03-07-2023, 17:02
(02-07-2023, 21:25)Ulan schrieb: Wohlgemerkt, ich hatte vom ersten Neuen Testament geredet, nicht unbedingt vom ersten Evangelium, obwohl es auch unter den Theologen Vertreter dieser Ansicht gibt (in Deutschland waere da Prof. Mattias Klinghardt von der TU Dresden, Fach Biblische Theologie (Evangelisch), zu nennen, der ein umfangreiches, zweibaendiges Werk dazu geschrieben hat). Was das mit dem Neuen Testament angeht, kann man online eine Version von Jason BeDuhn (Religionswissenschaftler an der NAU) finden mit dem Titel "The First New Testament - Marcion's Scriptural Canon".
Kurz, es geht um die Entwicklung des christlichen Kanons. Der erste Kirchenvater, der von einem "Evangelium" als einem geschriebenen Werk redet, war Justin der Maertyrer um 160 n.Chr., und wenn er das Wort benutzt, meint er Markions "Evangelion". Der erste Kirchenvater, der sich mit der Geschichte der christlichen Schriften beschaeftigt, war Irenaeus von Lyon, um 180 n.Chr. Er ist auch der Erste, der die Namen der vier kanonischen Evangelien erwaehnt, wobei Lukas hier das erste Mal ueberhaupt erwaehnt wird (Markus und Matthaeus werden angeblich zuvor von Papias von Hierapolis erwaehnt, in einem Werk, das nicht erhalten ist). Irenaeus redet oft von Markion und beschuldigt ihn, fuer sein Neues Testament das Evangelium von Lukas und zehn Briefe des Paulus verstuemmelt zu haben. Er erwaehnt aber auch, dass die Markioniten den "Katholischen" genau das Gegenteil vorwerfen, naemlich dass letztere deren heilige Schriften verfaelscht haetten. Bei Tertullian (3. Jhdt.) und Ephiphanius (4. Jdht.) finden wir dann Naeheres. Vor allem letzterer erlaubt uns, das "Evangelion" zum groessten Teil zu rekonstruieren, da er es fast vollstaendig zitiert.
Aus all dem koennen wir entnehmen, dass die Markioniten, eine der groessten christlichen Gemeinschaften ihrer Zeit, ein Neues Testament hatten, das aus diesem "Evangelion" bestand, also angeblich ein kuerzerer Lukas, ohne Weihnachtsgeschichte und gewisse Elemente, die Jesus mit Jahwe, dem juedischen Gott, verbinden, und aus dem "Apostolikon", einer Sammlung von 10 Briefen des Paulus, dem einzigen anerkannten Apostel der Markioniten. Was fehlt, sind die drei sowieso als Faelschungen angesehenen "Pastoralbriefe" des Paulus und der Hebraeerbrief, der normalerweise mit den paulinischen Briefen gebuendelt wurde. Die Markioniten hielten den Gott des Alten Testaments fuer des Christentums unwuerdig und nicht fuer den Vater, von dem Jesus redet (eine Warnung: wir kennen das, was die Markioniten glaubten, nur von ihren erbitterten Gegnern).
Persoenlich (womit ich auch diversen Theologen folge) halte ich es fuer am wahrscheinlichsten, dass Markion eine aeltere Version des sogenannten "Lukasevangeliums" hatte, wo auch immer der Name herkommen mag. Die Begruendung, er haette das Lukasevangelium verstuemmelt, haelt einer Ueberpruefung nicht stand. Markion wird vorgeworfen, er haette Abschnitte, die bestimmte Themen betrafen, herausgeschnitten; im zweiten Schritt wird ihm dann aber vorgeworfen, dass er so dumm gewesen waere, nicht alle Passagen, die solche Thesen behandeln, herausgeschnitten zu haben, so dass selbst sein eigenes Evangelium ihm widerspricht. Wenn man das nachprueft, so sind wohl noch 80% aller angeblich herausgeschnittenen Themenelemente da, was die These des Herausschneidens als unwahrscheinlich hinterlaesst.
(02-07-2023, 18:23)Farius schrieb: Geist der Wahrheit: Ich gehe davon aus, dass Du als Christ dem Geschehen an jenem ersten Pfingstfest positiv gegenüberstehst und das Auftreten der Apostel in Art und Inhalt nicht ihren eigenen Fähigkeiten zuschreibst. Also durchaus ein spiritistischer Vorgang - der Geist der Wahrheit eben.
Es ist nicht einzusehen, wieso dieses Ereignis einmalig gewesen sein soll - wo doch die unbeantworteten Fragen und als Folge die Austritte aus der Kirche dermassen gravierend sind.
Ich bin zwar katholisch aufgewachsen, bin aber schon in den 80ern aus der Kirche ausgetreten. Ich sehe das Pfingsterlebnis eher aus einer kulturell-psychologischen Sicht, wie man sie aehnlich in allen menschlichen Kulturen findet. Insofern, klar, das gibt's auch heute noch. Erweckungsgemeinden und Pfingstler ueberall auf der Welt vollfuehren solche Rituale ja auch heute noch ganz aehnlich.
Danke Ulan, für Markion brauche ich etwas Zeit, um seine Bedeutung und allenfalls seine Aussagen zu erfahren.
Auch ich bin katholisch aufgewachsen und habe mich von der Kirche abgewandt. Allerdings versuche ich dem Christentum, nicht dem Katholizismus noch Erkenntnisse zu entlocken.
Dann siehst Du das ursprüngliche Pfingstereignis nicht als etwas, was sich als Quelle der Wahrheitsverbreitung wiederholen könnte? Hat nicht auch Paulus die Gläubigen zur Prüfung der Geister aufgefordert. Vermutlich, weil der oder die Geister durch Medien in den Gemeinden gesprochen haben - eben, gleich wie beim ersten Pfingstereignis.
Dass bei den Pfingslern oder Erweckungsgemeinden solches geschieht, glaube ich eher nicht.