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Das beste Argument gegen den Materialismus und für Gott?
#33
(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Meines Erachtens können ja Materialismus und Idealismus (im weitesten Sinne dieser Begriffe) als zwei gleichberechtigte Deutungen dieser Welt nebeneinander bestehen bleiben, aber am spannendsten wird es, wenn, wie etwa in den Beiträgen von Noumenon, Materialismus und Idealismus ineinander verschmelzen. Das ist doch im Grunde das Ziel dieses Forums hier und aller Philosophie - dass man eine möglichst vereinheitlichte Theorie über die Wirklichkeit bekommt, widerspruchsfrei und eindeutig. Davon sind wir zwar noch weit entfernt, aber wir machen Fortschritte.
Ich halte eigentlich sowohl "Materie" als auch "Geist" für nicht ganz unproblematische und teils überholte Konzepte. Nicht, weil sie grundsätzlich unbrauchbar wären, sondern weil sie beide aus einer Zeit stammen, in der man versuchte, die Welt entweder substanzhaft oder dualistisch zu denken. Heute wissen wir: Beide Begriffe sind stark modellabhängig, kulturell gewachsen und bestenfalls vereinfachende Annäherungen an etwas, das sich unserem direkten Zugriff oft entzieht. Im Fall von "Materie" haben wir immerhin eine gewisse begriffliche und theoretische Entwicklung durchlaufen: Von vorsokratischen Naturphilosophen wie Demokrit und Epikur, die erstmals eine atomistische, substanzbasierte Sicht der Welt entwarfen, über den mechanistischen Materialismus des 17. und 18. Jahrhunderts, der in der klassischen Physik kulminierte, bis hin zur modernen Quantenfeldtheorie, in der von "Materie" im traditionellen Sinne kaum noch die Rede sein kann. Wir haben gelernt, dass das, was wir "materiell" nennen, nichts Festes, Stoffliches mehr ist, sondern ein Geflecht aus Feldern, Wahrscheinlichkeiten, Anregungen, Symmetrien und Wechselwirkungen. Da ist zumindest eine gewisse begriffliche Aufarbeitung im Gange.

Im Fall von "Geist" stehen wir jedoch weit weniger klar da: Die Natur des Bewusstseins, das sogenannte Qualiaproblem, die Frage nach Intentionalität oder innerer Erfahrung - all das sind offene Fragen, bei denen wir bislang keinen physikalisch oder philosophisch konsistenten Zugriff haben. Das Konzept "Geist" ist daher nicht weniger vage als das Konzept "Materie" - ganz im Gegenteil.

Beide Begriffe sind ontologische Hilfskonstruktionen, erdachte Konzepte, die uns zwar eine gewisse Orientierung bieten, aber letztendlich wahrscheinlich nicht den geeigneten Deutungsrahmen bieten, um Wirklichkeit in ihrer Tiefe zu verstehen. Vielmehr brauchen wir künftig wahrscheinlich ganz andere Kategorien - etwa Prozess, Information, Relation, Struktur oder sogar etwas noch Unbekanntes - um die Kluft zwischen Physik und Phänomen, zwischen Weltbeschreibung und Weltbezug zu überbrücken.

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Wie schon gesagt: Deine Beiträge in diesem Thread (und es waren die ersten, die ich hier von dir gelesen habe) fand ich sehr interessant. Du beschreibst in einer sehr klaren Sprache, wie sich - jetzt mal etwas gewitzt formuliert - der Materialismus in Luft auflöst, wenn man die Erkenntnisse der modernen Physik in Betracht zieht, weil es nämlich gar keine feste Materie im eigentlichen und ursprünglich postulierten Sinne gibt, sondern alle Materie aus nicht-materiellen, feineren Strukturen hervorgeht. Man kann an dieser Stelle dann stehen bleiben, so wie du es tust. Oder man kann noch einen Schritt weiter gehen und daraus schlussfolgern, dass das, was eigentlich hinter all diesen feinstofflichen Strukturen steckt, eben das Geistige im weitesten Sinne ist. Dies ist dann der endgültige Übergang vom Materialismus in den Idealismus, aber wie du siehst, lässt er sich durchaus logisch begründen. Nur beweisen lässt sich das eben nicht im wissenschaftlichen Sinne.
Ich denke, hier zeigt sich ein klassisches Beispiel für ein falsches Dilemma: Entweder sei der Materialismus wahr - also eine Welt, die auf festen, stofflichen Grundlagen beruht -, oder aber der Idealismus - also eine geistige Grundlage allen Seins. Diese Gegenüberstellung suggeriert, dass es nur zwei mögliche Grundformen der Wirklichkeit gäbe: materiell oder geistig. Aber gerade die moderne Physik (und in gewisser Weise auch die moderne Erkenntnistheorie) zeigt, dass diese Zweiteilung zu grob und zu metaphysisch vorgeprägt ist.

Weder "Materie" im klassischen Sinn, noch "Geist" im spekulativen (!) Sinn sind heute als fundamentale Konzepte besonders tragfähig. Vieles spricht dafür, dass die Grundstruktur der Wirklichkeit nicht in klassischen Substanzen, sondern in relationalen, prozesshaften oder strukturellen Zusammenhängen liegt - etwa in Feldern, Informationen, Zuständen oder Systemdynamiken. Diese lassen sich weder eindeutig dem Materiellen noch dem Geistigen zuordnen, sondern entziehen sich dieser Einteilung.

