04-12-2020, 15:47
(04-12-2020, 14:30)Ulan schrieb: Das ist im Christentum sicherlich nicht durchweg die Devise. Bei den Katholiken gelten gute Taten ja durchaus etwas. Aber das sich Kuemmern um die Umwelt ist halt nicht der Kern des Erloesungsgedankens; der Blick geht grundsaetzlich von der Welt weg. Die Tendenzen findet man ja in den Evangelien, wo gefordert wird, alle Bruecken auch zur eigenen Familie abzureissen, wenn sie nicht willens sind, dem zur Erloesung Strebenden zu folgen. Einige dem Christentum nahestehende Bewegungen wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen ziehen das auch heute noch radikal durch. Die Welt ist schlecht, und die meisten Menschen sind dem Untergang in Armageddon geweiht. Und sich in als Guru auf einen Berg zu setzen oder sich als Moench in eine Zelle zurueckzuziehen nutzt der Gesellschaft letztlich rein gar nichts.
Das sehe ich ganz anders. Diese Brücken sollen nur getrennt werden, wenn sie genau dieser charakterlichen Entwicklung entgegenstehen. Man soll sich das "Ideal" der Wahrheit als höchstes gut setzten und wenn Familienmitglieder da nicht mitziehen, dann muss man eben wählen zwischen Wahrheit oder Familienband. Im Christentum soll das Subjekt sich ja im Objekt wiederkennen. Es soll eine Brücke zwischen der Transzendenz und der Welt geschlossen werden und Eins werden. Die Erde soll nicht verlassen werden, sondern die Brücke soll durch die Erde bzw. durch unsere Welt erreicht werden, deshalb verstehe ich den Spruch: "Wie im Himmel so auf Erden" auf diese Weise. Wenn man sich also der Welt entsagt, dann entsagt man sich auch dem "Himmel".
In dem Buch die Brüder Karamasow von Dostojewski wird genau auf diesen gesellschaftlichen "Nutzen" eingegangen. Dort steht sowas:
»Ihr seid Faulenzer und nutzlose Glieder der menschlichen Gesellschaft!« und darauf antwortet der "Mönch" im Buch:
"Von ganz anderer Art ist der Weg des Mönches. Über den klösterlichen Gehorsam, über Fasten und Beten wird zwar viel gespottet, und doch ist gerade dies der Weg zur wahren, rechten Freihielt! Ich entledige mich überflüssiger Bedürfnisse, demütige und geißle meinen selbstsüchtigen, stolzen Willen durch Gehorsam und erreiche so mit Gottes Hilfe geistige Freiheit und mit ihr auch geistige Heiterkeit! Wer von beiden ist besser befähigt, Träger einer großen Idee zu sein und ihr zu dienen: der isolierte Reiche oder einer, der sich von der Tyrannei des Besitzes und der Gewohnheiten frei gemacht hat? Man tadelt den Mönch wegen seiner Isolierung. »Du hast dich abgesondert«, heißt es, »um in den Klostermauern deine Seele zu retten, vergißt aber, brüderlich der Menschheit zu dienen!« Doch wollen wir erst einmal sehen, wer mit größerem Eifer Bruderliebe übt! Die Isolierung ist nämlich nicht auf unserer, sondern auf ihrer Seite, sie merken es bloß nicht. Von uns sind von jeher diejenigen ausgegangen, die für das einfache Volk tätig gewesen sind – warum sollten sich solche nicht auch jetzt finden? Gerade die demütigen, frommen Faster und Schweiger werden sich erheben und ein großes Werk in Angriff nehmen."
Nicht der Mönch isoliert sich also in dieser Sichtweise, sondern die Menschen isolieren sich von den Mönchen. Wenn man sich wirkliche Kloster anschaut, dann wird man aber auch viel gutes finden. Bildung und gesellschaftlichen Nutzen findet man eigentlich sehr schnell in einem Kloster. Der einsame Mönch der nur sein eignes Seelenwohl im Auge hat scheint mir ein klassisches Klischee zu sein. Wenn man sich auch buddhistische Mönche anschaut und oder den Dalai-Lama, dann erkennt man, dass genau diese Menschen viel zu Innovation und Philosophie der Gesellschaft beitragen können.


