eben nicht.
Die Frage erfaßt zudem ausschließlich narrative Texte, alles andere wird ausgeblendet. Wie soll man denn z.B. ein Psalmgebet, einen Gesetzestext, ein Liebesgedicht oder ein Gleichnis in eine dieser beiden Schubladen einsortieren?
Außerdem scheint die Frage zu suggerieren, daß narrative Texte nur dann irgendeine Wahrheit bzw. einen Sinn enthalten, wenn ihnen nachweislich historische Ereignisse zugrundeliegen. Damit wird möglicherweise eine Textaussage präjudiziert, die der Text gar nicht bieten will. Wer sagt denn, daß z.B. die Schöpfungsberichte darüber aufklären wollen, wie die Welt entstanden ist? Es wird also ohne weitere Nachfrage und Überlegung ein Sinn in die Texte hineingelesen, und damit wird man ihnen selbstverständlich nicht gerecht.
2. Widersprüche in oder zwischen einzelnen Texten wurden hier wiederholt als Beleg dafür gewertet, daß diese Texte nicht "wahr" sein können und somit sinnlos oder gar schädlich für diejenigen sind, die sich auf sie verlassen.
Da wir auch nicht intelligenter sind als die Menschen, die diese Texte so zusammengestellt haben, wie wir sie heute vorfinden, müssen wir damit rechnen, daß ihnen diese Widersprüche schon damals aufgefallen sind. Ich zumindest kann mir nur schwer vorstellen, daß die z.B. ziemlich evidenten sachlichen Diskrepanzen Leuten durch die Lappen gegangen sein sollten, die in der damaligen Gesellschaft immerhin des Lesens und Schreibens mächtig waren, d.h. Angehörigen der Bildungselite.
Um so dringender müßten wir also fragen, weshalb sie diese sachlichen Differenzen einfach stehen ließen, anstatt sie zu glätten. Ursachen können etwa sein, daß man die gemeinsame Wahrheit der Texte auf einer Ebene verortete, auf der diese Widersprüche aufgehoben sind, oder daß dieses dialektische Spannungsverhältnis vielleicht sogar als anregend empfunden wurde. Mit anderen Worten: Zumindest die Redaktoren, möglicherweise sogar schon die Tradenten vor ihnen, scheinen - im Gegensatz zu manchen Kritikern - keine Freunde allzu einfacher Wahrheiten gewesen zu sein.
Im Verlauf der Kirchengeschichte wurden z.B. diverse Evangelienharmonien verfaßt. Die bekannteste ist das Diatessaron des Tatian. Diese Projekte haben sich samt und sonders nicht durchgesetzt. Die Gründe dafür sind unterschiedlich; jedenfalls lag es nicht daran, daß die Kirche der Tradition verhaftet war, die eben einfach nur eine Diversität von Evangelien kannte. Im Fall des Tatian war sein Text sogar mehrere Jahrhunderte lang in Edessa in Gebrauch. Als aber Tatian in den Ruch des Häretikers kam, wollte kein Mensch seine Texte noch mit der Kneifzange anfassen.
Historisch-kritische Exegese hat längst gezeigt, daß die Texte sich nicht auf nur eine Art von Wahrheit festlegen lassen. Sie haben für ihre Leser sehr verschiedene Funktionen ("Sitze im Leben"). Damit tritt die Frage nach der Historizität meist in den Hintergrund, und auch die Etikettierung als Metapher greift zu kurz, um all diese unterschiedlichen kommunikativen Funktionen zu erfassen.
3. Die Evangelien oder einzelne unter ihnen können wohl kaum als Versuche betrachtet werden, gesamtkirchliche Standardbiographien Jesu zu schaffen, die alles andere ersetzen. So etwas wäre denn doch ein zu kühnes Unterfangen gewesen. Selbst dem Verfasser des lukanischen Doppelwerks (der immerhin mit dem Anspruch auftritt, die Ereignisse nach so viel mehr oder weniger stümperhaften Versuchen jetzt endlich mal ordentlich und verläßlich wiederzugeben!), muß klar gewesen sein, daß er es nicht zum kirchlichen Normalhistoriker bringen würde. Schließlich mußten für jede Kopie seines Werks gleich dutzende von Schafen oder Ziegen dran glauben, um das nötige Schreibmaterial herzustellen. Ganz zu schweigen davon, daß schriftkundige Leute das alles abschreiben müssen und derweil nicht für andere Arbeiten zur Verfügung stehen. Der Versuch einer Standardisierung der Evangeliumsüberlieferung dürfte also die wirtschaftlichen Mittel der jungen Kirche deutlich überstiegen haben.