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Jetzt zu deiner Frage, was das mit Gott zu tun haben soll: Ich hatte vor einiger Zeit ein Erlebnis, das ich nur als ein Zeichen von Gott verstehen kann. Darauf werde ich weiter unten in meiner Antwort an Ekkard noch weiter eingehen. Zunächst beantworte ich die Frage aber allgemein gehalten und so wie ich sie bisher hier im Forum immer beantwortet habe: Wenn man den Schritt vom Materialismus zum Idealismus gemacht hat, folgt meines Erachtens (ich weiß, dass man das auch anders sehen kann) ganz automatisch und folgerichtig auch die Erkenntnis, dass Gott existiert. Denn wenn der Idealismus recht hat, liegt der Welt ein geistiges Prinzip zu Grunde, also die geistige Welt existiert. Wenn die geistige Welt existiert, existieren auch geistige Wesenheiten. Und wenn geistige Wesenheiten existieren, dann muss es auch ein hierarchisch höchstes geistiges Wesen in der geistigen Welt geben und dieses Wesen wird als Gott bezeichnet.
Auch wenn man der Annahme folgt, dass der Welt ein geistiges Prinzip zugrunde liegt, folgt daraus nicht logisch zwingend, dass dieses Prinzip personal, intentional oder hierarchisch organisiert sein muss, geschweige denn, dass es ein "höchstes geistiges Wesen" im Sinne eines Gottes gibt. Das ist eine zusätzliche metaphysische Annahme, die man machen kann, aber eben nicht muss. Es gibt zahlreiche idealistische oder panpsychistische Modelle, die keine personalisierbare Gottheit voraussetzen (Spinoza, Schelling, Whitehead, Strawson, etc.).

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Jetzt zu deiner Frage, was das mit Gott zu tun haben soll: Ich hatte vor einiger Zeit ein Erlebnis, das ich nur als ein Zeichen von Gott verstehen kann.
Was du beschreibst, ist letztlich eine Umkehrung von Begründung und Überzeugung: Man glaubt bereits an ein geistiges Prinzip oder eine höhere Wesenheit - und interpretiert dann bestimmte Erlebnisse oder Erfahrungen als Bestätigung dieses Glaubens. Das ist menschlich verständlich, aber erkenntnistheoretisch problematisch: Denn solche Erfahrungen können auch völlig anders gedeutet werden - psychologisch, neurologisch, symbolisch, zufallsbedingt oder metaphorisch.

Der Umstand, dass man sich etwas nicht anders erklären kann, ist kein Beleg für eine metaphysische Deutung. Das wäre in etwa so, als würde man auf unerklärliche Geräusche im Haus schließen: "Ich weiß nicht, was es war, also war es ein Geist." Das ist kein Argument, sondern die klassische Wissenslücke, die mal wieder mit Glaubensinhalten gefüllt wird.

(20-07-2025, 17:11)subdil schrieb: Ich hatte ja vor einiger Zeit in einem anderen Thread schon einmal angedeutet, dass ich kürzlich ein Zeichen von Gott bekommen habe. Das war nun nochmal eine weitere Bestätigung meines Glaubens und die bisher tiefgreifendste Erfahrung meines Lebens, weil ich nämlich seither diverse Baustellen in meinem Leben angehe, die über Jahre, ja teilweise sogar Jahrzehnte, liegen geblieben sind. Wie ich damals berichtet habe, hatte ich Gott um Hilfe gebeten, woraufhin ich ein ganz starkes Zeichen bekommen habe, das mich in Richtung von Jesus Christus geführt hat. Wenn ich nun noch die positiven Auswirkungen auf mein ganz reales Alltagsleben mit bedenke, die in Folge dieses Zeichens geschehen sind, dann kommt sogar noch exakt das dazu, was in der Bibel als die Wirkung des Heiligen Geistes im Leben des Gläubigen bezeichnet wird. Damit solltest du dich als Mitglied einer christlichen Gemeinde ja auskennen, auch wenn du Atheist bist. Hier haben wir also das gesamte Bild der Trinität - Gott Vater (der Zeichengeber), Gott Sohn (der Inhalt des Zeichens) und Gott Heiliger Geist (die positiven Auswirkungen auf das reale Alltagsleben) - und wenn man das tatsächlich erlebt, lässt es sich nicht mehr klein reden geschweige denn ignorieren.
Deine subjektive Erfahrung soll keineswegs in Frage gestellt sein, aber sie ist eben genau das: eine subjektive Erfahrung. Dass sie für dich bedeutsam war, steht außer Zweifel. Doch aus einer inneren Wandlung und dem Gefühl, ein "Zeichen" empfangen zu haben, gleich auf die objektive Realität der christlichen Trinität zu schließen, ist philosophisch schlicht ein Denkfehler: Du deutest eine subjektive Erfahrung als Beweis für eine objektive metaphysische Weltordnung.

Solche Erlebnisse sind auch keineswegs selten. Menschen in anderen Kulturen machen ähnliche Erfahrungen, fühlen sich von Buddha, Allah, Ahnengeistern oder dem Universum berührt. Die Inhalte unterscheiden sich, das psychologische Muster ist stets gleich: Man erlebt etwas Außergewöhnliches und interpretiert die eigene Weltanschauung hinein. Das ist menschlich, aber keine tragfähige und vor allem widerspruchsfreie Erkenntnistheorie.
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RE: Das beste Argument gegen den Materialismus und für Gott? - von Noumenon - 20-07-2025, 18:52

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