31-07-2025, 12:17
(30-07-2025, 18:05)exkath schrieb:Was genau sollen uns jetzt solche Anekdoten sagen? Und inwiefern widersprechen sie meiner Aussage, dass a) Wirtschaft & Industrie bestimmte Produkte und Lebensstile aggressiv bewirbt sowie b) klimaschädliche Lebensweisen nur allzuhäufig eine Frage mangelnder Alternativen sind?(30-07-2025, 15:08)Noumenon schrieb: Klar, niemand wird gezwungen, ein 2-Tonnen-SUV zu fahren, aber wer baut diese Dinger, bewirbt sie aggressiv und verdient sich dumm und dämlich daran? Wer sorgt dafür, dass klimaschädliches Verhalten bequem, billig und überall verfügbar ist, während nachhaltige Alternativen teuer, unpraktisch oder gar nicht erst zugänglich sind?In meiner Nachbarschaft gibt es ein Lädchen in dem auch Sonntags frische Backwaren verkauft werden. Da kommen Sonntags etliche mit dem Auto zum Brötchen holen. Zu Fuss oder mit dem Fahrrad ist denen wohl zu unpraktisch und ein Herd, in denen man Tiefkühlbrötchen aufbacken könnt, nicht zugänglich.
Ich will an dieser Stelle nicht zu sehr ins Detail gehen, aber nur mal kurz am Rande, nur bezogen auf Deutschland:
"Der ADAC fragte 2018 Menschen im ländlichen Raum nach ihrer Zufriedenheit mit der Mobilität in ihrer Region. Dabei waren 86 Prozent der Meinung, die Menschen auf dem Land seien auf das Auto angewiesen, um mobil zu sein. Für 78 Prozent der Menschen ist das Leben auf dem Land mit höheren Mobilitätskosten verbunden, 60 Prozent finden, der ländliche Raum ist bezogen auf die Mobilität ausgebremst und abgehängt."
*https://www.vcd.org/fileadmin/user_upload/Redaktion/Themen/soziale_Verkehrswende/VCD_Factsheet_Verkehrswende_laendlicher_Raum.pdf
Wie gesagt, ich will da aber gar nicht so ins Detail gehen. Der Punkt ist ein anderer: Konsumentscheidungen sind nicht völlig frei, sondern abhängig von diversen Rahmenbedingungen ("Zwängen") und marktpsychologischen Einflüssen. Und da sind Infrastruktur und Kraftfahrzeuge vs. ÖPNV nur eines von vielen Beispielen.
(30-07-2025, 18:05)exkath schrieb:Du bestätigst letztlich nur, was ich sagte: Weder Konsumenten noch Produzenten treffen ihre Entscheidungen im "luftleeren Raum". Nur übersiehst du den entscheidenden Unterschied: Konzerne haben die strukturelle Macht, Bedürfnisse gezielt zu erzeugen und Märkte zu gestalten. Unternehmen und vor allem große Konzerne verfügen über massive Mittel, um Konsumverhalten zu beeinflussen. Sie investieren Milliarden in Werbung, Markenbildung, Imagepflege, Kampagnen und Marktanalyse, betreiben gezielte Bedürfnissteuerung und haben Zugang zu detaillierten Daten über das Verhalten und Vorlieben von Zielgruppen. Darüber hinaus können sie durch Lobbyarbeit politischen Einfluss nehmen, etwa auf Subventionen, Regulierungen oder Infrastrukturplanung. Konsumenten hingegen bewegen sich innerhalb dieser von Unternehmen mitgestalteten Strukturen. Ihre Entscheidungen sind stark von Verfügbarkeit, Preisgestaltung, Werbung, sozialen Normen und alltäglichen Zwängen geprägt. Während der Einzelne lediglich reagiert, gestalten Unternehmen aktiv die Bedingungen, unter denen diese Reaktionen stattfinden. Und wer diese eklatante Machtasymmetrie ausblendet, verkennt die Realität moderner Marktwirtschaft.Zitat:Zu behaupten, es sei allein die Nachfrage des Individuums, die solche Produkte hervorbringt, ist naiv. Denn faktisch wird "Nachfrage" nicht einfach gewählt, sondern geschaffen, gelenkt und dauerhaft stimuliert. Unzählige Milliarden fließen jährlich in Werbung, psychologische Marktsteuerung und das gezielte Schaffen von Konsumidealen - genau von den Konzernen, die dann behaupten, sie würden ja nur anbieten, was die Leute angeblich "aus freien Stücken" wollen. Und wie war das doch gleich mit der Willensfreiheit...?Wenn der Konsument keine Willensfreiheit hat, dann hat der Produzent auch keine. Firmen probieren halt aus, was sich verkaufen lässt. Der 3 Liter Lupo von VW ließ sich z.B. nur schlecht verkaufen.