4. Der Begriff "Gottes Wort" impliziert nicht zwingend, daß Gott auch der Autor der Texte sein muß. Die Bücher, die ich besitze, habe ich ja auch nicht selber geschrieben. Einige von ihnen enthalten Geleitworte von Leuten, die ebenfalls nicht die Autoren sind. Z.B. ein Buch über C.G. Jungs Psychologie von Jolande Jacobi. Das Geleitwort stammt von C.G. Jung. Er ist also zwar nicht der Autor, aber er hat es autorisiert, und daher hat es seine besondere Autorität.
Die Bibel dokumentiert eine lange Geschichte der Interaktion zwischen Gott und denen, die sich zu ihm in einem existentiellen Verhältnis sehen (ich will das nicht unbedingt alles als "Glaube" bezeichnen). Es finden sich unterschiedlichste Versuche, Gott gerecht zu werden, neben solchen, Gott für eigene Interessen zu instrumentalisieren - die ganze Bandbreite menschlicher Religiosität eben.
Für Christen ist das Erstaunlichste daran, daß Gott sich die daraus resultierende Widersprüchlichkeit der Texte anscheinend nicht nur klaglos gefallen läßt, sondern durch dieses oft mäßig komponierte Konvolut von Einzeltextchen wirken will. Häufig lesen sich einzelne Abschnitte ja so, wie ein kakophon singender Chor sich anhört. Als Leser versucht man mal mehr, mal weniger erfolgreich, sich stimmlich in diesen Gesang oder dieses wilde Durcheinandergerede einzubringen.
Positiv ausgedrückt: Man ist nie davor gefeit, Texte immer wieder neu oder überhaupt endlich mal für sich zu entdecken.
1. "Metapher vs. wahre Begebenheit" ist aus mehreren Gründen eine irreführende Alternative:
Eine Metapher ist eine rhetorische Figur und besagt, daß eine bestimmte Phrase in einem übertragenen Sinn zu verstehen ist. Darum geht es hier aber nicht, sondern darum, welche Art von Wahrheit die biblischen Texte enthalten - oder eben nicht.
Die Frage erfaßt zudem ausschließlich narrative Texte, alles andere wird ausgeblendet. Wie soll man denn z.B. ein Psalmgebet, einen Gesetzestext, ein Liebesgedicht oder ein Gleichnis in eine dieser beiden Schubladen einsortieren?
Außerdem scheint die Frage zu suggerieren, daß narrative Texte nur dann irgendeine Wahrheit bzw. einen Sinn enthalten, wenn ihnen nachweislich historische Ereignisse zugrundeliegen. Damit wird möglicherweise eine Textaussage präjudiziert, die der Text gar nicht bieten will. Wer sagt denn, daß z.B. die Schöpfungsberichte darüber aufklären wollen, wie die Welt entstanden ist? Es wird also ohne weitere Nachfrage und Überlegung ein Sinn in die Texte hineingelesen, und damit wird man ihnen selbstverständlich nicht gerecht.
2. Widersprüche in oder zwischen einzelnen Texten wurden hier wiederholt als Beleg dafür gewertet, daß diese Texte nicht "wahr" sein können und somit sinnlos oder gar schädlich für diejenigen sind, die sich auf sie verlassen.
Da wir auch nicht intelligenter sind als die Menschen, die diese Texte so zusammengestellt haben, wie wir sie heute vorfinden, müssen wir damit rechnen, daß ihnen diese Widersprüche schon damals aufgefallen sind. Ich zumindest kann mir nur schwer vorstellen, daß die z.B. ziemlich evidenten sachlichen Diskrepanzen Leuten durch die Lappen gegangen sein sollten, die in der damaligen Gesellschaft immerhin des Lesens und Schreibens mächtig waren, d.h. Angehörigen der Bildungselite.
