(27-07-2025, 17:49)subdil schrieb: Und wer alles Spirituelle/Religiöse als "Wunschdenken" und "Unfug" abwertet, offenbart damit letztendlich ein mangelndes Verständnis dessen, was Spiritualität/Religion überhaupt leistet.Die eine Aussage war vielleicht etwas scharf, mein Fehler. Dennoch:
Die allermeisten Menschen beschäftigt irgendwann eine Reihe grundlegender Fragen rund um Leben und Tod - etwa: Gibt es eine Seele? Gibt es ein Jenseits? Eine Wiedergeburt? Eine Form von ausgleichender Gerechtigkeit? Einen tieferen Sinn hinter allem? Oder gar eine "höhere Macht"?
Ganz einfach, ohne viel Geschwurbel: Das sind die Fragen, um die es vielen Menschen letztlich geht. Und das sind alles Fragen über die Wirklichkeit.
Solche Fragen über die Wirklichkeit wiederum beantwortet man nicht durch das Studium heiliger Schriften oder den Besuch "heiliger" Stätten, sondern durch systematische Beobachtung, logisch-rationales Denken, methodisches Vorgehen sowie die Bereitschaft, sich im Zweifel irren zu können und widerlegt zu werden - aka "wissenschaftliche Methode".
Und diese Methode hat sich wohlgemerkt erst durchgesetzt, nachdem Religionen über viele Jahrhunderte hinweg dabei gescheitert sind, allein mit Hilfe von "Phantasie, Intuition, Glauben und Kontemplation" (aka "Bauchgefühl") verlässliche Erkenntnisse über die Wirklichkeit zu liefern.
Spiritualität, Glaube und Religion sind also keine Antwort auf die vermeintlichen Schwächen der wissenschaftlichen Methode - sondern umgekehrt:
Die wissenschaftliche Methode ist die Antwort auf die Unzulänglichkeiten von Spiritualität, Glaube und Religion - zumindest,
wenn es um die Suche nach tragfähigen Antworten auf Fragen über die Wirklichkeit geht.
(27-07-2025, 17:49)subdil schrieb: Geh mal - unvoreingenommen und ergebnisoffen (!!) - in einen freikirchlichen evangelischen oder evangelikalen Gottesdienst und lass das mal auf dich wirken.Sorry, aber du redest hier doch nicht mit einem kleinen Kind, welches erst noch die Welt entdecken muss. Ich bin außerdem in einem agnostischen Umfeld aufgewachsen und sozialisiert worden, hatte also nahezu maximale Freiheit, meine Fühler in alle erdenklichen Richtungen auszustrecken, und wurde dabei weder von der einen Seite, noch von der anderen Seite indoktriniert. Mehr Unvoreingenommenheit und Ergebnisoffenheit geht eigentlich kaum noch - da rennst du buchstäblich offene Türen ein.
(27-07-2025, 17:49)subdil schrieb: Ich weiß was du jetzt denkst und ich kann deine Abneigung gegen diesen Vorschlag geradezu spüren, aber betrachte es mal als wissenschaftliches Experiment und diese Einladung gilt auch für alle anderen Materialisten hier. Ich weiß nicht ob Ekkard in einer freikirchlichen Gemeinde ist, aber bei allen anderen hier wette ich, dass sie noch nie in einer Freikirche waren. Für mich persönlich ist da ja schon alleine das Gefühl, mit über 100 Leuten in einem Raum zu sein, die sich nicht vom materialistisch-atheistischen Zeitgeist überwältigen ließen, eine kleine Erlösung für sich genommen.Tja, das kann ich nur zurückspiegeln: Beschäftige dich mal - unvoreingenommen und ergebnisoffen (!!) - mit den höchst umfangreichen Erkenntnissen der modernen Wissenschaft auf diversen Gebieten. Ich weiß ebenfalls, was du jetzt denkst und ich kann deine Abneigung gegen diesen Vorschlag geradezu spüren, aber betrachte es mal als spirituelles Experiment (und diese Einladung gilt auch für alle anderen religiösen und spirituellen Menschen hier). Für mich ebenfalls schon alleine das Gefühl, mit unzähligen Menschen weltweit an den atemberaubenden Erkenntnissen der modernen Wissenschaft teilhaben zu können, wie es für frühere Generationen noch unvorstellbar war. Bspw. wie bei diesem Vortrag hier, der mir nach fast 15 Jahren immer noch sofort ins Gedächtnis schießt, wenn ich über atemberaubende Erkenntnisse der modernen Wissenschaft nachdenke:
*https://www.youtube.com/watch?v=DfB8vQokr0Q
Oder auch die Bilder vom Weltraumteleskop Hubble oder JWST, die allein mit bloßem Auge nicht erkennbar und selbst mit Hilfe deiner Phantasie nie erahnbar gewesen wären:
*https://webbtelescope.org/news/first-images/gallery
Aber schon klar: Sich aktiv intensiver mit Wissenschaft auseinanderzusetzen - über Jahre bis Jahrzehnte (!!!) - ist natürlich viel anstrengender als sich bspw. nur passiv in 'ne Kirche zu setzen und sich "unvoreingenommen und ergebnisoffen" - quasi wie bei Woodstock oder einem Michael Jackson-Konzert - einfach von der "Stimmung der Massen" mitreißen bzw. einlullen zu lassen.
(27-07-2025, 17:49)subdil schrieb: Aber es ist ja allgemein bekannt, dass Orte der Anbetung und des gelebten Glaubens eine besondere Energie haben. Rupert Sheldrake, den ich dir, Noumenon, einmal ans Herz legen würde, hat da sogar schon entsprechende Experimente über die veränderten morphischen Felder an solchen "places of worship" gemacht.Ebenso bin ich alt genug, um zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft zu differenzieren. Von Rupert Sheldrake und seinen morphischen Feldern hatte ich schon vor 20 Jahren gehört und mich damit auch ein klein wenig beschäftigt, um dann allerdings auch ziemlich rasch zu merken, dass da nix dran ist. Sheldrake beruft sich vor allem auf Einzelfälle und Anekdoten, die wissenschaftlich nicht belastbar sind, weder bei Ratten, noch bei Affen, und auch nicht bei Menschen.
(27-07-2025, 17:49)subdil schrieb: Was glaubst du denn, wie der Stand der Wissenschaft in 500 Jahren sein wird, oder in 1.000 Jahren oder - um dieses Gedankenexperiment mal auf die Spitze zu treiben: Was wird wohl der Stand der Wissenschaft in 100.000 Jahren sein? Angenommen die Menschheit überlebt so lange, wird die Wissenschaft, die es dann gibt, so dermaßen anders und weiter entwickelt sein als die heutige, dass wir uns das heutzutage nicht einmal vorstellen können - genau so wenig, wie wir uns das Transzendente wirklich vorstellen können. Siehst du diese Parallele? Das ist sehr wichtig. 100.000 Jahre Wissenschaftsentwicklung sind gleichbedeutend mit einem Sprung in die Transzendenz - in dem Sinne, dass das, was uns dort erwartet, unvorstellbar ist. Und genau deshalb ist die Phantasie so wichtig. Die Phantasie - in der Wissenschaft verhasst und verlacht - ist neben der Intuition, dem Glauben und der Kontemplation ein viertes Tool für die Annäherung an die Transzendenz.Hervorragende Frage, was den künftigen Stand der Wissenschaft angeht, wobei wir über die Antwort aber nur spekulieren können. Wir können schlichtweg nicht sagen, ob und wie lange sich der wissenschaftliche Fortschritt noch so weiter entwickeln wird. Irgendwo wird aber sicherlich eine Grenze sein und nichts mehr, was es noch zu erforschen gibt.
Und die einzige Parallele, die ich hier sehe, ist die zum großen unbekannten Ozean für die Seefahrer des Mittelalters, die sich angesichts der "Tranzendenz" des Ozeans zu reichlich phantasievollen Geschichten über Seeungeheuer, Meeresdrachen oder riesige Wirbelstrudel ermuntert fühlten. Und zu dem Glauben, dass das, was sie dort erwarten würde, geradezu unvorstellbar sei.
(27-07-2025, 17:49)subdil schrieb: Die Phantasie - in der Wissenschaft verhasst und verlacht - ist neben der Intuition, dem Glauben und der Kontemplation ein viertes Tool für die Annäherung an die Transzendenz.Dann scheinst du offenbar eines der berühmtesten Zitate von A. Einstein nicht zu kennen, falls du das ernsthaft glaubst.
"Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt." - A. Einstein
Phantasie ist - neben dem Zweifel - übrigens auch einer der wichtigsten "Motoren" wissenschaftlichen Fortschritts. Phantasie ist nötig, um neue Hypothesen aufzustellen, also Annahmen über die Welt, die über das bereits Bekannte hinausgehen. Ohne diese Fähigkeit, sich alternative Möglichkeiten oder "unsichtbare" Zusammenhänge vorzustellen, gäbe es keinen Grund, Experimente überhaupt durchzuführen. Phantasie hilft dabei, sich von festgefahrenen Paradigmen zu lösen, und viele wissenschaftliche Revolutionen (Kopernikus, Planck, Einstein) begannen damit, dass jemand sich mit Hilfe der bloßen Phantasie etwas völlig anderes vorstellen konnte als das, was bis dahin als sicher galt.
Ich wäre übrigens dafür, wenn wir möglichst nahe beim eigentlichen Diskussionsthema bleiben bzw. wieder dahin zurückfinden würden...

