Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Interpretation von Psalm 82
#8
Zu Vs. 7 und 8 wäre noch zu sagen, dass auch dort, nicht anders als beim Übergang von V. 5 zu 6, keine textinterne Evidenz für einen Sprecherwechsel vorliegt. Wer Jahwe also für den Sprecher von  2-4, 5 und 6-8 hält, kann gegen die in meinem vorigen Beitrag dargestellte alternative Deutung (Jahwe 4-6 und 5 / El 6-8) nicht einerseits einwenden, dass El als Sprecher nicht angezeigt wird, und andererseits behaupten, dass von 7 auf 8 ein (gleichfalls nicht angezeigter) Sprecherwechsel - angeblich von Jahwe zur petitionierenden Gemeinde - stattfindet.

Beide sich widersprechenden Interpretationen weisen also einen Mangel an Evidenz betr. Sprecherwechsel auf. Abgesehen davon  erscheint mir die Deutung ´Jahwe=Ankläger / El=Richter´ deutlich plausibler als die konventionelle Deutung ´Jahwe= Ankläger+Richter´, da diese, anders als erstere Deutung, mit Ungereimtheiten belastet ist (Jahwe stehend, Jahwe inmitten der Elohim, Jahwe beerbt sich selbst).

Was die Deutung von V. 8 als Petition betrifft, widerspricht dies auch dem Befund, dass Petitionen (gemeindliche Bitten an Jahwe um Beistand) ansonsten nur in Psalmen mit einer verzweifelten Grundstimmung erscheinen; eine solche Grundstimmung ist in Ps 82 aber nicht erkennbar, zumal die angeprangerten Missstände die Israeliten gar nicht betreffen, sondern die Völker der angeklagten Götter.

Beispiel für einen ´verzweifelten´ Klagepsalm incl. Petition:

(Ps 86)

1 Ein Gebet Davids. HERR, neige deine Ohren und erhöre mich; denn ich bin elend und arm. 2 Bewahre meine Seele; denn ich bin heilig. Hilf du, mein Gott, deinem Knechte, der sich verlässt auf dich. 3 HERR, sei mir gnädig; denn ich rufe täglich zu dir! 4 Erfreue die Seele deines Knechtes; denn nach dir, HERR, verlangt mich. 5 Denn du, HERR, bist gut und gnädig, von großer Güte allen, die dich anrufen. 6 Vernimm, HERR, mein Gebet und merke auf die Stimme meines Flehens. 7 In der Not rufe ich dich an; du wollest mich erhören.


(usw.)

Von daher dient Ps 82 meiner Ansicht nach dem Zweck, ätiologisch zu schildern, wie Jahwe, als die moralisch ´überlegene´ Alternative zu den ´verderbten´ Göttern des Polytheismus, zu seiner Allmacht gekommen ist, nämlich durch Übertragung der höchsten Macht des El auf ihn. Diese Übertragung geschieht ´freiwillig´: Jahwe stürzt El nicht vom Thron, sondern übernimmt dessen Amt wie ein rechtmäßiger Thronfolger. Zur Zielgruppe dieser Konstruktion gehörten vermutlich vor allem Israeliten, die noch mit dem kanaanitischen Polytheismus liebäugelten und denen die Alleinverehrung Jahwes schmackhaft gemacht werden sollte, indem diese als von El verfügt vorgegaukelt wird.


Zur Frage der 70 Erben in Dtn 32,8-9, der oft zitierten Parallelstelle von Ps 82:

Das Pantheon der ugaritischen Religion besteht aus mehreren Hundert Göttern, die sich auf 4 verschiedene Ebenen verteilen: (1) die beiden Hochgötter El und Aschera (ugaritisch: Athirat), (2) die 70 Kinder von El und Aschera (darunter Baal, Anat, Mot usw.), (3) der Leiter des göttlichen Haushalts, ein Gott namens Kothar wa-Hasis, sowie (4) die Angehörigen dieses Haushalts, die Hilfsgötter.

Die Zahl 70 findet sich bekanntlich in Dtn 32,8-9, wo der höchste Gott (´El Elyon´) 70 Erbteile an die gleiche Anzahl von ´Söhnen von El´ überträgt, wobei der Erbteil Israel dem Gott Jahwe zugewiesen wird. Umstritten ist hier, nicht anders als in Ps 82, die Deutung des El Elyon: Ist er Jahwe, der sich selbst sein Lieblingserbteil zuweist, oder ist er der ugaritische El, der seinem Sohn Jahwe Israel vermacht? Die masoretische Version ´Söhne von Israel´ anstelle von ´Söhne von El´ (ersichtlich aus der LXX and dem Qumran-Text 4QDeut) wird heute weitgehend als eine polytheismusverleugnende Textkorruption eingestuft.

Zur Zahl 70: Sie lässt sich aus der Auflistung der ´Völkertafel´ in Gen 10 errechnen. Auffällig ist die Willkür bei der Aufzählung der Nachkommenschaft. Von Japhets 7 Söhnen werden nur 2 Söhne als Erzeuger einer neuen Generation von 7 Söhnen genannt, was eine Nachkommenschaft Japhets von 14 Söhnen bzw. Enkeln ergibt, die zu den 30 Nachkommen von Ham und den 26 Nachkommen von Sem (darunter ein Vorfahre von Abraham) hinzuaddiert die Zahl 70 ergibt. Dass Jahphets andere 5 Söhne sohnlos bleiben, erscheint aber unwahrscheinlich (angesichts des mythischen Charakters dieser Listen natürlich nicht in historischem, sondern in logischem Sinne). Die Zahl 70 wirkt hier also ziemlich konstruiert und scheint eher eine Ableitung der 70 Kinder des El zu sein als eine eigenständige Vorstellung. Bis zu den Ras-Schamra-Funden war man dennoch davon überzeugt, dass sich die ´70´ in Dtn 32, 8-9 von den 70 Namen in der Völkertafel herleiten. Der 1929 entdeckte ugaritische Kontext lässt einen Bezug zu den 70 Kindern von El und Aschera aber doch plausibler erscheinen, zumal der Ausdruck ´Söhne von El´ viel besser dazu passt als zu den Nachkommen der Söhne Noahs, die nicht einmal als die masoretischen ´Söhne Israels´ durchgehen können.
 
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Interpretation von Psalm 82 - von Tarkesch - 15-11-2016, 17:01
RE: Interpretation von Psalm 82 - von Sinai - 16-11-2016, 00:56
RE: Interpretation von Psalm 82 - von Ulan - 16-11-2016, 11:28
RE: Interpretation von Psalm 82 - von Ulan - 16-11-2016, 12:02
RE: Interpretation von Psalm 82 - von Sinai - 16-11-2016, 12:49
RE: Interpretation von Psalm 82 - von Ulan - 16-11-2016, 17:36
RE: Interpretation von Psalm 82 - von Sinai - 17-11-2016, 01:12
RE: Interpretation von Psalm 82 - von Tarkesch - 18-11-2016, 17:49
RE: Interpretation von Psalm 82 - von TheLight - 07-03-2017, 00:25
RE: Interpretation von Psalm 82 - von Sinai - 07-03-2017, 00:37

Möglicherweise verwandte Themen…
Thema Verfasser Antworten Ansichten Letzter Beitrag
  Psalm 104 und der Hymnus des Echnaton im Textvergleich Sinai 2 3369 16-03-2021, 14:48
Letzter Beitrag: Bion

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste