17-01-2008, 14:42
Fritz7 schrieb:Lea schrieb:Bleiben wir beim Thema des Threads und schauen auf die psychischen Phänomene, auch Erkrankungen der Menschen - damals wie heute.Ich bezweifele allerdings (und hätte dazu gern auch Anderer Stellungnahmen), ob allzu intensiven Eintauchen in die apokalyptiche Bilderwelt zu adäquatem Umgang mit den sozialen Verwerfungen der Gegenwart führt.
Fritz7 schrieb:Gewiss ist, dass alle möglichen und unmöglichen Typen ihre eigenen Ängste in der Offenbarung abgebildet sahen und diese ihren Interessen und Befindlichkeiten gemäß interpretiert und öffentlich angepriesen haben. Imho auch ein psychatrisches Phänomen ...
Meiner Beobachtung nach gibt es in allen Zeiten Menschen, die in Visionen "eindeutige Zeichen" für konkrete Geschehnisse sehen. Die Häufung aber scheint mir in der Geschichte wellenartig zu verlaufen. Mal schwappen sie gar heftig in die Oberwelt, dann wieder sind sie nur im underground in Insiderkreisen bekannt. Zur Zeit schwappen sie nach oben, wie mir scheint.
Man müsste also zweierlei klären, was nicht automatisch zusammenhängt:
1.
Weshalb erleben manche Menschen überhaupt Visionen, die tautsende von Jahren alt sind, als genau zutreffend auf heutige Ereignisse? Und:
2.
Wieso nimmt das zur Zeit so zu?
Und es gibt noch eine dritte Frage:
3.
Wieso gibt es Menschen, die nicht nur diese uralten Visionen aktuell deuten, sondern auch noch der festen Überzeugung sind, sie alleine haben die Wahrheit erkannt?
Bei der dritten Frage könnte C.G. Jung helfen. Er nennt dies "Inflation des Ich". Das Ego hat irgendwelche Phänomene des Unbewussten zur Kenntnis bekommen; und weil das Unbewusste auf viele so unwiderstehlich wirkt, innovativ und tief, überschwemmt es das Ego, und das Ego fühlt sich als Prophet. Das ist selbstverständlich eine psychische Angelegenheit und mit pychologischem Vokabular zu beschreiben und halbwegs zu erklären. Und ich denke, dass der so Befallene es nicht im Griff hat, das zu ändern. "Wir anderen" sind auch nicht immer frei davon, und wir werden mehr irrational gesteuert, als uns lieb wäre.
Zur 1. Frage:
Ich denke, dass da religiöse Überzeugungen eine Rolle spielen, die für viele Menschen dermaßen Halt und Rückgrat bieten, dass sie ohne diese Überzeugungen psychisch zusammenbrechen würden. Darum MÜSSEN sie in alten Visionen Antworten finden auf die heutige Zeit. Sie können nicht zulassen, dass keineswegs Johanees oder Swedenborg alles über die Zukunft wussten. Die im Weltall kegelnde und sinnlos vor sich hintrudelnde Erde ist ja auch wirklich eine Zumutung für den empfindsamen Menschen, und solche als Zukunftsdeutung erklärten Visionen bieten da einen Anker, den man nicht loslassen kann, weil man sonst selber im All herumtrudeln würde.
Ich kann das nachvollziehen. Aber ich teile es nicht, es ist eine Lebenslüge. Dennoch habe ich noch keinen Menschen ohne Lebenslüge kennengelernt. Sie sehen nur unterschiedlich aus (die Lebenslügen).
Zur 2. Frage (warum diese Visionsdeuterei heute wieder zunimmt).
Meine persönliche Antwort:
weil die Methoden der Naturwissenschaft immer mehr auch zur Ideologie werden und alles wegleugnen wollen, was nicht rational erklärbar ist. Dieses Aufschwappen von neureligiösen Tendenzen ist eine Gegenbewegung, ein Sichwehren gegen die Durchrationalisierung des Menschen. Dass das dann auch total irrational rauskommt, scheint immer so mit dabei gewesen zu sein. Es ist Teil dieser Gegenbewegung. Wenn alles "gut verläuft", dann pendelt sich das mit der Zeit ein, und aus der Antinomie "nur rational" >-< "nur irrational" wird ein sowohl... als auch.
Wenn es NICHT gut verläuft, dann kommen faschistoide Strömungen heraus. Und darum muss man da wirklich wachsam sein und solche Gegentendenzen gut beobachten. In kleinem Rahmen, denke ich, kann man sie tolerieren, denn sie sind wohl immer vorhanden gewesen, zu jeder Zeit. Werden sie aber wirklich zu einer auch politischen Grundhaltung, dann ist Not angesagt. Und dem kann man, meines Erachtens, auch nur politisch gegensteuern.
Zu überzeugen suchen kann man natürlich auch, durch unermüdliche Aufklärung. Das funktioniert bisweilen, wenn auch nicht immer.