17-04-2009, 15:10
(17-04-2009, 13:42)Sonne schrieb:(17-04-2009, 11:00)Der-Einsiedler schrieb: Sonne, magst Du mal Deinen Religionsbegriff, den Du in Deinem Leben und in Deiner wissenschaftlichen Arbeit zugrundelegst, aufschreiben?
In einer wissenschaftlichen Arbeit erstellt man lediglich eine Arbeitsdefinition. Diese ist was ganz anderes als die persönliche Auffassung von Religion und sie ist auch abhängig vom Arbeitsschwerpunkt der Arbeit.
Am nahesten liegt mir der Religionsbegriff von Clifford Geertz.
"Gemäß Geertz ist Religion ein Symbolsystem, dessen Ziel es ist, starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen im Menschen zu erzeugen, indem Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert werden, die mit einer solchen Aura von Faktizität umgeben werden, dass die Stimmungen und Motivationen vollkommen der Realität zu entsprechen scheinen." (aus Wikipedia, da ich das Originalzitat grad nicht bei der Hand hab- aber kann es nachreichen, wenn ich zuhause bin.)
marx ist ein religionsstifter?
ich halte es auch mit wikipedia. zuerst die kautel:
Als Religion bezeichnet man eine Vielzahl unterschiedlicher kultureller Phänomene, die menschliches Verhalten, Handeln und Denken prägen und Wertvorstellungen normativ beeinflussen. Es gibt keine wissenschaftlich allgemein anerkannte Definition des Begriffs Religion.
das ist sicher ein knackpunkt. gerade deshalb aber habe ich ja in meinem eingangsbeitrag definiert, wie ich religiösen glauben hier verstanden wissen will, worauf ich mich also bei meiner frage beziehe
Religiöse Weltanschauungen und Sinngebungssysteme stehen in langen Traditionen und beziehen sich zumeist auf über‑natürliche Vorstellungen. So gehen viele, aber nicht alle Religionen von der Existenz eines oder mehrerer persönlicher oder unpersönlicher über‑weltlicher Wesen (z. B. einer Gottheit oder von Geistern) oder Prinzipien (z. B. Dao, Dhamma) aus und machen Aussagen über die Herkunft und Zukunft des Menschen, etwa über das Nirwana oder Jenseits. Sehr viele Religionen weisen gemeinsame Elemente auf, wie die Kommunikation mit transzendenten Wesen im Rahmen von Heilslehren, Symbolsystemen, Kulten und Ritualen.
Alltagssprachlich werden – vor allem im christlichen Kontext – die Ausdrücke „Religion“, „Religiosität“ und religiöser „Glaube“ oft gleichbedeutend verwendet
alltagssprachlich ist also völlig klar, was mit glauben im religiösen kontext gemeint ist
ich bin sogar von einem diskussionsstand geprägt, der religion von philosophie relativ klar abgrenzt, z.b. den daoismus oder konfuzianismus eben nicht als religion sieht - weil eben der transzendentalbezug (weitestgehend) fehlt
so - nachdem das geklärt ist, stelle ich meine frage noch mal neu formuliert:
ist der glaube an eine außerweltliche resp. transzendente autorität gleichzusetzen, hat er denselben stellenwert, wie das für-wahr-halten grundsätzlich empirisch oder intersubjektiv belegbarer sachverhalte? sind demzufolge atheisten auch nur (eine andere art) gläubige im religiösen sinn?
oder macht das nicht-glauben-an, das sich-nicht-berufen-auf eine transzendente autorität oder auch nur entität nicht doch einen fundamentalen unterschied?
imho auf jeden fall
wenn ich etwa sage: "der mensch ist mit einer natürlichen und unveräußerlichen würde ausgestattet, woraus sich die menschen- und bürgerrechte ableiten", so bin ich mir dessen bewußt, daß dies eine konvention ist - und nicht mehr. man kann dem menschen diese unveräußerliche würde zusprechen, weil dieses konstrukt eine gute grundlage ist für diejenigen werte, die man daraus ableitet (und aus nachvollziehbaren gründen für wichtig und richtig hält, um ein gedeihliches miteinander zu ermöglichen) - muß es aber nicht zwangsläufig
konventionen sind sache der intersubjektiven übereinstimmung, des gemeinsam gefundenen und getragenen kompromisses. wenn etwa ein chinese kommt und sagt: der mensch hat diese würde nicht, bzw. folgt aus dieser nicht sein recht auf körperliche unversehrtkeit, ergo darf ich foltern, um einen verdächtigen zum geständnis zu bringen, ihn hinrichten und seine organe meistbietend verkaufen - dann habe ich kein letztgültiges argument, ihn zu widerlegen. ich habe es dann bloß nicht geschafft, ihn in den kompromiß der konvention "menschenwürde" mit einzubeziehen
anders sieht die sache aus, wenn ich sage: "es ist gottes wille, daß mann und frau sexuell zusammenleben und kinder haben (und zwar nur mann und frau, und nur zum zweck des kinderhabens)", sodaß also homosexualität, außerehelicher verkehr, verhütung und abtreibung verboten sind. dann habe ich keine konvention formuliert (von der ich weiß und anerkenne, daß nicht alle ihr folgen müssen oder werden), sondern ein apodiktum getätigt, gegen welches es keinen widerspruch geben kann und darf, ohne sich gegen diese transzendente autorität zu stellen
(und jetzt sage mir bitte keiner, gläubige würden das nicht so sehen! beispiele findet ihr auch in diesem forum hier zuhauf)
beides sind moralische wertungen. ruhen aber auf einem völlig unterschiedlichen referenzsystem. einmal auf einem "begründet für wahr halten" insofern, als leicht nachzuvollziehen ist (z.b. im gedankenexperiment), daß das (an sich willkürliche) konstrukt "menschenwürde" einer maximalen zahl an menschen maximalen vorteil bringt, das andermal auf einem religiösen glauben, der feststeht und nicht hinterfragt werden kann (gottes wort zweifelt man nicht an!)
so - ich hoffe, jetzt wirklich klar gemacht zu haben, was ich meine, und bitte um antwort in diesem kontext
über verschiedene definitionen von "religion" und "glaube" und wie sinnvoll diese sind, können wir gerne woanders weiter streiten. macht einfach einen solchen thread auf, wenns euch ein anliegen ist