22-06-2022, 14:48
(21-06-2022, 10:23)Ulan schrieb: Es ist schon interessant, wie solche mythischen Geschichten wie die vom Baum der Erkenntnis benutzt werden, um, einerseits, irgendwelche "Wahrheiten" zu postulieren und, andererseits, den postulierten Schoepfer von jeglicher Verantwortung fuer die Schoepfung reinzuwaschen (die Gnostiker sahen das anders). Dafuer muessen dann natuerlich auch andere Aspekte der Geschichte "uebersehen" werden, denn die streicht ja auch heraus, dass die Motivation hinter Gottes Bestrafung nicht etwa irgendein ueberbordender Gerechtigkeitssinn war, sondern die Angst, vom Menschen entthrohnt zu werden. Soweit zur "Allmacht".
Dazu kommt noch der zirkulaere Charakter dieser "wahren" Schluesse. Erst wird eine nette Geschichte erfunden, um irgendwie erklaeren zu koennen, warum wir Menschen so viel Muehe in unserem Leben aufbringen muessen und mit Krankheiten und Elend geschlagen sind. Dann wird diese Geschichte irgendwann zum inspirierten Wort Gottes und darf dafuer herhalten, uns angeblich wahre Einsichten in die Wirkungsweise des Universums zu geben, etwas zur Natur Gottes zu sagen (wobei dann natuerlich, wie erwaehnt, die Haelfte ausgespart wird), und uns Menschen zu sagen, dass wir an allem Schuld tragen. Wir haben sicherlich vieles zu verantworten, aber dieser Fokus auf Schuld ist fehlgeleitet. Hier ersetzt dann die Schuldfrage die Suche nach den wahren Ursachen, da die Ursache ja angeblich in der Geschichte ausgesprochen ist.
Aehnlich ist es ja mit diesem ganzen Thema. "Erkenntnis" wird hier als etwas Unerreichbares postuliert, transzendiert und damit zum reinen Anbetungsobjekt, waehrend der Threadersteller in mystischer Verzueckung verharrt (nur nicht gerade still). Da wird die Paradiesgeschichte aber auch wieder ignoriert, da die ja davon ausgeht, dass der Mensch eben gerade vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, also zu dieser Zugang hat (was ihm verwehrt wurde, war die Unsterblichkeit, die der zweite Baum lieferte). Da haben wir mal wieder den Bibeltext als Steinbruch fuer beliebig verwendbare Versatzstuecke.
Dieser Kult der Schuld, wie er in vielen christlichen Bewegungen zu finden ist, ist im Prinzip nur ein Ablenkungsmittel. Der Mensch wird animiert, sich auf Demut und Busse zu konzentrieren, anstatt Dinge zu verbessern. Weil, wenn Menschen Zustaende verbessern wollen, haben die, die in einer Lage sind, wo gar keine Verbesserung notwendig ist, ja eventuell was zu verlieren. Nein, dann rutsch' lieber auf den Knie rum, jammer' ueber Deine Schuld und sei dankbar fuer die Aussicht auf Vergebung. Was das mit Einsicht zu tun hat? Einsichten bekommt man durch ein solches Verhalten sicher nicht, aber dem Betrachter moegen ein paar soziologische Einsichten kommen.
Hallo Ulan,
... die GENESIS ist nicht nur eine "nette Geschichte", sondern gibt schriftlich Auskunft darüber, wie damalige Wanderhirtenstämme des Orients ihre Seelen- und Bewusstseinslandschaften empfanden/dachten.
Historiker gehen davon aus, dass die Autoren des AT in der Regel aus Priesterreihen kamen.
Interessant war und bleibt der Gedanke, dass vom "Baum der Erkenntnis" zu kosten, aus heutiger Sicht die >Büchse der Pandora< öffnete, denn - die dramatische Story über eine "Vertreibung aus dem Paradies", welche ja symbolisch für den Verlust der "Unschuld" steht, - brachte all die folgenden weltlichen Dinge "ins Rollen", welche die Menschen fortan beschäftigten und plagten: Geburt, Arbeit und Mühe, Krankheit und Tod.
