04-12-2008, 08:51
Zitat:jo_jackson: für einige ist es immer wieder existenziell wichtig die opferzahlen, natürlich nur die die sie nicht verursacht haben hochzuhalten und in den vordergrund zu stellen,
Hi, ich denke, du schaust auf den falschen Aspekt, wenn Dir nicht daemmert, wie so etwas zustande kommen konnte.
Seit jeher geben Menschen Zahlen an, ob bei Kriegen oder Katastrophen, also wenn Du willst, rechne die 56 Millionen Toten, die direkt am 2.Weltkrieg weltweit ums Leben kamen - alle Fronten zusammengerechnet
- dazu gehoeren doch auch jeweils bestimmte Menschen, denen ruckartig irgend jemand genommen wurde, Vater, Bruder, Ehemann oder Sohn - diese oft als irgendwo eingezogene Kaempfer
- manche haben aber nichtmal einen einzigen Schuss abgegeben, da hatte sie schon eine Bombe, Granate, Mine zerfetzt, oder sie erfroren oder ertranken, verhungerten einfach am Wege der Truppe nach hier oder da oder starben am Kriegsgefangenen-Lager - es betraf aber auch Alte, Kranke, Frauen, Kinder, jede Art Mensch - und Tiere und Baeume desgleichen - viel Lebendes wurde mitten heraus zerstoert
- aus Sicht der Betroffenen sind es individuelle Kuemmernisse
- Es ist ja wohl nicht zu erwarten, dass irgendein Hinterbliebener beim Trauern dann denkt: "ach, waere mir doch mein 1/56 Millionenstel Kriegsopfer nicht so gestorben"
- mein Vater bekam ein hastiges Einzelgrab, das wissen wir Uebrig-Gebliebenen seit 1949, also erstmal musste man glaubhafte Zeugenn finden - hin kommen oder umbetten waere bis 1991 nicht moeglich geworden, also stellt man ihn sich schlafend vor, in dem Park, wo es geschah - das geht noch, das ist "gefallen an der Front"
- ein anderer Vater liess sich erst 2006 verifizieren, wo er verblieb, in einem Massengrab im Uralgebirge, wo sie massenhaft alte und spaetere Massengraeber haben - das stellt man sich nicht als denkbar vor, den dann lieber im Himmel - irgendwo in einer anderen Wirklichkeit, denn dies tat Hass - und sowas tut auf ganz andere Weise weh
- und doch gibt es Einsame, die spenden ihre hinterbleibende Gestalt einer Anatomie und werden zumeist dann auch nicht einzeln bestattet - aber dennoch mit Achtung, Respekt und Wuerde - hier in Muenster bekommen je zwei 1 Sarg mit Vermerk der Konfessionfuer die bestattenden Geistlichen und diese Saerge nebeneinander bekommen ein gemeinsames Feld je Jahr, dann koennen Angehoerige wenigstens ungefaehr da auch beten, falls sich doch jemand ihrer erinnert
- als unsere Stadt dem Verhungern zugewiesen worden war, starben 9 von 10 nach Ende des Kriegs, diesen teilte man Gruben zu - es waren ja taeglich immer mehr, viele, tils warf das Entsorgungskommando sie direkt von der Karre hinein, durcheinander, teils stiegen die Bestattenden hinab, obwohl schon selber vor Hunger halb tot, und legten sie nebeneinander, Kopf neben Kopf und je eine Schicht bekam Erde und Kalk darueber, und abschliessend wurde fuer genausoviele ein Gebet gesprochen, wie drin war, auch mit Namen, falls man den noch erfahren konnte, notieren durften wir die aber nicht, dabei waere es fuer etwaige Ueberlebende, Angehoerige, so von Bedeutung, dass diejenigen nicht verschollen bleibnen, sodass es sogar im Altertum als "Gute Botschaft" bezeichnet wurde, mitgeteilt zu bekommen, wann und wo jemand starb - das zu Vereiteln, das tut Hass und da tut der so realisierte Hass eben laenger weh als es das Traurigsein alleine taete
- auch wenn man nur noch erfahren konnte, dass die Vergasten, und darunter der oder der Bruder, Vater, Sohn, Ehemann, Mutter, Schwester, Kind oder Ehefrau, Freund, Freundin, Lehrer, ... jemand, der einem im Leben etwas bedeutet hatte, dann verbrannt und als Asche auf die Felder der Umgebung gestreut wurden, wie organischer Duenger - das tat Hass
- und doch gibt es im Frieden Menschen, die moechten als Asche verstreut werden, nach dem Tod - diese hinterlassen aber auch ihre Nachricht darueber, warum das ihr Wille so war - ebenso diejenigen mit einem "Seemannsgrab" -
In unseren Religionen ist es ja nicht wirklich noetig, die erinnerte Person an so etwas wie einen Grabesplatz zu heften, aber schon die Neandertaler bestatteten Tote unter Kirschbluetenzweigen und Tannengruen sicher vor Wildfrass und etwas auch in schoener Art - und wenn man Krieg mit Vernichtungstod vergleicht, so wurde doch den Toten der Fronten und Bomben jeweils ein gesitteter Abschied gewaehrt.