Um so dringender müßten wir also fragen, weshalb sie diese sachlichen Differenzen einfach stehen ließen, anstatt sie zu glätten. Ursachen können etwa sein, daß man die gemeinsame Wahrheit der Texte auf einer Ebene verortete, auf der diese Widersprüche aufgehoben sind, oder daß dieses dialektische Spannungsverhältnis vielleicht sogar als anregend empfunden wurde. Mit anderen Worten: Zumindest die Redaktoren, möglicherweise sogar schon die Tradenten vor ihnen, scheinen - im Gegensatz zu manchen Kritikern - keine Freunde allzu einfacher Wahrheiten gewesen zu sein.
Im Verlauf der Kirchengeschichte wurden z.B. diverse Evangelienharmonien verfaßt. Die bekannteste ist das Diatessaron des Tatian. Diese Projekte haben sich samt und sonders nicht durchgesetzt. Die Gründe dafür sind unterschiedlich; jedenfalls lag es nicht daran, daß die Kirche der Tradition verhaftet war, die eben einfach nur eine Diversität von Evangelien kannte. Im Fall des Tatian war sein Text sogar mehrere Jahrhunderte lang in Edessa in Gebrauch. Als aber Tatian in den Ruch des Häretikers kam, wollte kein Mensch seine Texte noch mit der Kneifzange anfassen.
Historisch-kritische Exegese hat längst gezeigt, daß die Texte sich nicht auf nur eine Art von Wahrheit festlegen lassen. Sie haben für ihre Leser sehr verschiedene Funktionen ("Sitze im Leben"). Damit tritt die Frage nach der Historizität meist in den Hintergrund, und auch die Etikettierung als Metapher greift zu kurz, um all diese unterschiedlichen kommunikativen Funktionen zu erfassen.
3. Die Evangelien oder einzelne unter ihnen können wohl kaum als Versuche betrachtet werden, gesamtkirchliche Standardbiographien Jesu zu schaffen, die alles andere ersetzen. So etwas wäre denn doch ein zu kühnes Unterfangen gewesen. Selbst dem Verfasser des lukanischen Doppelwerks (der immerhin mit dem Anspruch auftritt, die Ereignisse nach so viel mehr oder weniger stümperhaften Versuchen jetzt endlich mal ordentlich und verläßlich wiederzugeben!), muß klar gewesen sein, daß er es nicht zum kirchlichen Normalhistoriker bringen würde. Schließlich mußten für jede Kopie seines Werks gleich dutzende von Schafen oder Ziegen dran glauben, um das nötige Schreibmaterial herzustellen. Ganz zu schweigen davon, daß schriftkundige Leute das alles abschreiben müssen und derweil nicht für andere Arbeiten zur Verfügung stehen. Der Versuch einer Standardisierung der Evangeliumsüberlieferung dürfte also die wirtschaftlichen Mittel der jungen Kirche deutlich überstiegen haben.
4. Der Begriff "Gottes Wort" impliziert nicht zwingend, daß Gott auch der Autor der Texte sein muß. Die Bücher, die ich besitze, habe ich ja auch nicht selber geschrieben. Einige von ihnen enthalten Geleitworte von Leuten, die ebenfalls nicht die Autoren sind. Z.B. ein Buch über C.G. Jungs Psychologie von Jolande Jacobi. Das Geleitwort stammt von C.G. Jung. Er ist also zwar nicht der Autor, aber er hat es autorisiert, und daher hat es seine besondere Autorität.
Die Bibel dokumentiert eine lange Geschichte der Interaktion zwischen Gott und denen, die sich zu ihm in einem existentiellen Verhältnis sehen (ich will das nicht unbedingt alles als "Glaube" bezeichnen). Es finden sich unterschiedlichste Versuche, Gott gerecht zu werden, neben solchen, Gott für eigene Interessen zu instrumentalisieren - die ganze Bandbreite menschlicher Religiosität eben.
Für Christen ist das Erstaunlichste daran, daß Gott sich die daraus resultierende Widersprüchlichkeit der Texte anscheinend nicht nur klaglos gefallen läßt, sondern durch dieses oft mäßig komponierte Konvolut von Einzeltextchen wirken will. Häufig lesen sich einzelne Abschnitte ja so, wie ein kakophon singender Chor sich anhört. Als Leser versucht man mal mehr, mal weniger erfolgreich, sich stimmlich in diesen Gesang oder dieses wilde Durcheinandergerede einzubringen.
Positiv ausgedrückt: Man ist nie davor gefeit, Texte immer wieder neu oder überhaupt endlich mal für sich zu entdecken.