Themabewertung:
  • 1 Bewertung(en) - 5 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Juden beim Beten
#6
Hi, Marlene
- njain, es ist so, ich wohne etwas abseits und komm nnicht allzuweit rum - einigs ist durchaus auch etwas trendiger - z.B.haben wir auch seit einiger Zeit Rabbinerinnen und je nach Ausrichtung gehen die Varianten bei "liberalen" oder "Reform-Gemeinden" in einigen Richtungen Ideen nach - der eigentliche Ablauf der Liturgie gibt aber nicht so starb Abweichbares her - weil der Kern-Ablauf textfixiert ist, Synagogen lesen einmal im Jahr einander die 5 Buecher Moses vor, 7 Leser je Sabbath, der Zweck war, die Ausprache zu kontrollieren, damit die Gebots-Wortlaute getreu erhalten bleiben, oft war es Brauch, wie auch schon, als das Heiligtum noch stand, einen solchen Text alternierend Satz um Satz zu lesen, je gleich danach uebersetzt in die Voelkersprache, der die meisten folgen koennen, damals Griechisch, ich hab ein wunderschoenes Exemplar mit Jiddisch - zum Allein-Studieren oder zuhanden des Lehrers sind dazu auch eine Menge von Gelehrten-Kommentaren aussen herum abgedruckt, je was man da liest betreffend (es erspart, mehrere Buecherr zu schleppen) - das hab ich nicht ueberall noch praktiziert gesehn
- andere meinen mehr, es gehe nur um den Inhalt und nehmen Uebersetzungen in der Landessprache - gesungen wird auch ueberwiegend ein gemeinsamer Text - manche Gemeinden haben auchh mal schon eine Orgel - muss ja nicht am Sabbath gespielt werden, ist trotzdem was Angenehmes fuer z.B.Tagen vor und nach Feiertagen - oder Chanuuka, das bevorsteht, da ist kein Arbeits-Ruhetag.

Also da muesste ich mal rumfragen, ob es aufregendere Neuigkeiten gibt. Gemeinden sind ja ziemlich autonom, eine kann sich sogar an einen auswaertigen Landesrabbiner anschliessen, wie etwa Giessen sich 1984 ungefaehr an Hannover anschloss.
Dazu kommt, dass aus den damals noch 30'000 in Deutschland enthaltenen Juden kaum je konstant immer 10 Mann aus derselben Derivation zusammenholbar waren - hab ich sogar in Frankfurt erlebt, da aber die Eignung bei einander anerkannt wird, richtet sich das Ergebnis eher nach den konservativeren, denn die brauchen es staerker so "wie es immer war und zwischen Madrid, Kopenhagen, Jerusalem und Wilna bleiben konnte.

Aber doch
- denkwuerdige Kuriosa passieren uns auch in diesen modernen Zeiten:
in Berlin gibt es meistens auch Gaeste, die einem schoenen Judentum die Reverenz erweisen moechten, hohe Feiertage mitzubeten - kein direktes Problem. Nun hatte eine Synagoge mangels eigner guter Saengerchoere das Angebot eines christlichen Kirchenchors akzeptiert, die herrlichen Gesaenge zum Vorabend des Versoehnungtags mit zu gestalten - ein Nachri koennte ja sogar dann eine Orgel spielen und etwas von Mendelssohn-Bartholdy in eine liturgische Umrahmung spielen. Wie auch immer, die Leute waren riesig nett, begabt und eifrig, sie singen von einer Galerie herab - und ein Mitglied aus Bayern kam etwas spaeter an, Verkehrsstau oder so - stellt sich flink auf ihren Platz im Chor, schnppt sich die Noten, schaut bei der Nebensaengerin ab, wo man grad ist - erschreckt sich, weil sie doch ziemlich spaet gekommen ist und ruft in eine zufaellige Gesangspause schallend "Jessas-Maria - wir sind ja schon im Ne'ila !"
Gemeinde, ob Jud oder Nachri, stutzte nun doch und mancher kicherte wohl etwas schadenfroh in sich hinein - es sollte doch nicht derart offensichtlich werden, woher der rundfunkwuerdig schoen gesungen habende "synagogale" Chor geliehen war *g*

- Es zu wissen ist eigentlich auch kein religioeses Problem, ebensowenig wie das Annehmen eines solchen Angebotes - es waere nur eins, wenn sie andere Lieder zwecks anderer Konfession oder Deutung des Tages singen moechteten. *g*

- Aber es ist halt so, auch unser Nachwuchs wird teils stark weltlich abgezogen, und ob wir das Haus voller kriegen wuerden mit einer Band und "On the rivers of Babylon - yeah yeah!", da muss man sicher am ehesten in Amerika nachfragen, da sind sie a) mehr Juden zur Auswahl, wer etwas macht, und b) sehr viel staerker unterschiedlich im Einzelnen.
Es gibt allerdings auch neue anmutige religioese Kompositionen. Wir waeren nicht unbedingt auf Gospels Rueck-Anleihen angewiesen.