Dein Beispiel des 3-Liter-Lupo belegt übrigens auch noch einmal eindrucksvoll meinen Punkt: VW hat das Modell nur halbherzig beworben, preislich unattraktiv positioniert und gleichzeitig weiterhin spritfressende Modelle aggressiv vermarktet. Es war ökonomisch schlicht nicht gewollt, dass sich ein sparsames Auto gegen margenstarke SUVs durchsetzt. Das ist kein Marktversagen, sondern Marktdesign.
(30-07-2025, 18:05)exkath schrieb:Erneut: Was genau sollen uns jetzt solche Anekdoten sagen? Anekdoten ersetzen keine Analyse.Zitat:Dazu kommen andere "Zwänge", d.h. Infrastrukturen und Lebensverhältnisse sind nicht einfach "frei gewählt", sondern viele Menschen sind auch auf ein Auto angewiesen, weil der ÖPNV fehlt.Bei einer Umweltbehörde hatte ich einen Kollegen, der fuhr arbeitstäglich 100km mit dem Auto zur Arbeit. Andere fuhren in der Mittagspause 1km zum Discounter. Schuld war vermutlich der schlechte ÖPNV. Eigene Blödheit war es bestimmt nicht. Wieder andere waren nicht in der Lage für 50km eine Fahrgemeinschaft zu bilden.
Es bleibt also dabei:
Infrastrukturen und Lebensverhältnisse sind nicht einfach frei wählbar. Wer auf dem Land wohnt, kann nicht mal eben das Auto abschaffen, wenn der nächste Supermarkt 5 km entfernt ist und nur zweimal am Tag ein Bus fährt. Und das gilt nicht nur für Deutschland. Weltweit leben Milliarden Menschen in Verhältnissen, in denen umweltfreundliche Entscheidungen strukturell erschwert oder gar unmöglich sind. Man kann daher nicht ernsthaft behaupten, das Verhalten Einzelner geschehe völlig autonom oder sei die Hauptursache der Klimakrise. Anekdoten über 'Bequemlichkeit' ersetzen, wie gesagt, keine Analyse. Entscheidend ist, wer die Rahmenbedingungen setzt. Und das sind und bleiben nun einmal Staaten, Konzerne und globale Märkte, nicht einzelne Konsumenten.
(30-07-2025, 18:05)exkath schrieb:Um den "real existierenden Sozialismus" geht es an dieser Stelle aber nicht, sondern um den "real existierenden Kapitalismus". Anstatt auf mein Argument einzugehen, bringst du nur 'ne Nebelkerze, klassisches Whataboutism. Auch hier bleibt es dabei:Zitat:Individuelle Entscheidungen sind letztendlich immer eingebettet in ein wirtschaftliches System (aka Neoliberalismus), welches auf Wachstum, Konsum, Profitstreben, Verdrängung von Folgekosten ausgelegt, dabei bspw. auf Umweltschutz einen Dreck gibt, um Kosten zu minimieren und Gewinne zu maximieren.Im real existierenden Sozialismus hat man mindestens genau so auf den Umweltschutz geschissen. Mangels Gewinnen ist dieses System pleite gegangen. Die Kosten, um die Bürger an der Flucht zu hindern, waren auch nicht gerade systemförderlich.
Umweltzerstörung ist kein Betriebsunfall, sondern folgt direkt aus der inhärenten und systemimmanent Logik des Kapitalismus. Ein Wirtschaftssystem, in dem Profit und Rendite das oberste Ziel des wirtschaftlichen Handelns sind, wird zwangsläufig ökologische und soziale Kosten ausblenden, verdrängen oder externalisieren, weil sie den Gewinn schmälern. Umweltschutz, Nachhaltigkeit oder Gemeinwohl stehen in diesem System nicht im Zentrum, sondern allenfalls zur Disposition, solange sie sich rechnen. Genau deshalb zerstört der Kapitalismus systematisch seine eigenen Lebensgrundlagen.
(30-07-2025, 18:05)exkath schrieb:Ja, dass das ursprünglich ziemlicher Murks von @Sinai war, hatte ich ja auch schon angemerkt.Zitat:So schaut die nackte und schonungslose Wahrheit aus, die du hier ganz im Sinne eines Systems von Profitgeiern schön kaschierst.Leute erzählen viel, wenn der Tag lang ist, insbesondere gerne von Dingen von denen sie keine Ahnung haben. Entgegen der Behauptung des Themenerstellers war der Juli 2025 in München durchschnittlich warm oder kalt. Kommt natürlich auch darauf an, welchen Durchschnitt man wählt.
Umweltdiskussionen lassen sich prima ad hominen führen. In einer Kneipendiskussion haben mir "Umweltschützer" ihren Qualm um die Ohren geblasen. Auf diese Diskrepanz habe ich sie gerne, mit deutlichen Worten, aufmerksam gemacht.