Nach der Flaechen-Bombardierung Koenigsbergs gluehte das Arbeiterviertel 3 Tage, und man konnte manchen Menschen ihn nur noch als schwarzes kleines Buendel mit der Kohlenschaufel abkratzend bergen - sie wurden trotzdem gezaehlt (es waren 3-5000 Tote aus 2 Bomben-Naechten binnen 3 Tagen, genauer war das nicht mehr zu definieren) und nach Moeglichkeit identifiziert und mit Anstand bestattet - da war kein Zahlenspiel "passiert", sondern zu dem Zeitpunkt lebten schon so viele Fremde mit einquartiert, die woanders kein Obdach mehr hatten oder nach hierhin dienstverpflichtet worden waren, und so viele Familien waren in mehreren Wohnungen zugleich ausgerotttet, sodass nur noch die Einwohner-Melde-Behoerde Namen anbieten konnte, wer da wahrscheinlich auch mit umgekommen war
- deshalb kommt ab und zu auch ein totgesagter unerwartet wieder
Andererseits, was unsere Mitjuden betrifft - wir wurden doch ueberall im Leben als solche notiert und vermerkt, und wenn nicht mehr juedisch, dann doch als Buerger von irgendwo - und wenn zwischendurch heimatlos, dann doch bei Meldeaemtern bekannt, wegen der Gewerbescheine - und eben auch das in Familien, Sippen usw - einander als existent ein Begriff oder ein Angehoeriger oder ein Liebster, sogar -
Genau wie die weltweit so vielen Millionen der Vertriebenen und Geflohenen und Ex-Gefangen-Gewesenen sich hinterher so nach und nach wieder suchten und dann verifizieren konnten - mussten - wer nach 1956 nun wirklich nicht mehr unter den Lebenden zu vermuten war, suchten auch die juedischen Vertriebenen und Fluechtlinge nach einander
- es ist richtig, dass in keinem Stadium zwischen 1933 und 1947 jemand 6 Millionen oder 56 Millionen als Zahl erstellt und dann dazu Leute suchte, pro Zahl, um diese zu toeten, man also natuerlich nicht bereut, und nicht zu bereuen verlangte, persoenlich "Millionen" oder "3 Leute" ermordet oder in einer kriegerischen Tat getoetet zu haben, ist die schliesslich feststellbare Anzahl polizeilich-ideologisch umgebrachter Menschen doch ein Schock gewesen, zumal, wenn man bedenkt, ab dem "Startschuss 9.Nov.1938" bis "noch immer im Mai 1945" nur 7 Jahre dazu noetig waren, und nicht nur im eigenen Land, sondern jedem Land, das von eben wirklich den NS-Deutschen im Dt.Namen besetzt oder anvereint wurde - und sicher, sehr viele starben an der dabei immer schlechter funktionierenden Logistik, sodass nachher mehr die Angst als ein Hass zum Toeten anderer fuehrte, als auch, dass den Gefangenen die letzte Kraft ausging
- also wenn es ein Recht gint, dass ein Volk sich seiner guten und grossartigen Mitglieder ruehmt, so gibt es auch das Recht, dass sich ein Volk seiner schlimmsten Verbrecher auch schaemt -
Ich persoenlich finde, dass Stalin und Co es dem Russischen Volk auch geraubt hat, sich suehnend schaemen zu koennen fuer seine 50 Millionen intern-polizeilich umgebrachten Untertanen, aus anfangs 160 Millionen des Zarenreichs, da er das Erinnern verbot und verhinderte
- alle schriftlichen Nachrichten wurden ja immer wieder vernichtet - das ist eher schlimm fuer das russ.Volk und dessen Lebende, denn es gibt die Erfahrung, sich auch wieder einzeln versoehnen zu koennen, jeweils die Nachkommen mit den Hinterbliebenen und das tut gut
- niemand ist vollkommen und Israel ist doch mit der allgemein bekannten Hl.Schrift erster Zeuge dafuer, dass es heilt, wenn einer gesteht: das tat ich - lass die anderen aus dem Verdacht frei - denn die Tat war ja geschehen -
Biblisch ist der, der seine Tat gesteht und bereut und seine Strafe / Busse / Wiedergutmachung leistet, dann wieder ein zu ehrender Mensch
- jeder, der sich drueckt oder auf andere zeigt, tut sich selbst etwas Schlimmes an, und ausserdem der Gemeiinschaft, aus der heraus es jemand getan haben musste - um das geht es
Ich las neulich einen sinnigen Schreibfehler in einem anderen Forum:
Zitat:Der Holocaust ist ein Seelenmord am deutschen Volk, ...- genau das
- es war "nachher" nichts mehr so eintraechtig beseelt wie vorher, man kriegt es ja nichtmal mehr hin, dass ueber einen als "juedischem Deutschen" geredet werden kann (wie Herr Bubis es einzufuehren bestrebt war)
mfG WiTaimre
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-- Frueher war ich jung und schoen - heut bin ich nur noch "und" --
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