Das Radikalste Verwunderliche, was ich mal gelesen hab, war so etwa um 1840 herum, als "Liberale deutsche" Juden sich dem Preussenstaat und seinem pietistischen Protestantiismus sympathischer halten wollten, und die gaben die Order heraus: wer hier Buerger sein will, nimmt a) die Deutsche Sprache immer, b) gewoehnt sich Disziplin an "ordentlich" zu singen - ich kann das hier nicht erklaeren, aber wir haben da reizende Eigenheiten, die uns nicht normalerweise "ordentlich singend" erscheinen lassen, die ich meinesteils ueberaus liebe - c) das Radikale: lasst uns den Sabbath doch auf den Sonntagen feiern ! es wird doch weiterhin der jeweils 7.Tag sein koennen (das hatte praktische Hintergruende, weil durchgehend noch die 6-Werktage-Woche war, kein Unternehmen oder Handwerksmeister haette dann so einfach ablehnen koennen, Juden einzustellen resp.zuenftig auszubilden)
- wie auch immer, sie waren stellenweise derartig besorgt, die neuen Buergerrechte koennten andernfalls gestrichen werden, wenn unser Judentum nicht ganz parallel erhaben, deutsch-preussisch und aesthetisch wie die Liturgie bei Protestantens ja gerade auch reformiert wurde, im Geiste der Romantik und Schleiermacher's "Innerlichkeit" - dass sie am Sabbath andere Juden kontrollieren gingen, ob die nicht etwa Sabbath noch am Sabbath halten wuerden - und natuerlich - 10 Juden, 3-4 feste Ueberzeugungen, es soll sogar zu Handgreiflichkeiten hekommen sein und brachte ein paar Polizei-Strafmeldungen ein, ueber das "weiterhin un-sittliche Verhalten hier ansdaessiger Juden"
(gemeint ist, sie haben Sitten, die noch nicht den unseren drumherum gleichen, es gehoerte dazu, etwa nach der spaerlichen preussischen Schule, die zeitweise nur enthielt: Deutsch Lesen u.Schreiben, 4 Gerundrechnungs-Arten, Geschichte - der preussischen Siege, Singen, Erdkunde Deutschland-Preussens - und Apfelbaeume im Schulgarten ziehen - "also alles, was ein kuenftiger Soldat zu wissen benoetigt" hat der Koenig es 1827 in einer Berliner Waisenhausrede erlaeutert - also un-sittlich war es, wenn juedische Kinder am Nachmittag noch etwas Englisch, Franzoesisch, je nachdem auch Griechisch oder Latein einen spaeteren Beruf oder ein Studium vorbereitend, Prozent-und Dreisatz-Rechnen etc von einem Hauslehrer lernten, "das erschoepfe die zarten Kinder zu sehr" - es war auch zeitweise nicht geplant, dass Maedchen mehr als Stricken, Weben, Singen und Baeumchenpflanzen zu lernen brauchen, die juedischen Dameninternate fuer Hoehere Toechter waren zuerst ein richtiger Skandal - nachher schickten viele "Preussen" auch ihre Toechter in "Derartiges" *g*)
tja - nix Ganztagsschule, die ist un-sittlich laut einem Landratsamt in Paderborn.

- Unter diesen Streitereien bildete sich die deutsch-juedische Orthodoxie in die genau andere Richtung zu den biederen Liberalen - das grosse Mittellfeld, das die Kinder noch Liebe, Guete, Perle oder Pfanne, Füllebiene und Schanett benannte - je nach Amtsschreiber, war nur einfach noch-deutsch-juedisch und mochte nicht alles weggeaendert kriegen. Jedoch einige deutschprachige "Andachtsbuecher" mussten sie sich auch angewoehnen, wegen der Erhabenheit, verstehst Du?
Vermutlich empfanden viele diese Texte als merkwuerdig unjuedisch, auch wenn jede andersreligioese Aussage darin strikte vermieden wurde - selbst uebersetzt ist das voellig anders, Gedankengaenge, Aufbau, G0TTES-Bild dahinter - alles ist gut gemeint aber nicht unser.

Bei andern ging es aber richtig hoch her. Da hatte in Hessen ein ABC-Buch seit Menschengedenken gelehrt: "A - wie Adam, B - wie Balthasar - C - wie ...unser Herr, ..." also jedes Wort spaeter zum Katechismus ueberleitend,
unter Napoleon und preussischer Aufklaerung gab es ein neues ABC-Buch *o Grusel*, ein saekularisiertes: "A - wie Apfel, B - wie Birne, C - wie Caesar, ..." in einer Region erregte dies die Landbevoelkerung so sehr, dass sie ihre Kinder das nicht lernen lassen wollten, und Polizei wollte die lieben Kleinen mit Gewalt dem Unterrichte "zufuehren", es kam zur offenen Feldschlacht, ich meine mit ca.1000 bewaffneten Bauern - naja, hat's geholfen? - unter Preussen und auch andern Fuersten jedenfalls nicht lange.
- Eine andere Region war empoert ueber das neue ev.Gesangbuch nach der Zwangsunion von Lutheranern und Protestanten, die haben es ca 25 Jahre lang konsequent nicht angeruehrt. Ich hab ein ruehrendes Dokument kopieren duerfen, dass ein Handwerker sich fortan ein eigenes und selbst liebevoll illustriertes "altes" Gebetbuch schrieb, um kein neues zu nehmen.

mfG WiTaimre :)
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Juden beim Beten - von atman - 02-12-2008, 23:52
RE: Juden beim Beten - von WiTaimre - 04-12-2008, 07:25
RE: Juden beim Beten - von Marlene - 04-12-2008, 08:37
RE: Juden beim Beten - von WiTaimre - 06-12-2008, 06:45
RE: Juden beim Beten - von Marlene - 06-12-2008, 09:07
RE: Juden beim Beten - von WiTaimre - 06-12-2008, 12:47
RE: Juden beim Beten - von Jakow - 11-12-2008, 17:26
RE: Juden beim Beten - von WiTaimre - 16-12-2008, 03:31

Möglicherweise verwandte Themen…
Thema Verfasser Antworten Ansichten Letzter Beitrag
  Messianische Juden als Brückenbauer Papillon 30 7510 28-06-2023, 22:59
Letzter Beitrag: Sinai
  Heimliche Juden (Marranen) Sinai 3 3417 20-01-2022, 17:19
Letzter Beitrag: Sinai
  Luther und die Juden Mellnau 67 51563 01-05-2021, 22:14
Letzter Beitrag: Ekkard

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste