(26-02-2021, 12:39)eddyman schrieb:(24-02-2021, 16:33)Ulan schrieb: Weil das Problem nicht so simpel ist. Soziopathen werden irgendwie gebraucht;
Eine solche Sichtweise ist extrem kompromissbeladen. Was kann man von Handlungen, die von einem Soziopathen ausgehen (also von jemandem, der keine gefühlsmäßige Verbindung zu seinem Umfeld hat), schon groß erwarten. Einen Fortschritt kann er höchstens zufällig bringen. So kommt man hier nicht weiter...
Es ist genau andersherum. Du legst die Zuegel an der falschen Stelle an. Ich glaube, Du kommst hier nicht weiter, weil Du schon beim Denken die Bremse einsetzt und deshalb die zugrundeliegenden Mechanismen uebersiehst, obwohl solche Bremsen erst beim Handeln gefragt sind. "Kompromisse" haben mit meiner Aussage rein gar nichts zu tun. Ich hatte die Spieltheorie genannt (wem der Begriff nicht gelaeufig ist: hierbei geht es um ernsthafte Untersuchungen zur Funktionsweise von Gemeinschaften, vor allem die Rolle, die die Entscheidungen Einzelner dabei spielen), und hier ist ein Ergebnis der Experimente, dass im Wettstreit der Gemeinschaften die die Nase vorn haben, wo solche Individuen, die Grenzen ueberschreiten, agieren. Gemeinschaften, wo jeder sich an die Regeln haelt, sind auf der Verliererseite (solche, wo zu viele die Regeln brechen, natuerlich sowieso). Das ist erst einmal ein Faktum, das man zur Kenntnis nehmen muss und beim Verstaendnis des Problems hilft.
Auf den Staat gesehen, institutionalisieren wir ja solche Grenzueberschreitungen zum Teil. Unsere "Fuehrer", auch die gewaehlten, sind ja mit besonderen Privilegien ausgestattet, die ihnen Handlungen erlauben, die uns "Normalsterblichen" nicht gestattet sind. Banale Beispiele sind das Gewaltmonopol der Polizei, das Recht der Armee, Menschen zu toeten, das Recht irgendeiner Regierungsebene, Dir Dein Grundstueck auch gegen Deinen Willen wegzunehmen, wenn es fuer ein Gemeinschaftsprojekt gebraucht wird. D.h., das Brechen unserer akzeptierten Umgangsformen miteinander ist manchmal notwendig. Aehnliche Ergebnisse gibt es bei Untersuchungen zu erfolgreichen Fuehrern von Unternehmen: das sind fast alles Soziopathen, die sprichwoertlich "uber Leichen gehen".
Ich habe jetzt leider den Autor vergessen, aber ich hatte mal die Kurzform zu einer soziologischen Studie gelesen, nach der das radikale Aufraeumen der Nazi-Diktatur mit zum Teil seit Jahrhunderten bestehenden regionalen gesellschaftlichen Machtstrukturen zu einer Modernisierung der Gesellschaft fuehrte, die nach dem Krieg mitverantwortlich war fuer den darauf folgenden Boom. Trotz teilweiser Restitutionen wurden die alten Strukturen nie wieder in ihrer vorher existierenden Form wiederhergestellt - dafuer war der ihnen angetane Schaden zu gross - so dass tatsaechlich die Nachkriegsgesellschaft von diesen Folgen des Naziregimes profitierte. Dass diese Modernisierung urspruenglich zugunsten und zur Bereicherung der Nazi-Partei und ihrer Fuehrungspersonen auf allen Ebenen durchgefuehrt worden waren, aendert daran nichts. Solche Erkenntnisse sind wichtig um Mechanismen zu erkennen. Wohlgemerkt, das ist kein Fall von "sollte man oefter machen" - das sind dann letztich ethisch-moralische und politische Entscheidungen - aber es hilft dabei, zu erkennen, warum Dinge geschehen, dass sie nicht so unbegreiflich sind, sondern dass diese Handlungsweisen mit handfesten Vorteilen verbunden waren; was letztlich die Threadfrage beantwortet.