Manche Wissenschaftler sehen in der EDEN-Story jedoch lediglich eine poetisch verfasste Schrift, welche auf ihre Weise das "Heraustreten des Menschen aus dem Kreis des tierischen Bewusstsein" beschreibt.
Damit das "erste Paar" aber nicht auch noch Gelegenheit bekommen sollte, vom "Baum des Lebens" zu kosten und somit "unsterblich" zu werden, wurden sie aus dem Garten EDEN vertrieben, dessen Eingang nun von Cherubim mit Schwertern bewacht wurde.
Heute bestimmen andere Fragen unser kurzes Dasein:
Sind wir lediglich "eine Laune der Natur" oder ein Ereignis innerhalb eines uns unbekannten Planes?
Der Tod wird heute (wenn möglich) durch Ärzte medizinisch abgefedert und erleichtert. Er wird auch nicht mehr so einseitig aufgefasst, wie in früheren Zeiten, denn jedem wird wohl klar sein, dass Unsterblichkeit auf unserem Planeten (Tiere und Pflanzen einbezogen!) schon längst zu einem Kollaps geführt hätte, wären seit der Vertreibung aus EDEN alle lebendigen Formen noch immer auf ihre Weise aktiv.
Man sollte nun in der EDEN-STORY nicht nur Angst vor Strafe erblicken, sondern mehr ihre eigentliche Botschaft berücksichtigen: ALLES unterliegt unerbittlichen Konsequenzen, welche sich entweder kaum merklich oder aber entsprechend groß und katastrophal auswirken!
Seit langer Zeit weiß nun der Mensch, was gut und böse ist. Geholfen hat ihm dies aber nichts, denn gerade das Wissen darüber spornt viele immer wieder zu ihren elenden Absichten, Plänen und Taten an.
Der eigentliche Kern der EDEN-STORY war und ist also hochaktuell.
Dass Du sie nicht ganz verstanden hast, sieht man daran, dass Du die Angst Gottes, vom Menschen entthront zu werden, anführst. Dabei müsste ja auch Dir aufgefallen sein, dass die "listige" Schlange das "unschuldige Paar" reinlegte, denn es versprach ihm lediglich, eine Göttesähnlichkeit hinsichtlich des Wissens über gut und böse!
Die vielen anderen Aspekte einer Göttlichkeit erwähnte die Schlange bewusst nicht - z.B. eine Quelle des Lebens zu sein.
Baruch de Spinoza formte dies mit seinen Worten:
>> Unter Gott verstehe ich das absolut undendliche Wesen, d.h., die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen jedes ein ewiges und unendliches Sein ausdrückt.
Er fügte seinem Satz auch gleich eine glasklare ERLÄUTERUNG an:
>> Ich sage absolut unendlich, im Gegensatz zu: in seiner Art. Denn was nur in seiner Art unendlich ist, dem können wir unendliche Attribute absprechen. Was dagegen absolut unendlich ist, zu dessen Wesen gehört alles, was Sein ausdrückt und keine Verneinung in sich schließt. <<
(Wir sind nicht einmal "in unserer Art" unendlich. Ob sich dies je noch ändern wird können, bleibt als Frage offen!)
Auf uns Menschen können Spinozas Worte also in keiner Weise zutreffen! -
Nun stehen die Menschen da mit ihrem Wissen über gut und böse, bekämpfen sich dennoch und sind zudem von immer neu auftauchenden Krankheiten, den Folgen ihrer Naturzerstörung und dem erzeugten Klimawandel bedroht.
Heute ist unter Menschen zwar größtenteils geklärt, was gut und böse ist (sein soll), vom Göttlichen sind wir aber abgetrennt, was sich u.a. daran zeigt, dass wir uns immer noch giftig bekämpfen - mal wirtschaftlich, mal mit Waffentechnik.
Du redest hier zwar von Demut und Buße, welche uns das Christentum aufdrängen will, solltest aber auch erkennen können, dass angebeteter und angepriesener Luxus, pfauenhaft anmutende Eitelkeit und Degeneration die schleichenden Übel in vielen Ländern waren - und sind.
Gruß von Reklov

