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#14
Ulan schrieb:...mich wuerde hier interessieren, wie jemand dazu kommt, seinen Glauben relativ "radikal" zu wechseln, also anders als nur zwischen christlichen Konfessionen. Ich habe da uebrigens keinerlei negative Grundgedanken bei dieser Frage; mich interessieren nur die Beweggruende, wie der Kontakt zustande kam, was ein derartiges Faszinosum war, diesen Weg zu gehen, und was den alten Glauben so unattraktiv machte, dass man gewillt war, ihn aufzugeben und durch einen neuen zu ersetzen. Die Ursprungsfrage zur Reaktion des Umfelds ist natuerlich auch interessant.

Tatsächlich wäre ich für diese Fragestellung genau der falsche Ansprechpartner, da ich meinen eigenen Weg eigentlich nicht als Bruch und auch nicht als allzu radikal empfunden habe. Das ist aber, so meine Erfahrung, auch etwas sehr bahá'í-typisches.

Ich für meinen Teil bin ein sehr "verkopfter" Mensch, der so lange über eine Frage philosophieren muss, bis er eine halbwegs sinnvolle Antwort gefunden hat. Entsprechend war ich auch schon seit meiner Jugend sehr theologie-interessiert und habe die maßgeblichen christlichen Glaubenslehren (Erbsünde, Erlösung durch den Opfertod Jesu, Auferstehung, Trinität, Jüngstes Gericht...) hinterfragt. Ich war damals evangelisch-lutherisch, konfirmiert und in meiner Heimatgemeinde durchaus glücklich, ich hatte aber das Gefühl, dass ich keiner noch so tollen Gemeinde angehören kann, wenn meine eigenen theologischen Gedanken sich fundamental von der offiziellen Lehre unterscheiden. Diesen Konflikt habe ich für mich damals nicht auflösen können und es hat auch kein christlicher Theologe oder Pastor vermocht, mich von der Sinnhaftigkeit der genannten Lehren zu überzeugen.

Erst als ich angefangen hatte, Religionswissenschaft zu studieren, bin ich auf die Bahá'í gestoßen. In meinem ersten Enführungsseminar sollte ich eine Hausarbeit schreiben und habe meinen Dozenten gebeten, er möge mir doch bitte "was schön Exotisches" raussuchen^^ Das war dann die Fortschreitende Offenbarung, also die absolute Basislehre der Bahá'í-Theologie. In dem Zuge habe ich natürlich angefangen, in den Bahá'í-Schriften zu lesen und habe relativ schnell gemerkt, dass auch Jesus und die Beschäftigung mit der christlichen Theologie einen nicht unerheblichen Teil des Materials durchziehen. Da habe ich dann auch privat angesetzt und mir all das zu Gemüte geführt, was in den Bahá'í-Schriften zu diesem Thema zu finden war. Rein von der Ratio her konnten mich die Ansätze der Bahá'í deutlich mehr überzeugen, als die Ansätze der christlichen Theologie. Ich habe im Grunde auch vieles bestätigt gefunden, was ich mir schon vorher überlegt hatte, damit aber innerchristlich immer allein stand. Erst später habe ich dann einen "emotionalen" Moment gehabt, der dann für mich der entscheidende Punkt war, die Bahá'í-Schriften nicht nur logisch nachvollziehbar und sinnvoll zu finden, sondern auch glaub-würdig. Diesen Moment hatte ich beim Lesen eines Textes, den Bahá'u'lláh für einen Christen geschrieben hatte und der heute als "Sendbrief an die Christen" oder Lawh-i-Aqdas veröffentlicht ist. Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass mich aus dem Text etwas "anweht", wenn man das so sagen kann, das ich auch aus dem Neuen Testament kannte. Dass Gott die Menschheit irgendwann vor 2000 Jahren sich selbst überlassen haben sollte, war mir schon vorher unverständlich, ab dem Punkt konnte ich aber glauben, dass er es tatsächlich nicht getan hat. Erst nachdem ich ein Jahr lang Bücher gelesen und philosophiert habe, habe ich die ersten Bahá'í getroffen und mich in die Gemeinde meines Studienortes eingelebt.

Ich habe es auch nie so empfunden, dass ich das Christentum aufgegeben hätte, als ich Bahá'í geworden bin. Jesus und seine Botschaft sind auch weiterhin ein prägender Teil meines Lebens, auch und gerade weil Jesus in den Bahá'í-Schriften an vielen Stellen präsent ist und Bahá'u'lláh und sein Sohn 'Abdu'l-Bahá immer wieder die Verbindungslinien zurück zur Bibel ziehen. Für mich stellt sich die Anerkennung Bahá'u'lláhs als "Wiederkunft Christi" als logische Folge meines Christseins und der Anerkennung dessen dar, dass mich seine Schriften in gleicher Weise berührt und geprägt haben, wie die Evangelien und der Rest der Bibel.

Mein Umfeld hat da relativ unemotional drauf reagiert, würde ich mal behaupten. Meine Mutter hat anschließend betont, mich mit voller Absicht zu einem selbstständig denkenden, freien Menschen erzogen zu haben und mir daher zu zuzutrauen, eine verantwortliche Entscheidung zu treffen. Mein Bahá'í-Sein ist in meiner Familie voll akzeptiert und spätestens nachdem meine Eltern mit bei einem Vortrag waren, den ich über das Jesusbild der Bahá'í gehalten habe, sehen es auch meine Eltern so, dass die inhaltliche Differenz eigentlich vernachlässigbar ist.

Meine Freunde haben, je nach eigener Weltanschauung, interschiedlich reagiert. Manche fanden es am Anfang schade, nicht mehr mit mir trinken zu können oder hatten plötzlich Hemmungen, selbst allzu viel zu trinken, weil ich mich ja im Anschluss ganz genau an alles würde erinnern können :D Aber im Großen und Ganzen hat sich inzwischen auch in meinem Freundeskreis die Erkenntnis durchgesetzt, dass dieser Lebensentwurf genau zu mir passt. Und das ist ja die Hauptsache Icon_wink

So, das war glaube ich erstmal das Wesentliche. Weitere Detailfragen immer gern.

Was deine Liste angeht, sanctus, kann ich als Religionswissenschaftler das meiste davon bestätigen, wobei mir die konkreten Beispiele aus Islam und Bahá'í-Religion, die du angeführt hast, bislang noch nicht begegnet sind. Tatsächlich habe ich noch von keinem Bahá'í gehört, dass er die von dir geäußerten Bedenken teilen würde. Die häufigsten Austrittsgründe, die ich aus meiner Erfahrung kenne, sind tatsächlich der Umgang mit Homosexualität, die Autorität des Hauses der Gerechtigkeit oder auch persönliche Differenzen innerhalb der Gemeinde.
"Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da." - Sophokles: Antigone, Vers 523
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Konversion - von layken - 20-04-2017, 13:22
RE: Konversion - von Sinai - 20-04-2017, 13:58
RE: Konversion - von layken - 20-04-2017, 16:16
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RE: Konversion - von Sören - 13-09-2017, 23:38

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