(15-07-2023, 15:27)Mensch schrieb:(10-07-2023, 21:41)Sinai schrieb: Das ist nun schon ein theologisches Problem, was als "heilige Schriften" zu werten ist.
Aber nicht weniger interessant. Das christliche Verständnis sieht in der Bibel ein Zeugnis, nicht das Wort Gottes selbst. Als Gottes Wort nur indirekt, da sie Gotteswort in Menschenwort enthält. Als wortwörtliche Offenbarung ist das Wort Gottes Mensch geworden. Anders als im Islam, wo das Wort Gottes Buch wurde und der Verkünder Zeuge ist, wurde im Christentum das Wort Mensch und die "heilige Schrift" ist Zeugnis.
Da wir im Christentum von keiner Verbaloffenbarung als Heilige Schrift ausgehen, scheint mir die Kanonstreitfrage irrelevant zu sein. Das Buch verkündet Jesus Christus und so sind selbst die Evangelien keine Augenzeugenberichte, sondern als Verkündigungsschriften gedacht und verfasst wurden. Die Bibel soll auf Christus hinweisen, daher ist sie im wahrsten Sinne menschgemacht.
Nur noch mal hierzu: aus fruehen christlichen Texten (bis in die Mitte des 2. Jhdts.) wird klar, dass die Schriftform eigentlich zu Beginn nichts galt. Es wird dort immer wieder betont, wie wichtig die direkte verbale Ueberlieferung ist. Das mit der Verschriftlichung wurde wohl erst wichtiger, nachdem Markion mit seinem "Neuen Testament" ankam, mit 10 Briefen des Paulus und einem Evangelium. Es ist wohl nicht so, dass die fruehe Kirche in den Evangelien (selbst der Name als Bezeichnung einer Schriftgattung scheint von Markion zu stammen) irgendwie "heilige" Texte sah. Die drei kanonischen, synoptischen Evangelien als Produkte von umfangreichem Editieren ein und desselben Textes legen davon immer noch Zeugnis ab.
Einen verbindlichen Schriftkanon hat die katholische Kirche erst nach Luther als Reaktion auf seine Kritik verordnet (1546).